• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Periokuläre plastische Chirurgie" (05.03.2010)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Periokuläre plastische Chirurgie" (05.03.2010)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ÜBERSICHTSARBEIT

Periokuläre plastische Chirurgie

Christoph Hintschich

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Anatomisch regelrechte und normal funktio- nierende Lid- und Orbitastrukturen sind die Voraussetzung für ein gutes Sehvermögen. Ziel der periokulären plasti- schen Chirurgie des Augenarztes ist der Erhalt und die Wiederherstellung der Anatomie und Funktion von Augen- lidern, Orbita und periorbitalen Strukturen beim Vorliegen angeborener oder erworbener Fehlstellungen, Defekten und raumfordernden Prozessen. Funktionelle und ästheti- sche Gesichtspunkte sind dabei eng miteinander verbun- den.

Methoden: Die Übersicht basiert auf der Analyse ausge- wählter Literatur (Pub-Med) und der Leitlinien von BVA (Bundesverband der Augenärzte) und DOG (Deutsche Oph- thalmologische Gesellschaft) sowie der klinischen und wissenschaftlichen Erfahrung des Autors.

Ergebnisse: Bei der Korrektur von Lidfehlstellungen steht die Wiederherstellung der normalen anatomischen Struk- turen unter physiologischen Gesichtspunkten im Vorder- grund. Lidrekonstruktionen erfolgen durch die Kombinati- on lokaler Lappenplastiken mit freien Transplantaten vor- zugsweise unter Verwendung periorbitaler Strukturen. Ein- griffe an der Orbita werden an spezialisierten Zentren durchgeführt, falls notwendig in interdisziplinärer Zusam- menarbeit mit anderen Fachdisziplinen. Dabei werden heute kleine und direkte chirurgische Zugänge zur Orbita bevorzugt. Beim erworbenen Anophthalmus ist die Ver- wendung von Orbitaimplantaten zur Erzielung eines guten Prothesensitzes obligat.

Schlussfolgerungen: Die moderne periokuläre plastische Chirurgie kann auf eine große Anzahl spezieller Operati- onstechniken zurückgreifen, um die sehr unterschiedli- chen Erkrankungen und Veränderungen zu korrigieren.

Sehr gute Kenntnisse der differenzierten anatomischen Verhältnisse und der physiologischen Zusammenhänge sowie Erfahrung mit mikrochirurgischen Techniken sind dabei Voraussetzung für eine erfolgreiche Chirurgie.

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(9): 141–6 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0141

D

ie periokuläre plastische Chirurgie des Augen- arztes umfasst die chirurgischen Eingriffe an Li- dern und periorbitaler Gesichtsregion, Augenhöhle und Tränenwegen. Sie ist ein Teilgebiet der Augenheilkun- de und zeichnet sich durch die Vielseitigkeit der chirur- gischen Maßnahmen in einer anatomisch begrenzten und durch eng benachbarte, filigrane Strukturen cha- rakterisierten Region aus. Jeder periokuläre plastische und ästhetische Eingriff beeinflusst und beeinträchtigt gegebenenfalls die für eine normale Sehfunktion not- wendige Integrität von Lidern, Augenhöhle und Perior- bitalregion und kann dadurch zu schweren Sehschäden bis hin zur Erblindung führen. Wird auch zwischen funktionellen und ästhetischen Eingriffen differenziert, sind diese beiden Aspekte in der periokulären plasti- schen Chirurgie eng miteinander verflochten.

Basierend auf einer selektiven Literaturübersicht (Pub-Med, Suchbegriffe: „entropion“, „ectropion“,

„ptosis“, „surgery“, „BCC“, „orbital decompression“;

1978–2008), der Leitlinien von BVA/DOG aus dem Jahr 1998, Nr. 9: Fehlstellungen/Tumoren der Lider, Nr. 28 Orbitaerkrankungen/Exophthalmus (www.augen info.de/leit/leitvo.htm) und der langjährigen Erfahrung des Autors – randomisierte Studien liegen kaum vor, so dass die Entscheidungsfindung auf Fallserien und Be- obachtungsstudien beruht – werden im vorliegenden Aufsatz Prinzipien der plastisch-rekonstruktiven Lid- und Orbitachirurgie dargestellt. Damit soll auch ver- deutlicht werden, dass das Spektrum dieser Chirurgie weit über rein ästhetisch-plastische Eingriffe hinaus- reicht.

