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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Tanja kommt an

Ein Unfall und der lange Weg zu sich selbst

Autoren: Ina Jackson und Kristine Kretschmer Redaktion: Petra Mallwitz

Sendung: Mittwoch, 27.05.15 um 10.05 Uhr in SWR2

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Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.

Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030.

Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren:

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(2)

2 MANUSKRIPT

SWR-Sprecher:

Tanja ist 23. Gerade hat sie angefangen in der Liebe und im Beruf so richtig durchzustarten. Wer oder was sollte sie dabei ausbremsen ist ihr

Lebensgefühl. Doch dann passiert etwas, das sie völlig aus der Spur wirft.

Tanja kommt an

Ein Unfall und der lange Weg zu sich selbst Von Ina Jackson und Kristine Kretschmer

Collage:

Motorengeräusch Jeep, Ägyptische Musik aus dem Autoradio

Paco: Ich weiß jetzt nicht wie schnell er gefahren ist, aber wir sind in eine Kurve

reingekommen, wo es so ein bisschen schräg war, da ist das Auto einfach aufgehoben und hat sich einfach zweimal überschlagen. Der erste Reflex war, ich hab meine Hand

ausgestreckt, aber wo ich meine Hand ausgestreckt ist, war sie schon weg.

Hupen

Tanja: Ich bin dann aufgewacht und dann hab ich so Beine über mir liegen sehen. Und dann hab ich mich gefragt, welche Beine das sind. Und dann hab ich die Beine angefasst und dann hab ich gemerkt, dass es meine sind.

Krankenwagen Ägypten

Paco: Man hat von außen ihr gar nichts angesehen Krankenwagen Ägypten

Tanja: Ich stand völlig unter Schock und hab nur den Himmel oder das Auto vor mir gesehen, weil mehr konnte ich ja nicht machen.

Sprecherin: November 2008. Es ist ihr letzter Urlaubstag, und Tanja und Paco wollen sich etwas Besonderes gönnen: eine Fahrt durch die Wüste, mit Zwischenstopp in einer Oase. Zusammen mit anderen Touristen besteigen sie einen der bereit stehenden Jeeps und auf geht’s. Zunächst ist alles ein großer Spaß. Doch plötzlich kippt einer der Jeeps in einer Kurve um. Überhöhte Geschwindigkeit, ein Sandbuckel - wer weiß es. Es ist der Jeep, in dem Tanja und Paco sitzen. Alle anderen Urlauber im Auto werden leicht verletzt. Nur Tanja kann sich nicht mehr rühren. Am

Unfallort herrscht Chaos.

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3 Tanja:

Dann mussten wir erst mal drei bis vier Stunden auf den Krankenwagen warten, weil in der Wüste darf ja kein Helikopter landen. Es war auch kein Handyempfang und sonstiges, also mussten wir erst mal warten. Wir wussten, irgendwie war was gebrochen, aber nicht genau was, und ich hab aber schon von Anfang an gemerkt, also bewegen konnte ich die Beine nicht und die Arme haben schon gekribbelt, also es war kurz vor knapp, dass ich die Arme auch nicht mehr bewegen konnte.

Sprecherin: Nach einigen Stunden wird die schwer verletzte Tanja nach Sharm el Sheik abtransportiert. Nach einer ersten Untersuchung geht es mit dem Flugzeug weiter nach Kairo. Das Krankenhaus dort ist besser ausgestattet für die erforderliche Operation. Zwei Tage nach dem Unfall findet sie dann endlich statt.

Tanja:

Die Ärzte in Ägypten, die haben immer gesagt: Ja, ja, es wird alles gut, es wird alles gut, in sechs Monaten kannst du wieder laufen. Und der Professor, der mich operiert hat, der hat mir gesagt, es wäre nur ne Quetschung.

Sprecherin: Elf Tage liegt Tanja in Kairo im Krankenhaus. Sie hat Glück, weil ihr Freund bei ihr im Zimmer bleiben darf und sich um sie kümmern kann. Geistesgegenwärtig hat er bei der Aufnahme erklärt, sie seien verheiratet. Das macht es dem Klinikpersonal möglich, einen Mann im Zimmer einer Frau zuzulassen.

Paco:

Also für mich war das die schlimmste Zeit meines Lebens. Damals war ich 27. Es war alles sehr viel für mich. Ich durfte bei ihr keine Schwäche zeigen, weil sie war sehr am Boden, und ich musste das alles irgendwie schön malen.

