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Archiv "Norovirusinfektion – häufigste Ursache akuter Gastroenteritiden in den Wintermonaten" (23.09.2005)

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as Krankheitsbild einer Noro- virusinfektion wurde bereits 1945 sehr genau mit seinen drei kli- nisch markanten Symptomen akute Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen be- schrieben (1); durch Übertragungsver- suche an Freiwilligen ist seine infekti- öse Genese seit 1947 bekannt (2). Den- noch wurden die meisten Ärzte in Deutschland erst durch die Epidemie im Herbst/Winter 2002/2003 auf die Erkrankung aufmerksam.

Albert Kapikian und Mitarbeiter konnten das Virus 1972 erstmals im Elektronenmikroskop zeigen (3). Die für diesen Nachweis verwendete Stuhl- probe stammte von einem Freiwilli- gen, der mit Stuhlfiltrat eines erkrank- ten Patienten infiziert worden war.

Dieser Patient hatte sich die Infektion infolge eines Norovirusausbruchs in Ohio in der Stadt Norwalk zugezogen (4). Seither wurden die Viren nach dem Ausbruch in der Stadt Norwalk be- nannt (Norwalk-Viren). Bereits da- mals fiel die Häufung der Erkran-

kung in den Wintermonaten auf (4).

Im Jahre 2002 wurde die „Norwalk- Viren“ in „Noroviren“ umbenannt. In mehreren europäischen Ländern, ein- schließlich Deutschland, stieg 2002/

2003 die Zahl von Norovirusausbrüchen deutlich (5). Dieser Anstieg wurde mit einer neuen genetischen Variante des Erregers in Verbindung gebracht (5).

Von diesen Ausbrüchen waren meh- rere Krankenhäuser und deren Perso- nal zum Teil so schwer betroffen, dass hierdurch die normale Krankenver- sorgung gefährdet wurde (6). Das er- neute Auftreten solcher Epidemien gilt als wahrscheinlich. Zurzeit wird angenommen, dass Noroviren die häu- figste Ursache akuter Gastroenteriti- den sind.

Erreger

Die Sapoviren und die Noroviren (ehe- mals Norwalk-Viren) repräsentieren die bisher bekannten humanpathogenen Vertreter der Familie der Caliciviridae.

Die Viruspartikel besitzen ein ikosa- edrisches (zwanzigflächiges) Kapsid, das aus 180 Kopien eines viralen Struk- turproteins gebildet wird, und eine Größe von 27 bis 40 nm hat (Abbildung 1) (7). Das Fehlen einer Hüllmembran, wie sie zum Beispiel bei Herpesviren vorkommt, ist ein Grund für die hohe Umweltresistenz der Noroviren, die be- sondere Anforderungen an die hygieni- schen Maßnahmen stellt. Das Kapsid umschließt das virale Genom, welches aus einem einzelsträngigen RNA-Mo- lekül mit einer Größe von 7 400 bis 8 300 Nukleotiden besteht. Zur Ver- mehrung des viralen Genoms in der in- fizierten Zelle bedient sich das Virus ei- ner eigenen RNA-Polymerase, die im Gegensatz zu vielen anderen Polyme- rasen keine Korrekturfunktion besitzt.

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 38⏐⏐23. September 2005 AA2551

Norovirusinfektion – häufigste Ursache akuter Gastroenteritiden in den Wintermonaten

Thomas Schneider1, Joachim Mankertz1, Andreas Jansen2, Eckart Schreier2, Martin Zeitz1

