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SWR2 Musikstunde. Hotelpatrioten Welttheater zwischen Lobby und Lift Teil IV: Große Oper

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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Hotelpatrioten – Welttheater zwischen Lobby und Lift

Teil IV: Große Oper

Mit Katharina Eickhoff

Sendung: 15. Februar 2018 Redaktion: Dr. Bettina Winkler

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere

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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff 12. Februar – 16. Februar 2018

Hotelpatrioten – Welttheater zwischen Lobby und Lift Teil IV: Große Oper

„Der Kellner ist ein Österreicher. Der Portier ein Franzose aus der Provençe. Der Empfangschef ein Mann aus der Normandie. Der Oberkellner ein Bayer. Das Zimmermädchen eine Schweizerin. Der Lohndiener ein Holländer. Der Direktor ein Levantiner; und seit Jahren hege ich den Verdacht, daß der Koch ein Tscheche ist.

Aus den übrigen Teilen der Welt kommen die Gäste. Die Kontinente und die Meere, die Inseln, die Halbinseln, die Schiffe, die Christen, die Juden, die

Buddhisten, die Mohammedaner und selbst die Dissidenten sind in diesem Hotel vertreten. Der Kassier addiert, subtrahiert, zählt, schwindelt in allen Sprachen, wechselt alle Geldsorten. Von der Enge ihrer Heimatliebe befreit, von der

Dumpfheit ihrer patriotischen Gefühle gelöst, von ihrem nationalen Hochmut ein wenig beurlaubt, kommen hier die Menschen zusammen und scheinen wenigstens, was sie immer sein sollten: Kinder der Welt.“ – Diese hinreißende Liebeserklärung an die Hotelgesellschaft stammt natürlich vom Hotelpatrioten Joseph Roth,

der ja selbst einen Großteil seines Lebens zu diesem Hotelvolk gehört hat und damit der lebende und leider zuviel trinkende Beweis für die Romanhaftigkeit dieser Szenerie gewesen ist.

Der englische Schriftsteller Laurence Sterne hat sich mal die Mühe gemacht, die verschiedenen Sorten von Reisenden, die ihm so einfielen, aufzuzählen: Es gäbe da, so Sterne, Neugierige und Lügner, Arbeitsscheue und Stolze, Hypochonder, Empfindsame und Unglücksmenschen, Galgenstricke und Unschuldige.

Man könnte, wenn man sich Sternes Reisende so anschaut, sagen, dass es sich im Großen und Ganzen um genau das Personal handelt, das auch in einer guten Oper anzutreffen ist. Wie schafft man es aber nun, einen ganzen Stapel so völlig verschiedener Leute und Schicksale in ein Stück zu packen, ohne dass die Sache verwirrend unrealistisch wird?

Ganz einfach – man steckt sie in ein Hotel.

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M0038153 007, 7’39 Otto Klemperer

Merry Waltz. Fassung für Sinfonieorchester

Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz, LTG Alun Francis

Merry Waltz – dieser „Lustige Waltzer“ stammt aus Otto Klemperers niemals aufgeführter Oper „Das Ziel“: Geschichte aus einem klassischen Kurhotel – ein Setting, das der manisch-depressive Patient Klemperer aus eigener Anschauung nur allzu gut kannte...

Hotels sind von ihrer Natur her perfekte Bühnen,- Bühnen, wo zufällig

zusammengewürfelte Figuren ihre Auf- und Abtritte haben und sich irgendwie zueinander verhalten müssen. Gleichzeitig stehen die Menschen in einem Hotel ganz anders im Fokus, sind anders beleuchtet, so dass sich ihre Gefühle und Gedanken viel deutlicher herausheben, als wenn sie bei sich daheim auf dem Sofa säßen.

Opern, die ganz oder teilweise im Hotel spielen, sind Sache der Moderne, könnte man meinen, weil ja auch das Hotel eher ein Phänomen der Neuzeit ist. Stimmt aber so nicht, denn die wohl erste Hotel-Oper – und gleich eine der schönsten! - ist schon im Jahr 1825 entstanden. Sie stammt von Rossini und trägt den Titel „Il Viaggio a Reims“ – und das Bemerkenswerte an dieser Reise nach Reims ist, dass sie gar nicht stattfindet.

