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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Wenn alles möglich ist

Über die Selbstzweifel junger Erwachsener Almut Engelien im Gespräch mit Nina Pauer

Redaktion: Petra Mallwitz

Sendung: Freitag, 27.04.12 um 10.05 Uhr in SWR2

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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.

Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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(2)

2 Almut Engelien:

Nina Pauer, Ihr Name, ist das ein programmatisch gemeinter Künstlername?

Nina Pauer:

Nee. Mein Vater heißt so und deshalb heiße ich auch so. Natürlich kann man den sich sehr gut merken, deshalb denken viele, dass das ein Künstlername ist. Und es folgt natürlich immer ein Rattenschwanz an lustigen Pauer mit ow-Witzen.

Almut Engelien:

Aber er hat eine durchaus dialektische Beziehung zum Titel Ihres Buches „Wir haben keine Angst“, das „Keine“ steht ja so ein bisschen wackelig da, auf wackeligen

Beinen. Diese Angst in Ihrer Generation - Sie werden dieses Jahr 30, es geht um die 20- bis 30-Jährigen - Sie sagen, die fing an mit dem Abitur.

Wann haben Sie denn Abitur gemacht?

Nina Pauer:

2002. „Abi 2002“ erscheint vor meinem inneren Auge, ja, 2002 war das.

Almut Engelien:

Und wie war das bei Ihnen, also Sie hatten es nun in der Tasche und dann lag die Welt vor Ihnen. Wie war Ihre Situation damals?

Nina Pauer:

Ich erinnere mich, dass das ein sehr heißer, langer Sommer war, und ich irgendwie die ganze Zeit debattiert habe. Also es wurde stetig schlimmer, diese

Debattierrunden mit einem riesigen, immer wachsendem Beraterstab aus besten Freunden, Eltern, Patenonkeln, alten Lehrern, was man denn jetzt eigentlich studieren solle oder ob man jetzt noch irgendeine Ausbildung oder ein Praktikum vorschalten soll. Und eigentlich eine steigende Ratlosigkeit bei steigendem Druck in diesem schwülen Hamburger Sommer. Das erinnere ich.

Almut Engelien:

Und der Druck kam daher, dass es so viele Möglichkeiten gab, oder?

Nina Pauer:

Genau.

Also ich erinnere mich, wie wir mit so großen Katalogen dasaßen, die man von der ZVS oder von der Uni kriegt, mit diesen ganzen Studiengängen drin und wie ich mich in allem wiederfinden konnte und dachte: Ja, sozial bin ich, aber Jura ist ja auch spannend und mit Kindern arbeiten wäre auch toll und Lehrer werden, wäre ja auch so sicher. Also dann kommen ja immer diese Argumente schon so, als wenn man 10, 20, 30 Jahre vorausdenken sollte.

Und das war eine tierische Überforderung mit all diesen Möglichkeiten.

Almut Engelien:

Sie nehmen sich und Ihre Generation so wahr, dass sie von Angst fast beherrscht sind.

Was ist das eigentlich für eine Angst?

(3)

3 Eigentlich genau diese Angst, die nach dem Abi losging. Also die Angst vor einer weißen Fläche. Ich habe ja Interviews gemacht für das Buch und es war ganz schön zu sehen, was für Metaphern da immer kamen. Es geht immer in die Richtung so einer weißen unangetasteten Fläche, auf die man seine Biografien nun schreiben soll, bitte schön. Und die Stifte, die einem dazu zur Verfügung stehen oder die

Schriftarten sind zum Teil so endlos und erdrücken einen völlig. Weil irgendwie muss man ja den ersten Strich machen.

Und es ist eine Erfahrung, dass nur, weil ich dann irgendwann gesagt habe: „Zack, ich studiere Geschichte“, diese Angst nicht weggeht. Weil es nicht nur darum geht, einen perfekten Job zu finden, also sich auf irgendeine Profession festzulegen, sondern eben um das Stichwort Selbstverwirklichung.