Sprecherin: Tanjas Familie setzt unterdessen Himmel und Hölle in Bewegung, um die Tochter in eine Spezialklinik transportieren zu lassen.

Schließlich haben die Bemühungen Erfolg und Tanja wird nach Nottwil in die Schweiz geflogen. Die Klinik dort ist auf die Behandlung von

Unfallfolgen spezialisiert. Bei der ersten Untersuchung stellt sich heraus, dass der sechste Halswirbel gebrochen ist.

(4)

4 Tanja:

Die Ärzte haben immer nur gesagt, ja, sie können noch nichts sagen. Es kann besser werden, es kann gleich bleiben oder es wird gar nicht mehr. Aber je länger nichts passiert ist, haben die Ärzte gesagt, ne, das wird nicht mehr, ich werd nicht mehr laufen können.

Sprecherin: Die Ärzte stellen fest, dass die Operation in Kairo gut verlaufen ist. Doch sie hat zu spät stattgefunden. Je länger nämlich die Knochen nach einem Unfall auf das Rückenmark drücken, desto mehr Nervenzellen werden zerstört. Findet die Operation innerhalb der ersten zwölf Stunden statt, sind die Chancen gut, dass bleibende Schäden

vermieden werden können. Bei Tanja können die Ärzte nur abwinken. Ihre Diagnose ist klar: Querschnitt-lähmung.

Musikalischer Akzent

Sprecherin: Tanja fällt in ein tiefes Loch. Vor kurzem erst hat sie eine Stelle als Köchin in einem Feinschmecker-Restaurant angetreten. Die Arbeit macht ihr Spaß, sie liebt die Verantwortung, die damit verbunden ist. Dazu kommt das private Glück: Sie hat sich in Paco verliebt und mit ihm den ersten gemeinsamen Urlaub in Ägypten gemacht. Dieses Glück soll plötzlich vorbei sein? Tanja will die Diagnose nicht wahrhaben.

Tanja:

Ich habe immer geträumt, dass ich wieder laufen werde. Nie im Rollstuhl oder nie komplett im Rollstuhl, sondern dass ich dann wieder aufstehe. Das gibt mir auch irgendwie Mut. Ich hab schon immer Sachen geträumt, die dann ein paar Jahre oder ein paar Wochen später teilweise in Erfüllung gegangen sind oder passiert sind, wie ich sie geträumt habe, deshalb denke ich: Wenn ich’s jetzt träume so, dann wird das auch wieder passieren.

Sprecherin: Doch in der Klinik in Nottwil ist von Laufen keine Rede. Alle Maßnahmen zielen in eine Richtung: den Patienten als nun behinderten Menschen möglichst gut wieder in sein früheres Leben zurückzuführen und ihn für Arbeit und Alltag fit zu machen.

Tanja:

Man muss ja wissen, wie man im Rollstuhl klar kommt, wie man eine Stufe hochkommt oder wie komme ich ins Auto rein, also das Leben im Alltag, wie komme ich da zurecht. Wie dusche ich mich, wie gehe ich auf Toilette, so was alles. Da hab ich eigentlich ganz gut gelernt und schnell gelernt und deshalb wurde ich nach sechs Monaten entlassen - im Rollstuhl.

Musikalischer Akzent

(5)

5 Paco und Tanja:

P. Sie könnten mehr machen, dass die Leute laufen können. Weil es ist schwer, dass sie sagen, das musst du mit dem Rollstuhl, das musst du mit dem Rollstuhl, das musst du lernen, das musst du lernen und sich da nicht vielleicht Gedanken machen, sagen: Komm vielleicht brauchst du den Rollstuhl doch nicht. Also die Ägypter, sie waren da total anders. T. Die haben ja gesagt, nach einem halben Jahr kannst du wieder laufen. P. Trotzdem, das hilft. T.

Ja, aber die Ägypter, die sind so, dass auch wenn du im Sterben liegst, sagen sie, es wird alles gut. P. Egal, egal. Dein Kopf kann viel ändern. Ich mein, dein Kopf fasst das total anders auf, als wenn man gesagt kriegt: Schau mal, du hast nen Rollstuhl, mach was damit. T. Genau.