Zusammenfassung

Norovirusinfektionen sind die häufigste Ursa- che akuter Gastroenteritiden. Die epidemio- logische Bedeutung dieser meldepflichtigen Infektionserkrankung wurde in den letzten Jahren durch mehrere Ausbrüche auf Kreuz- fahrtschiffen, in Krankenhäusern und in Al- tersheimen deutlich. Die Erkrankung äußert sich typischerweise durch plötzlich auftreten- des Erbrechen und akut einsetzende wässrige Diarrhö. Die Infektion kann auch über Aero- sole erfolgen, sodass insbesondere Erbroche- nes als hochansteckend gilt. Der Verdacht auf diese Erkrankung sollte klinisch getestet wer- den, insbesondere, wenn mehrere Personen mit diesen Symptomen aus einer gemeinsa- men Umgebung kommen. Genetische Verän- derungen des Erregers haben wahrscheinlich zu der erhöhten Kontagiosität in den letzten Jahren beigetragen. Der Schutz einiger Perso-

nen vor der Erkrankung wird mit dem Fehlen des vermeintlichen Rezeptors für Noroviren in Verbindung gebracht. Die letzten Epidemi- en haben gezeigt, dass nur strikte hygieni- sche Maßnahmen die Ausbreitung des Erre- gers in Gemeinschaftseinrichtungen verhin- dern können.

Schlüsselwörter: Norovirusinfektion, Gastro- enteritis, Infektionsrisiko, Diagnose, Epidemio- logie, Stuhltest

Summary

Norovirus infection – the commonest cause of winter gastroenteritis.

Norovirus infections are the commonest cause of acute gastroenteritis. The epidemiological significance of this notifiable infectious dis- ease has been brought to the fore by a number

of outbreaks on board cruise ships, in hospi- tals, and in geriatic long-stay facilities. The disease is typically characterized by sudden vomiting and acute watery diarrhea, and is transmitted by aerosols. Vomit in particular seems to be highly contagious. Clinicians should maintain a high index of suspicion wherever several patients with these sym- ptoms have been in the same environment.

The recent increase in outbreaks may be asso- ciated with a new genetic variant of noro- virus. Some individuals exhibit resistance, which is suspected to relate to the lack of a possible Norovirus receptor on the epitheli- um of the small intestine. Recent outbreaks have underlined the importance of assiduous hygiene in preventing these outbreaks.

Key words: norovirus infection, gastroenteritis, risk of infection, diagnosis, epidemiology, stool sample

1Medizinische Klinik I, Abteilung Gastroenterologie, In- fektiologie und Rheumatologie (Direktor: Prof. Dr. med.

Martin Zeitz), Charité – Universitästsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin,

2Robert Koch-Institut (Leiter: Prof. Dr. med. Reinhard Kurth) Berlin

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Falsch eingebaute Nukleotide führen dadurch schnell zu Mutationen (7). Das ist die Ursache für die hohe genetische Diversität der Noroviren (antigenic drift). Hinzu kommt, dass auch interty- pische Rekombinationsereignisse (ge- netische Rekombination zwischen un- terschiedlichen Norovirusstämmen) zur Variabilität beitragen können (antige- nic shift). Auf der Basis phylogeneti- scher Analysen werden die Noroviren derzeit in fünf Genogruppen (GGI bis GGV) unterteilt. Nur GGI, GGII und GGIV, die sich wiederum in wenigstens 20 Genotypen unterteilen lassen, sind humanpathogen. Als eine Ursache für die Pandemie im Winter 2002/2003 wird die Dominanz einer neuen Genotyp-Va- riante innerhalb des Genotyps GGII.4 (Grimsby-like Virus) diskutiert (5). Die Frage, inwieweit dieser Virusstamm möglicherweise virulenter oder um- weltresistenter ist oder aber eine Immu- nität in der Bevölkerung gegenüber Noroviren unterlaufen hat, kann der- zeit nicht beantwortet werden. Der neue Virusstamm wurde 2003/2004 nur noch vereinzelt nachgewiesen und ko- zirkuliert derzeit mit differenten Geno- typen der Genogruppe I und II.

Epidemiologie

Im Gegensatz zu bakteriellen Durchfall- erkrankungen, wie beispielsweise den Salmonellosen, handelt es sich bei den durch Noroviren verursachten Ga- stroenteritiden um eine typische Erkran- kung der Winter- und Frühjahrsmonate.

