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(66) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 46, 15. November 1996 ren. Daß der ausgezeichnete neue
Sulfonylharnstoff Glimepirid für mich das Mittel der Wahl ist, stimmt so natürlich auch nicht; diese Aussage gilt nur – dies aber gewiß – für den Sulfonylharnstoff-Bereich. Die nicht insulinotrop wirkenden Substanzen Acarbose und Metformin behalten al- so durchaus ihre Bedeutung in der Frühphase des Typ-II-Diabetes im Rahmen einer für Chantelau nicht existierenden modernen Differen- tialtherapie.
„Zusätzlich ein paar Einheiten In- sulin“ (etwa 14 Einheiten täglich) bil- den die Grundlage der von Bachmann entwickelten und von Chantelau strikt abgelehnten Kombinationsthe- rapie „Orale Antidiabetika plus Insu- lin“. Ihr Wert liegt unter anderem in der im Vergleich zur Insulin-Mono- therapie wesentlich geringeren Ge- wichtszunahme, was bei gründlicher und vor allem unvoreingenommener Lektüre der einschlägigen Fachlitera- tur (zum Beispiel 2, 3) unschwer er- kannt werden könnte.
Die zitierte UKPDS-Studie ist noch nicht abgeschlossen und weist überdies vom Ansatz her bedenkli- che, allerdings kaum vermeidbare Schwächen auf. Das bisher eindeu- tigste Resultat der Studie – die dra- stische Gewichtszunahme der mit In- sulin oder Sulfonylharnstoffen be- handelten hyperinsulinämischen Pa- tienten (im Gegensatz zur Metfor-
min-Gruppe) – als ein zwingender Beweis für den Stellenwert einer Dif- ferentialtherapie mit oralen Antidia- betika wird von Chantelau nicht ein- mal erwähnt.
Zu der Zuschrift von Bär:
Ich stimme dem Autor voll zu (und habe dies in meinem Kommen- tar betont), daß die durch Schulung induzierte ausgewogene Ernährungs- und Bewegungsbehandlung allen the- rapeutischen Bemühungen bei Typ- II-Diabetes vorauszugehen hat.
Zu dem Beitrag von Ruhnau:
Aus der überzeugenden Stellung- nahme sei hervorgehoben, daß auch dieser Autor über gute Erfolge mit Thioctsäure berichtet. Aufgrund der Ergebnisse der eindrucksvollen Studie von Ziegler et al. wird die i. v. Gabe von 1 200 mg im Vergleich zu 600 mg eher selten verabreicht werden müs- sen (4). Im übrigen ist inzwischen auch die aus der Empirie bekannte günstige Wirkung oral verabreichter Thioctsäu- re durch eine Studie zur autonomen Neuropathie bestätigt worden (5).
Zur Zuschrift von Schneider:
Kein Widerspruch! In der Tat gehört die Normalisierung der Dysli- poproteinämie zu den erklärten The-
rapiezielen bei Typ-II-Diabetes.
Wenn allerdings – was ich nicht für
„vergleichsweise selten“ halte – die Hypertriglyzeridämie als Folge des entgleisten Stoffwechsels bei Typ-II- Diabetes anzusehen ist, dann sollten Lipidsenker nicht primär eingesetzt werden.
Literatur:
1. Chantelau E.: Diät (?) bei Diabetes melli- tus. In: Diabetes mellitus (Hrsg. M. Berger).
Urban und Schwarzenberg 1995, S. 126–158 2. Clauson P, Karlander S, Steen L, Efendic S:
Daytime glibenclamide and bedtime NPH insulin compared to intensive insulin treat- ment in secondary sulphonyluria failure: a 1- year follow-up. Diabetic Medicine 1996; 13:
471–477
3. Chun-Chung Chow, Sorensen JP, Tsang Lynn WW, Cockram CS: Comparison of in- sulin with or without oral hypoglycemic agents in the treatment of secondary failure in NIDDM patients. Diabetes Care 1995; 18:
307–314
4. Ziegler D, Hanefeld M, Ruhnau KJ, Meiss- ner HP, Lobisch M, Schütte K, Gries FA:
The ALADIN Study Group. Treatment of symptomatic diabetic peripheral neuropa- thy with the anti-oxidant a-lipoic acid. A three-week multicenter randomized con- trolled trial (ALADIN Study). Diabetologia 1995; 38: 1425–1433
5. Ziegler D, Conrad F, Ulrich H, Reichel G, Schatz H, Gries FA: Effects of treatment with the anti-oxidant a-lipoic acid on car- diac autonomic neuropathy in non-insulin- dependent diabetic patients. A 4-month ran- domized controlled trial (DEKAN Study).
