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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Sein Leben feiern

Wieviele Rituale brauchen wir?

Autor: Matthias Baxmann Redaktion: SWR2 Tandem Regie: Matthias Baxmann

Sendung: Donnerstag, 02.02.12 um 10.05 Uhr in SWR2

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Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.

Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück.

Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030.

Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren:

SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:

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(2)

2 MANUSKRIPT

Beatrix:

Alltagsrituale sind für mich total wichtig, weil das ein Gemeinschaftsgefühl schafft.

Also, dass man als Familie lebt, ja und dieses Essen und die ganzen Feste sind ja eigentlich nur eine Art Ritual, um zusammen zu kommen, um Gemeinschaft zu leben.

Beate:

Ich glaube, wenn man erkannt hat, dass etwas den Alltag mit Schönheit bereichert, und man mag das gerne immer wieder machen, dann wird es quasi ein Ritual.

Rene:

Selbst alltägliche Handlungen kriegen was Feierliches, in dem man sein eigenes Leben unbewusst feiert, was einem selber gar nicht als Feierlichkeit unbedingt jetzt aufgeht, sondern einfach auch eine Form zu haben, an der man merkt, ja, das ist mein Leben, was ich führe und ich führe mein Leben gerne so.

Cornelia:

Dass man sich an irgendwas orientieren kann. Dass man sagt, mittwochs oder dienstags da ist ein fester Punkt…

Ralph:

…um irgendwie eine Struktur, irgendwas zu strukturieren.

Peer:

Das Ritual: Soweit ich sie in meinem Tagesablauf finden kann, dann solche selbst geschaffenen Inseln sind, Zeitinseln, wo ich ein bisschen aussteigen kann und freiwillig mir so einen bestimmten Ablauf vorgebe und den dann geschehen lasse.

Thomas:

Also, ich muss mal sagen, dass ich mit dem Begriff Ritual in dieser großen

Ausdehnung, in der er gebraucht wird, meine Schwierigkeiten habe. Ich verstehe ihn sehr wohl, wenn man ihn jetzt als Ritus im Kult, in der Religion verwendet.

Matthias:

Ich baue die Rituale in meinen Alltag ein. Das heißt, es gibt eigentlich jeden Tag drei bis vier absolut gleiche Situationen, die ich auch immer wieder und vor allen Dingen mit großem Lustgewinn ausübe.

Thomas:

Die private Existenz mit all den Wiederholungen, all den Regelmäßigkeiten, passt für mich irgendwie nicht zu dem Begriff Ritual. Sie wird dadurch unverhältnismäßig aufgeladen wie mir scheint.

Erzähler:

Mir scheint, gerade darum geht es: Die eigene Existenz mit Bedeutung aufzuladen.

Sich Zeitinseln zu bauen, die sich abheben von alltäglicher Betriebsamkeit und Beliebigkeit. Ist der Ablauf meines Frühstücks ein Ritual, eine ritualisierte Handlung oder nur Gewohnheit?

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3 Warum ist mir der immer gleiche Akt der Zubereitung ebenso wichtig wie das Essen selbst? Auch die Kerze auf dem Frühstückstisch hat mit dem Trinken des Kaffees ja nichts zu tun. Mit einem Croissant im Gehen und dem „Café to go“ ginge das tägliche Frühstück erheblich schneller: Die zeitliche Optimierung von Handlungsabläufen, Zeit sparen. Doch wofür?

Katrin:

Es gibt ein Ritual, was mir ganz wichtig ist, dass ich morgens eine dreiviertel Stunde Yoga mache.

Erzähler:

Katrin, 40 Jahre, Psychotherapeutin.

Katrin:

Es gibt eine Matte, die ich da raushole, die muss auch schön sein und dann geht’s los. Dann wird nach dem Yoga gegessen, ein bestimmtes Essen, was ich mir dann zubereite. Also das Essen ist auch ein ritualisierter Akt, etwas Gesundes zu mir zu nehmen.

Beate:

Es gibt ja auch dieses Gebet zum Essen.

