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Archiv "Die Bedeutung der Retrainingtherapie bei Tinnitus: Psychotherapie nicht immer ausreichend" (17.03.2000)

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nachgewiesene Wirkung. Dies gilt ins- besondere, wenn sich das Leiden am Tinnitus als „somatischer Kristallisati- onspunkt“ eines psychogenen oder psychosomatischen Prozesses dar- stellt. Dabei ist es wichtig, den Tinni- tus „in die Beziehung treten zu las- sen“, um das Leiden am Tinnitus adä- quat behandeln zu können.

Die Tinnitusretrainingtherapie, auch in ihrer erweiterten Form, hat als ambulantes Verfahren ihre Grenzen immer dann, wenn eine gravierende psychische oder psychosomatische Störung vorliegt. Dies gilt schätzungs- weise für 0,5 Prozent der chronisch von Tinnitus Betroffenen. Für diese Patienten kann eine neurootologisch und psychosomatisch fundierte sta- tionäre Behandlung initial notwendig werden, bei der ein integriertes neuro- otologisches und psychosomatisches stationäres Vorgehen, möglichst unter Einschluss einer speziellen Hörthera- pie, indiziert und in der Regel auch er- folgreich ist.

Wir danken den Autoren für ihren Beitrag, der das komplexe The- rapieproblem sehr übersichtlich dar- gestellt und gleichzeitig einer standar- disierten Tinnitusbehandlung mit ho- hem Anspruch das Wort geredet hat.

Literatur bei den Verfassern

Dr. med. Gerhard Hesse Hals-Nasen-Ohrenarzt Manfred Nelting

Facharzt für Psychotherapeutische Medizin

Facharzt für Allgemeinmedizin, Homöopathie

Dr. med. Helmut Schaaf Facharzt für Anästhesie, Psychotherapie

Tinnitusklinik Große Allee Große Allee 1–3

34454 Bad Arolsen

In dem Artikel werden Begriffe wie Habituation und chronisches Ohr- geräusch kritiklos an den Anfang eines veralteten, mechanistischen Modells gestellt, obwohl man mittlerweile weiß, dass mit einer Habituation weder

die Ursache des Tinnitus noch sein Erkrankungsmechanismus beseitigt werden kann. Der Patient bleibt also auf seiner Zeitbombe sitzen, die tickt, pfeift und rauscht, bis ihn bei ei- nem entsprechenden Auslöser der Schlag(anfall) trifft. Habituation ist nicht patientenfreundlich, aber einfach und lukrativ. Es liegen auch genügend Erkenntnisse (siehe Forschungsbericht des BMA 214b Sozialforschung bezüg- lich der Biomentalen Therapie) vor, die bestätigen, dass Tinnitus nicht nur linderbar, sondern auch heilbar ist, al- lerdings bedarf es dafür des Dekondi- tionierens bestimmter autonomer Me- chanismen. Das autonome Nervensy- stem ist bekanntermaßen lernfähig, weshalb einer gezielt provozierten Spontanheilung auch nach vielen Jah- ren nichts im Wege steht. Kann man al- so überhaupt noch von chronischem Tinnitus sprechen, und wen interes- siert noch Habituation? Patienten wol- len Linderung und Heilung! Des Wei- teren vermisse ich prozentuale Anga- ben über sehr unerwünschte Neben- wirkungen einer Retrainingtherapie, die ich selbst und auch Kollegen von mir bereits mehrfach beobachtet ha- ben: Diese Nebenwirkungen äußern sich nämlich darin, dass sich das Geräusch des Maskers als ein zusätzli- ches, dauerhaftes Ohrgeräusch einge- stellt hat, das auch nach Abbruch der Retrainingtherapie nicht mehr von al- leine verschwand. Diese besagten Pa- tienten haben somit ihr ursprüngli- ches Ohrgeräusch behalten und ein weiteres hinzugelernt. Ist es denn auch noch unbekannt, dass Tinnitus „an- steckend“ ist, dass man bekannte, gleichbleibende Geräusche in sein Tin- nitusrepertoire einbauen kann?

Literatur

1. Greuel H: Suggestivbehandlung bei Hör- sturz. HNO 1983; 31: 136–139.

2. Greuel H: Persönlichkeitsmerkmale als Hörsturzrisiko. HNO 1986; 34: 146.

3. Greuel H: Tinnitus ist heilbar – Erfahrung geheilter Tinnitus-, Hörsturz- und Morbus Menière-Patienten mit der Biomentalen Therapie in Beiträgen. Düsseldorf: VDG- Verlag 1995.

4. Greuel H: Hörsturz-Diagnose und Thera- pie der psychoneuroimmunologischen In- nenohrsyndrome Hörsturz, Tinnitus und Morbus Menière. Düsseldorf: VDG-Verlag 1997.