Clinical Autonomic Research 1995; 5: 323 Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert Institut für Diabetesforschung am Krankenhaus Schwabing Kölner Platz 1
80804 München DISKUSSION
Die chirurgische Therapie der endokrinen Orbitopathie stellt wie erwähnt eine Ulti-
ma ratio dar, ist jedoch bei progre- dientem Exoph- thalmus oder zu- nehmender Visus- minderung absolut indiziert. Diese Be- handlung ist zwar
ebenso nur symptomatisch, zeigt je- doch im Gegensatz zur Strahlenthera-
pie einen sofortigen Effekt. Als ope- rative Methoden wurden nur mediale Dekompressionen beschrieben. Diese endonasalen oder extranasalen Ver- fahren haben jedoch den entscheiden- den Nachteil, daß sie zu erheblichen Augenfehlstellun- gen führen kön- nen. Diese können einerseits bedingt sein durch die di- rekte operative Schädigung der Trochlea oder an- dererseits durch den Prolaps des M. rectus medialis nach nasal. Zudem treten Probleme
mit der Belüftung der Nasenneben- höhlen auf.
Die laterale sowie die pteriona- le mikrochirurgische Dekompression vermeidet im Gegensatz hierzu diese Nachteile.
Des weiteren werden durch Ent- fernung der lateralen Orbitawand, partielle Resektion des Keilbein- flügels und des Orbitadaches mehr Volumen und somit eine bessere De- kompression als durch die medialen Verfahren erzielt.
Ein weiterer Vorteil ist, daß zu- sätzlich über diesen Zugang auch der Sehnerv, falls dies erforderlich ist, mit dekomprimiert werden kann.
Die endokrine Orbitopathie
Zu dem Beitrag von Priv.-Doz. Dr. med.
Armin E. Heufelder et al.
in Heft 20/1996
Laterale
Orbitadekompression
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Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 46, 15. November 1996 (67) Literatur
1. Gilsbach JM, Unsöld R, Kommerell G, Seeger W: Extended pterional decompres- sion of the orbit: an alternative treatment in endocrine orbitopathy. Neurosurg Rev 1988; 11: 167–170
2. Gilsbach JM, Mann WJ, Rochels R, Amedee RG, Lieb W, Laborde G: Pterional / lateral approach to orbital tumors. Skull Base Surgery 1994; 4: 72–75
3. Maroon JC, Kennerdell JS: Lateral micro- surgical approach to intraorbital tumors.
J Neurosurg 1976; 44: 556–561 Dr. med. Uwe Spetzger
Neurochirurgische Universitäts- klinik RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
In ihrem ausführlichen Artikel zum aktuellen Stand der Patho- genese, Diagnostik und Therapie der endokrinen Orbitopathie weisen die Autoren auch auf die Bedeutung der Radiojod-Therapie zur Behand- lung der Basedow-Hyperthyreose hin. Insbesondere betonen die Auto- ren, daß dabei zunehmend ein abla- tives Dosiskonzept durchgeführt werden sollte, um wiederholte Ra- diojod-Therapien und die damit ver- bundene repetitive Antigenfreiset- zung zu vermeiden.
Dadurch kommt es jedoch ohne medikamentöse Intervention zu ei- nem Anstieg des TSH. Der Zusam- menhang zwischen einer Ver- schlechterung der endokrinen Orbi- topathie oder der Entwicklung einer endokrinen Orbitopathie nach Ra- diojod-Therapie und einem anstei- genden TSH-Wert ist durch zwei Pu- blikationen von Tallstedt und Mitar-
beitern aus den letzten Jahren (1, 2) wahrscheinlich gemacht worden.
Wir möchten daher – auch als Ergeb- nis eines kürzlich zu dieser Thema- tik abgehaltenen Symposiums (3) – empfehlen, daß sich bereits bei ei- nem Abfall des fT4-Wertes in den niedrig-normalen Bereich die Indi- kation zur Substitution nach Radio- jodtherapie mit beispielsweise 50 bis 75 µg Thyroxin pro Tag ergibt. Ein ansteigender TSH-Wert ist in diesem Zusammenhang als Indikator für ei- ne Substitutionspflicht ungeeignet, da die Regelgeschwindigkeit seines Anstiegs nach einer lange bestehen- den Hyperthyreose erheblich verzö- gert sein kann.