Szene Nottwil Ambulatorium

Und jetzt sind Sie zufrieden mit dem Rollstuhl? T. Ja der muss jetzt noch bei der Ergo heute ein bisschen angepasst werden, weil ich denk, dem muss man hier den Rücken einfach ein bisschen einstellen. Und der Rollstuhl knarrt, aber dafür kann ja niemand was (Lachen). Es ist mal mehr, mal weniger. - Gut, das haben wir schon gefragt, und Hilfsmittel? T. Nen

Arbeitsrollstuhl hab ich für die Arbeit. – Das ist son Stehrollstuhl? T. Genau. - Dann Duschrollstuhl? T. Duschsitz hab ich.

Sprecherin: Tanja will die alte bleiben, auch wenn sie - wie sie meint vorübergehend - auf den Rollstuhl angewiesen ist. Sie arbeitet weiterhin in der Küche des Restaurants, wie vor dem Unfall. Die Kolleginnen und

Kollegen und auch der Chef räumen ihr manches Hindernis aus dem Weg.

Tanja:

Also es war schon ne Umstellung zu dem, wie ich vorher gearbeitet habe, das ist ja ganz klar.

Ich hab vorher 100 Prozent gearbeitet und das, was mir am meisten Spaß gemacht hat, am Kochen bei der Arbeit, war immer diese Stresssituation, am Herd stehen und während des Services schicken, schicken, schicken. Das ist natürlich komplett weggefallen. Diese

Umstellung dazusitzen, ja was kann man machen, was gibt's zu tun, das war nicht so easy.

Da saß ich dann schon zu Hause und hab mich gefragt, ob ich überhaupt gebraucht werde oder ob ich da nur da bin, damit ich arbeite.

Sprecherin: Und als hätte sie nicht genug an ihrer beruflichen Situation zu knabbern, kommt ein weiterer Schlag dazu: Ihr Freund trennt sich von ihr.

Paco:

Ich bin einfach nicht mit der Situation klargekommen, überhaupt nicht. Sie im Rollstuhl, der Unfall, was alles passiert ist. Und ich wollte nicht, dass sie merkt, dass ich mit ihr zusammen bin, weil ich so Mitleid mit ihr gehabt hab. Wollte ich einfach nicht. Also es ist nicht, dass es mir nicht schwergefallen ist, aber ich würde sie weit mehr verletzen, wenn ich das nicht getan hätte.

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6 Tanja:

Die Enttäuschung war, dass er mich hat hängenlassen als Mann an meiner Seite. Ist halt schwierig. Die Männer sind ein bisschen oberflächlicher, find ich, in dieser Situation, hab ich so mitbe-kommen. In der Reha war es ja auch so, dass die Männer alle abgehauen sind, und die Männer im Rollstuhl hatten alle ihre Frau noch da.

Sprecherin: Zum Glück kann sich Tanja auf ihre Familie verlassen. Auch wenn niemand in ihrer Nähe wohnt und sie selbst nicht bereit ist, ihre Stelle zu kündigen, um in die Nähe ihrer Eltern oder ihrer Schwester zu ziehen, sind die Bande stark genug.

Tanja:

Hätte ich jetzt nachts jemanden angerufen, dann wäre auch jemand dagewesen. Das war immer ne große Unterstützung. Und die haben mir immer zugehört, und auch wenn sie vielleicht nicht einen Tipp geben konnten oder jetzt mir helfen konnten, aber sie haben immer zugehört, und das war das Wichtigste.

Sprecherin: Tanjas Vater fährt regelmäßig mehrere hundert Kilometer, um seine freien Tage bei seiner Tochter zu verbringen. Er sieht sich als praktischen Helfer. Er schleppt beim Umzug Möbel und Kisten in die kleine rollstuhlgerechte Wohnung, die Tanja nach der Reha gefunden hat. Er putzt die Fenster, bringt Vorhänge und Bilder an und überlegt ständig, was sich noch optimieren ließe. Das geht nicht immer ohne Reibereien.

Szene Tanja und Vater

T. Ich hab immer das Gefühl, er macht sich viel zu viel Gedanken, wo ich mir dann manchmal vor den Kopf fasse und denke, wie kommt er jetzt darauf (Lachen) V. Wie kommt man darauf? Einfach dass man älter ist und praktischer denkt. T. Also ich sehe nicht, warum ich noch nen rollbaren Schrank hinstellen muss oder eine rollbare Arbeitsfläche, die ich gar nicht brauche. V. Aber ich hätte bestimmt noch Vorschläge für die Küche zum Ändern (Lachen) T.