Eine Truppe von Reisenden aus aller Herren Länder hat sich, mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelt, in einem Badehotel in Plombières, im Grenzland zwischen Holland, Belgien, Deutschland und Frankreich eingefunden. Alle wollten zur Krönung des neuen Königs nach Reims fahren, wo ja traditionell Frankreichs Könige gekrönt wurden, und nachdem sich seit ihrer Ankunft schon diverse Verwicklungen ergeben haben, macht sich dann mittelfristig die Erkenntnis breit, dass man heute wohl nicht nach Reims kommen wird, stattdessen gemeinsam in diesem Hotel festsitzt, weil weit und breit keine Pferde mehr zu bekommen sind, die man vor die Postkutsche spannen könnte.

Die Hotelgäste machen das Beste daraus und beschließen, die Krönung einfach im Garten des gastlichen Hauses „Zur Goldenen Lilie“ zu feiern, in dem sie nun mal bleiben müssen. Und hier beginnt also eine der hübschesten Rossini-Szenen überhaupt: Das Schlussbild findet an einer opulent gedeckten Festtafel statt, bei

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der die Gäste dieser improvisierten Krönungsfeier selber für die Unterhaltung sorgen. Die spezifischen nationalen Eigenheiten des jeweiligen Landes sind dabei nicht zu überhören,- wir wohnen also so einer Art Grand Prix d’Eurovision de la Chanson ante festum bei, zum Glück ohne die ermüdende Puntkezählerei am Schluss.

Den Maître de Plaisir macht ein gewisser Baron Trombonok, ein Major und, so das Libretto, „Musikfanatiker“ aus Deutschland, der - so sind wir Deutschen halt - schon im Vorfeld einen schriftlichen Vergnügungsplan ausgearbeitet hat, den es jetzt abzuarbeiten gilt.

Erster Programmpunkt ist er selbst: Nachdem er sich vorweg für seine chronische Indisposition entschuldigt hat – er hat im Krieg eine halbe Lunge gelassen – stimmt er eine Hymne an, auf eine wohlbekannte Melodie...

CD 336-0021 Disc 2, T. 12 ganz, T. 13 bis 0’12 2’00 G. Rossini

Il viaggio a Reims, Finale

Enzo Dara, Lucia Valentini Terrani, Francisco Araiza, Leo Nucci, Samuel Ramey, Lella Cuberli, Edoardo Gimenez, Ruggero Raimondi, Katia Ricciarelli,

Chamber Orchestra of Europe, Claudio Abbado DG 415 500-2, LC 0173

Der Baron Trombonok eröffnet hier den festlichen Reigen der Vortragenden im Hotelgarten zu Plombières, und es scheint, als ob die Deutschen auch damals schon die begeistertsten Europäer waren, immerhin heißt es in des Barons Trinkspruch: „Das glückliche Geschick Europas sei für alle Zeit gesichert!“ – Gut, dass der hoffnungsfrohe Mann die Herren Kaczinsky, Orban, Gauland und Co nicht kennenlernen musste...

A propos: Baron Trombonok übergibt dann - auch, weil seine halbe Lunge nicht mehr hergibt - den Stab an die Marquise Melibea, die aus Polen gebürtige „Witwe eines italienischen Generals, der am Hochzeitstag bei einem feindlichen

Überraschungsangriff starb“ – so steht’s im sehr originellen Personenverzeichnis, das klingt wie von Joseph Roth erfunden - , und vermutlich aus dieser Tatsache

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bezieht die Marquise die enorme Verve, mit der sie in Form einer zackigen Polacca was von Blut, Thron und Vaterland singt:

Gleiche CD Disc 2, T. 13 ab 0’14 1’00

Heutzutage würden sich die Polen wohl nicht mehr so ganz entspannt mit den Russen an einen Tisch setzen, damals waren aber, wo Polen waren, die Russen nicht weit, hier, im charmanten Hotel „Zur Goldenen Lilie“, wird Russland vertreten von einem Grafen Libenskof, einem wildrussischen General und Tenor, der

sterblich in die hier im Hotel kennengelernte polnische Marquise verschossen ist und infolgedessen eifersüchtig auf alles und jeden.