Literatur
1. Tallstedt L, Blomgren H, Lundell G, Taube A: Early thyroxine substitution re- duces the occurrence of Graves’ ophthal- mopathy after radio-iodine therapy for hy- perthyreoidism. Thyroid 1992; 2 (suppl 1):
4.
2. Tallstedt L, Lundell G, Törring O, Wallin G: Radioiodine therapy of Graves disease and ophthalmopathy. Exp Clin En- docrinol 1994; 102: 37–42.
3. Tönshoff G, Stauch C, Mönig H, Clausen M: Endokrine Orbitopathie beim M. Basedow. Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1996 (im Druck).
Dr. med. Karl H. Bohuslavizki Prof. Dr. med. Eberhard Henze Klinik für Nuklearmedizin Priv.-Doz. Dr. med. Heiner Mönig Klinik für Allgemeine Innere Medizin der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel
Arnold-Heller-Straße 9 24105 Kiel
Prof. Dr. med. Malte Clausen Abteilung für Nuklearmedizin des UKE Hamburg
Martinistraße 52 20251 Hamburg
DISKUSSION
Verschlechterung nach Radiojod-Therapie
Bohuslavizki und seine Kolle- gen unterstützen mit ihrer Zuschrift nochmals unser Anliegen, die Be- deutung einer exakt im euthyreoten Bereich eingestellten Schilddrüsen- funktion und ferner das Vermeiden einer Schilddrüsenunterfunktion als Grundlage der Behandlung von Pati- enten mit endokriner Orbitopathie
hervorzuheben. Dieses Konzept gilt unabhängig vom gewählten Thera- pieverfahren.
Mit dem frühzeitigen Auftreten einer Hypothyreose, die sich labor- chemisch nur am Absinken der peri- pheren Schilddrüsenhormonkonzen- trationen erkennen läßt, ist nach ei- ner nahezu vollständigen Thyreoid- ektomie noch früher zu rechnen als nach einer ablativ dosierten Radio- jod-Therapie. In beiden Fällen sollte
eine frühzeitige Substitution mit Schilddrüsenhormon (50 bis 75 Mi- krogramm pro Tag) erfolgen, die in der Folgezeit den Funktionskon- trollen entsprechend individuell an- gepaßt werden sollte.
Aufgrund der Platzvorgabe und der Intention unserer Übersichtsar- beit konnten wir selbst die gängigen operativen Therapiemöglichkeiten bei endokriner Orbitopathie, statt auf sie näher einzugehen, nur am Rande erwähnen. Die laterale und pteriona- le Orbitadekompression mag bei Or- bitatumoren häufiger zur Anwen- dung kommen, zur Behandlung der endokrinen Orbitopathie wird sie an den Zentren mit der größten Erfah- rung bei orbitalen Dekompressionso- perationen (Amsterdam, Rochester und Pittsburgh) jedoch kaum durch- geführt.
Der Nutzen der lateralen und pterionalen Orbitadekompressionen bei der endokrinen Orbitopathie, wo die größte raumfordernde Wirkung im medialen und inferioren Anteil der Orbitae erfolgt, ist in der interna- tionalen Literatur leider nicht an größeren Fallzahlen dokumentiert worden.
Auch eine Überlegenheit dieser Methode gegenüber den gängigeren endonasalen und extranasalen Tech- niken ist nicht belegt.
Dies bedeutet freilich nicht, daß diese aufwendige Operationstechnik bei korrekter Indikationsstellung und genügender Erfahrung des Ope- rateurs nicht effektiv und nützlich sein könnte.
Spetzger und Mitarbeiter sollten ihre positiven Erfahrungen zu den von ihnen geübten Dekompressions- techniken an einem größeren Patien- tengut mit endokriner Orbitopathie mitteilen, um einen detaillierten Ver- gleich mit den Resultaten der häufi- ger geübten Verfahren zu ermögli- chen.
Priv.-Doz. Dr. med.
Armin E. Heufelder Dr. med. H.-D. Schworm Dr. med. Lorenz C. Hofbauer Medizinische Klinik und Augenklinik
Klinikum Innenstadt
Ludwig-Maximilians-Universität 80336 München