Erzähler:

Beate, 35 Jahre, Tänzerin.

Beate:

Diesen Beginn des Essens zu markieren durch einen Ritus bedeutet, dass man die geistigen Kräfte, das Bewusstsein, die Aufmerksamkeit dahin lenkt, und das erhöht die Handlung in seiner Bedeutung. Wenn der Körper eine Handlung vollführt, ist es von Vorteil, wenn der Geist in Zeit und Raum dabei ist. Und ich glaube, das ist es, was ein Ritual macht, das bringt diese beiden Extreme wirklich in Zeit und Raum zusammen.

Katrin:

Und ich sitze dann da und esse das und dabei habe ich immer Fernsehen an, halb neun und gucke „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und beteilige mich an dieser Serie.

Bricht im Grunde dieses Yogyhaft-Meditative total.

Rene:

Wenn ich morgens Kaffee mache, dann ist das die Zeremonie, jetzt bin ich derjenige, der für uns beide den Kaffee macht, ist mein Beitrag für dieses Miniereignis.

Erzähler:

Rene, 48 Jahr Philosoph.

Rene:

Das sind Abläufe, die relativ stereotyp sind. Ich will das auch, dass die stereotyp sind. Das sind so die Rituale im Zusammenleben mit einem Menschen.

(4)

4 Daniela:

Ich glaube, das Kaffeekochen, das Herstellen des Kaffees, ist das eigentliche Ritual.

Daniela:

Daniela, 41 Jahre, Masseurin.

Daniela:

Ich glaube, ich müsste den manchmal gar nicht unbedingt trinken. Espresso in die Kanne und die Milch und dann wird die geschäumt.

Matthias:

Dazu habe ich eine Handhebelmaschine. Muss der Kessel aufgeheizt werden, da muss genau die richtige Anzahl von Bohnen in eine Mühle rein getan werden.

Erzähler:

Matthias, 46 Jahre, Autor.

Matthias:

Und der wird dann richtig schön mit Zucker getrunken. Und dann geht’s weiter, sozusagen das Ritual ist beendet, es gibt mir quasi so eine Form von Sicherheit und dann kann der Tag fließen.

Thomas:

Genauso ist die Lektüre der Zeitung morgens, ja, ein Ritual.

Erzähler:

Thomas, 47 Jahre, Schriftsteller.

Thomas:

Das stellt für mich eine Art Anschluss an die Außenwelt dar. Wie auch immer ich das dann nur flüchtig lese und sofort vergesse, aber es ist eine Art von Ermunterung am Morgen und danach kann ich dann arbeiten. Inszenierungen verstehe ich wesentlich besser als Rituale. Ich muss jetzt einfach mal das Fremdwörterbuch holen. Wenn ich hier schaue, dann habe ich natürlich beim Begriff Ritual erstmal die ganzen religiösen Bedeutungen. Dann spielt die Verhaltensforschung eine Rolle, das heißt, dass

Verhalten bei Tieren ritualisiert wird: Droh- und Fluchtverhalten. Da kann man natürlich sehr wohl darüber nachdenken, wie viel tierisches Ritualverhalten in uns steckt, beim Balzen, komplizierte Mischungen vermutlich.

Peer:

Vielleicht könnte man sagen, dass bei quasi begehrten Frauen wird die Begrüßung schon immer ein Teil von einem Flirt sein, und der Flirt selber ist natürlich auch ritualisiert, also…

Erzähler:

Peer, 46 Jahre, Coach.

Peer:

…auch da würde ich bei mir sagen, beim Flirten, da habe ich eine relativ große Kiste von Ritualen, aber ich bediene mich auch gern daraus. Gibt so ein Spektrum an Möglichkeiten, die ich quasi in Vorhalt habe. Also, ich bin da auch, denke ich, kreativ.

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5 Nehmen wir mal den berühmten Blick in die Augen als erstes Signal der Verbindung, vielleicht noch mal abgesichert wird, noch mal bestätigt wird und dann so die ersten Vertiefungen - ach, nein, ist doch ein bisschen anders, Flirten und Rituale? So richtig warm werde ich noch nicht damit, mit dem Thema.