Gleiche CD Disc 2, T. 14 1’34

Auf den Russen folgt ein ebenfalls in die Marquise verknallter Spanier, und dann:

ein Engländer, der bei Rossini mit drei kurzen Sätzen ganz eindeutig als solcher charakterisiert wird: „Ich bin kein Musiker“, sagt dieser Lord Sidney, „ich kenne nur ein Lied.“

Ob es sich dabei eventuell um „God save the King“ handle?, fragt einer der Gäste.

„Genau“ sagt Lord Sidney, und damit wäre geklärt, was der Italiener Rossini von den Engländern im Allgemeinen so gehalten hat.

Gleiche CD Disc 2, T. 16 1’41

Da kann man nur sagen: Royaumes Unis – Douze Points. Beim launigen Fest im Hotel zur Goldenen Lilie wird es natürlich irgendwann Zeit, dass als Festredner zur Krönung des französischen Königs endlich auch die Franzosen selbst

drankommen: Baron Trombonok erteilt das Wort der Gräfin Folleville, einer jungen, hübschen und putzsüchtigen Witwe, die auf der Reise ihren Kleiderkoffer verloren, dafür aber einen Verehrer gewonnen hat, nämlich den lebenslustigen und

amateurmalenden Chevalier Belfiore. Die beiden singen, Catherine Deneuve wär’s zufrieden, ein Loblied auf den Flirt, bzw. auf die so flirtbegabte Herzogin von Berry, das Ganze auf eine in Frankreich bekannte Melodie, „Charmante Gabrielle“, ein Lied, das angeblich Heinrich IV. für seine Geliebte geschrieben haben soll...

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Gleiche CD Disc 2, T. 17 1’27

„Il Viaggio a Reims“ ist eigentlich keine Oper, sondern eine „szenische Kantate“, und Rossini hat sie zur echten Krönung des echten Karl Zehn komponiert. Es war seine erste größere Arbeit in Frankreich, gleichzeitig seine letzte Oper in

Italienisch, und es versteht sich, dass er sich mit den darin vorkommenden Lobpreisungen diverser französischer Fürsten und Könige planmäßig beliebt machen wollte bei den Franzosen. In jedem Fall ist „Il Viaggio“ so ziemlich das einzige musikalische Bühnenstück, das, aufgrund akuten Mangels an

Pferdestärken, von Anfang bis Ende komplett in einem Hotel spielt. Eigentlich wundert’s, dass es nicht mehr sind – denn so ein Hotel ist doch als Niemandsland, in dem der Fokus total auf die dort wohnenden Figuren gerichtet ist, tatsächlich der ideale Rahmen, um Schicksale ineinander zu wickeln. Zumal diese Hotelgäste ja immer irgendwie Entwurzelte und – zumindest kurzfristig – Heimatlose sind, und damit anfälliger für Gefühle. Die ja wiederum der Stoff sind, aus dem Opern gemacht werden...In Jules Massenets Oper „Manon“ nimmt das betrübliche Geschehen immerhin seinen noch eher fidelen Anfang in einer Herberge in Amiens.

Wir schreiben das Jahr 1721, und es handelt sich um eine jener Poststationen des 18. Jahrhunderts, wo man, in Erwartung der nächsten Postkutsche, etwas zu essen und ein Zimmer bekommen konnte.

Es treffen ein: Zwei Lebemänner in Begleitung dreier eher leichter Damen, die, ganz Rokoko, Poussette, Javotte und Rosette heißen. Man schreit nach Essen und Getränken und verschwindet im Hotel; im allgemeinen Gewusel erscheint ein junger Soldat namens Lescaut, der hier an der Poststation seine Cousine Manon treffen und sie in ein Kloster überführen soll. Ins Kloster muss sie, weil sie sich für ihr zartes Teenageralter schon gar zu vergnügungs- und putzsüchtig aufgeführt hat. Die Postkutsche kommt, Manon steigt aus, aber ihr Cousin, dem das Unstete der Familie Lescaut anscheinend auch im Blut liegt, lässt sie erst mal stehen, um im benachbarten Spielsalon noch schnell ein paar Jetons zu werfen.