Anatomie und Physiologie

Das Auge liegt mit seinen äußeren Augenmuskeln, der Tränendrüse sowie Gefäß- und Nervenbündeln – einge- bettet in das orbitale Fettgewebe – geschützt in der knö- chernen Augenhöhle (Orbita). Nach anterior wird die Orbita durch das Septum orbitale, welches eine funk- tionelle Barriere bei Blutungen oder Infektionen dar- stellt, und den Lidapparat begrenzt. Die Augenlider hal- ten Fremdkörper vom Auge fern, schützen vor Licht und UV-Strahlung, verteilen mittels Lidschlag den Trä- nenfilm gleichmäßig und verhindern das Austrocknen der Hornhaut. Ihre regelrechte Stellung und Funktion ermöglicht erst ein normales Sehvermögen. Oberlid und Unterlid sind prinzipiell identisch aufgebaut mit einer aus Haut und Muskel bestehenden vorderen und einer aus Tarsalplatte und Bindehaut bestehenden hin- teren Lamelle. Letztere gewährleistet die für einen rei- bungslosen Lidschluss erforderliche glatte Rückfläche, der medial und temporal mittels Lidbändchen am Pe-

Augenklinik der Universität München: Prof. Dr. med. Hintschich, FEBO

(2)

riost fixierte Tarsus die notwendige Stabilität der Lider.

Die Lidöffnung erfolgt durch den M. levator, der mit seiner aufgefächerten bindegewebigen Aponeurose in das Oberlid einstrahlt, der Lidschluss durch den als Ringmuskel angelegten und durch Äste des N. facialis innervierten M. orbicularis.

Lidfehlstellungen

Entropium und Ektropium zählen zu den häufigsten Lidfehlstellungen. Sowohl eine Einwärtskippung der Lidkante beim Entropium als auch eine Auswärtskip- pung beim Ektropium können zur Beeinträchtigung der Augenoberfläche führen. Beide Fehlstellungen treten auch kongenital auf, häufiger jedoch erworben im Rah- men involutiver Alterungsprozesse oder infolge von Entzündung, Trauma oder vorangegangener Lidchirur- gie (1).

Lidfehlstellungen lassen sich dauerhaft nur durch chirurgische Eingriffe korrigieren. Das adäquate Ope- rationsverfahren wird nach sorgfältiger klinisch-oph- thalmologischer Untersuchung und Analyse der vorlie- genden Pathologie ausgewählt.

Ein involutives Unterlidentropium mit Liderschlaf- fung kann durch horizontale Lidstraffung, vorzugsweise eine temporale Lidbändchenplastik, kombiniert mit ei- ner Straffung der Unterlidretraktoren, korrigiert werden (2, 3). Die Rezidivquote wird hierbei mit < 4 Prozent angegeben (4). Bei einem durch Verkürzung der hinte- ren Lidlamelle verursachten Oberlid-Narbenentropium erfolgt die Korrektur durch eine Reposition der vorde- ren gegenüber der hinteren Lidlamelle (5) oder, in aus- geprägten Fällen, durch Bindehautersatz mittels eines freien Gaumen- oder Mundschleimhauttransplantats.

Eine horizontale Lidstraffung ist auch beim Ektropi- um involutiver Genese zielführend. Häufig liegt das Ektropium nasal und bewirkt eine Eversio des Tränen- pünktchens, sodass Patienten trotz frei spülbarer Trä- nenwege über Epiphora klagen. Hier hilft eine zusätzli-

che Punktumplastik mit invertierenden Nähten. Anders ist das Vorgehen beim narbenbedingten Ektropium, bei dem sämtliche Narben exzidiert werden müssen und fehlende Haut durch Lappenplastiken oder freie Haut- transplantate ersetzt wird.

Ptosis und Lidretraktion

Die Ptosis ist eine Lidfehlstellung, bei der das gesamte Oberlid herabhängt. Sie kann kongenital oder erworben sein, wobei involutive Veränderungen im fortgeschrit- tenen Lebensalter oder nach langjährigem Tragen von Kontaktlinsen weitaus häufiger auftreten als myogene oder neurogene Ptosen. Differenzialdiagnostisch weg- weisend für die einfache involutive Ptosis ist das typi- sche klinische Bild mit hoher Lidfurche bei guter Leva- torfunktion. Abhängig von ihrem Schweregrad führt ei- ne Ptosis zu funktionellen Gesichtsfeldeinschränkun- gen und verursacht neben einer Kopfzwangshaltung (Abbildung 1a) im Säuglings- und Kleinkindesalter bei Beeinträchtigung der Sehachse Amblyopie, das heißt eine irreversible Sehschwäche (6).

Die Behandlung der Ptosis erfolgt generell chirur- gisch und bewirkt bei der schweren Ptosis die visuelle Rehabilitation. Der Operationszeitpunkt ist elektiv, bei der schweren, kongenitalen Ptosis im Säuglings- und Kleinkindesalter muss wegen des Amblyopierisikos frühzeitig operiert werden.