Dr. med. Hans Greuel Kaiser-Wilhelm-Ring 37 40545 Düsseldorf

Therapieansätzen im chronischen Stadium des Tinnitusleidens, die auf eine Habituation beziehungsweise Adaptation („mit dem Tinnitus leben lernen“) hinauslaufen, kommt eine zentrale Rolle zu. Die beiden Autoren unterstreichen daher zu Recht die psy- chische Dimension des chronischen Tinnitusleidens, die potenziellen Ko- morbiditäten und die damit notwendi- ge enge Zusammenarbeit mit ärztli- chen beziehungsweise psychologi- schen Psychotherapeuten. Das patho- physiologische Modell von Jastreboff und Hazell legt dies zwar nahe (tinni- tusspezifische neuronale Aktivität im Kortex und limbischen System, was auch durch neuere positronenemis- sionstomographische Studien gestützt wird (3), im Therapieansatz der Tinni- tusretrainingtherapie bleibt es dann aber doch mehr oder weniger ausge- spart. Eine erst kürzlich erschiene- ne Metaanalyse (1) zur Wirksamkeit verschiedener psychologischer Be- handlungen beim chronischen Tinni- tus (18 Studien mit insgesamt bis zu 700 Patienten) ergab im Hinblick auf die mit dem Tinnitus verbundenen subjektiven Belastungen mittelhohe bis große Effektstärken bei den kon- trollierten Studien für die kognitiven Verhaltenstherapien. Teilweise deut- lich niedriger fielen dagegen die Ef- fektstärkeberechnungen bezüglich der Reduktion der Lautstärke des Tinni- tus, Depression und Schlafstörungen aus (insbesondere bei den Follow-up- Messzeitpunkten), sodass die Autoren fordern, gerade die beiden zuletzt ge- nannten Aspekte in den psychothera- peutischen Bemühungen stärker zu fokussieren (1). Ein ebenfalls erst kürzlich erschienener Review von aus- schließlich randomisierten und kon- trollierten Studien zur Tinnitusthera- pie (2), der neben nicht medikamentö- sen Therapien (verschiedene Psycho- therapieformen, Akupunktur und an- dere) auch Medikamentenstudien (Tocainid und andere lidocainähn- liche Substanzen, Antiepileptika wie Carbamazepin, Benzodiazepine, tri- zyklische Antidepressiva und ande- re) berücksichtigte, kommt zu dem Schluss, dass hinsichtlich replizierba- A-709

M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

Veraltetes

mechanistisches Modell

Psychotherapie nicht

immer ausreichend

(2)

rer Langzeiterfolge keine Behandlung derzeit als ausreichend (das heißt über Plazeboeffekte hinausgehend) empi- risch belegt gelten könne. Unspezifi- sche Unterstützung und Beratung sei- en vermutlich nützlich, genauso wie trizyklische Antidepressiva in schwe- ren Fällen. Neben der Forderung in künftigen Studien verstärkt die Lang- zeitergebnisse zu dokumentieren, soll- te in schweren Fällen die Option einer medikamentösen Mitbehandlung der Depression – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung psychotherapeutischer Bemühungen – nicht aus den Augen verloren werden.

Literatur

1. Andersson G, Lyttkens L: A meta-analytic review of psychological treatments for tin- nitus. Br J Audiol 1999; 33: 201–210.

2. Dobie RA: A review of randomized clinical trials in tinnitus. Laryngoscope 1999; 109:

1202–1211.

3. Mirz F, Pedersen B, Ishizu K et al.: Positron emission tomography of cortical centers of tinnitus. Hear Res 1999; 134: 133–144.

Dipl.-Psych. Dr. med. Dr. phil.

Peter Schuck

Dipl.-Psych. Dr. phil. Horst Müller Forschungsinstitut Bad Elster (FBK) Lindenstraße 5

08645 Bad Elster

Wir bedanken uns für die Diskus- sion, meist konstruktive Kritik und das Engagement der Autoren für die Leserbriefe. Die von den Kollegen Schuck und Müller erwähnte neueste Literatur ist ein wesentlicher Beitrag in der Diskussion um das Phänomen Tinnitus, sie konnte zum Zeitpunkt der Drucklegung nicht berücksichtigt werden. Ziel unseres Artikels war es, sich kritisch mit der Retrainingthera- pie, wie sie Jastreboff definiert, aus- einander zu setzen. Dies betrifft ins- besondere die Integration des aus den USA stammenden Modells in das hie- sige Gesundheitssystem unter Einbe- ziehung der Professionen. Die darge- stellte Verknüpfung des zuständigen Fachgebietes, nämlich der HNO- Heilkunde mit der Psychologie aber auch der psychosomatischen Medizin bringt zunächst einmal erhebliche Kompetenzerweiterung und eine Ent-

lastung für die zusammen behandeln- den Therapeuten.

