- Einleitung
- Das Prostatakarzinom Therapieansätze - Dextransulfat
- Pharmakokinetik - Pharmakodynamik - Toxikologie
- Antipeptiderges Therapeutikum - Problemstellung
- Inhibierung auto-/parakriner Regelkreise - Material, Methoden und Versuchsdurchführung - Ergebnisse
- Diskussion und Schlußfolgerung - Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Prostatakarzinom
Das Wachstum eines Tumors zeichnet sich durch die ungebremste Proliferation dedifferenzierter Zellen aus. Dieser Neoplasie liegt ein Verlust regulatorischer Mechanismen zugrunde, der beispielsweise durch eine dosis- und zeitabhängige Exposition mit bestimmten chemischen (canzerogenen) Verbindungen induziert werden kann. Aber auch ionisierende Strahlung können an der Entstehung von Tumorzellen beteiligt sein. Als Elemente einer malignen Entartung werden unter anderem eine Aktivierung von zellulären Onkogenen (Protoonkogenen) bzw. eine Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen diskutiert. Weiterhin können auch Rezeptordefekte eine Ursache für neoplastisches Wachstum sein.
Die Prostata unterliegt als ein akzessorisches Geschlechtsorgan des Mannes einer endokrinen Kontrolle. Hierbei spielt insbesondere das in den Leydigzellen der Testis gebildete Testosteron als stimulierendes Androgen eine wichtige Rolle. Testosteron liegt im Blut zu ca. 98% an sexualhormonbindendem Globulin (engl. sex hormone- binding globulin, SHBG) vor und wird intrazellulär an dem Enzym 3-Keto-5α- steroidreduktase (5α-Reduktase; EC 1.3.99.5) zum biologisch aktiven Androgen 5α- Dihydrotestosteron (DHT) reduziert, das dann nach Bindung an einen spezifischen Androgenrezeptor als Androgenrezeptorkomplex im Nucleus der Prostatazelle über Genaktivierung eine Zellteilung induziert.
Durch bislang weitgehend ungeklärte Mechanismen entwickelt sich im fortgeschrittenen Lebensalter des Mannes häufig eine gutartige Vergrößerung der Prostata, eine benigne Prostata-Hyperplasie (BPH). Ebenso zeigt sich eine Zunahme des Auftretens eines Prostatakarzinoms als maligne Erkrankung mit steigendem Alter.
Inzwischen ist das Prostatakarzinom in Europa und Nordamerika die zweithäufigste maligne Erkrankung des Mannes. Aufgrund der steigenden allgemeinen Lebenserwartung nimmt die Inzidenz dieser Erkrankung zu. Sowohl Inzidenz als auch Mortalität sind bei schwarzen Bevölkerungsgruppen höher als bei weißen; die Ursachen hierfür sind noch unklar.
Diskussion und Schlußfolgerung
Wie die in vitro-Experimente zeigen, stellt Dextransulfat ein potentes Mittel zur Inhibierung autokriner und parakriner Regelkreise autonom proliferierender Tumorzellen dar. Es reiht sich damit in die Reihe bereits bekannter Polyanionen wie Suramin und Pentosanpolysulfat ein. Dabei zeigten sich die beiden getesteten Präparationen ähnlich wirksam, zumal die mittleren Molekulargewichte beider Präparate mit 5.000 g/mol (Sigma-Aldrich Chemie) bzw. 4.000 g/mol (Meito Sangyo Co.) nur gering differieren.
Die ED50-Dosen für beide Präparate betrugen für die androgenrezeptornegative humane Prostatakarzinomzellinie DU-145 ca. 0,3 mmol/1 und für die stärker proliferierenden humanen Karzinomzellen der Nebennierenrinde S W-13 ca. 0,8 mmol/1.
Im Falle der getesteten androgenrezeptorpositiven humanen Prostatakarzinomzellen LNCaP muß zwischen der Inhibierung durch Dextransulfat bei gleichzeitiger androgener Stimulation und der unter Androgenabstinenz unterschieden werden.
Wie bereits der Kontrollwert zeigt, ist die Proliferation im androgenhaltigen Medium stärker als im androgenfreien. Es zeigt sich überraschenderweise, daß sich unbehandelte LNCaP-Zellen durch Dextransulfat kaum in Ihrem Wachstum beeinflussen lassen. Erst relativ hohe Dextran-sulfatkonzentrationen, die in den Bereich cytotoxischer Konzentrationen führen, inhibieren die Proliferation der LNCaP-Zellen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß viele dieser Zellen unter dem Einfluß dieser hohen Dextransulfatkonzentrationen abgestorben sind. Die simple Untersuchung unter dem Phasenkontrastmikroskop läßt lediglich grobe morphologische Unterschiede erkennen; eine genaue Analyse muß daher weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
Demgegenüber können LNCaP-Zellen, die durch das synthetische Androgen R1881 in einer Konzentration von 10-10 mol/1 stimuliert wurden, dosisabhängig inhibiert werden. Der ED50-Wert beträgt ca. 0, 1 mM.