Ja, aber das ist zum Glück meine Wohnung, wo ich drin wohne, und mein Leben, was ich bestimmen kann, weil ich ja volljährig bin und nicht mehr zehn Jahre.

Sprecherin: Tanja richtet sich in ihrem Leben mit Rollstuhl ein. Sie arbeitet, fährt Auto, geht zur Krankengymnastik, trifft Freunde. Doch je besser alles klappt, desto unruhiger wird sie. Der Drang nach

Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Da hört sie zufällig im April 2010 von einem Mann, der wie sie nach einem Unfall querschnittgelähmt war, aber wieder laufen gelernt hat.

(7)

7 Das klingt wie ein Wunder, und deshalb ist dieser Markus Holubek in

dieser Zeit Gast in vielen Talksendungen im Fernsehen und im Radio.

Radio Holubek:

Moderatorin: Sie haben’s mit Ihrer Energie geschafft, wieder auf die Füße zu kommen, nach einer Querschnittslähmung. Wie geht denn das? Haben Ihnen da Ärzte Therapeuten

geholfen? – Holubek: Ne, die sagen Ihnen jetzt erstmal auf die Frage: Werde ich ein Rollstuhlfall? Was wird aus mir?, Herr Holubek, das können wir Ihnen nicht sagen, und mit der Ansage müssen sie dann überlegen, okay, greifst du es jetzt an, oder lässt du es sein. Ja, natürlich greife ich jetzt an und dann fangen Sie an, das alles zu bewegen, was halt noch geht. – Moderatorin: Hm, also im Bett noch angefangen?- Holubek: Alles angespannt, was ich hatte und dann immer jede Stunde dann zehn Minuten angespannt, so ging es los.

Sprecherin: Der Journalist Markus Holubek spürte nach der Operation lediglich den großen Zeh am rechten Fuß, den er ungefähr einen halben Zentimeter abspreizen konnte. Auch die Oberschenkel konnte er

anspannen. Für Tanja ist diese Botschaft aufregend. Wie bei Markus Holubek kann sie einen Zeh bewegen und anspannen. Warum sollte ihr nicht dasselbe gelingen, was er geschafft hat?

Tanja:

Es ist halt einfach mal einer, der daran glaubt, dass du wieder laufen wirst. Und nicht einer, der sagt, ist ja schön und gut, aber das bringt im Prinzip nichts, weil du dein Leben im Rollstuhl verbringen wirst.

Sprecherin: Tanjas Traum vom Laufen erwacht wieder. Über Facebook nimmt sie Kontakt zu Markus Holubek auf. Sie telefonieren lange

miteinander, dann nimmt Tanja an einem seiner Seminare teil und trifft dort andere mit Querschnittlähmung, die ebenfalls wieder laufen lernen wollen. Holubek sieht sich nicht als Heiler, nicht einmal als Coach, lediglich als Motivator.

Markus Holubek:

Ich versuche einfach zu sagen, pass auf, ja wenn du da noch ein Feuerzeug bei dir irgendwo drin hast, dann benutz das verdammte Feuerzeug und zünde deine Flamme an. Ich sag dir auch nicht, dass du wieder laufen wirst. Aber ich sag dir, dass davor viele, viele kleine Schritte noch geschehen werden, wenn du das wirklich anpackst, dieses Training und diese ganzen Änderungen im Leben, die dich auf jeden Fall zufriedener, gesunder und auf den Weg bringen werden, dass du das vielleicht mal erreichst, was du vorhast.

(8)

8 Tanja:

Der war knallhart. Der hat von Anfang an gesagt: Keine Medikamente mehr, Chemie absetzen das ist nicht gut für die Muskulatur, zum Aufbau der Muskulatur und Ernährung umstellen und trainieren und jeden Tag laufen. Ich bin ja immer nur zweimal die Woche für ne halbe, dreiviertel Stunde zur Physiotherapie gegangen und ich bin da schon ein paar Schritte mal am Barren gelaufen, aber das waren immer nur drei Schritte oder so.