Also dieser Drang, sich selbst zu verwirklichen, diese Idee, dass man eine richtige Version von sich finden wird, irgendwo da draußen in diesen Möglichkeiten und zwar was alle Punkte angeht: Die richtige Stadt, den richtigen Partner, die richtigen

Freunde, den richtigen Job.

Die Angst ist eigentlich die Angst, sich falsch zu entscheiden und sich in diesem Moment, jetzt gerade, am falschen Ort zu befinden oder mit der falschen Sache sich zu beschäftigen, mit den falschen Leuten, in der falschen Stadt, weil man dann sich den Weg verbauen könnte zu diesem richtigen Später, bei dem man irgendwann ankommen will.

Es ist eigentlich eine fatale Vorstellung davon, dass man irgendwann bei einem perfekten selbstverwirklichten Ich ankommt.

Almut Engelien:

Eigentlich eine sehr illusionäre Vorstellung.

Nina Pauer:

Eigentlich schon. Es gab diesen Menschen tatsächlich nie, der sich immer bei allem sicher war.

Ich glaube viele von uns bewundern sehr stark ihre Eltern, zum Beispiel auch in Liebesdingen, gerade dass die noch zusammen sind, dass die das geschafft haben.

Und dann denkt man: Was hat euch denn dazu gebracht, dass ihr euch so sicher ward, dass ihr dann geheiratet habt oder dass ihr diesen und jenen Beruf ergriffen habt? Und dann sagen die irgendwie: Ja, das kam dann halt so. Das hat sich so ergeben und ich habe halt immer auf mein Bauchgefühl gehört.

Und ich glaube, diese Sehnsucht nach so einem Bauchgefühl, was einem ganz sicher sagt: „Das machst du jetzt“ hat sich bei uns so ein bisschen überdreht in eine Vorstellung davon, dass man tatsächlich sich sicher sein könnte, also dass Zweifel nicht dazu gehören, sondern dass man sich ganz sicher sein könnte bei allem was man tut.

Und das ist natürlich Blödsinn. Aber ich glaube, eigentlich sind halt viele von uns diesem Blödsinn auf den Leim gegangen.

Almut Engelien:

Sie haben zwei Protagonisten in Ihrem Buch, Anna und Bastian. Anna ist 27, Bastian ist 31. Das sind so zwei Facetten. Wie würden Sie die beschreiben?

(4)

4 Das sind zwei Extremtypen, die ich so en masse kenne und zwei extreme Eigenarten unserer Generation, auf diese Angst zu reagieren.

Auf den ersten Blick sind die sehr, sehr unterschiedlich. Also Anna ist, ja, so eine Powerfrau …

Almut Engelien:

So eine Durchstarterin.

Nina Pauer:

Genau. Die halt immer Einsen geschrieben hat. Aber auch nicht so eine blöde

Streberin. Also die war schon auch nett. Die kriegt alles unter einen Hut, macht dann noch Sport, sieht toll aus, hat tolle Freunde, tolle Eltern, mit 27 schon einen ganz tollen Job in der Werbeagentur. Die könnte sich zurücklehnen und sagen: Jetzt ist doch erst mal alles super gelaufen.

Aber ihr Leben findet in so einem Hamsterradlebensgefühl statt. Sie fragt sich immer, ob sie gut genug war, ob sie genügt. Und lebt in einer sehr hart getakteten To-Do- Liste, wo sie ihr Privatleben, aber auch ihre Arbeit verwaltet und versucht eben, dabei auch noch lässig, ironisch und gut rüberzukommen.

So, und sie ist eigentlich damit völlig überfordert. Schläft nicht richtig. Hat totale Angst, zu versagen, obwohl sie eigentlich immer alles perfekt macht. Dieser Perfektionsdrang ist bei ihr ganz stark entwickelt.

Und Bastian auf der anderen Seite: Mit 31 hat er noch nie selber richtig Geld verdient, ist so ein Professorenkind, wohnt auch in einer großen Stadt. Hat auch totale Schlafprobleme.

