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Archiv "Poliomyelitis-Impfung" (28.08.1985)

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ÜBERSICHTSAUFSATZ

Helmut Stickt

Poliomyelitis-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

V

iele unserer Mitbürger erin- nern sich noch gut an die Zeit, als die Kinderlähmung in epidemischen Wellen von 5 bis 7 Jahren und dann immer kürzer und zuletzt fast jährlich in der Bundesrepublik zu Seuchen führ- te, an denen 6000 bis 8000 Men- schen erkrankten, durchschnitt- lich 500 an Kinderlähmung star- ben und über 2000 mit Lähmun- gen und schweren Schäden ihr ganzes Leben lang zu kämpfen hatten. Erst als 1961 die Schluck- impfung gegen Kinderlähmung eingeführt wurde, wurde Deutsch- land innerhalb von zwei Jahren frei von dieser Seuche. Diesen fast schlagartigen Wandel verdan- ken wir dem amerikanischen Wis- senschaftler Albert B. Sabin, der den Schluckimpfstoff gegen Kin- derlähmung entwickelt hatte. Ne- ben der guten Wirksamkeit und Unschädlichkeit für den Men- schen zeichnete sich dieser Schluckimpfstoff durch die einfa- che und schmerzlose Prozedur der Impfung aus. Weiterer Vorteil war, daß die Impfung zur lokalen Immunisierung des Darmes führte und somit die echte Infektion an Kinderlähmung kopierte.

Die Hoffnung, durch die Schluck- impfung die Kinderlähmung gänz- lich aus Europa eliminieren zu können, hatte getrogen: Überall dort, wo größere Impflücken auf- getreten waren — sei es durch technische Pannen oder durch die Impfgegnerschaft bestimmter religiöser Sekten —, kam es erneut zu kleineren und lokal begrenzten Ausbrüchen. Hieraus ergab sich,

Als 1961 die Schluckimpfung ge- gen Kinderlähmung eingeführt wurde, wurde die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Jahren frei von dieser Seuche.

Das Poliowildvirus kann jedoch immer wieder importiert werden.

Die Durchimpfung der Bevölke- rung der Bundesrepublik muß des- halb konsequent weitergeführt werden. Dem Hausarzt kommt da- bei eine Schlüsselstellung zu.

IIM1111•1113111■1■111111111■11 daß das krankmachende Poliovi- rus („Poliowildvirus") immer noch präsent ist und daß es gerade in einem zentralen Verkehrsknoten- punkt wie der Bundesrepublik mit über 300 Millionen Grenzüber- schreitungen in einer Richtung pro Jahr, nicht möglich ist, eine lückenlose Seuchenkontrolle durchzuführen. Dies bedeutet, daß das Poliowildvirus immer wie- der importiert werden kann, sich in unserem Biotop ausbreitet, und daß somit nichts anderes übrig- bleibt, als eine sorgfältige Durch- impfung der Bevölkerung durch- zuführen.

Als die Kinderlähmung noch in al- ler Gedächtnis war, als man noch viele durch die Kinderlähmung Behinderte und Betroffene in Rollstühlen und mit Stöcken auf den Straßen und Spielplätzen sah, ging alles zur Schluckimpfung:

Die für berufstätige Menschen in den Abendstunden geöffneten Impflokale waren überfüllt. Doch innerhalb weniger Jahre hatte sich die Bevölkerung an die neue

Sicherheit gewöhnt, die Gefahr war vergessen, und das Gespenst der Kinderlähmung schien end- gültig gebannt.

Die Polio-„Wild"-Viren, die den Menschen krank machen können, werden durch sogenannte „Vi- rusträger", die selbst nicht augen- scheinlich erkrankt sind, transpor- tiert und ausgeschieden. Diese Vi- ren gelangen dann bei Fehlern in der Hygiene über Nahrungsmittel wieder zum Menschen, können ausgeschieden werden und Ge- wässer kontaminieren und beson- ders im Sommer wieder den Weg zum Menschen finden. Aber auch in tropischen Ländern gibt es die Kinderlähmung noch in endemi- scher Form, so in Zentralafrika, in einigen Ländern Südamerikas, in Süd-Ost-Asien. Nicht geschützte Reisende können sich infizieren oder aber das Virus in die Bundes- republik bringen, so daß unge- schützte Menschen angesteckt werden können.

Die Schutzwirkung der Polio- schluckimpfung hält zehn Jahre an. Wer sich jedoch besonders belastet und ein hohes Exposi- tionsrisiko mit dem Poliowildvirus eingeht (zum Beispiel Expeditio- nen) sollte sich schon nach fünf Jahren wieder impfen lassen. Ent- sprechend der langanhaltenden Polioimmunität nach Schluckimp- fung sollten Auffrisch-Schluck- impfungen alle zehn Jahre vorge- nommen werden.

