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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Ja oder Nein

Die Tyrannei der Entscheidung

Doris Weber spricht mit Lukas Niederberger

Redaktion: Rudolf Linßen

Sendung: Mittwoch, 21.03.12 um 10.05 Uhr in SWR2

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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.

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(2)

2 TRANSKRIPT

Doris Weber:

Herr Niederberger, in unserer multioptionalen Gesellschaft, wird es da immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen?

Lukas Niederberger:

Ich würde sagen, schon, weil wie Sie sagen Multioption, das heißt wir haben heute nicht nur einfach eine Möglichkeit. Sagen wir früher der Bauernsohn wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch wieder Bauer, weil der Hof irgendwo vererbt worden ist. Und viele Berufe, denke ich, sind früher einfach nicht so zur Verfügung

gestanden, Ausbildungswege. Oder auch, wenn Sie heute in den Supermarkt gehen, da ist nicht nur irgendwo eine Milch da oder eine Sorte Joghurt, sondern irgendwo 20, 30, 40.

Das macht sicher eine Entscheidung schwieriger, weil die Auswahl größer ist. Aber gleichzeitig würde ich sagen, wir dürfen da auch nicht romantisieren und dann sagen:

Früher war alles besser, da war diese Auswahl nicht, das ist doch so schrecklich.

Ich glaube, wenn wir wählen würden, würde wahrscheinlich trotzdem niemand zurück wollen zu den guten alten Zeiten, wo Vieles einfach gesellschaftlich vorgegeben war und wo die Auswahl nicht so groß war.

Doris Weber:

Das heißt, wir können uns freuen, dass wir eine große Auswahl haben. Wir müssten nur lernen damit umzugehen.

Lukas Niederberger:

Genau. Ich würde auch sagen, wir müssen oder dürfen uns freuen, dass es diese Auswahl gibt, sind gleichzeitig gezwungen, ich würde mal sagen, die

Auswahlkriterien zu kennen, also warum ist Option A besser als Option B oder C?

Also, wenn ich jetzt ganz konkret, will ich eine Wohnung mieten in der Stadt oder will ich eine bisschen größere Wohnung außerhalb der Stadt, oder will ich ein kleines Häuschen auf dem Land mieten? Dann muss ich wissen, ja, warum ist jetzt das eine besser als das andere oder wieso ist das eine ein bisschen weniger gut als das andere?

Und darüber können wir uns vielleicht unterhalten. Was sind eigentlich Kriterien für eine gute Wahl?

Ich würde halt ganz grundsätzlich ans Thema herangehen. Ich würde sagen,

zunächst stellt sich mal die Frage an jede und an jeden: Was ist mir ganz wichtig im Leben? Was ist eigentlich mein Ziel im Leben? Was sind meine wichtigsten Werte im Leben?

Doris Weber:

Gerade weil die Optionen so vielfältig sind, kommt man dann nicht in die Gefahr, wenn es zu viel wird, auch eine Überflutung, dass man sagt: man denkt nur noch in schwarz-weiß. Fundamentalismus ist ein Stichwort oder: Das ist gut, das ist böse.

Dass man die Welt eigentlich gerne aufteilen möchte in klaren Farben und die sind dann schwarz und weiß.

(3)

3 Lukas Niederberger:

Ich finde, da sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Das ist die Frage: Wie gehen wir mit Vielfalt, wie gehen wir mit Komplexität um? Und da ist die Gefahr natürlich groß, dass wir vereinfachen.

Irgendwo müssen wir vereinfachen, also die Welt ist komplex, alle Fragen sind

komplex, ob jetzt die Finanzkrise oder die Migration oder was immer, es ist alles sehr komplex, hat ganz viele Dimensionen. Man muss immer differenzieren. Und die Gefahr, dass wir da vereinfachen oder wie Sie sagen fundamentalistisch jetzt religiös oder auch im fundamentalistisch rechtlichen Sinn oder politischen Sinn, dass wir da vereinfachen, diese Gefahr ist da. Das ist aber die Wahl von jeder Person, zu sagen:

Ja, ich brauche halt Vereinfachung, ich pauschalisiere halt, ich verallgemeinere halt, ich mache jetzt dann schwarz-weiß oder wie George Bush es gesagt hat: „Die Achse des Bösen, also es gibt die lieben, die guten Länder und es gibt die bösen Länder.“

Die Gefahr gibt’s natürlich.