Christian Wulf:

Zunächst einmal muss man sich klarmachen, es ist keineswegs einfach, zu sagen, was ein Ritual ist, denn das hängt auch von den eigenen Perspektiven ab.

Erzähler:

Freie Universität Berlin. Christian Wulf ist Professor für Anthropologie und Erziehung.

Christian Wulf:

Rituale sind Inszenierungen von Gemeinschaft. Das Soziale ist nicht möglich ohne Rituale. Es gäbe keine Gemeinschaft ohne Rituale und rituelle Handlungen.

Erzähler:

Vor seinem Büro hat er mich mit Handschlag begrüßt. Dabei berührte er mit der linken Hand meinen Unterarm und wies mir damit den Eintritt in seinen Raum. Diese erste Geste schafft sofort Vertrauen. Ein Begrüßungsritual?

Christian Wulf:

In allen Ritualen spielen Gesten eine Rolle. Das heißt, wir begreifen Rituale als Inszenierungen und Aufführungen, die körperlich sind, wo es nicht nur um das Sprechen geht, so wichtig Sprechen ist. Aber es ist eben ganz wichtig, dass man etwas gemeinsam tut, dass man gemeinsam isst beispielsweise, dass man das Festessen gemeinsam herstellt. Das Wichtigste ist sicherlich das Weihnachtsritual, weil es das Familienritual in Deutschland ist, wo sich eine Familie konstituiert. Die Familie feiert sich Weihnachten selbst, sie inszeniert sich, sie macht eine Aufführung, es gibt den Austausch von Geschenken, es gibt die ganzen Erzählungen. Das sind die Narrationen der Familie. Es dient auch oft zur Festlegung, wer gehört zur Familie und wer nicht. Also, es gibt so eine Inszenierung und eine Aufführung in dem Ritual, die eben dadurch, dass es eine körperliche Seite hat, durchaus nachhaltiger wirkt als reine Sprache. Dann haben Rituale immer einenen Anfang und ein Ende, was sehr wichtig ist. Manchmal sind es gleitende Übergänge, manchmal schließt auch ein Ritual an ein anderes an, aber man kann schon bestimmen, wo der Anfang und das Ende ist. Das ist nämlich insofern wichtig als dadurch Konzentration erfolgt. Und der dritte Gesichtspunkt, der wichtig ist bei dieser Performativität von Ritualen ist der Ästhetische. Dass das ja auch Inszenierungen sind, die Freude machen sollen, die ansprechen sollen.

Erzähler:

Ich suche in meinem Tagesablauf, dem Wochen- und Jahresrhythmus nach

Inszenierungen, die nach dieser Erklärung rituellen Charakter tragen. Kann ich den Begriff für mich auch weiter fassen, kann ich Rituale für mich allein ausüben oder sind sie immer bezogen auf eine Gruppe von Menschen? Warum stelle ich diese Fragen überhaupt? Ich will wissen, was mein Dasein strukturiert, mich erinnern, wie ich Lebensübergänge begangen habe, in welcher Form ich die Gemeinschaft in Familie und mit Freunden rituell erlebe. Gibt es genug solcher Begebenheiten oder achte ich nur zu wenig auf sie?

(6)

6 Von anderen möchte ich erfahren, wie sie ihre Zeit jenseits des Alltäglichen gestalten oder die Alltäglichkeit selbst zu etwas Besonderem machen. Aufmerksam werden für kleine, immer wiederkehrende Ereignisse, die abweichen von der Routine des

Alltags: Ästhetisch gestaltete Handlungen, mit denen man täglich sein Leben rituell bereichert, mögen diese Erlebnisse auch noch so bescheiden sei.

Christian Wulf:

Es beginnt mit den religiösen Ritualen, die ganz eindeutig sind. Da geht es um Transzendenzerfahrung, wie inszeniert man sich: Hochzeiten Geburten,

Beerdigungsrituale. Da ist gar kein Streit, dass das Rituale sind. Die sind situiert an den Grenzen des Lebens, in Grenzsituationen, wo man von einer Situation in eine andere übergeht.