Ein Erklärungsansatz bietet das Konzept der Wachstumsfaktor-vermittelten auto- und/oder parakrinen Regulation von Tumorzellen. Demnach erfolgt die Proliferation androgenstimulierter Zellen - wie in dem in vitro-Model der R 1881-stimulierten LNCaP-Zellen beschrieben - über die Sekretion auto- und/oder parakrin wirkender Wachstumsfaktoren. Diese lassen sich durch Dextransulfat "neutralisieren", so daß dosisabhängig eine Inhibierung des LNCaP-Zellwachstums erfolgt. LNCaP-Zellen, die nicht durch Androgene stimuliert werden, sezernieren diese Wachstumsfaktoren nicht bzw. nur in deutlich geringerem Maße, so daß dort die Wirkung des Dextransulfats weniger eindrucksvoll nachzuweisen ist.
Die bereits oben beschriebenen DU-145-Zellen bzw. SW-13-Zellen stellen demgegenüber ein in-vitro-Modell dar, bei dem die Karzinomzellen die androgene Kontrolle bereits vollständig verloren haben. Die androgenrezeptornegativen DU- 145-Zellen repräsentieren somit den Status eines fortgeschrittenen hormonunabhängigen Prostatakarzinoms. Ein solcher autonom prolife-rierender Tumor erhält auf Proteinebene seinen Proliferationsstimulus nahezu ausschließlich über auto- und/oder parakrin wirkende Wachstumsfaktoren. Daher gelang es, die Proliferation der DU-145- und SW-13-Zellen mit Dextransulfat dosisabhängig zu inhibieren.
Dextransulfat wurde ursprünglich mit dem Ziel entwickelt, zu einem billigeren und evtl. länger wirksamen Antikoagulans als Heparin zu kommen. Bereits frühzeitig zeigte sich, daß Präparate mit höheren Molekulargewichten eine hohe Toxizität haben, so daß weitere Anwendungen auf Präparate mit durchschnittlichen
Molekulargewichten unter 10.000 g/mol beschränkt blieben. Es zeigte sich, daß die Nachteile gegenüber Heparin überwiegen. So ist die gerinnungshemmende Wirkung bei tolerablen Dosen deutlich geringer und kürzer als beim Heparin.
Dosiserhöhungen mit dem Ziel, die Wirkstärke des Heparins zu erreichen, fuhren zu toxischen Nebenwirkungen, von denen insbesondere gastrointestinale Symptome, Gelenkbeschwerden, Hauteruptionen und Alopecie zu nennen sind. Weiterhin ist wegen der längeren biologischen Halbwertszeit und daraus resultierender KumulationsefFekte eine exakte Langzeittherapie nur schwer durchführen.
Dextransulfat wird oral nicht als ganzes Molekül resorbiert.
Dextransulfat zeigt in vitro - ähnlich wie auch das Polyanion Pentosanpolysulfat - antivirale Eigenschaften und wurde experimentell erfolgreich gegen das humane Immunschwäche-Virus (HIV) eingesetzt. In vivo ist Dextransulfat in der AIDS- Therapie wirkungslos.
Schließlich wird Dextransulfat als antipeptiderges Therapeutikum in der Therapie des hormonunabhängigen Prostatakarzinoms erprobt. In vitro-Experimente konnten zeigen, daß Dextransulfat in der Lage ist, auto- und/oder parakrine Wachstumsfaktoren zu "neutralisieren", wobei der exakte Wirkmechanismus noch ungeklärt ist. Dabei kommt es dosisabhängig zu einer Inhibierung der Proliferation dieser autonom wachsenden Tumorzellen. Erste in-vivo-Versuche am Nacktmausmodel sind Gegenstand weiterer Untersuchungen. Sollten diese Ergebnisse Erfolg versprechend sein, könnte Dextransulfat - ursprünglich als preisgünstiges Antikoagulans entwickelt - nunmehr als antipeptiderges Therapeutikum eine therapeutische Lücke in der Behandlung hormonunabhängiger Tumoren schließen.