Die Operationsverfahren richten sich nach Art und Ausprägungsgrad der Ptosis; Wahl der Operationsme- thode und Erfolgsaussichten hängen von der Levator- funktion ab. Unterschieden wird zwischen direkten (zum Beispiel Levatorresektion) und indirekten Opera- tionsverfahren (Frontalissuspension) (7). Bei ausrei- chender Levatorfunktion werden direkte Verfahren ge- wählt, wegen der besseren Übersicht und der Option zur kombinierten Hautresektion überwiegend transku- tan und seltener transkonjunktival (1). Wegen der bes- seren intraoperativen Adjustierungsmöglichkeit erfolgt der Eingriff möglichst in Lokalanästhesie, tarsusrese- zierende Verfahren sollten vermieden werden.

Bei schwerer Ptosis mit schlechter Levatorfunktion und fehlendem Bellschen Phänomen, zum Beispiel bei neurogenen Ptosen, kommt eine Frontalissuspension zur Anwendung. Ihr Prinzip besteht in der Schaffung einer mechanischen Verbindung zwischen Stirnheber- muskel und Oberlid, wofür alloplastische Materialien oder autologe Faszia lata verwendet werden (Abbil- dung 1b).

Die Erfolgsquoten bei involutiver Ptosis sind ausge- zeichnet und liegen über 80 Prozent, bei kongenitaler Ptosis meist etwas niedriger (7). Typische Komplikatio- nen der Ptosischirurgie sind Über- oder Unterkorrektur, Asymmetrie, Konturunregelmäßigkeiten und Lidschluss - insuffizienz.

Das Gegenteil einer Ptosis findet sich bei der Ober- lidretraktion, bei der ein relativer Hochstand des Ober- lids besteht. Häufigste Ursache hierfür ist eine Fibrose des Levatorkomplexes bei endokriner Orbitopathie im Rahmen eines Morbus Basedow. Eine Lidretraktion hat sowohl funktionelle (Hornhautbenetzung, Epiphora, Abbildung 1: a) 3-jähriges Mädchen mit schwerer beidseitiger kongenitaler Ptosis, rechts-

seitigem Innenschielen und Amblyopie. Auffallend die ausgeprägte Kopfzwangshaltung, die es dem Kind überhaupt erst ermöglicht, unter den hängenden Lidern herauszuschauen;

b) Z. n. Ptosiskorrektur mittels beidseitiger Frontalissuspension mit alloplastischem Faden- material (wegen des noch sehr kurzen Oberschenkels wurde auf die Verwendung autologer Faszie verzichtet)

a b

(3)

Expositionskeratopathie) als auch ästhetische Aspekte.

Ein plastisch-chirurgischer Eingriff kann eine definitive Korrektur erreichen; Voraussetzung hierfür ist die Aus- heilung der zugrunde liegenden Erkrankung und – für ein ästhetisch gutes Ergebnis – das Fehlen eines signifi- kanten Exophthalmus. Zur Anwendung kommen zahl- reiche Operationsverfahren, von denen sich die tech- nisch einfache „Blepharotomie“ wegen ihrer reprodu- zierbar guten Ergebnisse und der geringen Komplikati- onsrate zunehmend durchsetzt. Deren Prinzip besteht in der dosierten Durchtrennung sämtlicher Lidschichten einschließlich der Konjunktiva über einen transkutanen Zugang Der Eingriff wird in Lokalanästhesie durchge- führt und benötigt keine Implantate, die postoperativ er- reichte Lidhöhe liegt in 88 Prozent der Fälle in der ge- wünschten Höhe, die Lidfurchenhöhe bleibt in 73 Pro- zent erhalten und Komplikationen (Überkorrektur, Wunddehiszenz) liegen unter 5 Prozent (8).

Dermatochalasis

Die landläufig als Schlupflid bezeichnete Erschlaffung der Lidhaut von Ober- und Unterlidern, die mit dem Lebensalter zunimmt und nicht selten familiär auftritt, stellt für viele Menschen eine unerwünschte und belas- tende Veränderung dar. Das klinische Bild ist gekenn- zeichnet durch überschüssiges und erschlafftes Lidge- webe, das die Lidfurche bedeckt und dabei Lidrand und Zilien vollständig überragen kann. Ein Prolaps von or- bitalem Fettgewebe, insbesondere im nasalen Oberlid, führt darüber hinaus zu Schwellungen. Verstärkt wird ein vermeintlicher Gewebeüberschuss häufig durch das Herabsinken der Augenbrauen (Brauenptosis).