Und wie sie da so allein auf dem Hotelvorplatz steht und versucht, sich schon mal ein bisschen klösterlich zu fühlen, kommt der junge Chevalier Des Grieux um die Ecke, der auch auf die nächste Postkutsche wartet. Es ist Liebe auf den ersten Blick – und es entspinnt sich zunächst mal ein unbeschreiblich süßes Hin und Her,

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Manon erzählt, dass sie ins Kloster muss, und Des Grieux, wie vom Blitz getroffen, braucht nur knappe fünf Minuten und ein bisschen tenoralen Schmelz, um sie davon abzubringen.

Als die Privatkutsche eines der drinnen feiernden Lebemänner eintrifft, springen Manon und Des Grieux einfach kurzentschlossen hinein und fahren einem gemeinsamen Leben in Paris – und letztlich ihrem Unglück - entgegen. Hier die Szene des fatalen und doch so schönen Kennenlernens:

CD 12-024184 Disc 1, T. 15 – 16 6’00

J. Massenet

Manon, 1. Akt, Schluss

Renée Fleming, Marcelo Alvarez, Orchestre de l’Opéra National de Paris, Jesús López-Cobos

Sony S3K 90458, LC 06868

So fahren sie davon in ihr sicheres Unglück: Manon und der Chevalier Des Grieux werfen sich in Jules Massenets Vertonung von Abbé Prévosts Liebes-

Schmachtfetzen in die Kutsche und galoppieren davon, das Hotel, vor dem das alles stattfand, hat das Nachsehen und muss die Zimmer stornieren, und dieser Des Grieux hat vermutlich noch nicht mal eine Kreditkartennummer hinterlassen.

Entwurzelte, Versprengte, Haltlose, Abgestiegene – für solche Existenzen bietet das Hotel in der Neuzeit das passende Biotop, weil es die Bindungslosigkeit der drinnen wohnenden Gestalten atmosphärisch so schön unterstreicht.

Wenn aber in so einer trostlosen Umgebung unversehens doch die große Liebe einschlägt – dann strahlt sie in einem leeren Hotelflur oder einem halbdunklen Treppenhaus gleich noch mal so hell. Da wäre zum Beispiel die Familie des Grafen Waldner, Rittmeister a.D., ein klassischer Fall von verarmtem kakanischem Adel, die zu viert ein paar Zimmer eines Wiener Hotels bewohnen - alle anderen Güter sind offenbar längst schon unter den Hammer gekommen, und wie zur Bestätigung klopft auch alle zehn Minuten ein Hoteldiener und bringt einen weiteren Stapel unbezahlter Rechnungen. Die entstehen, weil man die Tochter Arabella für ihre Auftritte in der guten Gesellschaft ausstaffieren muss, damit sie, man pfeift ja auf dem letzten Loch, möglichst bald einen reichen Baron an Land zieht. So viel Geld geht drauf für Arabellas Society-Leben, dass man sich eine weitere Tochter dieser

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Art einfach nicht leisten kann. Aus dem Grund hat man Zdenka, die Jüngere, kurzerhand in Bubenkleider gesteckt. Arabella ist wunderschön und hat viele Verehrer, unter anderem Matteo, einen Jägeroffizier, für den Arabella sich nicht interessiert, in den Zdenka aber heimlich verliebt ist. Der Richtige für Arabella war eben einfach noch nicht dabei und kommt erst im Verlauf der ersten Akts in Gestalt des Grafen Mandryka. „Der Richtige – wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt“, singt Arabella, als sie ihn noch nicht kennt,, „der wird einmal dastehn, da vor mir, und wird mich anschaun und ich ihn, und keine Zweifel werden sein und keine Fragen, und selig, selig werd ich sein, und gehorsam wie ein Kind..“. – Das sagt Arabella im Hotelzimmer so in die Luft, und die schönen, Herzklopfen machenden Worte stammen natürlich mal wieder von Hugo von Hofmannsthal, der zusammen mit Richard Strauss Ende der 1920-er Jahre die Hotel-Oper „Arabella“ geschrieben hat. „Ein etwas ordinäres und gefährliches Wien“ umgibt diese Figuren, schreibt Richard Strauss, „vergnügungssüchtig, frivol und schuldenmachend“. Und die Oper würde auch in der Trostlosigkeit, die in diesem Hotel zu herrschen scheint,

versinken – hätten Hofmannsthal und Strauss eben nicht diese zwei

Engelsgestalten dort hineinkomponiert, die Schwestern Arabella und Zdenka, zwei mutige, ehrliche, liebesfähige Mädchen, die zärtlich aneinander hängen und

einander gegenseitig den Rücken stärken inmitten der peinlichen Szenen, die entstehen, wenn ehemals feine Leute nach dem letzten Strohalm greifen...