Wir müssen uns ja auch in dieser Vielfalt ein bisschen schützen. Wir können nicht alles absolut ungefiltert in uns hineinlassen. Ein gewisser Schutz gegen das Viele, das braucht wahrscheinlich jede Person. Nur würde ich auch eben warnen, vor dieser, ja, Pauschalisierung und Vereinfachung, weil das Leben und die Welt und wir selber, wir sind komplex. Und ich finde es gehört zu einem mündigen Menschsein auch, dass wir einfach mal „ja“ sagen und das akzeptieren, dass halt alles und alle komplex sind.

Doris Weber:

Und auch „ja“ sagen zu dem Satz: Ich denke selbst. Ich will mir selbst ein Urteil fällen. Ich lasse mir nicht vordenken, vorentscheiden. Ich nehme mir die Freiheit oder auch die Lust, selber zu denken.

Lukas Niederberger:

Ja, sicher. Ich stelle nur fest, so in Seminaren, die ich gebe zum Thema

Entscheidungsfindung, wenn Leute zurückblicken auf ihre ganze Biografie, dann stellen sie fest, dass vieles im Leben hat sich einfach so ergeben irgendwie, war gar nicht eine bewusste Entscheidung, oder sie haben auch andere entscheiden lassen.

Weil manchmal ist das auch bequem, wenn ich eine Entscheidung abdelegieren kann, wenn ich sagen kann: „Ach, entscheide du mal“. Unter Umständen kann ich dann auch, wenn’s dann nicht so gut rauskommt, kann ich dann das arme Opfer spielen: „Also ich habe ja nicht entschieden. Ich übernehme nicht die volle

Verantwortung, wenn es danebengeht, ist irgendwo der andere Schuld und ich bin das arme Opfer.“

Also es ist nicht so klar, dass wir alle mündig, selbstverantwortlich sind und sagen:

„Ah, ich möchte doch sehr autonom und selbstbestimmt und so sein.“ Es gibt ganz viele Situationen, wo es viel bequemer ist, wenn man’s abgeben kann.

Doris Weber:

Stellen Sie bei den Menschen zunehmend eine Entscheidungsschwäche fest?

(4)

4 Lukas Niederberger:

Würde ich nicht sagen, weil wir immer öfters entscheiden müssen und auch immer schneller entscheiden müssen. Es ist nicht nur quantitativ, dass mehr

Entscheidungen oder mehr Optionen da sind wie früher. Wir sind heute auch

gezwungen, über Fragen quasi abzustimmen oder zu entscheiden, die zum Beispiel unsere Großeltern nicht hatten. Also die ganze Diskussion zum Beispiel jetzt

Atomausstieg oder nicht. Darüber musste sich meine Großmutter nie Gedanken machen, weil’s damals noch keine Atomkraftwerke gab. Oder soll ich zur Entstehung eines Kindes, soll ich da alle möglichen technischen Maßnahmen in Kauf nehmen?

Oder am Lebensende, soll ich aktive Sterbehilfe oder passive oder palliativ care oder was immer machen?

Das sind ganz viele, auch so ethische, bio-, medizinisch-ethische, wirtschafts- ethische Fragen, die sich heute stellen, die früher nicht so gestellt werden mussten.

Darum würde ich nicht sagen die Menschen sind heute entscheidungsschwächer geworden. Ich würde sagen, die Entscheidungen sind mehr geworden, man muss sie schneller treffen. Sie haben größere Konsequenzen auch zum Teil als früher.

Und ich würde eher sagen, der Mensch ist heute mehr gezwungen als früher, sich seiner Ziele und Werte bewusst zu werden, weil früher eben, bei Großmutter, Großvater oder noch älter, war einfach ganz vieles durch die Gesellschaft vorgegeben.

Doris Weber:

Zum Beispiel, Sie haben eben auch den Geburtsbereich oder Sterbehilfe angesprochen, wenn jetzt ein Elternpaar schwanger ist und der Arzt sagt: „Ich empfehle Ihnen aber pränatal folgende Diagnostiken“ und so weiter. Die Eltern sagen: „Nein. Wir nehmen dieses Kind, unser Wert ist einfach das Geschenk so anzunehmen, wie es ist. Und wir wollen nicht abtreiben.“ Es kommt zu einem schmerzhaften Entscheidungsprozess. Am Ende entscheidet man sich für ein Kind.