Neben der meist subjektiv als Befindlichkeitsstörung empfundenen ästhetischen Beeinträchtigung kann eine Dermatochalasis auch funktionelle Störungen durch Gesichtsfeldeinschränkungen oder intertrigöse Haut- veränderungen hervorrufen. Kriterien für das Vorliegen einer funktionellen Beeinträchtigung finden sich unter www.dog.org/dog-oprc/RichtlinienBlepharoplastik.pdf.

Eine Blepharoplastik, das heißt die chirurgische Korrektur einer Dermatochalasis, stellt keinen banalen Eingriff dar, so dass eine eingehende augenärztliche Untersuchung sowie eine Beratung und ausführliche Aufklärung des Patienten präoperativ unabdingbar sind. Die Komplikationsmöglichkeiten sind vielfältig und umfassen neben Blutungen und Infektion mit der

Folge einer Visusminderung, die sehr selten bis zur Er- blindung führen kann, und auch häufigere Probleme wie Überkorrektur mit Lidschlussinsuffizienz, Ektropi- um und Retraktion sowie daraus resultierender Kerato- pathie, epikanthaler Faltenbildung, Asymmetrie, Lid- furchenproblemen, Unterkorrektur und Wundheilungs- störungen mit Narbenbildung (9). Für ein gutes funk- tionelles und ästhetisches Ergebnis kommt es neben der korrekten Indikation insbesondere auf Schnittführung und Dosierung der Gewebeexzision an. Bei signifikan- tem Brauentiefstand sollte eine Brauenhebung erwogen werden. Dieser Eingriff kann direkt, das heißt über ei- nen unmittelbar im Bereich der Braue geführten Haut- schnitt, intern über den in der Lidfurche angelegten Blepharoplastik-Schnitt, endoskopisch durch einzelne im Haaransatz verborgene kleine Schnitte oder über ei- nen coronalen Zugang in Verbindung mit einem Stirn- lift erfolgen (10).

Sind die Unterlider von Hautüberschuss, Faltenbil- dung und Fettgewebsprolaps betroffen, kann eine Un- terlidblepharoplastik indiziert sein. Dieser Eingriff er- folgt transkutan oder transkonjunktival, wobei eine übermäßige Geweberesektion unbedingt zu vermeiden ist, da eine Überkorrektur mit Narbenektropium und Lidretraktion droht; wichtig ist eine ausreichende hori- zontale Lidspannung. Wegen der natürlicheren Ergeb- nisse ist die Umverteilung von Fettgewebe einer allei- nigen Resektion vorzuziehen (11). Gegebenenfalls können diese lidplastischen Eingriffe mit einer Haut- oberflächenbehandlung mittels Laserapplikation im Sinne eines „Skin-Resurfacing“ oder der Injektion von Botulinumtoxin zur Beeinflussung der mimischen Muskulatur und zur Faltenglättung kombiniert werden.

Nach Hautoberflächenbehandlungen gefürchtet sind je- doch persistierende Erytheme und Übertherapie mit Narbenbildung (12).

Liddefekte

Eine Lidrekonstruktion dient der Wiederherstellung der Lidfunktion, der Beschwerdefreiheit und dem guten äs- thetischen Erscheinungsbild des Patienten. Liddefekte treten kongenital oder posttraumatisch auf, meist je- doch nach Tumorexzision.

Die Tumorchirurgie nimmt einen wichtigen Platz in der periokulären plastischen Chirurgie ein. An den Au- genlidern und periokulär treten zahlreiche unterschied- Abbildung 2: a) Ausgedehnter vollschichtiger Oberliddefekt links bei Z. n. zweizeitig histologisch kontrollierter Tumorexzision; b) Intraoperati- ver Situs mit freiem Tarsomarginaltransplantat vom kontralateralen Oberlid; c) Mittels Tarsomarginaltransplantat und myokutaner Verschiebe- lappenplastik wiederhergestelltes Oberlid mit glatter Lidkante und normaler Konfiguration

a b c

(4)

liche Tumoren auf, von denen bis zu 25 Prozent maligne sind. Mit 90 Prozent ist das Basaliom der häufigste mali- gne Lidtumor (13), jedoch spielen auch Plattenepithel- karzinom, Meibomkarzinom und Melanom wegen ihres aggressiven biologischen Verhaltens und ihres Metasta- sierungspotenzials eine wichtige Rolle. Entscheidend bei der Differenzialdiagnose von Lidtumoren ist daher immer die Frage der Dignität, die nur histopathologisch geklärt werden kann. Klinisch sprechen für einen mali- gnen Prozess schlechte Abgrenzbarkeit, Zilienverlust, auffälliges pathologisches Gefäßmuster sowie spontane Blutungsneigung. Trotz zahlreicher nicht-chirurgischer Behandlungsalternativen in der Onkologie ist an den Li- dern die histologisch kontrollierte, chirurgische Tumor - exzision weiterhin die Methode der Wahl (14).