Es gibt ganz viele Parallelen, gerade auch in diesem lebensweltlichen Alltäglichen, dass sie beide nicht schlafen können, dass sie beide vergessen, welcher Tag gerade ist und solche Sachen. Anna, zwischen ihren ganzen To-Do-Listen, weiß grob noch, dass irgendwie Wochentag ist. Aber da sie das ganze Wochenende eigentlich auch durcharbeitet, mehr oder weniger, ist alles zu so einem Zeitbrei geworden.

Und bei ihm ist es eben auch so, weil er nie richtig was macht. Er ist Langzeitstudent, studiert Politik. Er ist ein Hängertyp, aber nicht so ein gammeliger Kiffertyp. Er belegt ganz viele Kurse und liest ganz viel „Kritische Theorie“. Je näher sein Abschluss rückt, desto länger braucht er für eine Hausarbeit.

Also beide, Anna und Bastian, leiden unter diesem ewigen Imperativ „verwirkliche dich selbst“ und reagieren nur eben total anders. Sie in diesem Hamsterradgefühl und er mit Lethargie, also diesem paralysierten auf-der-Stelle-treten.

Almut Engelien:

Sind das zwei Seiten, die Sie auch von sich selber kennen?

Nina Pauer:

Also ich kenne ganz viele Leute, die so sind. Natürlich sind das extreme Typen, aber ich kenne sie tatsächlich auch so extrem.

Ich tendiere da zur Anna und den Bastian kenne ich, aber ich kenne diese Verhaltensweisen an mir nicht. Das würde mich total nervös machen.

Almut Engelien:

Sie beschreiben die Leute, um die es Ihnen geht, in Ihrem Buch und beschreiben auch die Fassade. Wir hören uns das eine kleine Passage lang an.

(5)

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„Auf den ersten Blick würde man von uns nicht denken, dass wir großartig Sorgen hätten. Denn wir sind lässig. Wir sind ironisch. Und wir sind nett. Wir haben schöne Bildungsabschlüsse. Wir sehen gut aus. Und wir sind trotzdem bescheiden. Wir haben tolle Freunde. Wir verstehen uns gut mit unseren Eltern. Wir können fließend Englisch sprechen und mit Computern umgehen. Und wir sind lieb zu Tieren.

Eigentlich ist bei uns alles in bester Ordnung. Eigentlich.“

Almut Engelien:

Eigentlich.

Es klafft so auseinander. Es gibt eine schöne Fassade, die man in jeder Großstadt im Cafe sieht und es gibt dahinter das heulende Elend?

Nina Pauer:

Also das Heulen kommt, glaube ich, selten vor bei so einem Bastian, der heult eigentlich gar nicht, glaube ich. Und so eine Anna oder ihre beste Freundin Marie, die genauso drauf ist wie sie, die ruft dann eher heulend vom Klo vom Praktikum an und sagt, ihr wird alles zu viel und sie hat so Angst, dass sie das nicht schafft.

Insofern ist es nicht so ein Elend, aber eher so was - ich habe das am Anfang als Tinnitus beschrieben, irgendwas, das uns so ein schwindeliges Gefühl gibt, was immer als Geräusch dabei ist und egal wie laut wir unsere I-Pots drehen, man hört es trotzdem noch, die anderen hören es nicht.

Einen Ausstieg aus der Angst kennen die eigentlich beide nicht.

Almut Engelien:

Haben Sie selber denn an Punkten die Angst verloren?

Nina Pauer:

Auf jeden Fall, ja. Also es hat was damit zu tun, wie man auch auf den Körper achtet.

Das Problem dieser Angst ist ein Kopfproblem.

Vielleicht ist das das Problem, dass man immer versucht es im Kopf zu lösen, aber vielleicht muss man’s auch mal mit dem Körper lösen. Da kann sich jeder was rauspicken - ob es nun Kickboxen oder Tiefenentspannung ist. Aber es bringt einen zurück in den Körper und in die Ruhe und vielleicht auch dahin, mal nicht zu

kommunizieren.

Almut Engelien:

Hört sich auch so ein bisschen an, wie die Schwierigkeiten einer jungen Generation, der echte Herausforderungen gefehlt haben bis jetzt.