Das Kind ist möglicherweise behindert.Dann steht aber dieses Elternpaar ziemlich einsam da mit seiner Entscheidung, weil die Umgebung wird sagen: „Die Experten haben dir doch geraten, gehe auf Nummer Sicher oder schließ dieses Risiko aus.“

Also wir müssen doch rechnen, auch gerade weil ja Optionen so kompliziert sind und das Wissen auch so enorm vielfältig ist, dass wir am Ende gegen den Strom

schwimmen, wenn wir sagen: „Ich mache es aber so.“

Lukas Niederberger:

Das ist absolut richtig. Ich würde aber sagen, gegen den Strom schwimmen ist, ja, ein Kriterium, ein anderes ist dann wirklich die Ziele und Werte jetzt dieser Eltern, die sagen: „Ja, uns ist wichtig, dass wir ein Kind haben, ob das jetzt diesen Makel oder den anderen Makel hat, ob das jetzt behindert ist oder hochbegabt ist. Das eine muss nicht unbedingt angenehmer sein als das andere. Ja, mit diesem Risiko leben wir.“

Und darum ist es umso wichtiger seine Ziele und Werte zu kennen.

Aber jetzt mit dem Strom zu schwimmen, mit den Leuten, ist jetzt für mich auch nicht das Höchste der Gefühle.

(5)

5 Doris Weber:

Was gibt uns diese Stärke, uns so zu entscheiden, wie wir es nach unseren inneren Werten auch tun möchten?

Lukas Niederberger:

Das können verschiedene Faktoren sein. Also ich habe jetzt von mir her einen religiösen Hintergrund. Ich denke religiöse Wurzeln können es sein. Es kann die Erziehung sein, es können die Dinge sein, die ich im Verlauf des Lebens, in der Ausbildung, gelesen, studiert habe, integriert habe an Werten.

Also das sind wir dann auf der Werteebene, da kann sich jeder selber fragen: So, wie ist mein Wertekanon im Verlauf des Lebens entstanden? Ich denke, ja, Eltern,

Freundeskreis, Literatur, Religion, Philosophie, ganz vieles wird da mitbestimmt haben.

Doris Weber:

Kann mir mein Glaube helfen, auch für mein Leben sicherer zu werden, in meinen Entscheidungen?

Lukas Niederberger:

Ja, ganz sicher. Zum Beispiel seit rund 500 Jahren machen Leute weltweit

Exerzitien, nach dem, ja, eigentlich pädagogischen Aufbau von Ignatius von Loyol aus dem 16. Jahrhundert. Und das ist ein innerer, spiritueller Prozess, der im

Normalfall 30 Tage geht, die Wenigsten haben so lange Zeit, die machen dann eben 6, 7, 8 Tage. Und da ist der ganz wesentliche zentrale Punkt ist die

Entscheidungsfindung. Also wie komme ich zu einer Entscheidung? Und die Frage dort ist: Was will Gott, was will Christus von mir? Wie finde ich das raus, also was ist jetzt da der Wille Gottes für mein Leben? Was ist der Plan hinter meinem Leben?

Was ist meine Berufung? Was ist meine Bestimmung?

Das kann ich schon ein bisschen herausfinden, indem ich halt dieses Leben, von diesem Jesus von Nazareth meditiere, dass ich halt sein ganzes Leben, mit der ganzen Geschichte meditiere und eben auch sehe, wie er so radikal geliebt hat, dass er sogar sein Leben losgelassen hat, um seine Liebe nicht zu verraten und seinen Werten treu zu bleiben.

Andere, die nehmen vielleicht den Gandhi oder den Alfred Delp oder ich weiß nicht wen, irgendwo ein großes Vorbild und fragen sich vielleicht da: „Wenn ich jetzt diese Person anschaue, diesen Gandhi oder diesen Martin Luther King oder diesen Nelson Mandela, wie würde ich jetzt entscheiden, in dieser Situation, wenn ich an mein großes Vorbild denke?“

Doris Weber:

Das ist schon auch ein sehr starker innerer Prozess, den ich durchlaufen muss. Ich muss mich allen meinen inneren Positionen, ich muss mich einem inneren Diskurs auch aussetzen. Und darf mir eigentlich nichts entgehen lassen oder darf nicht Fünfe gerade sein lassen.