Beatrix:

Ich war schon Schulkind als ich getauft worden bin. Ich war total nervös.

Erzähler:

Beatrix, 36 Jahre, Lehrerin.

Beatrix:

Na ja, morgens dieses schöne weiße Kleid anziehen und dann sind wir in die Kirche und das war ziemlich aufregend. Wir sind ja dann selber mit der Kerze in der Hand oder die Taufpaten hatte die. Und dann saßen wir in der ersten Reihe und im Laufe dieses Gottesdienstes sind wir dann eben getauft worden, sind dann nach vorn gekommen und dann - ja, war schon aufregend, weil die einen alle angucken und Du bist total nervös. Für mich war auch wie in die Familie meiner Mutter mehr

rein zu kommen. Die waren ja alle getauft, und da war also immer ein Thema das wir das nicht sind, und das fand ich schön, weil das hatte so dieses Ritual, damit

vollwertig so in diese Familie mit rein zukommen.

Rene:

In der ganzen Inszenierung eines katholischen Gottesdienstes teilzunehmen, hat für mich schon auch eine starke ästhetische Komponente. Das ist so etwas Fernes, hat mit unserer demokratischen Gesellschaft ja gar nichts mehr zu tun, ist ja fast ein magischer Akt.

Beatrix:

Die Firmung, die war dann mit Vierzehn. Das war in so einer ganz großen Kirche.

Und das war auch ein Ritual, wo dann der Bischoff kommt, wo du dir einen Firmungsnamen aussuchst, den du haben möchtest. Da habe ich mir Elisabeth ausgesucht, weil ich immer Elisabeth heißen wollte.

Ralph:

Ich bin ja in der DDR aufgewachsen.

Erzähler:

Ralph, 47 Jahre, Musiker.

Ralph:

Die Jugendweihe ist quasi das sozialistische Pendant zur Konfirmation.

(7)

7 Diese Veranstaltung hatte was Ritualhaftes. Man musste auf die Bühne kommen, kriegte ein Buch und eine Blume überreicht. Man hatte das erste Mal in seinem Leben so was wie einen Anzug getragen, den man natürlich total lächerlich fand in dem Alter und man fand dieses Ritual auch durchaus ein bisschen peinlich, aber war auch gleichzeitig ein bisschen stolz irgendwie. Das war schon was!

Dani:

Wir haben einen besonderen Tag mit ihr verbracht und Großeltern, statt

Konfirmation, statt Jugendweihe im großen Rahmen, weil das unpersönlich ist wie das heute gemacht wird. Wir wollten ihr das schon sagen, dass jetzt so dieser Zeitpunkt ist, wo sich das so tauscht mit dem Kindsein und mit dem

Erwachsenwerden, aber wir wollten das schon ganz persönlich machen. Wir haben einen Stadtflüsterer eingeladen und haben mit dem eine Kids-Führung gemacht, also, in dem Kietz, in dem sie wirklich zu Hause ist, hat der uns die Geschichte erzählt von diesen Plätzen. Und in das Kino, in das sie immer geht, da haben wir mit ihr angestoßen, und das hat sie so eine ganz kleine Rede gehalten und dann war uns das ganz angenehm und ihr auch.

Christian Wulf:

Es ist ja eine Grundsatzfrage, haben die Rituale zugenommen oder haben sie sich verringert? Manche denken, dass die Rituale weniger geworden sind, weil sie nicht mehr so sichtbar sind und weil sie nicht mehr für eine große Gruppe von Menschen gelten wie etwa religiöse Rituale, die ja sehr viel an ihrer Formungskraft eingebüßt zu haben scheinen. Das ist die eine Perspektive. Die andere ist eine Soziologische, wo man darauf verweisen kann, die Gesellschaft ist immer ausdifferenzierter geworden.