Die entstandenen Liddefekte können die vordere Lidlamelle, die hintere Lamelle oder als durchgreifende Defekte sämtliche Schichten des Lides einschließlich der Lidkante betreffen. Bei ausgedehnten Defekten können zudem die Lidwinkel, das Septum, die Retrak- toren oder das Orbitafettgewebe betroffen sein.

Bei der Rekonstruktion kommen direkter Wundver- schluss, Verschiebelappenplastiken und freie Gewebe- transplantation, gegebenenfalls in Kombination, zum Einsatz. Alter des Patienten, Beschaffenheit des Gewe- bes und Sehvermögen werden berücksichtigt. Vorzugs- weise setzt man Verfahren ein, die Gewebe aus der un- mittelbaren Umgebung des Defekts verwenden nach dem Leitsatz: „Lidgewebe sind der beste Lidersatz“.

Hautdefekte werden, soweit möglich, primär und – zur Vermeidung von Lidretraktion und Lagophthalmus – ohne vertikale Spannung verschlossen. Größere Defek- te werden mittels Schwenk- oder Verschiebelappen re- konstruiert, oder, wo dies nicht möglich ist, durch freie Hauttransplantate aus dem Oberlid oder von prä- bezie- hungsweise retroaurikulär. Defekte der hinteren Lidla- melle versorgt man entsprechend durch Bindehautnaht, konjunktivale Lappenplastiken oder freie Schleimhaut- transplantate (1).

Durchgreifende Liddefekte kleinerer Art bis zu ei- nem Drittel der Lidkante – am Oberlid auch größer – werden durch primäre Lidkantenadaptation, bei Bedarf nach lateraler Kanthotomie, verschlossen. Die Rekon- struktion großer Lidkantendefekte erfolgt durch eine

„Sandwich-Technik“, bei der vordere (Haut und Mus- kel) und hintere Lidlamelle (Tarsus und Bindehaut) so ersetzt werden, dass mindestens eine Lamelle vaskula- risiert bleibt (15–17). Haut- und Haut-Muskel-Lappen kann man so mit freien Tarsus- und Tarsomarginal- transplantaten oder transplantierter Mundschleimhaut beziehungsweise hartem Gaumen, konjunktivale oder tarsokonjunktivale Verschiebelappen mit freien Haut- transplantaten kombinieren (Abbildung 2). Alloplasti- sche Implantate sind in den dünnen und filigranen Lid- strukturen wegen der hohen Komplikationsraten gene- rell ungeeignet.

Orbitaerkrankungen

Plastisch-rekonstruktive Eingriffe an der Orbita sind seltener als Lidoperationen, haben aber wegen der Tragweite der zugrunde liegenden Erkrankungen eine große Bedeutung und sind meist spezialisierten Zentren vorbehalten. Abhängig von Lage und Ausdehnung des Befundes kann bei diesen Eingriffen eine interdiszipli- näre Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen, wie Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Neurochirurgie oder Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie, erforderlich sein.

Wichtigstes klinisches Zeichen einer Orbitaerkran- kung ist der Exophthalmus. Häufigste Ursache hierfür ist die endokrine Orbitopathie, gefolgt von Raumforde- rungen bei Neoplasien und Gefäßmalformationen (18).

Orbitatumoren werden zur Gewinnung von Gewebe zur histologischen Untersuchung inzisional biopsiert oder im Sinne eines „Debulkings“ verkleinert, bei nicht infiltrativen Prozessen werden sie möglichst in toto ex- tirpiert. Dies erfolgt über verschiedene chirurgische Zugänge, von denen heute der anteriore Zugang über einen Lidfurchenschnitt, der transkonjunktivale und der sogenannte „Swinging-eyelid“-Zugang als Kombinati- on eines kleinen Hautschnitts im temporalen Lidwinkel mit einem Bindehautschnitt in der unteren Umschlags- falte zu den gebräuchlichsten zählen. Die klassische la- terale Orbitotomie nach Kröhnlein, bei der das Joch- bein vorübergehend entfernt wird, ist nur noch in Ein- zelfällen, zum Beispiel zur Resektion eines pleomor- phen Adenoms der Tränendrüse, indiziert.