CD 19-032125 Disc 1, T. 5 7’20

R. Strauss Arabella

Lisa della Casa, Anneliese Rothenberger Bayerisches Staatsorchester, Joseph Keilberth 437 701-2, LC 0173

Diese Oper behauptet zwar, im 19. Jahrhundert zu spielen, in Wirklichkeit ist sie aber ganz ein Kind ihrer Zeit: Als Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal beschlossen, die Handlung von „Arabella“ teilweise in ein Hotel zu verlegen, waren sie jedenfalls ganz eindeutig von den Zeitläuften und Zeitmoden der „Goldenen Zwanziger Jahre“ beeinflusst. In den 1920-er und 30-er Jahren war das Hotel ein

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Topos, ein Symbol, für das moderne, schnelle Leben, für das Kommen und Gehen, auch für die Auflösung der Standesgrenzen, denn hier kamen sie alle zusammen:

Reiche und Adlige, arme Stubenmädchen und freche Liftboys, Stars und Lieferanten, Diebe, Liebhaber und Lebensretter. Diese schier unbegrenzten

Möglichkeiten und der aktuelle Zeitbezug hatten es Ernst Krenek angetan, als er in den 1920-er Jahren seine Oper „Jonny spielt auf“ entworfen hat. Die spiegelte mit ihrem jazzigen Grundton dermaßen erfolgreich ihre Zeit wider, dass sie ihren Komponisten zum reichen Mann gemacht hat – bevor sie dann von den Nazis als Paradebeispiel für „Entartete Musik“ denunziert worden ist.

„Jonny spielt auf“ ist die sehr moderne, also komplizierte, Liebesgeschichte zwischen einem Komponisten, Max, und einer Sängerin, Anita – und weite Teile dieser Geschichte spielen in einem Alpenhotel und einem Pariser Stadthotel, dort, in Paris begegnet man zum ersten Mal dem Mann aus dem Titel, Jonny, einem schwarzen Hotelmusiker. Jonny spielt Schicksal für die zwei Liebenden: Erst bringt er sie auseinander, und am Ende wieder zusammen, dazwischen stiehlt er einem berühmten Stargeiger eine kostbare Amati-Geige.

Die folgende Szene ist ein wirklich erstaunliches Beispiel szenischer

Collagentechnik – kein Wunder, dass das Publikum damals fasziniert war, denn es passiert in Nah und Fern vieles gleichzeitig:

Der Komponist, der Anita verloren hat, taumelt nach einem missglückten

Selbstmordversuch auf die Terrasse des Alpenhotels, wo ein Radio laut die Gäste unterhält. Im Radio singt ausgerechnet Anita ausgerechnet das Lied, das der Komponist für sie geschrieben hat. Das rüttelt ihn auf und gibt ihm den

Lebenswillen zurück, derweil die anderen Gäste die Musik ziemlich nervig finden und erleichtert aufatmen, als der Radiosprecher Jonnys Jazzband ankündigt.

Während Jonny im Radio fidelt, kommt der berühmte Geiger daher, der seit dem Verlust seiner Geige der Depression verfallen ist.

Er erkennt im Radio sein Instrument am Klang und stürzt davon, bergab, um es sich zurückzuholen. Da sieht man mal, wie viel Gutes an ganz unterschiedlichen Menschen doch der Rundfunk tun kann!

Und damit Schwenk auf die Hotelterrasse:

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CD 19-032211 Disc 2, T. 11+12 5’30 E. Krenek

Jonny spielt auf, 7. Szene

Heinz Kruse, Alessandra Marc, Michael Kraus, Leipziger Opernchor, Gewandhausorchester Leipzig, Lothar Zagrosek

Decca 436 632-2, LC 0171

Hier stürmen sie davon: Der berühmte Geiger, um seine Geige, der Komponist, um sein Mädchen wieder an sich zu bringen – zurück bleiben ein paar verdutzte

Hotelgäste und eine verwaiste Hotelterrasse...