Sprecherin: Ab jetzt zwingt Tanja sich in ein strenges Korsett. Vormittags arbeitet sie weiterhin als Köchin, bereitet Salat für die Kollegen vor,

schnippelt Gemüse und hackt Kräuter. Die Nachmittage verbringt sie im Fitnessstudio oder im Schwimmbad. Sechs Tage die Woche trainiert sie, was das Zeug hält. Die gelegentlichen Zigaretten werden ebenso

gestrichen wie jeder Schluck Alkohol; das Essen wird auf Bio umgestellt.

Tanja konzentriert sich ganz auf ihr Ziel:

Tanja:

Ich hab jetzt gesagt: Okay, die fünf Jahre, bis ich 30 bin, die zieh ich jetzt durch. Und an meinem 30. Geburtstag bin ich zum Wandern verabredet.

Atmo Fitnessstudio Tanja:

Das ist mein Fitnessplan: Es wird immer so fünf bis acht Minuten aufgewärmt am Handbike, ich kann ja nur die Arme aufwärmen, und dann immer abwechselnd mach ich ne Übung für die Beine und dann wieder für den Oberkörper. Wenn ich keinen Plan hätte, dann würde ich vielleicht nicht so 100% hier hingehen und so Larifari machen, und so hab ich einen Plan und weiß, was ich zu tun habe.

Atmo Fitnessstudio Tanja:

Im Moment läuft mein Kopf eigentlich nur so Richtung Training, Training, Training. Natürlich hätte ich gern mal wieder einen Freund oder einen Mann an der Seite, aber dafür hätte ich ja auch keine Zeit. Man hätte es schon gerne, es wäre schön, wenn jemand da wäre, der einen unterstützt, aber ich bin jeden Tag unterwegs und mach hier was und mach da was, und hab dann auch keine Zeit, mich um so was zu kümmern.

Sprecherin: Mit eisernem Willen zieht Tanja ihren Plan durch. Nur

sonntags macht sie frei - schließlich muss sie irgendwann auch einmal die Hausarbeit erledigen.

Collage Tanja-Tagesberichte

3. März 2011: Heute war ich bei der Physiotherapie. Ich hab von gestern so einen

Muskelkater gehabt. Ich konnte nicht am Rande der Liege sitzen und den Rücken gerade machen. Es ging gar nicht.

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9 13. April 2011: Die Woche läuft wirklich super, kann mich nicht beklagen. 14. April: Ich hab wieder Probleme mit der rechten Schulter in der Bewegung, aber da muss man einfach weiter trainieren. Auf geht’s!

Sprecherin: Natürlich gibt es immer wieder Tage, an denen sie mit ihrem Schicksal hadert und sie der Mut zu verlassen droht. Doch diese Phasen sind inzwischen sehr viel kürzer als in der ersten Zeit nach dem Unfall, als sie manchmal tagelang heulend im Bett lag.

Tanja :

Am Anfang war das sehr stark - das Hadern. Im Prinzip muss man dann auch irgendwann damit aufhören, weil sonst verrennt man sich da in was, und man kann’s nun mal nicht ändern. Ist so. Ist natürlich blöd gelaufen, aber ich denke, ich mach das Beste draus.

Sprecherin: Das Beste für Tanja heißt in diesen Monaten Training, Training, Training.

Szene Krankengymnastik

K. Ich würde gerne noch sehen, wenn es dir recht ist, wie du läufst am Rollator. T. Aber du bist schon mit dem Stuhl bereit, wenn ich nicht mehr kann... Hose richten... oh Gott, der kippt gleich um. – K. Nah am Körper T. Dann kann ich ja gar keine Schritte machen...

Sprecherin: Bei der Physiotherapie bekommt Tanja Stützen

umgeschnallt, die die Beine gerade halten und ein Einknicken verhindern.

Mit den Armen hievt sie sich hoch, stützt sich auf den Rollator und schiebt ein Bein vor das andere. Im Juli 2010 läuft sie so sieben Schritte, ein gutes halbes Jahr später sind es bereits 45 Meter. Bei der jährlichen Kontrolluntersuchung in Nottwil im Herbst 2011 sind die Erfolge bei der Krankengymnastik nicht zu übersehen. Aber Tanja scheut sich, offen von ihrem harten Training und ihrem Traum, wieder laufen zu können, zu erzählen. Sie fühlt sich nach wie vor dort nicht verstanden.

Tanja:

Die machen so schnell ihren Stempel drunter. Zack - der ist querschnittsgelähmt, der wird nicht mehr laufen können. Das versteh ich nicht.