Drohender Visusverlust oder massiver Exophthal- mus bei endokriner Orbitopathie kann eine Orbitade- kompression erforderlich machen. Ziel dieses Eingriffs Abbildung 3: a) Prinzipien der Orbitadekompression (schematische Darstellung): Vergröße-

rung der knöchernen Orbita durch Knochenresektion (links), Reduktion des Orbitaweichteilin- halts durch Fettgewebsresektion (rechts); b, c) Patientin mit endokriner Orbitopathie; ausge- prägter Exophthalmus und Lidretraktion ohne Optikoneuropathie oder Motilitätsstörung; d, e) Z. n. beidseitiger knöcherner Dreiwand-Orbitadekompression über einen „Swinging eye- lid“-Zugang und Oberlidverlängerung mittels anteriorer Blepharotomie

a

e d

c

b

(5)

ist die Druckentlastung des Sehnervs und die Wieder- herstellung normaler Funktion und Ästhetik im Sinne einer chirurgischen Rehabilitation des Patienten (Abbil- dung 3). Prinzipiell kann dies durch eine Vergrößerung des Orbitavolumens mittels Knochenresektion oder ei- ne Reduzierung des Orbitainhalts durch Orbitafettre- sektion erfolgen. Die Knochenresektion, bei der Teile von medialer und lateraler Orbitawand sowie Orbitabo- den entfernt werden, ist dabei effektiver als eine Fettre- sektion. Die Zugänge erfolgen transkutan oder trans- konjunktival, jedoch auch noch endonasal und transan- tral, letztere mit höheren postoperativen Diplopieraten bis zu über 50 Prozent (19). Insgesamt kann das Nut- zen-Risiko-Verhältnis einer Orbitadekompression als gut bezeichnet werden mit einer Reduktion des Exo- phthalmus – abhängig von Ausgangsbefund und Opera- tionsverfahren – von im Mittel 3,5 bis 6 mm und einer Visusverbesserung bei 76 bis 100 Prozent der operier- ten Patienten bei sehr geringer Erblindungsrate (0,1 %) (Tarantini A, Hintschich C: Surgical decompression in thyroid eye disease: does the approach matter. 26th An- nual Meeting of the ESOPRS. Lucerne, 2008). Bei zeit- gemäß über einen „Swinging-eyelid“-Zugang durchge- führter Zwei- oder Dreiwanddekompression liegt die durchschnittliche Proptosisreduktion bei 5 mm, die Di- plopierate bei unter 10 Prozent (20). Andere gegebe- nenfalls notwendige chirurgische Maßnahmen, wie Au- genmuskelchirurgie, Lidverlängerung oder Blepharo- plastik, erfolgen erst nach einer Orbitadekompression.

Anophthalmuschirurgie

Anophthalmus, das heißt das Fehlen eines Auges, tritt selten kongenital spontan auf (3/100 000), meist ist er erworben durch die Extirpation des Auges (Inzidenz in Deutschland circa 2 000/Jahr [21]). Die als Enukleation bezeichnete chirurgische Entfernung des Auges ist auch heute noch bei großen malignen intraokularen Tumoren (zum Beispiel Aderhautmelanom), blinden schmerzhaf- ten Augen oder aus ästhetischen Gründen indiziert. Der Eingriff führt zum Postenukleationssyndrom, welches durch einen Volumenmangel mit tief liegender Prothe- se, eingezogenem Oberlidsulkus, Unterliderschlaffung und Oberlidfehlstellung gekennzeichnet ist. Der Ent- wicklung dieser unerwünschten Veränderungen kann durch das Einsetzten eines Orbitaimplantats entgegen- gewirkt werden; verwendet werden alloplastische Ma- terialien mit unterschiedlichem Design, heute meist sphärische Implantate aus Silikon oder Hydroxylapatit (22). Alternativ können Dermis-Fett-Transplantate ver- wendet werden, die als autologe Transplantate langfris- tig Sicherheit mit ausgezeichneten Resultaten verbin- den (24) (Abbildung 4). Typische Komplikationen von alloplastischen Orbitaimplantaten sind Infektionen so- wie Implantatmigration, -exposition und -extrusion, von Dermis-Fett-Transplantaten Nekrose oder Atro- phie. Resultat derartiger Komplikationen können ein Volumenmangel oder eine als „Contracted Socket“ be- zeichnete geschrumpfte Augenhöhle sein (23). Zur Wiederherstellung einer guten Prothesenfähigkeit steht ein abgestuftes und aufeinander abgestimmtes Thera-

piekonzept mit sekundären Dermis-Fett- und Mund- schleimhaut-Transplantationen sowie lidchirurgischen Eingriffen zur Verfügung. Wichtig bei der Betreuung anophthalmischer Patienten ist dabei immer die enge Kooperation mit dem Ocularisten, der die Augenpro- these aus Glas oder Kunststoff herstellt und anpasst.