So ein Berghotel wie in „Jonny spielt auf“ gibt auch die beziehungsreiche Szenerie einer noch jüngeren Oper ab: Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ , Henze, der von den damals tonangebenden Vordenkern der Neuen Musik, Stichwort „Darmstädter Ferienkurse“, gemieden wurde wie eine ansteckende Krankheit, kriegte den Auftrag vom Süddeutschen Rundfunk, und uraufgeführt worden ist „Elegie für junge Liebende“ dann 1961 im Schlosstheater

Schwetzingen,

auf ein Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman.

Die Szenerie ist ein Hotel in den österreichischen Alpen kurz vor Beginn des ersten Weltkriegs, und die zentrale Figur ist – ein hochbedeutender Dichter. Dieser große Dichter, Gregor Mittenhofer heißt er, entlarvt sich ziemlich schnell als bösartig egozentrisches Monstrum, der seine ihm völlig ergebene Entourage aus diversen durchgeknallten Männern und Frauen terrorisiert, der sie manipuliert und ihre Emotionen aussaugt, um die bei diesen Versuchsanordnungen entstehenden Gefühle in Dichtung ummünzen zu können.

„Du ahnst es nicht“, klagt er seiner Muse Elisabeth, „nichts von der Belastung, ein Künstler zu sein!

Oh, was es heißt, Niemals, niemals

Zu fühlen, zu denken, hören, sehen, Ohne zu fragen: „Wie

Kann ich’s brauchen für mich?

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Und abstrahieren In Jamben und Reim?

Und mit der Zeit Verzerrt sich das Bild Von Gut und Schlecht, von Falsch und Wahr.

Bleibt nur, was dient

Und nicht dient dem Gesang.“

Das bestätigt sich dann, als Mittenhofers Muse Elisabeth abtrünnig wird und sich in den jungen Toni verliebt. Die beiden gehen auf eine Wanderung, und Mittenhofer verabschiedet das junge Glück mit vorgetäuschter Anteilnahme. Dabei verschweigt er ihnen aber planvoll die Schneesturmwarnung, die kurz vorher ausgegeben worden ist. Die zwei kommen tatsächlich im Sturm am Berg um, und aus diesem Drama macht der Dichter dann wie üblich ein höchst inspiriertes Kunststück, das er wenig später bei einer feierlichen Veranstaltung, bei der ihm mal wieder irgend eine Ehrung überreicht wird, vortragen soll. Der Text, den er aus dem bewusst

herbeigeführten Tod zweier Menschen destilliert hat, heißt „Elegie für junge Liebende“, und Henze hat das dann musikalisch hochraffiniert eingefädelt:

Nachdem der Nationaldichter sich im Hinterzimmer noch mal vorm Spiegel selbst zugejubelt hat, tritt er ans Rednerpult, aber als er beginnt, seine Elegie

vorzutragen, hört man keine Worte mehr, sondern nur noch, wortlos singend, die Stimmen all seiner Opfer, all der Menschen aus seinem Umkreis, die der Dichter für sein Werk missbraucht hat.

DIGAS 4’45

AMS

M0036012 009, 4‘49

Eins. Zwei. Drei. Vier (III.Akt, 9.Szene) aus: Elegie für junge Liebende. Oper in drei Akten

Dietrich Fischer-Dieskau, Radio-Symphonieorchester Berlin, LTG Hans Werner Henze

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Dietrich Fischer-Dieskau war Henzes und W.H. Audens widerwärtiger Dichter Mittenhofer schon bei der Uraufführung in Schwetzingen, und man hört, dass „Fidi“

da die Rolle seines Lebens gefunden hatte...

Als Motto über allem hat Textdichter Auden übrigens einen Satz von William Butler Yeats gesetzt, der genau so ein vampirischer Ego-Dichter war, und der

geschrieben hat: „Der Geist des Menschen muss sich entscheiden für die Vollkommenheit des Lebens oder des Werkes.“

Referenzen

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