Diese epidemiologische Besonderheit deutet auf eine Relevanz der aerogenen Transmission bei Noroviren, weil viele der durch aerogen übertragbare Viren verursachten Erkrankungen (zum Bei- spiel Influenza) in der kalten Jahreszeit die höchsten Inzidenzen aufweisen (8).

Eine weitere Ursache ist in der winterli- chen Zunahme von Krankenhausein- weisungen (insbesondere auch aus Pfle- geeinrichtungen) zu sehen, wodurch ei- ne für Ausbrüche günstige Situation geschaffen wird (9). Die Noroviruspan- demie in der Saison 2002/2003 (Grafik 1) führte in Deutschland und in ande- ren europäischen Ländern sowie den USA zu teilweise schwerwiegenden Ein- schränkungen der medizinischen Ver-

sorgung (5, 6). Obwohl der Anteil spo- radischer Krankheitsfälle in der letz- ten Zeit deutlich zunimmt (10), gilt eine wiederholte epi- oder pandemische Aus- breitung von neuen Norovirusvarian- ten in absehbarer Zukunft als wahr- scheinlich.Von den Ausbrüchen sind ins- besondere Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie Kindergärten betrof- fen. Die höchsten Inzidenzen weisen ältere Menschen über 60 Jahren auf, wo- bei der Anteil an Frauen deutlich über- wiegt (10). Zwischen den betroffenen In- stitutionen schwankt die Infektionsrate („attack-rate“) zwischen fünf und 70

Prozent, abhängig von der Art und dem Zeitpunkt der durch- geführten Gegenmaßnahmen (Grafik 2) (6). Die Letalität be- trägt circa 7,5/10 000 Fälle (9).

Der Labornachweis von Noro- viren sowie jede Häufung, bei denen Noroviren als Ursache vermutet werden, sind nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.

Pathogenese

Untersuchungen zum Patho- mechanismus der Norovirus- infektion werden vor allem da- durch erschwert, dass sich die Viren nicht in Organ- oder Zellkulturen anlegen lassen.

Durch den Einsatz molekular- biologischer Techniken konn- ten erste Fortschritte erzielt werden. So wurde durch Ex- pression von Kapsidproteinen die Bil- dung virusähnlicher Partikel (VLP) er- möglicht, die die Kenntnisse insbeson- dere hinsichtlich der Anheftung der Noroviren an ihre gastrointestinalen Zielzellen erheblich erweitert haben. Es wurde festgestellt, dass Noroviren über spezifische Kohlenhydrate, die in ABH- und Lewis-Blutgruppenantigenen vor- kommen, an die Epithelzellen binden (11). Diese Antigene werden unter an- derem von reifen Enterozyten im obe- ren Bereich der Zotten exprimiert. Eine Infektion in diesem Teil der Dünndarm- schleimhaut würde einen Teil der Patho- genese erklären (Abbildung 2). Interessant ist die unter- schiedliche Suszeptibilität für die Infektion durch diesen Er- reger. Der Schutz einiger Per- sonen vor der Erkrankung wird mit dem Fehlen des Re- zeptors für Noroviren in Ver- bindung gebracht. In einer Be- lastungsstudie mit freiwilligen Probanden konnte gezeigt werden, dass sekretornegative Individuen, die aufgrund einer Mutation im Gen für die α(1,2)-Fucosyltransferase die entsprechenden Blutgruppen- antigene nicht exprimieren, vollständig resistent gegen- Abbildung 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme von

Noroviren aus dem Stuhl eines infizierten Menschen (Negativkontrastierung mit 2 % Phosphor-Wolframsäure);

Aufnahme von Frau Dr. Hauröder, Zentralinstitut der Bun- deswehr Koblenz, mit freundlicher Genehmigung