Nach der persönlichen Erfahrung des Autors sollten periokuläre plastische Operationen von Augenärzten durchgeführt werden, die aufgrund ihrer Kenntnisse der differenzierten anatomischen Verhältnisse und physio- logischen Zusammenhänge und nicht zuletzt wegen des gewohnten Umgangs mit mikrochirurgischen Metho- den dafür besonders prädestiniert erscheinen. Kontrol- lierte Studien liegen in diesem Bereich aber nicht vor.

Periokulär-plastisch tätige Augenärzte sind in der „Sek- tion okuloplastische und rekonstruktive Chirurgie“

(SORC) der Deutschen Ophthalmologischen Gesell- schaft (DOG) sowie europaweit in der „European Society of Ophthalmic Plastic and Reconstructive Surgery“

(ESOPRS) zusammengeschlossen. In zahlreichen Kur- sen, Symposien, Wet-Labs und bei Hospitationen an anerkannten Zentren können sich Augenärzte in diesem Teilbereich der Ophthalmochirurgie weiterbilden.

Abbildung 4: a) Dermis-Fett-Trans- plantation (schema- tische Darstellung):

deepithelisierte Dermis mit anhän- gendem Fettgewe- be aus der Gluteal- region wird in die Augenhöhle trans- plantiert, die gera- den Augenmuskeln am Rand der Der- mis und die Binde- haut auf der Der- misoberfläche fi- xiert; b) Junger Pa- tient mit schmerz- hafter Phthisis bulbi rechts bei Neuge- borenenretinopa- thie; c) Patient zehn Jahre nach Enu- kleation und primä- rer Dermis-Fett- Transplantation, versorgt mit einer Augenprothese aus Glas

a

c

b

(6)

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 16. 5. 2008, revidierte Fassung angenommen: 26. 6. 2009

LITERATUR

1. Collin JRO: A manual of systematic eyelid surgery. Edinburgh: Chur- chill Livingstone 1989.

2. Anderson R, Gordy D: The tarsal strip procedure. Arch Ophthalmol 1979; 97: 2192–6.

3. Boboridis K, Bunce C, Rose G: A comparative study of two proce - dures for repair of involutional lower lid entropion. Ophthalmology 2000; 107: 959–61.

4. Collin JRO, Rathburn JE: Involutional entropion. A review with eval - uation of a procedure. Arch Ophthalmol 1978; 96: 1058–64.

5. Hintschich CR: „Reposition der vorderen Lidlamelle" zur Korrektur des Oberlidentropiums. Ophthalmologe 1997; 94: 436–40.

6. Anderson R, Baumgartner S: Amblopia in ptosis. Arch Ophthalmol 1980; 98: 1068–9.

7. Beard C, Sullivan J: Ptosis-current concepts. In: Tenzel R (ed.): Ocu- lar plastic surgery. Ophthalmol Clin 1978; 18: 53.

8. Hintschich C, Haritoglou C: Full thickness eyelid transsection (ble- pharotomy) for upper eyelid lengthening in lid retraction associated with Graves´ disease. Br J Ophthalmol 2005; 89: 413–6.

9. Dortzbach RK (ed.): Ophthalmic plastic surgery. Prevention and man agement of complications. New York: Raven Press 1994.

10. Yeatts R: Current concepts in brow lift surgery. Current opinion in ophthalmology 1997; 8: 46–50.

11. Goldberg R: Lower blepharoplasty is not about removing skin and fat. Arch Facial Plast Surg 2000; 2: 22.

12. Meyer-Rüsenberg H, Emmerich K, Klein N: CO

2 laser in ophthalmol - ogy. Ophthalmologe 2000; 97: 194–6.

13. Holbach L, Cursiefen C, Jünemann A, Viestenz A, Nasr A: Differenzi- aldiagnose bei Lidtumoren, Teil I. Ophthalmologe 2002; 99:

394–413.

14. Briggs EJ, Bartley G: Treatment options and future prospects for the management of eyelid malignancies. An evidence-based update.

Ophthalmology 2001; 108: 2088–98.

15. Cutler N, Beard C: A method for partial and total upper lid recon- struction. Am J Ophthalmol 1955; 39: 1–7.

16. Hübner H: Totalersatz des Oberlides. Klin Monatsbl Augenheilkd 1976; 169: 6–9.

17. Hughes W: Reconstruction of the lids. Am J Ophthalmol 1945; 28:

1203–11.