Öffentliche Impftermine waren in der Bevölkerung — es sei denn Not 2488 (56) Heft 35 vom 28. August 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Poliomyelitis

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Impfung

und Angst wären durch die dro- hende Gefahr sehr groß! — nie sehr beliebt. Unsere Mitbürger vertrauen eher dem ihnen be- kannten Arzt als einer Behörde.

Diese Einsicht führte dazu, daß in einigen Bundesländern zur Stei- gerung und Unterhaltung des Impfschutzes alle Impfungen in die Hände des niedergelassenen Arztes gelegt wurden und der öf- fentliche Gesundheitsdienst sich

auf Information und die Erfassung eventueller Unverträglichkeitser- scheinungen nach Impfung be- schränkt. Damit die Bevölkerung aber auch die ihr gebotene Chan- ce kennt, muß sie zweckentspre- chend informiert werden. Aber auch dem niedergelassenen Arzt ist die Aufgabe zugewachsen, seine Patienten auf die Notwen- digkeit der Schluckimpfung ge- gen Kinderlähmung hinzuweisen, damit nicht immer größere Lük-

ken im Impfschutz wieder zu Er- krankung und Siechtum führen!

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Helmut Stickt Abteilung für Umwelthygiene und Impfwesen

Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Technischen Universität Postfach 95 01 40 8000 München 95

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Impfungen bei behinderten

und chronisch kranken Kindern

Friedrich Carl Sitzmann

Bei behinderten und chronisch kranken Kindern verlaufen Infek- tionskrankheiten, vor allem deren Komplikationen, oft besonders schwer. Sie müssen daher den gleichen Impfschutz genießen wie gesunde. Der sonst für das Kin- desalter gültige Impfplan muß aber dem jeweiligen Zustand des chronisch kranken Kindes indivi- duell angepaßt werden. Ein aus- reichender Impfschutz sollte dann vorliegen, wenn der Kontakt be- sonders mit anderen Kindern zu- nehmend häufiger und intensiver wird, so auch an therapeutischen Einrichtungen (Kinderzentren, Sprach- und Leseschulen). Behin- derte unterliegen erfahrungsge- mäß auch einem erhöhten Verlet- zungsrisiko (Tetanus!). Daher müssen die Impfungen gegen Diphtherie/Tetanus (DT), Kinder- lähmung sowie Masern/Mumps und mit Einschränkung auch ge- gen Pertussis bei körperbehinder- ten Kindern vorgenommen wer- den, unter Beachtung der bekann- ten Kontraindikationen: Fieber,

Da bei behinderten und chronisch kranken Kindern Infektionskrank- heiten oft besonders schwer ver- laufen, sollten sie einen optimalen Impfschutz genießen. Bei AnwenJ dungen der üblichen Impfungen müssen jedoch einige Kontraindi- kationen beachtet werden. Dies gilt besonders für Kinder unter zytostatischer Therapie. Speziel- le, nichtroutinemäßige Impfun- gen, die auch bei behinderten und chronisch kranken Kindern gele- gentlich vorgenommen werden müssen, werden angeführt.

akute Erkrankungen, auch „leich- te Infekte", Durchfall. Auch die DT-Auffrischimpfung im 6. Le- bensjahr ist notwendig (nach dem 7. Lebensjahr Td-Impfstoff mit nur 5 I.E. des Diphtherietoxoids ver- wenden). Nach DT oder Td im 7.

Lebensjahr erfolgt die nächste Auffrischung monovalent mit Te-

tanus-Toxoid im 19./20. Lebens- jahr; gegen Poliomyelitis im Ab- stand von 10 Jahren.

Erkrankungen

des Zentralnervensystems Zerebralgeschädigte Kinder mit und ohne Anfallsleiden vertragen die genannten Impfungen gut.

Die

Pertussisimpfung ist jedoch kon- traindiziert, auch wenn nur der Verdacht auf einen „latenten Hirn- schaden" (auch Anfallsleiden in der Familienanamnese) vorliegt.

Aber gerade behinderte und chro- nisch kranke Kinder müßten vor Pertussis geschützt werden, da sie bei ihnen sehr schwer verläuft.

Das Risiko der Impfkomplikation bei zerebralgeschädigten Kindern liegt aber mit dem derzeit zur Ver- fügung stehenden Pertussis-Impf- stoff höher als das der möglichen Komplikationen durch die Erkran- kung selbst.

Daß die Poliomyelitis-Schluckimp- fung bei zerebralgeschädigten Kindern gut vertragen wird, konn- ten Windorfer und Mitarbeiter schon 1964 nachweisen. Der Po- liomyelitis-Totimpfstoff (Salk) ist dann indiziert, wenn ein anfalls- krankes Kind mit Cortison oder ACTH behandelt werden muß. Er wird im Abstand von vier bis fünf Wochen geimpft, ein drittes Mal nach einem Jahr. Sobald es die immunologische Situation er- laubt, sollte die Salk-Impfung

Aus der Kinderklinik

(Direktor: Professor Dr. med. Friedrich Carl Sitzmann) der Universität des Saarlandes, Homburg/Saar

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 35 vom 28. August 1985 (61) 2489

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