(6)

6 Lukas Niederberger:

Das ist so. So der Ignatius von Loyol, also der Gründer der Jesuiten, der auch diese Exerzitien geschaffen hat, ist schon radikal. Also die Wahl und der ganze innere Prozess beginnt damit, dass ich mich indifferent mache, nicht im Sinn von gleichgültig, sondern indifferent im Sinn von alles ist gleichwertig.

Das heißt, Ignatius sagt: „Du darfst nicht in eine Entscheidung rein und von vorne herein einfach sagen, zum Beispiel Gesundheit ist besser als Krankheit, oder ein langes Leben ist Apriori besser als ein kürzeres Leben, oder Reichtum ist prinzipiell schon mal besser als Armut, oder Ehre ist prinzipiell schon mal viel besser als Schande oder als üble Nachrede oder als Versagen oder so etwas.“

Und das finde ich schon interessant, dass als erste Vorbedingung einer guten Entscheidung, dass ich ringe, um eine möglichst große innere Freiheit.

Doris Weber:

Sie sprechen ja dann von einer möglichst ganzheitlichen Entscheidung. Was heißt ganzheitliche Entscheidung?

Lukas Niederberger:

Ganzheitlich heißt so Kopf, Herz, Bauch, dass da wirklich alles „ja“ sagen kann.

Ich bringe wieder das Beispiel: kleine Wohnung in der Stadt, größere Wohnung am Stadtrand, oder kleines Häuschen auf dem Land mieten. Dann kann ich mir eine Liste machen was mir alles wichtig ist, meine Ziele, meine Werte. Und dann kann ich denen Punkte geben. Und dann, in diesem Moment, stelle dir vor, du hast dich entschieden für die größere Wohnung am Stadtrand und jetzt geh mal quasi, man kann jetzt sagen schwanger in Anführungszeichen, tu so als hättest du dich

entschieden für diese Option und lebe mal so drei, vier, fünf Tage. Schau mal was das mit dir macht, die Tagträume, die Nachtträume.

Wenn ich dann in diesen drei, vier Tagen zum Beispiel zu einer ganz großen inneren Ruhe komme, Freude verspüre, Energie verspüre, Lebendigkeit verspüre, dann darf ich eigentlich davon ausgehen, dass das eine gute Wahl ist.

Wenn ich aber drauf komme: jawohl, die große Wohnung am Stadtrand wär’s, aber dann habe ich irgendwo drei, vier Tage lang null Lust, keine Freude, irgendwo ein Knoten im Bauch und schlaflose Nächte. Dann muss ich mir irgendwo sagen: das kann’s nicht sein.

Dieses Sprichwort „Schlaf mal drüber“ ist gar nicht so schlecht. Und ich würde nicht nur sagen: „Schlaf mal drüber, sondern schlaf drei-, vier-, fünfmal drüber. Und achte auf alles, auf Gedanken, auf Gefühle, auf Impulse von innen und von außen, bevor du dann endgültig entscheidest.“

Doris Weber:

Das heißt, wir brauchen Zeit für eine richtige, gute Entscheidung, für eine ganzheitliche Entscheidung brauchen wir Zeit, die müssen wir uns nehmen.

Lukas Niederberger:

Die müssen wir uns nehmen. Ich rede jetzt wirklich von den größeren

Entscheidungen, wo wir Zeit haben oder haben könnten, da plädiere ich dafür, dass wir uns die Zeit nehmen. Und für die Entscheidungen, die wir ganz schnell treffen

(7)

7 müssen, da würde ich sagen, das ist genau das Resultat von den

Entscheidungsseminaren, dass wir eben in ruhigen Zeiten uns die Frage stellen: Was ist mein Lebensziel? Was sind meine zwei, drei, vier höchsten, wichtigsten Werte?

Und ich kann mir, so wie ich vielleicht verschiedene Kreditkarten oder irgendwelche Karten in meinem Geldbeutel habe, kann ich mir ja auch eine Karte im Geldbeutel haben oder in meinem Hinterkopf haben, mit meinem wichtigsten Ziel und Werten, dass wenn ich mal in eine Entscheidung komme, im Beruf oder im Privatleben, wo ich sehr schnell wichtige Entscheidungen treffen muss, dass ich dann nicht bei Adam und Eva beginnen muss und das ist dann nicht die Zeit, wo ich mir überlegen kann:

Ja, was ist eigentlich mein Lebensziel? Sondern ich würde sagen, in ruhigen Zeiten sich mal Lebensziel und Werte überlegen, so dass ich mitten in einem schnellen Entscheidungsprozess das jederzeit zur Hand habe.