Nina Pauer:

Ja, uns ist klar: Wir waren schon immer privilegiert und wir dürften eigentlich gar nichts sagen, trotzdem geht es uns schlecht. Und das sieht man ja nun auch in diesen körperlichen Beschwerden. Oder ich glaube halt nicht, dass jemand aus reiner Freude zum Therapeuten rennt.Das sind schon manifeste Probleme.

Almut Engelien:

Sind viele in Therapien, in Ihrem Bekanntenkreis?

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6 Ja, sehr, sehr viele. Ja.

Also wenn man die dazu zählt, die schon eine Therapie gemacht haben, die darüber nachdenken eine zu machen, die gerade auf der Suche nach einem Therapeuten sind und so, dann müsste man eher schon fragen: wer macht das nicht?

Almut Engelien:

Und alle so um und bei Mitte 20 bis Mitte 30?

Nina Pauer:

Ja.

Und das schreiben ja auch Therapeuten selber, dass es besonders diese hochqualifizierten, jungen, leistungsfähigen Leute sind, die jetzt …

Almut Engelien:

Aus den privilegierten Elternhäusern, den gebildeten Mittelstandselternhäusern?

Nina Pauer:

Genau.

Und man kann sich halt so schlecht hinstellen und sagen, wir hätten uns jetzt gerne mal einen Krieg gewünscht oder so, oder irgendwelche Armut oder Hungersnöte oder so. Also irgendwelche großen kollektiven Probleme, die uns wirklich

beeinträchtigt hätten. Das wünschen wir uns auch nicht ernstlich. Also wir sind dankbar für diese Privilegien und wir haben Schuldgefühle.

Und natürlich ist es sehr, sehr schwer, wenn man nichts und niemanden hatte, gegen den man hätte rebellieren können.

Also gerade, wenn man das Verhältnis zu den Eltern sieht. Die Eltern, selbst wenn sie bestimmt ihre individuellen Schäden haben oder es irgendwie schlimme

Scheidungskriege gab oder so, waren keine Negativfolie, keine Fläche, an der man sich reiben hätte können, also dass man in der Geste des Neinsagens sagt: Ich werde nicht Familienmutter, sondern ich studiere jetzt erst mal.

Das ist eben was, was uns total fehlte. Es gibt nie sowas, wo man sagt: Ich durchbreche jetzt Widerstände und mache das jetzt einfach.

Almut Engelien:

Aber Eltern als Vorbilder sind doch eine große Hilfe. Und Sie schildern Eltern, die Vorbilder sind.

Nina Pauer:

Genau.

Also Eltern waren Vorbilder und Eltern waren Eltern. Aber Eltern sind eben auch gute Freunde. Das finde ich grandios. Und so beschreibe ich das auch.

Aber wir sind nicht gleich alt. Die werden irgendwann alt, gebrechlich und werden sterben und wir müssen unser eigenes Ding machen.

Und ich glaube das darf nicht verlorengehen. Und auch für die Eltern, die können nicht alles für uns regeln. Die müssen irgendwann sagen: „Okay Kinder, macht euer eigenes Leben.“

Almut Engelien:

Es gibt dazu eine Passage in Ihrem Buch, die sollten wir uns mal anhören.

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„Nahezu magnetisch zieht es uns, wenn wir dringend Ruhe benötigen, um nachzudenken, auszuschlafen, Abschlussarbeiten, Bewerbungen oder

Trennungsbriefe zu Ende zu schreiben, zurück in unsere alten Kinderzimmer. Dort sind wir abgeschottet von allen kleinen und großen Störfaktoren, die uns das Leben sonst so schwer machen. Wir sind stets willkommen, weshalb meistens, wenn wir aufkreuzen, das Bett schon für uns bezogen ist. Wir können bleiben, solange wir wollen und kommen und gehen, wann und wie wir lustig sind. Es ist immer warm. Der Kühlschrank immer voll und das Klopapier nie alle.“

Almut Engelien:

Das heißt also, da ist das gemachte Bett, und da ist das „Nicht- Erwachsenwerdenmüssen.