Übermittelte Norovirusfälle nach Meldejahr und Melde- woche in Deutschland; Fälle entsprechend der Referenzde- finition des Robert Koch-Instituts. Quelle: Robert Koch-In- stitut: SurvStat@RKI, www3.rki.de/SurvStat; Datenstand:

24. 8. 2005 Grafik 1

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über einer Infektion mit dem Norwalk- Virusstamm waren (12). Obwohl etwa 20 Prozent der Menschen europäischen Ursprungs zur Gruppe der sekretorne- gativen gehören, kann man dennoch nicht von einem sicheren Schutz ausge- hen, weil unterschiedliche Norovirus- stämme offenbar verschiedene Antige- ne für die Anheftung verwenden (13).

Weitere Untersuchungen zur Virus-Re- zeptor-Interaktion werden zeigen müs- sen, inwieweit hier ein geeigneter An- griffspunkt für antivirale Substanzen besteht.

Diagnostik

Die Bestätigung der klinisch vermute- ten Norovirusinfektion sollte durch den molekularen Nachweis viraler RNA im Stuhl mittels Nukleinsäure-

amplifikation (RT-PCR) erfolgen. Die Methode ist hoch sensitiv und spe- zifisch. Zudem kann durch die Se- quenzierung der PCR-Produkte eine molekulare Differenzierung der Viren durchgeführt werden, die wertvolle Informationen zur Aufklärung von Ausbrüchen und Übertragungswegen liefert.

Neben dem molekularen Nachweis stehen auch Enzymimmunoassays (EIA, immunologischer Nachweis von Norovirusantigenen im Stuhl) zur Ver- fügung. Inwieweit diese Technik den Anforderungen hinsichtlich Spezifi- tät und Sensitivität in der Routine- diagnostik der Norovirusinfektion ge- recht wird, muss sich noch zeigen. Ein definitiver Nachweis des Erregers ist zur sicheren epidemiologischen Ein- schätzung wichtig, um beispielswei- se die Aufrechterhaltung der strikten

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Abhängigkeit der Infektionsrate („attack-rate“, AR) von der Art und dem Zeitpunkt der eingelei- teten hygienischen Maßnahmen am Beispiel dreier Pflegeheime in Berlin. A: Hände- und Flächendesinfektion mit konventionellen Mit- teln, Einmalkittel, Handschuhe, Mundschutz.

B: Bereichsreinigung, Händedesinfektion mit 95%igem Ethanol, formaldehydhaltige Flächen- desinfektionsmittel

Grafik 2 Abbildung 2: Histologischer Schnitt ei-

ner Biopsie aus dem Duodenum nach Formalinfixierung, Paraffineinbettung und HE-Färbung. Die Enterozyten zei- gen eine zunehmende Differenzie- rung von der Kryptenbasis zur Zotten- spitze. Die Expression von Blutgrup- penantigenen, die als Rezeptoren für Noroviren diskutiert werden (11, 20), nimmt ebenfalls mit dem Reifungs- grad der Enterozyten zu. Somit sind bevorzugt reife Enterozyten an der Zottenspitze als Zielzellen für Norovi- ren zu betrachten.

Reifungsgrad der Enterozyten

Zunahme der Expression des Norovirusrezeptors

Diagnostik

Zurzeit gilt als sicherster Nachweis für Noroviren die RT-PCR aus dem Stuhl. Bei größeren Aus- brüchen ist es nicht notwendig, alle Betroffenen zu untersuchen. In diesen Fällen genügt der mo- lekularbiologische Nachweis bei drei bis fünf der betroffenen Personen, um dann bei den ande- ren Erkrankten aus der gleichen Umgebung mit ähnlichen Symptomen ebenfalls eine Norovirus- infektion zu diagnostizieren.Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass die hygienischen Maßnahmen sich nach der Klinik richten und nicht nach dem Erregernachweis im Stuhl, denn dieser kann noch Monate nach Abklingen der Symptomatik positiv sein. Zurzeit werden von vielen Labors EIAs (Enzym-Immunoassays) zum immunologischen Nachweis von Norovirusantigen im Stuhl angeboten. Diese Tests sollten aber nicht als einzige Stütze der Diagnostik dienen. Für spezifi- sche Fragen zur Norovirusdiagnostik bitten die Autoren die Leser, sich an das Konsiliarlabor für Noroviren am Robert Koch-Institut zu wenden:

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Eckart Schreier, Nordufer 20, 13353 Berlin, Telefon: 01 88/7 54 23 79, Fax:

01 88/7 54 26 17, E-Mail: schreierE@rki.de Kasten 1

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Hygienemaßnahmen zu rechtfertigen.

Darüber hinaus sind die Patienten meistens beruhigt, wenn die Diagnose endgültig bestätigt werden kann (Ka- sten 1).

Klinik

Die klassische Klinik dieser Infekti- onserkrankung besteht in einer kur- zen meist heftigen Episode einer Gastroenteritis. In der Regel treten ei- ne akute Diarrhö und Erbrechen auf.

Die Inkubationszeit bei Mensch-zu- Mensch-Übertragung beträgt im Mit- tel sechs bis 48 Stunden (11). Epide- miologische Studien deuten darauf hin, dass Erbrechen häufiger bei Kin- dern und Diarrhö häufiger bei Er- wachsenen vorkommt (14). Die Er- krankungen gehen in vielen Fällen mit

einem schweren Krankheitsgefühl, meist auch mit Glieder- und Muskel- schmerzen, abdominalen Krämpfen und manchmal Fieber einher. Der Krankheitszustand dauert in der Re- gel nur zwölf bis 60 Stunden und heilt in den meisten Fällen folgenlos aus.

Allerdings sind ältere Menschen und Kinder durch den teilweise sehr aus- geprägten Flüssigkeits- und Elektro- lytverlust lebensbedrohlich gefähr- det. Bei Kleinkindern und sehr al- ten Menschen kann es durch die In- duktion von Erbrechen beim Essen zu schwerwiegenden Aspirationspneu- monien kommen. Die mediane Krank- heitsdauer ist offensichtlich bei hospi- talisierten Patienten mit drei Tagen länger als bei nicht hospitalisierten Personen, bei denen die durchschnitt- liche Krankheitsdauer bei zwei Tagen liegt (5).

In jüngster Zeit wurden auch atypi- sche Verläufe einer Norovirusinfektion besonders bei Immungeschwächten und Menschen in besonderen Stress- situationen beschrieben (15). Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie stehen, können eine chroni- sche Diarrhö entwickeln, die sich erst bessert, wenn die Immunsuppression zurückgenommen wird (16). In Fällen von Norovirusinfektionen bei Soldaten im Kriegseinsatz wurden auch unge- wöhnliche Symptome wie Nackenstei- figkeit, Lichtempfindlichkeit und Ver- wirrtheit beschrieben (15).

Therapie

Die Therapie ist in erster Linie sympto- matisch und konzentriert sich, wie bei anderen Durchfallerkrankungen, auf die ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Bei Immunge- schwächten, die eine chronische Diar- rhö durch die Norovirusinfektion ent- wickeln (16), muss überlegt werden, ob die immunsuppressive Therapie zurück- genommen werden kann. Eine spezifi- sche virostatische Behandlung gibt es zurzeit nicht. Denkbar wäre die Ent- wicklung von Medikamenten, die den Rezeptor der Viren auf den Enterozyten blockieren könnten.