18. Rootman J: Diseases of the orbit. A multidisciplinary approach (2nd ed.). Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins 2003.

19. Michel O, Oberländer N, Neugebauer P, Neugebauer A, Rüßmann W: Follow-up of transantral orbital decompression in severe Graves´

ophthalmopathy. Ophthalmology 2001; 108: 400–4.

20. Sasim I, de Graaf M, Berendschot T, Kalman R, van Isterdael C, Mourits M: Coronal or swinging eyelid decompression for patients with disfiguring proptosis in Graves´ orbitopathy. Ophthalmology 2005: 1310–5.

21. Hintschich C, Baldeschi L: Rehabilitation anophthalmischer Patien- ten-Ergebnisse einer Umfrage. Ophthalmologe 2001; 98: 74–80.

22. Custer P, Kennedy R, Woog J, Kaltreider S, Meyer D: Orbital im- plants in enucleation surgery. A report by the American Academy of Ophthalmology. Ophthalmology 2003; 110: 2054–61.

23. Soll DB: The anophthalmic socket. Ophthalmology 1982; 89:

407–23.

24. Hintschich C, Beyer-Machule C: Dermis-Fett-Transplantat als pri- märes und sekundäres Orbitaimplantat – Komplikationen und Er- gebnisse. Ophthalmologe 1996; 93: 617–22.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Christoph Hintschich, FEBO Augenklinik der Universität München Mathildenstraße 8

80336 München

E-Mail: christoph.hintschich@med.uni-muenchen.de

SUMMARY

Periocular Plastic Surgery

Background: Good vision depends on the normal anatomy and function of the eyelids and orbital structures. The goals of periocular ophthalmic plastic surgery are the anatomical and functional preservation and restoration of the lids, orbits, and periorbital structures when they are affected by congenital or acquired malpositions, defects and mass lesions. In this region, functional and esthetic considerations are closely linked.

Method: This review is based on selected articles retrieved by a Pub- Med search, the guidelines of the German Ophthalmologists’ Associa - tion (Bundesverband der Augenärzte, BVA) and German Ophthalmological Society (Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, DOG), and the authors’ own clinical and scientific experience.

Results: The surgical correction of eyelid malpositions is based on the restoration of normal anatomy with attention to function. Eyelids are re- constructed with a combination of local flaps and free grafts, preferably from the periorbital structures. Orbital procedures are usually perform - ed in specialized centers, by multidisciplinary surgical teams if necessary. The surgical approaches are becoming ever smaller and cosmetically less noticeable. For patients with acquired anophthalmos, the use of orbital implants is essential for optimal fitting of the prosthesis.

Conclusion: Modern periocular plastic surgery exploits an extensive range of specialized surgical techniques to treat a wide variety of ab- normalities and diseases in this region. The success of such procedures depends on thorough knowledge of the complex anatomy and physiology of these structures as well as on the surgeon’s expertise in microsurgical techniques.

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2010; 107(9): 141–6 DOI: 10.3238/arztebl.2010.0141

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Eine angeboren kleine, leicht asymmetri- sche oder physiologisch nach Schwan- gerschaft oder altersbedingt erschlaff- te Brust ist keine Erkrankung und kann nicht zulasten

Die Einführung der Endoskopie in die plastische Chirurgie hat zur Entwicklung minimal invasiver Operationsmetho- den geführt, die neben der Narbenersparnis für den Patien- ten auch

Hierbei spielt nicht nur die verminderte orale Zufuhr und Störungen der intestinalen Absorp- tion eine wesentliche Rolle, sondern auch eine mangelnde hepatische Aktivierung, wie

Berger (Düsseldorf) konnte mit einer groß angelegten prospektiven Studie, die mit Patienten in Rumä- nien durchgeführt wurde, zeigen, daß sich diese therapeutischen Kon- zepte

„fachkompetenten&#34; Kollegen behan- delt werden. Danach sollte aber die Rekonstruktion durch den „fach- kompetenten&#34; plastischen Chirurgen in Zusammenarbeit erfolgen.

Der Zusam- menhang zwischen einer Ver- schlechterung der endokrinen Orbi- topathie oder der Entwicklung einer endokrinen Orbitopathie nach Ra- diojod-Therapie und einem anstei-

Detweiler: »Sie müssen ein Zauberer sein. Ich verwende Schaf-Embryos und Pavian-Samen. Je nachdem, wen sie fragen.. über das Äußere definieren, das sich zunehmend

dieser ihren/seinen Hauptarbeitsplatz auf der Intensivstation und im Optimalfall dort die Leitung inne hat. Dieser Arzt muss die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin führen. Eine