Es gibt immer mehr unterschiedliche Milieus und Gruppen und diese Milieus brauchen wieder ihre Rituale, um sich zu konstituieren, um sich auch zu

unterscheiden. Das sind Rituale, die nicht mehr so sichtbar sind, sondern die etwas nivelliert sind, aber die doch da sind, einfach um Gruppenkohärenz zu erzeugen, um Gemeinschaft zu erzeugen. Die wichtigsten Rituale haben auch etwas zu tun mit der Zeitordnung. Das läuft über rituelle Handlungen, in denen die Zeitstruktur inkorporiert wird in das Leben der Menschen. Also, nehmen sie mal die Alltagsrituale: Der

Tagesrhythmus ist geordnet. Der ist durch Arbeit geordnet, der ist durch Essen geordnet, der ist durch eine Freizeit geordnet, die man sich einräumt, also, da gibt es oft rituelle Komponenten, die ja auch erforderlich sind, damit Struktur entsteht und dass nicht alles zerfließt.

Ralph:

Wenn man zu bestimmten Gelegenheiten den Tisch deckt oder Blumen rauf stellt und dann das gute Porzellan rausholt, eine weiße Tischdecke, um was Besonderes zu machen,

Beatrix:

Ich habe das so bei meinen Eltern in Erinnerung, da musste man immer am Tisch gemeinsam anfangen, gemeinsam aufhören.

Cornelia:

So ein Ritual entlastet. Da denke ich vor allem daran, wenn ich das für meine Kinder gemacht habe, ein bestimmtes Ritual, das strukturiert den Tag vielleicht, zum

Beispiel, Vorlesen abends.

(8)

8 Thomas:

Wenn die Kinder im Bett sind und man das Gefühl hat, jetzt kann man sich ganz doll entspannen, dann gibt es bei mir das Bedürfnis, etwas Rotwein und eine Süßigkeit zu mit zu nehmen. Das mache ich fast immer, fast jeden Tag.

Ralph:

Zum Beispiel, der Tatort am Sonntag.

Thomas:

Und wenn ich mal woanders bin, unterwegs bin, wo das eigentlich nicht so selbstverständlich ist, dann merke ich plötzlich, ach, da fehlt doch irgendwas.

Ralph:

Ende der Woche, man kommt so runter, da geht es auch gar nicht darum, was da eigentlich läuft, aber es ist halt so in dem Wochenablauf so drin. Es kommt halt Zwanziguhrfünfzehn, die Woche ist dann langsam vorbei, man wird so ruhiger und lässt sich in den Abend so reingleiten.

Daniela:

Vor dem Schlafengehen ein Fußbad. Das ist so, so zur Ruhe kommen, auf dem Sofa mit einem Buch oder einem Zettel, noch mal aufzuschreiben, was denn so am Tag war oder was für den nächsten Tag kommt.

Erzähler:

Mein Tagesrhythmus ist nicht strukturiert durch Familie oder äußere Zwänge wie festen Arbeitsbeginn, Mittagspause oder Feierabend. Die Zeit des Tages und der Woche scheint so dahin zu strömen. Natürlich gibt es Ruhepausen, doch sie sind flüchtig und oft beliebig. Ich sollte mir mehr Ereignisse in den Fluss des Alltags einbauen, Rituale als kleine Zeitinseln der Vorfreude, die das Vor- und Nachher ordnen. Die mir gleichsam auch zur Orientierung in der Vergangenheit dienen, an denen ich Erinnerung festmachen kann.

Ralph:

Ist natürlich klar, jeder macht irgendwie Pausen und das muss nicht gleich ein Ritual sein, aber es hat schon was Ritualisierendes, wenn man so einen gewissen

Rhythmus damit schafft sich.

Peer:

Da fällt mir auch ein, dass Rituale und Routine ja so eine Ähnlichkeit haben,

zumindest vom Klang her, dass sie aber in Wirklichkeit sehr verschieden sind. Also, Routine ist so etwas Aufgezwungenes, Wiederholtes und Rituale so was

Selbstgeschaffenes, Wiederholtes.