Nina Pauer:

Genau.

Ich habe bei vielen den Trugschluss erlebt, dass das so eine ewige Konstante ist, also so ein, ja, so eine Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, weil es die Eltern ja immer gibt. Und da wird’s dann eben schwierig. Vor allem, wenn es um das

Sicherheitsgefühl geht. Irgendwann muss man sich selber auch sicher sein.

Almut Engelien:

Aber das sind auch zum Teil Eltern wie Gummibänder. Sie beschreiben das ja auch in Ihrem Buch an einem Fall. Es sind zum Teil Eltern, die wirklich überhaupt keinen Widerstand bieten, die nie sagen: „Jetzt ist mal Schluss hier. Jetzt wird mal was vernünftig gemacht und du kriegst auch keinen weiteren Cent, wenn du so weiter rumdaddelst.“

Nina Pauer:

Ja, das ist besonders bei dem Bastian so. Da ist der Vater Professor und irgendwie finanzieren die den einfach ewig. Die würden den auch bis Mitte 30 noch finanzieren und nie sagen: „So, jetzt ist mal Schluss.“

Die fragen immer noch: „Hast du genug Geld und bist du da glücklich in der Wohnung“ und so.

Und das kenne ich, ja, massenweise, diese Art von Unterstützung, die irgendwie nach hinten losgeht.

Almut Engelien:

Wie ist denn das bei Ihnen gewesen? Wie haben Ihre Eltern das behandelt?

Nina Pauer:

Ich weiß es nicht, ich hab’s nicht ausgereizt. Also jetzt unterstützen die mich eben gar nicht mehr.

Also es gab so was Dezenteres, dass immer klar war: Wir unterstützen dich, bei allem was du tust.

Almut Engelien:

Wo haben Sie den Schnitt gemacht? Wie alt waren Sie, als Sie gesagt haben: „Ich kann ohne euer Geld auskommen?“

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8 Nach dem Studium, eigentlich ganz klassisch.

Almut Engelien:

So mit 26.

Nina Pauer:

Ja. Ja.

Ich habe aber immer gearbeitet nebenbei.

In diesem Jahr, als ich das Buch geschrieben habe, und jetzt wo es erschienen ist, haben ja viele von diesen Bastians durchaus ihr Studium beendet oder sind auf dem Weg dahin und merken vielleicht zum ersten Mal, wie das finanziell aussieht. Dass die Welt nicht darauf wartet, dass er jetzt noch zehn Jahre weiter Systemtheorie liest, und er ist zum ersten Mal auf den Boden aufgeprallt und hat sozusagen den

Widerstand, den er nie hatte. Hat sich dadurch so ein bisschen aufgerappelt.

Also, wie es dann weitergeht und ob das jetzt so ein toller kathartischer Moment ist, der ihn heilt, ist noch eine andere Frage. Aber dass dieser Kontakt zur Wirklichkeit, durch diese ewig pampernden Eltern so lange herausgezögert wird, das ist einfach ungesund, von beiden Seiten, Kindern und Eltern.

Almut Engelien:

Aber es gibt auch sehr viele Leute in Ihrer Generation, die früh schon jobben und die eigentlich viel Verantwortung übernehmen.

Sie haben sich schon eine ganz bestimmte Gruppe, einen bestimmten Ausschnitt aus Ihrer Generation vorgenommen.

Nina Pauer:

Auf jeden Fall. Da ist natürlich nicht der Ende 20-jährige ostdeutsche Metallarbeiter gemeint.

Almut Engelien:

Da ist auch nicht der Betriebswirt und der Bauingenieur gemeint, da sind überhaupt nicht die Naturwissenschaftler gemeint.

Nina Pauer:

Genau.

Andererseits gibt es tatsächlich immer Überraschungen. Man muss ja immer auf irgendwelchen Partys erzählen, was man macht und dann sage ich, ich schreibe das Buch und da und darüber. Und es gibt in allen Bereichen mittlerweile Wettbewerbe.