Doris Weber:

Und dann haben Sie noch ein anderes Wort angesprochen: Selbstdisziplin.

Lukas Niederberger:

Ja, Selbstdisziplin, es tönt natürlich immer so ein bisschen streng, alles was mit Disziplin so zu tun hat.

Ich würde vielleicht einfach von bewusst leben sprechen. Es gibt die Zeit des Entscheidens, und es gibt die Zeit des Unterscheidens, so die Klärungsphase, die Abwägensphase. Und es gibt die dritte Phase, das ist die Zeit der Entschiedenheit.

Das heißt, ich kann nicht permanent in Entscheidungssituationen sein, irgendwann muss ich entscheiden. Und dann gibt’s ja Leute, die fünf Minuten nach der

Entscheidung grübeln sie schon wieder: War das jetzt richtig oder muss ich noch mal von vorne anfangen?

Es braucht wirklich auch Zeiten, wo ich entschieden lebe, wo ich jetzt eine

Entscheidung nicht alle fünf Minuten wieder hinterfrage, sondern mir vielleicht bei der Entscheidung sage: So, und jetzt lebe ich mal das und ich schaue in zwei oder in drei oder in sechs oder in zwölf Monaten, schaue ich das wieder qualifiziert an und frage mich: War das jetzt wirklich richtig oder muss ich an der Entscheidung was

korrigieren? Aber sicher nicht schon wieder fünf Minuten nach der Entscheidung.

Doris Weber:

Einen Satz haben Sie geschrieben: „Unser wichtigster Lebensmotor ist leider oftmals nicht die Hoffnung, das Vertrauen und die Zuversicht, sondern die Angst und die übersteigerten Erwartungen von innen und außen“.

Lukas Niederberger:

Ja, ich denke schon, dass wir sehr stark von Ängsten bestimmt sind. Aber es kann auch - ich nenne das so: divia negativa - oder auf Deutsch kann man sagen, ein Umweg sein. Ganz viele Menschen wissen nicht zum Beispiel was sie wollen im Leben und sollen, aber sie wissen ganz genau was sie nicht wollen.

Und so ist es auch bei Entscheidungen. Wir wissen sehr oft was wir nicht wollen, aber nicht so ungefähr, was wir wollen. Oder wir wissen, was mich hindert an Entscheidungen, das ist schon ein ganz wichtiger Punkt.

(8)

8 Wenn ich mich selber zum Beispiel als entscheidungsschwach empfinde oder

definiere, dann ist ja wichtig rauszufinden: Und warum bin ich

entscheidungsschwach? Also was sind die Hämmer oder die Treiber in meinem Leben, die das Entscheiden so schwer machen? Und das können schon Ängste sein. Zum Beispiel ein großer Entscheidungshämmer ist: Was denken die Leute?

Was sagen die Leute? Oder: Geht denn das? Kann ich das? Schaffe ich das? Oder:

Überlebe ich? So Existenzängste. Oder es gibt zum Beispiel die Perfektionisten, die sagen: Ja, also wenn schon, dann muss es 150%ig sein.

Es gibt ganz unterschiedliche so Stimmen in uns, die an uns ziehen und zerren und stoßen und drücken, die Entscheidungen schwierig machen. Und dann würde ich auch sagen, neben der Bewusstwerdung und neben der Würdigung von den Ängsten und Hämmern, glaube ich, dass es immer so einen Gegenpol gibt.

Wir haben so Paare in uns, von Stimmen. Sagen wir mal zum Perfektionismus in mir, der sagt: Also wenn du was machst, dann 150%ig; glaube ich, dass es irgendwo in unserem Innern drin, in diesem Orchester von vielen Stimmen, dass es auch die Stimme des Muts gibt oder eine Stimme, die sagt: Es ist okay, so wie du bist. Oder:

Ich gebe mein Bestes und das ist genug. Solche Stimmen. Also wenn ich die negative Stimme in mir kenne, dann kann ich auch auf die Suche gehen nach dem komplementären Teil, nach dem Gegensatzpaar, nach dem positiven Pol.