Prävention

Noroviren zeichnen sich durch eine ho- he Umweltresistenz (Tenazität) und eine eingeschränkte Empfindlichkeit gegen- über üblichen Desinfektions- und Reini- gungsmitteln aus. Diese Charakteristika sind – zusammen mit der geringen infek-

Klinische Merkmale bei Norovirus-Ausbrüchen Verdachtsmomente für einen Noroviren-Ausbruch:

>Erbrechen (häufig explosiv) in > 50 % der Fälle

>Dauer der Erkrankung 12–60 Stunden

>Inkubationszeit 6–48 Stunden

>Personal und Betreute betroffen Kasten 2

Präventionsmaßnahmen Grafik 3

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tiösen Dosis von weniger als 100 Vi- ruspartikeln und der Möglichkeit einer aerogenen Übertragung – Ursache für die erschwerte Kontrolle von Krank- heitshäufungen. Da der Eintrag von Noroviren in Gemeinschaftseinrichtun- gen auch in Zukunft nicht sicher verhin- dert werden kann, bildet die rasche klinische Abgrenzung auftretender No- rovirusinfektionen von anderen, zum Beispiel durch Lebensmitteltoxine ver- ursachten Gastroenteritiden, die Grund- lage einer effektiven Ausbruchspräven- tion. Nachdem aufgrund der typischen Symptomatik und der epidemiologi- schen Merkmale (Kasten 2) der Ver- dacht auf einen Norovirusausbruch ge- stellt wurde (17), sollte ein adaptiertes Hygieneregime angewendet werden, ohne die Bestätigung durch virologische Untersuchungen abzuwarten (Grafik 3).

Die durch zeitweilige Schließungen von Stationen und Freistellung von Mitar- beitern verursachten ökonomischen Be- lastungen sind dabei in Relation zu den vielfach höheren Kosten eines unkon- trollierten Ausbruchs zu sehen.

Impfung

Erste Schritte zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Noroviren wurden durch die rekombinante Herstellung vi- rusähnlicher Partikel (VLP) eingelei- tet. Nach oraler oder intranasaler Ver- abreichung dieser VLP konnte eine spezifische humorale und zelluläre Im- munantwort induziert werden (18, 19).

Ob solche Ansätze tatsächlich zu einem Schutz gegen immer wieder neu auftre- tende Varianten des Norovirus führen werden, ist bisher unklar.

Manuskript eingereicht: 30. 11. 2004, revidierte Fassung angenommen: 24. 1. 2005

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2551–2556 [Heft 38]

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Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Schneider Charité – Universitästsmedizin Berlin-Campus Benjamin Franklin

Medizinische Klinik I

Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie Hindenburgdamm 30

12200 Berlin

E-Mail: Thomas.schneider@charite.de

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N)) Medizin und Literatur Psychoanalyse

Zitat:„Die Analyse ist gut als Werkzeug der Aufklärung und der Zivilisation, gut, insofern sie dumme Überzeugungen erschüttert, natürliche Vorurteile auflöst und die Autorität unterwühlt, gut, mit anderen Worten, indem sie be- freit, verfeinert, vermenschlicht und Knechte reif macht zur Freiheit. Sie ist schlecht, sehr schlecht, insofern sie die Tat verhindert, das Leben an den Wur- zeln schädigt, unfähig, es zu gestalten. Die Analyse kann eine sehr unappetit- liche Sache sein, unappetitlich wie der Tod, zu dem sie denn doch wohl ei- gentlich gehören mag, – verwandt dem Grabe und seiner anrüchigen Anato- mie [...].

‚Gut gebrüllt, Löwe‘, konnte Hans Castorp nicht umhin zu denken, wie ge- wöhnlich, wenn Herr Settembrini etwas Pädagogisches geäußert.“

Thomas Mann: Der Zauberberg. Roman (1924). Frankfurt am Main 1995, S. 306 f. – Mann (1875–1955) schil- dert im „Zauberberg“ den Aufenthalt seines Romanhelden Hans Castorp in einem Davoser Lungensanatori- um, wobei das Verhältnis von Körpermedizin (Hofrat Behrens) und Psychoanalyse (Dr. Krokowski) eine wichti- ge Rolle spielt, unter anderem illustriert durch die Metaphorik der „Durchleuchtung“ (Röntgen versus Analy- se). Herr Settembrini spielt die Rolle eines witzig-aufgeklärten Gesprächspartners.

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