Rene:

Der Unterschied von Ritual und Gewohnheit ist nach meinem Empfinden die Feier, der feierliche Inhalt. Rituale, wenn sie zur Gewohnheit werden, dann hören sie auch auf, eine Feier zu sein, dann beschwören sie eher eine Feier, die gar nicht da ist, sondern das Ritual ist immer auch emotionsbegleitet. Du bist dein eigener

Zeremonienmeister.

(9)

9 Cornelia:

Nicht als Dogma, dass es immer sein muss, aber so als eine Art Haltepunkt, zum Beispiel. Darüber muss nicht mehr nachgedacht werden, das ist einfach eine Begleitung. Ja, es ist auch was Schönes. Manchmal nervt es vielleicht auch wenn man das dann einhalten muss.

Peer:

Also, ich bin ja sehr bedürftig nach Abwechslung, zum Beispiel und da sind ja Rituale quasi das Gegenteil.

Katrin:

Der negative Aspekt von so einem hoch ritualisierten, hoch strukturierten Leben, was ich führe, ist im Grunde, dass es wenig lebendigen Freiraum zulässt. Die Struktur, die verhindert ja Überraschung zu haben, die verhindert ja, morgens mal einen neuen Weg zu gehen. Also, es nimmt eine gewisse freiheitliche Lebendigkeit weg.

Erzähler:

Vielleicht auch die Lebendigkeit in einer Partnerschaft? Oder gar die Unfähigkeit sich dafür zu öffnen, weil man die Sicherheit, die ein durchstrukturiertes Leben bietet, nicht aufgeben will?

Wenn Gemeinschaft sich durch Rituale konstituiert, stellt sich die Frage, wie sich das rituelle Miteinander in der wohl intensivsten Gemeinschaft gestaltet, in der

Partnerschaft. Welche Rituale laufen ganz unbewusst ab, welche zelebriert man und mit welchen zementiert man die partnerschaftlichen Konflikte?

Anke Birnbaum:

Mit Ritualen schreiben Paare Beziehungsgeschichte.

Erzähler:

Anke Birnbaum, Paarberaterin, Spezialgebiet: Partnerschaftsrituale

Anke Birnbaum:

Das sind nicht nur die großen Rituale, sondern auch, wenn man sie fragt, wie lief der Alltag früher ab? Ganz häufig werden dann Rituale genannt. Also, gerade hier in der Paarberatung, wenn ich mit den Paaren schaue, was hat sich verändert? Machen sie es ganz häufig an ritualisierten Handlungen fest.

Erzähler:

Zur Begrüßung bot mir Anke Birnbaum eine Art Pralinenpackung mit

verschiedenfarbigen Kaffeepads zur Auswahl an. Kaffee und Small-Talk - durch den belanglosen Wortwechsel versichern wir uns der gegenseitigen Gewogenheit. Ein typisches Begegnungs- oder auch Begrüßungsritual.

Anke Birnbaum:

Grade die so auch im Verborgenen stattfinden, diese alltäglichen Rituale, die fast unscheinbar stattfinden, die sind ganz wichtig für den Zusammenhalt. Die sind sinnstiftend insofern - wir sind was Besonderes, wir heben uns mit diesen kleinen versteckten Ritualen immer als etwas Besonderes hervor.

(10)

10 Das, was wir haben, diese Wir-Orientierung. Ich glaube, dass vielen Paaren

eigentlich erst bewusst wird wie nahe diese kleinen ritualisierten Handlungen sie zusammenschweißen, wenn sie ausfallen. Und da merkt man wirklich wie wichtig sie für ihren Zusammenhalt sind, in kleinen Schritten auch das Fundament ihrer

Partnerschaft halten oder auch stärken.

Beate:

Wir haben früh unser kleines Frühstücks-, Teetrink-, Kaffeeritual und auch abends manchmal ein Weinchen. Und das sind auch Zeiten, wo wir dann einfach sitzen, entweder miteinander schweigen und absacken oder so Sachen Revue passieren lassen, die jeder erlebt hat. Ein bisschen ist es so, wir müssten das sogar noch mehr machen.