Doris Weber:

Unsere Gesellschaft lässt Fehler und Versagen kaum zu. Auch das ist ja eine ganz große Angst. Und wenn ich dann einen Fehler gemacht habe, wenn ich mich falsch entschieden habe. Wir müssen uns entscheiden, wir müssen vorwärts leben. Und wenn wir dann später irgendwann das Leben rückwärts betrachten und sagen: „An der Stelle habe ich mich falsch entschieden. Hätte ich doch …“ wenn sowieso nichts mehr zu machen ist. Darf ich mir dann sagen: „Okay, du bist kein Hellseher. Und dann war es eben in dem Moment die falsche Entscheidung“?

Lukas Niederberger:

Ja, wir leben jetzt nicht gerade so in einer Versagenskultur, oder es ist fast schändlich zu versagen, Misserfolg zu haben.

Ich rede nur noch von vermeidlich falschen Entscheidungen. Falsche

Entscheidungen, glaube ich, gibt’s relativ wenige. Um ein Beispiel zu machen: Wenn 40 bis 50 Prozent der Ehen getrennt, geschieden werden, heißt das nicht, dass sich 5 oder 10 oder 20 Jahre zuvor 40 bis 50 Prozent der Ehepaare falsch entschieden haben. Sondern vom Zeitpunkt der Hochzeit bis zur Scheidung sind ganz viele neue Faktoren und Lebenssituationen und so hinzugekommen, dass man die

Entscheidung selbst, die man vor 10 oder 20 Jahren getroffen hat, die darf man nur im Licht der damaligen Zeit, im Licht des damaligen Erkenntnisstandes, im Licht des damaligen Erfahrungsschatzes beurteilen.Ich darf nicht mit meiner jetzigen

Lebenserfahrung von 20 Jahre später meine Kindheits- oder Jugend- oder junge Erwachsenenentscheidungen beurteilen.

Wir müssen da, denke ich, sehr gnädig sein mit unseren Entscheidungen, die wir irgendwann mal getroffen haben. Dass wir’s wirklich nur aus dem damaligen Wissen und aus der damaligen Erfahrung heraus beurteilen.

(9)

9 Doris Weber:

Sie schreiben an einem Punkt: „Wir trauen der eigenen inneren Stimme wenig bis gar nicht.“ Das ist traurig. Dann kommt man gar nicht zu solchen Entscheidungen, die mir dann sagen: Was ist jetzt für mich gut?

Lukas Niederberger:

Es ist tatsächlich so, oftmals haben wir von Menschen das Gefühl, dass sie fast ein zu großes Selbstwertgefühl haben. Aber wenn man dann in der Begleitung von Menschen, von einzelnen, tätig ist, merkt man, dass die Menschen sich selber weniger zutrauen als eigentlich in ihrem Potenzial drin steckt. Da bin ich ziemlich überzeugt, dass wir eher zu klein als zu groß und zu hoch von uns selber denken.

Und da können dann auch manchmal Übungen helfen. Zum Beispiel, dass man drei, vier Dinge aufschreibt, die man in 10 Jahren gerne tun würde. Und vielleicht gewisse Dinge, die man sich sehr wohl zutraut, andere vielleicht weniger. Und dass man mal von guten Freunden oder auch von Leuten, die man gar nicht kennt, ein Echo

einholt: Was meinst du dazu? Was traust du mir zu? Was traust du mir nicht zu?

Und in diesem Spiel wird meistens klar, dass einem andere Leute, auch wenn sie einen überhaupt nicht kennen, sehr viel mehr zumuten als wir uns selber zumuten.

Doris Weber:

Entscheiden heißt immer auch: Ich nehme teil an meinem eigenen Leben. Das ist doch eigentlich ein schönes Gefühl. Und auch bei falschen Entscheidungen bin ich beteiligt, nur bei Nicht-Entscheidungen, ja, ist gar nichts.

Lukas Niederberger:

Ich finde als Stichwort Freiheit und Verantwortung, da unterscheiden wir uns letztlich auch irgendwo von der Blume oder von dem Hund oder ich weiß nicht von anderen Lebewesen, die nicht so diese Freiheit und darum auch nicht diese Verantwortung haben.

Und eben im Unterschied zu Sartre würde ich halt sagen: Wir sind nicht zur Freiheit und zur Entscheidung verdammt, sondern das ist ein riesiges Geschenk und das sollen wir auch wahrnehmen.

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