Also überall Abstufungen, wo man immer der Beste sein kann. Und da geht’s ja auch viel drum, in meinem Buch. Und insofern erkennen sich da sogar Leute wieder, von denen ich das gar nicht gedacht hätte.

Almut Engelien:

Das heißt also, dieser ganze Selbstverwirklichungsstress, der ist nicht nur im Kopf da, sondern da ist tatsächlich auch eine Menge Wettbewerb überall. Und die Probleme kommen auch nicht nur daher, dass alle Ampeln auf Grün sind und man weiß jetzt nicht wohin fahren, sondern sie kommen auch daher, dass viele Türen zu sind.

(9)

9 Ja. Ich glaube das kommt so perfide zusammen, man kann es einfach nicht mehr auseinanderwursteln. Und das unterscheidet uns von der Generation Golf oder … Almut Engelien:

…der Generation Umhängetasche.

Nina Pauer:

Genau.

Ich glaube, in der Schule lag das schon in der Luft, da haben unsere Lehrer gerne gesagt: „Wenn ihr das Abi gemacht habt, dann kriegt ihr eh nichts. Das ist ganz schwierig alles.“ Das war immer diese Doppelbotschaft. Also tolle Möglichkeiten, aber auch, oh Gott, es schließen sich so viele Türen.

Almut Engelien:

Und es gibt nur Praktika.

Nina Pauer:

Genau.

Man darf sich halt nur nicht davon so verrückt machen lassen, dass man dann irgendwie nur noch paralysiert dasteht oder durchdreht.

Was bringt es der Anna im Buch, dass sie jetzt nun … Also es gibt da so eine Szene am Sonntagnachmittag, wo sie irgendwie gar nicht weiß, was soll sie denn jetzt mit ihrem tollen Job und ihrem tollen Geld? Und sie überlegt, ob sie sich Sushi bestellt, damit sie immerhin irgendwie teuer Essen geht.

Was ist der Preis für das Durchstartertum dieser jungen Frau, die sich auch nicht mehr binden kann, für die ein Kind zu kriegen, glaube ich, schwierig wäre, also ein Rückschlag wäre, und die sich eigentlich leer fühlt, wenn sie ehrlich ist.

Almut Engelien:

Sie haben das wunderbar beschrieben. Wir sollten uns noch mal eine Passage anhören.

Nina Pauer:

„Wir alle haben tierische Angst vor Sonntagen, denn der Sonntag hat eine geheime Koalition mit all unseren Angst- und Psychomonstern geschlossen.

An diesem Tag kriechen früher oder später all unsere Dämonen aus ihren Löchern hervor und tun sich zusammen. Sie ballen sich, transformieren sich, bis sie zu einer großen Frage gewachsen sind, die dann bei uns auf der Matte steht. Meistens ist es am späten Sonntagnachmittag, dann klopft sie an unsere Tür, die Sinnfrage.“

Almut Engelien:

Die Sinnfrage.

Warum kommt die Sinnfrage gerade Sonntagnachmittag eigentlich?

Nina Pauer:

Also dann haben wir ja das, was wir immer wollen. Wir sagen ja den ganzen Tag: Wir brauchen echt mal wieder ein bisschen mehr Zeit für uns. Und wir müssen echt mal wieder runterkommen und mal so gar nichts tun und mal einfach nur dasitzen und die Stille genießen.

(10)

10 Und das können wir dann eben an diesen Sonntagnachmittagen und dann geht’s erst richtig los. Dann herrscht Leerlauf und dann ist die große Frage da: Was bringt das alles und lebe ich mein Leben eigentlich richtig?

Vielleicht implodiert am Sonntagnachmittag, dass man sich eben die ganze Zeit an so einem Ich-Projekt abarbeitet. Es ist wohl so, dass das Ich nicht reicht. Das wird dann vielleicht deutlich.

Almut Engelien:

Ist das auch ein bisschen Ausdruck der Tatsache, dass gar keine sozialen

Verantwortungen da sind, dass man keinen alten Menschen mit betreuen muss, dass man keine Kinder aufzieht? Ab einem bestimmten Alter stellt sich doch die Frage:

wofür bin ich eigentlich verantwortlich?