Herrn Kollegen Greuel muss in allen Punkten widersprochen werden:

Zunächst einmal ist bei jedem chroni- schen Prozess die Habituation an ein Symptom zu fördern. Das vorgestellte Modell zur Zusammenarbeit ist in un- serem jetzigen Kassensystem durch- führbar aber nicht lukrativ. Die von Herrn Dr. Greuel angesprochene Dekonditionierung ist nur ein Bau- stein, der auch im vorgelegten Kon- zept durchgeführt wird. Aufgrund der Komplexität des Hörsystems muss bei den therapeutischen Aspekten mehr als nur das autonome Nervensystem berücksichtigt werden. Unter dem vorgestellten Therapieansatz gibt es auch Spontanheilungen (in circa 25 Prozent bei Grad 1 und 2). Es wäre je- doch nicht richtig, einem Tinnituspati- enten eine Heilung zu versprechen.

Dies betrifft alle derzeit diskutierten Therapieansätze. Die Induktion eines Tinnitus durch die Anwendung von Tinnitusmaskern zur Teilmaskierung ist in extrem seltenen Fällen möglich.

Sie beruht aber dann auf falscher Indi- kation und falscher Handhabung.

Herrn Kollegen Rothe muss ent- schieden zugestimmt werden, dass ei- ne komplexe Zusammenarbeit gerade bei chronischen Krankheitsbildern von den Krankenkassen in ihrer Be- deutung erkannt und gefördert wer- den muss. Angesichts der hohen Ko- morbidität, vor allem bezüglich De- pressionen (1), kann die Betreuung von Patienten mit komplexem chroni- schen Tinnitus nicht allein von HNO- Ärzten getragen werden.

Die Autoren Hesse et al. und Herr Kollege Faude kritisieren die hervor- ragende Bedeutung der Verhal- tenstherapie im Vergleich zum analyti- schen Ansatz. Diese naturgemäß auch berufspolitische Diskussion muss aus der Sicht der Autoren als HNO-Ärzte gesehen werden. Aus der Praxis des so- matisch arbeitenden Arztes heraus er- gibt sich die Notwendigkeit einer psy- chologischen Diagnostik. Deshalb wird in dem Artikel die psychologische Diagnostik als Kern in dem pragmati- schen Vorgehen dargestellt. Dem Prin- zip der minimalen Intervention fol- gend erscheinen hier die verhal- tenstherapeutischen diagnostischen Prinzipien sinnvoll. Nach der psycho-

logischen Diagnostik muss der Ein- zelfall differenziert gesehen werden:

Selbstverständlich ergibt sich jetzt indi- viduell bei entsprechender Komorbi- dität die Indikation für die verschiede- nen psychotherapeutischen Ansätze.

Hierunter fallen dann auch tiefenpsy- chologische Behandlungskonzepte.

Um dem medikamentösen As- pekt bei Tinnitus genüge zu tun (siehe Kollegen Schuck und Müller), ist die Integration eines psychotherapeutisch tätigen Arztes sinnvoll. Es muss dar- auf geachtet werden, dass bei der Tin- nitustherapie jedoch nicht monoman psychologisiert wird. Herr Kollege Hesse mahnt deshalb zu Recht die Notwendigkeit einer wiederholten so- matischen Abklärung auch des chro- nischen Verlaufes an, da sich infol- ge von Habituationsprozessen und auch aufgrund der komplizierten effe- renten Steuerung des Innenohres neue medizinische Aspekte ergeben können.

Die Kollegen Sprenkmann und Purisic weisen zu Recht darauf hin, dass eine stationäre Therapie in ent- sprechenden Einrichtungen bei Grad 3 fakultativ, bei Grad 4 obligat erfol- gen soll. Im Fokus einer stationären Therapie steht die Behandlung von Komorbiditäten bei Tinnitus. Sie er- folgt daher vorwiegend in psychoso- matischen Kliniken, die sich speziell auf Tinnituspatienten und Patienten mit Hörstörungen eingestellt haben.

Die Deutsche Tinnitusliga hat durch selbsterworbene Kompetenz und durch berechtigtes Drängen der Tinnitusforschung und den Bemühun- gen von uns Therapeuten Vorschub geleistet. Die daraus entstehenden Impulse müssen weiterhin interdiszi- plinär diskutiert werden. Es bleibt in der Verantwortung der Professionen, eine Pathologisierung des Symptoms zu verhindern, aber die Betroffenheit ernst zu nehmen.

Literatur

1. Goebel G, Fichter MM: Depression beim chronischen Tinnitus. Münch Med Wschr 1998; 140 (41): 557–562.

2. Hesse G (Hrsg.): Retraining und Tinni- tustherapie. Stuttgart: Thieme 2000.

Dr. med. Eberhard Biesinger Hals-Nasen-Ohrenarzt Maxplatz 5

83278 Traunstein A-710

M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

Schlusswort

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