Szene Untersuchung bei Prof. Jürgen Pannek

P. Die Untersuchung haben Sie unfallfrei überstanden? T. Ja, bin ja hier. (Lachen) P. Und wie ist es Ihnen im letzten Jahr ergangen? Wie haben Sie die Blase im letzten Jahr so entleert? T.

Also genau so wie vorher, also katheter vier bis fünfmal pro Tag, ja. P. Und spüren Sie, wenn Sie kathetern müssen? Haben Sie noch ne gewisse Vorwarnzeit?

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10 T. Ja, doch. Ich reize die auch oft gerne mal nen bisschen zu weit aus (Lachen) Gerad wenn ich irgendwie im Auto unterwegs bin und nicht schnell anhalten kann, und dann zöger ich das immer weiter hinaus. Aber ich halte dann oft auch auf dem Parkplatz an und katheter dann einfach, wenn ich keine Toilette finde oder so.

Sprecherin: Am wichtigsten ist für Tanja bei der Kontrolluntersuchung das Gespräch mit Professor Pannek über die Möglichkeiten, ihre Nerven mit einem Schrittmacher zu stimulieren.

Prof. Pannek :

Der heutige Trend der Forschung geht dahin zu sagen, ich versuche das, was am

Nervensystem nicht funktioniert, durch eine sogenannte neuronale Plastizität zu verbessern.

D. h. ich versuche, die Nerven, die übrig sind, irgendwie dazu zu bringen, Funktionen anderer Nerven zu übernehmen.

Sprecherin: Bislang gibt es erst wenige Ärzte, die entsprechende

Behandlungen anbieten. Tanja will eine Operation wagen, auch wenn sie sie selbst bezahlen muss. Sie will sich einen Schrittmacher einbauen lassen.

Atmo Basketball-Halle

Sprecherin: Ein halbes Jahr später, im Mai 2012, ist Tanja zu Besuch in ihrer Heimatstadt. Mit neuem Haarschnitt und bester Laune sitzt sie in ihrer alten Schule in der Turnhalle. Wie immer gibt es Pfingsten ein

Basketballturnier. Früher hat sie selbst in einer der Mannschaften gespielt.

Heute kommen die ehemaligen Mitspielerinnen vorbei und klatschen sie an der Seitenlinie ab. Tanja strahlt.

Tanja:

Mir geht's auch gut im Moment, die OP ist gut verlaufen, der Strom wurde gut angenommen von meinen Beinen, ich mach da gute Fortschritte.

Sprecherin: Doch das intensive Training hat unerwartete Folgen.

Während die Bauch- und Rückenmuskeln sich kräftigen und an Gehstützen immer weitere Wege möglich sind, klappen andere Dinge nicht mehr wie anfangs. Zum Beispiel der Job in der Küche. Tanja beginnt sich nach einer beruflichen Alternative umzuschauen. Etwas, das bis vor kurzem noch undenkbar für sie war.

(11)

11 Tanja:

Ich werd als Köchin aufhören, weil wenn ich mal ein paar Überstunden mache, geht das schon an die körperliche Substanz und dann komm ich mit dem Training nicht mehr hinterher, und ich fühl mich da einfach nicht mehr wohl. Ich weiß zwar noch nicht, was ich machen werde, aber definitiv was Neues. Ich wollte zwar nie so in den Bürobereich gehen, aber so ne kaufmännische Grundaus-bildung werd ich wohl machen müssen, und das zieh ich dann auch durch.

Musikalischer Akzent

Sprecherin: Fast vier Jahre sind nun seit dem Unfall vergangen.

Tanja:

Ich hab mich total verändert. Ich weiß jetzt mehr, was ich will, ich weiß, was ich brauche, ich kann mich besser durchsetzen, ich war immer ganz schüchtern und war immer zurückhaltend und ganz ruhig. Und jetzt, weil ich hier drin sitze, muss ich auch mal um Hilfe fragen. Und das ist ein Prozess, da wird man auch erwachsener und kriegt mehr Erfahrung und so was.

Sprecherin: Im Sommer 2012 beginnt Tanja schließlich eine Umschulung zur Büro-Kauffrau. Es ist eine Entscheidung, die Folgen haben wird.

Zielstrebig und pragmatisch wie immer, zieht Tanja vom Dorf in eine größere Stadt, um den Schulweg zu verkürzen. Und plötzlich stellt sich das Leben komplett anders dar - vielfältiger, bunter, lebendiger.