Nina Pauer:

Ich glaube, der soziologische oder psychologische Kern dieses Buches ist eigentlich, dass es sich um Individuen dreht, die alle ihre Energien in sich selber stopfen. Sie machen alles, damit sie ihr Ich stärken, aber eben nicht auf so eine gesunde Art und Weise und auch nicht auf so eine feiernde, hedonistische Art oder gemütlich - wie es eben bei Generation Golf noch ging, so: Hier komm ich und alles ist gut - sondern, ich nenne das immer „negative Egozentrik“. Also da wird alles in sich selbst gestopft, aber vor allem auch ganz viel Zeit damit verbracht, sich zu zerfleischen und zu sagen: Du bist nicht gut genug und du musst noch weiter und mehr leisten.

Almut Engelien:

Der Druck ist anders.

Nina Pauer:

Dann das zu therapieren wieder, dann das alles wieder mitzuteilen, diese Sorgen, der Mutter, der besten Freundin, dem Therapeuten. Und das ist einfach eine riesige Erschöpfung, die sich dann irgendwann einstellt.

Und ich glaube tatsächlich, dafür sind wir nicht auf der Welt. Also wir sind nicht auf der Welt, um uns um uns selbst zu drehen, und das wollen diese Leute auch nicht im Buch. Und das wollen auch alle, mit denen ich gesprochen habe, nicht, das will ich auch nicht.

Almut Engelien:

Haben Sie denn da für sich schon einen Weg gefunden? Man kann die Menschen ja nicht aus dem Boden stampfen, für die man Verantwortung übernimmt.

Nina Pauer:

Ich mache das noch viel zu wenig. Aber ich weiß immerhin, dass die Sehnsucht danach da ist.

Ich habe, glaube ich, noch nicht den richtigen Kanal dafür gefunden. Ich versuche halt da zu sein, gerade auch für Leute, die älter sind oder mir Zeit für sie zu nehmen.

Ich will auf jeden Fall Kinder haben. Und ich glaube, also ich mache Yoga, das ist totales Klischee meinetwegen, aber da sieht man halt alles nicht Perfekte. Da sind alte Körper, da sind ganz kleine Kinder, die irgendwas noch nicht können und da bin auch ich. Ich habe monatelang dafür gebraucht, diesen blöden Kopfstand zu lernen.

Und ich konnte damit umgehen, dass ich das noch nicht kann. Ich konnte auch sagen: „Gut, alle anderen um mich rum können das“. Also diese Castingshowlogik

(11)

11 es dann halt.

Und ich glaube, sich in so einen Kontext zu stellen und sei es halt punktuell für zwei Stunden am Nachmittag in so einer Gruppe, wo man dann eine Großfamilie hat oder eine ganze Gesellschaft, also das ist unglaublich heilsam. Und all das würde ich gerne ausbauen.

Almut Engelien:

Worüber wir jetzt noch gar nicht gesprochen haben sind die Beziehungen. Wir haben uns ja sehr stark auf das Feld von Arbeit und beruflicher Entwicklung konzentriert.

Was Sie beschreiben ist eine große Unverbindlichkeit. Das hört sich so an:

Nina Pauer:

„Wir wissen, dass wir zur Not alles wieder kündigen und canceln können. Dass nicht nur unsere Gefühle, Schwüre und Versprechen jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können, sondern auch all ihre Ausdrücke, geplante Urlaube, gemeinsame Wohnungen, gemeinsame Namen, gemeinsame Träume, ungewollt entstandene Schwangerschaften. Und auch die Ringe, die wir einander an die Hände stecken, können selbstverständlich wieder abgenommen werden.“

Almut Engelien:

Ist das ein Aspekt, den Sie in Ihrem Leben erlebt haben, bei sich, bei anderen, diese große Unverbindlichkeit?