Rene:

Das sind so Dinge die, wenn sie nicht wären, dann würde ich diese Bezogenheit nicht gespiegelt finden zu dem Menschen oder mit meiner Partnerin. Dinge, über die man sich sozusagen spürt, sich selbst dokumentiert, auf welche Art man mit

jemandem zusammen ist. Mit der Partnerin davor hatte ich andere Rituale als mit meiner jetzigen Partnerin. Also das Ritual ist wie ein unsichtbares Band an dem man so zusammen webt.

Beate:

Wir müssten uns eigentlich Zeiten schaffen, zum Beispiel, einen Tag die Woche, wo wir sagen, das ist unser Tag. An dem dominiert nicht das Nachdenken über unsere Arbeit, sondern das sollten wir unserer Beziehung zu Gute kommen lassen, diesen Tag.

Anke Birnbaum:

Es gibt natürlich auch Rituale in der Sexualität, wie gehen wir aufeinander zu, wie stellen wir körperliche Nähe her? Ziehen wir uns alleine aus, ziehst du mich aus wie ziehen wir uns aus? Also, es geht ja um diese Herstellung von Nähe oder wie weichen wir uns auch aus? Ich habe Frauen, die mir erzählt haben, die tun so als würden sie schlafen, wenn der Partner ins Bett kommt. Oder: Der Partner bleibt grundsätzlich länger auf obwohl er schon den ganzen Abend müde ist, aber er will immer erst nach der Partnerin ins Bett gehen, damit dieses Thema, wenn sie beide nebeneinander liegen, gar nicht aufkommt. Und das kann ganz stark ritualisiert sein und in ganz viele versteckte Abläufe eingebunden sein.

Matthias:

Das ist ein sehr schönes Ritual, was aber mittlerweile nach so zehn Jahren Ehe nicht mehr diese anfängliche, leidenschaftliche Ungebundenheit hat, sondern das ist dann tatsächlich so richtig schöner Ehesex, der hat ritualisierte Momente. Das Licht geht aus, man kuschelt sich aneinander und dann passiert das.

Anke Birnbaum:

Ich habe viele Paare kennen gelernt, gerade auch junge Paare, die hier bei mir in der Praxis sind, dass die wirklich ritualisiert Sex haben. Das heißt, immer dienstags oder freitags. Ganz häufig ist es dann auch so, dass die dann auch Sex planen, oder immer sonntags früh. Ich wirklich auch Paare, die sagen, wenn die Kinder ein bisschen länger schlafen, dann bleiben wir noch im Bett und bringen Kaffee und dann kommt Eins zum Anderen, wenn die Kinder nicht dazwischen kommen.

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11 Peer:

Also, in der Sexualität bin ich weniger ritualorientiert.

Anke Birnbaum:

Viele Paare berichten mir dann auch, wir hätten gar keinen Sex mehr, würden wir es nicht so machen.

Peer:

Was da sich einschleicht sind natürlich Routinen. Auf der einen Seite vermitteln sie Sicherheit und Vertrautheit, aber auf der anderen Seite engen sie natürlich

unheimlich ein.

Katrin:

Ich habe lange Zeit eine Affäre gehabt und wahrscheinlich um diesen Status Affäre immer wieder sich selber zu vergegenwärtigen, war das die am meisten ritualisierte Begegnung meines Lebens. Die lief also immer nach dem gleichen Schema ab.

Donnerstags haben wir uns immer bei ihm getroffen und sonntags bei mir. Dann gab es ein Glas Wein, dann Sex gemacht, dann nach Hause gefahren.

Christian Wulf:

In der Regel ist Glück ein soziales Erlebnis und da spielen eben Rituale eine große Rolle. Von daher muss man sehr deutlich sagen, wir werden uns selbst nur

begreifen, wenn wir den Anderen haben, der uns spiegelt. Und in Ritualen erleben wir oft diese Spiegelung, die uns mit Seiten konfrontiert, die wir bei uns erst mal gar nicht gekannt haben.

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