Tanja:

Dadurch, dass ich jetzt in der Stadt bin und ich um die Ecke auch Möglichkeiten habe mit dem Rollstuhl wegzugehen, bin ich am Wochenende viel aktiver, gehe auch wirklich tanzen und treffe mich mit Leuten und geh ins Kino,bin auf Männersuche usw. Also ein, zwei hab ich schon kennengelernt, und das hab ich mir vorher gar nicht vorstellen können, und sag mir jetzt auch wirklich: Irgendwann will ich auch mal mein Leben leben und zufrieden sein und glücklich.

Sprecherin: Die neue Einstellung zeigt sich auch äußerlich. Die junge Frau, die sonst sportlich-lässig auftrat, ist nun schick gekleidet.

Tanja:

Vorher bin ich immer in die Küche. In der Küche muss man sich nicht schminken. Da hat man nen Zopf und seine Küchenkleidung und danach habe ich mich umgezogen und bin im Jogginganzug zum Training gegangen. Und jetzt gehe ich jeden Tag wieder in die Schule, als Kauffrau ist man auch in einem anderen Bereich, da hab ich gedacht, kann ich keine

Jogginghosen mehr anziehen. Dadurch schminke ich mich auch jeden Tag.

Sprecherin: Die Ausbildung beansprucht Tanja zeitlich so sehr, dass sie ihr eisernes Trainingsprogramm reduzieren muss.

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12 Tanja:

Vorher habe ich von acht bis zwölf, 13 Uhr gearbeitet, und jetzt fange ich um Viertel nach acht an und habe bis um halb sechs Schule. Ich trainiere immer noch weiter, da wo ich Zeit habe. Es ist nicht mehr so stark intensiv wie vorher, aber ich habe auch ein, zwei Leute in der Klasse gefunden, die kommen zu mir nach Hause und laufen mit mir, die unterstützen mich da.

Sprecherin: Es ist offensichtlich, wie sich die Prioritäten in Tanjas Leben verschieben. Direkt nach dem Unfall der Kampf, ihr altes Leben weiterzu- führen. Dann die Hoffnung, wieder laufen zu können, verbunden mit riesigen Ansprüchen an sich selbst und extremer Disziplin. Und nun eine neue Phase: Tanja geht einfach mit dem, was ihr in der Gegenwart möglich ist und entdeckt das Leben ganz neu.

Tanja:

Ich hab mein Leben irgendwie gelebt, aber trotzdem nicht daran teilgenommen, also ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich hab das so genommen, wie es kommt und so

akzeptiert, und - ja. Und jetzt ist es einfach - ich mach das, wozu ich Lust habe und setz mich dafür ein. Was ich auch gemerkt habe, ist, dass in der Schule ich im Gegensatz zu früher eher die Führungsposition in Gruppenarbeiten auch übernehme, statt wie früher mich im

Hintergrund zurückziehe.

Atmo Geburtstagsfeier

Sprecherin: Fast sieben Jahre sind seit Tanjas Unfall in Ägypten

vergangen, und nun ist er da: Tanjas 30. Geburtstag. Der Tag, auf den hin sie so lange all ihre Anstrengungen ausgerichtet hatte. Der Tag, für den sie sich vorge-nommen hatte, wieder laufen zu können.

Atmo „Happy birthday liebe Tanja!“

Sprecherin: Doch gewandert wird nicht, sondern stattdessen ausgelassen gefeiert. Das neue Lebensjahr und die neue Tanja. Strahlend - im

Rollstuhl. Mit einem neuen Freund an ihrer Seite blickt sie gelassen in die Zukunft und wirkt, als sei sie nun ganz bei sich angekommen.

Tanja:

Ich will einfach mal leben, ich will wirklich einfach mal mein Leben leben. Ich bin glücklich in der Beziehung, beruflich sieht es gut aus, könnt mir eigentlich nichts anderes wünschen im Moment. Wie’s weitergeht? Ja, das werden wir sehen. Im Moment trainier ich eigentlich kaum. Ich schreib's sicherlich nicht ab, dafür hab ich natürlich viel zu viel Zeit investiert.

Vielleicht entscheide ich mich irgendwann, wieder da mehr den Fokus drauf zu legen. Und so im Moment, wie es ist, bin ich glücklich und möchte nichts großartig ändern.

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