Nina Pauer:

Also man sieht, dass sehr viele Leute in unserem Alter eher wieder heiraten und es eher groß tun und dass die Sehnsucht da ist, nach etwas Unhintergehbarem, nach so einem richtig historischen Moment. Ein Moment, wo jeder bezeugen kann: Wir haben uns diese Ringe an den Finger gesteckt und wir werden sie nie wieder abnehmen - diese Sehnsucht ist irrsinnig groß.

Also „wir alle“, ich schreibe das am Anfang, „Wir alle wollen uns endlich binden. Wir haben keinen Bock mehr zu sagen „Lebensabschnittspartner“ und ach, nee, doch nicht, doch lieber noch mal weitergucken“ und so. Also die Sehnsucht ist irrsinnig groß, aber die Ansprüche sind leider auch so groß. Und dadurch ergibt sich die faktische Unverbindlichkeit.

Ein Partner darf eben nicht dieser Selbstverwirklichung, diesem großen Projekt, im Wege stehen. Und deswegen ist es eben auch so aufgeladen, dass dieser Mensch dann einfach so passen muss. Der muss ja irgendwie alles sein. Also der muss Teamplayer sein und gleichzeitig muss der eben noch attraktiv sein und bester Freund und auch so ein bisschen Zuhause. Also es ist einfach so überfrachtet. Und ich glaube, eine gesunde Relativierung, also irgendwie vielleicht auch eine

Entromantisierung würde vielen Menschen helfen, diesen Absolutheitsanspruch runterzufahren und dann vielleicht auch mehr zu merken: Boa, ist der Mensch toll, den ich mir da ausgesucht habe oder der da zu mir gefunden hat.

Almut Engelien:

Erstaunlicherweise funktioniert es ja auf einem anderen Gebiet, nämlich bei den Freundschaften. Das beobachte ich überall, also auch bei den Freundinnen und in den Kreisen meiner Töchter, Sie schildern es auch:

Ganz verbindliche, ganz treue, ganz zuverlässige Freundschaften.

(12)

12 Unsere besten Freunde sind unsere Inseln. Bei der freundschaftlichen Liebe wird Verletzlichkeit eben zugelassen. Also, dass man da nackt dastehen kann und wirklich so geliebt wird, wie man ist. Und dass man sich selber vielleicht auch endlich mal so lieben kann, mit all diesen Schwächen. Oder das vielleicht auch relativieren kann und mal humorvoll betrachten kann.

Das beobachte ich halt an mir selber und an allen anderen, in Freundschaften. Da hat sich die Sicherheit ihren Ort gesucht, die in vielen Paarbeziehungen eigentlich nicht mehr besteht. Drum herum ist das kühle Wasser und die Stürme und alles ist unsicher und da kann man sich dann mal ausruhen und hat so diesen sicheren Ankerpunkt.

Almut Engelien:

Wieso geht das da?

Nina Pauer:

Diese Freundschaftsromantik ist eben keine Liebesromantik, die will auch nirgendwohin. Die Logik der Freundschaft ist es, zu geben und gerne zu geben.

Dieser Druck, dass man ökonomisch denkt, der ist da irgendwie weg. Und man kommt da eben immer wieder hin zurück.

Meine beste Freundin wohnt in Berlin und dann telefonieren wir halt immer. Aber es hält und hält und hält. Wir wollen ja nicht heiraten, so. Und nur da kann man dann eben ehrlich sein, wie klein man sich manchmal fühlt und gleichzeitig coached man sich gegenseitig.

Ich glaube das ist so, je mehr die Paarbeziehung wegfällt oder andere Bindungen, dass man nicht mehr so politisch ist oder auch in religiösen Gemeinschaften sich nicht mehr so viel gibt und es eben auch nicht mehr so viele große Familien gibt, desto mehr ist der Freund als Figur dieser Knotenpunkt, wo ganz viel Solidarität und Ruhe zusammenfließen in einer Person.

Buchhinweis:

Wir haben keine Angst

Gruppentherapie einer Generation Von Nina Pauer

Fischer-Verlag, ISBN: 3100606140

€ 13,95

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