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Archiv "Zukunft des Gesundheitswesens: Jedes vierte Krankenhaus überflüssig?" (23.06.2000)

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as bundesdeutsche Gesund- heitswesen steht vor großen Herausforderungen und Um- wälzungen. Sowohl die institutionel- len, finanziellen als auch rechtlichen Rahmenbedingungen werden sich in den nächsten 15 Jahren fundamental ändern. Davon sind 27 Experten aus den wesentlichen Bereichen des deut- schen Gesundheitswesens überzeugt.

Die Studie, unter dem Motto: „Kran- kenhaus 2015: Wege aus dem Paragra- phendschungel“ von der Wirtschafts- prüfungs- und Steuerberatungsgesell- schaft Arthur Andersen, Eschborn und Frankfurt am Main, veröffent- licht, kommt zu folgenden Ergebnis- sen:

Die demographischen Daten, die Arbeitslosigkeit, die stark expandie- renden Behandlungskosten und das un- vermindert hohe Anspruchsniveau der Versicherten werden Konsequenzen für die Finanzierung und die strukturellen Rahmenbedingungen im Gesundheits- wesen haben. Die Futurologen gehen davon aus, dass sich der Staat wegen permanenter finanzieller Engpässe und der Aufgabenverlagerung auf andere gesellschaftspolitische Schwerpunkte allmählich aus der Mitfinanzierung der Gesundheitssicherung zurückziehen wird. Im Gegenzug wird sich die Ge- sundheitswirtschaft mehr auf die Prinzi- pien Wettbewerb und Marktwirtschaft umstellen müssen. Rationalisierung und industriewirtschaftliche Manage- ment-Methoden seien das Mittel der Wahl, um die Herausforderungen zu bewältigen. Obwohl manche Zukunfts- visionen, die in der Vergangenheit offe- riert wurden, in der Realität nicht zutra- fen, dürften die in der Andersen-Studie zusammengetragenen Erwartungen und Prognosen durchaus tendenziell realistisch sein. Prognostiziert wird:

Der Gesamtumsatz auf dem Ge- sundheitsgüter- und -dienstleistungs- markt wird sich von zurzeit 550 Milliar- den DM (2000) bis zum Jahr 2015 mehr als verdreifachen. Wesentliche Gründe dafür sind der anhaltende ra- sante medizinische und medizinisch- technische Fortschritt, die steigende Lebenserwartung, die Überalterung der Bevölkerung, das kaum veränderte Inanspruchnahmeverhalten und das Leistungsniveau. Damit einher gehen dürften Konzentrationsprozesse in al- len Leistungssektoren und eine spür- bare Verschiebung der Mittelaufbrin- gung und der anteiligen Finanzierung.

Den Prognosen zufolge kommt es – wie beispielsweise bereits in den Nie- derlanden – auch in Deutschland zu einer Konvergenz von gesetzlicher und privater Krankenversicherung – bei Beibehaltung der Versorgungs- funktionen beider Versicherungsty- pen. Erwartet wird, dass sich die gesetzlichen Krankenkassen immer mehr als privatwirtschaftlich organi- sierte Dienstleistungsunternehmen ge- rieren werden.

Reprivatisierung

Die Studie rechnet mit folgenden Finanzierungsverschiebungen:

Während der durch gesetzliche und private Krankenversicherung ab- gedeckte Teil der Leistungen von 80 auf unter 50 Prozent sinken dürfte, stammt demnach künftig fast ein Drit- tel des Gesundheitsbudgets direkt aus den Taschen der Privathaushalte. Bis- her sind dies nur sieben Prozent.

Die Versicherten können über die Beitragshöhe bestimmen, indem sie sowohl den Träger der Versiche- rung als auch Art und Umfang des

Krankenversicherungsschutzes weit- gehend selbst wählen. Es wird damit gerechnet, dass die gesamtwirtschaft- liche Entwicklung und die sich ver- schärfende Finanzsituation des Staa- tes und der öffentlichen Hände das Engagement des Staates auf andere Be- reiche konzentrieren werden, so etwa der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Lösung der Finanzierungs- probleme der gesetzlichen Renten- versicherung. Der Generationenver- trag in allen Sozialleistungszweigen wird aufgeweicht werden. Die Politik wird daher bestrebt sein, die Eigen- verantwortung und Direktfinanzie- rung über die Versicherten zu stärken.

Staat: Notariatsfunktion

Im Gegenzug wird sich der Staat auf die Definition und Überwachung der Rahmenbedingungen für die Ge- sundheitsversorgung zurückziehen.

Darüber hinaus überwacht er die Si- cherstellungsaufträge und sichert die Behandlungsqualität (Notariatsfunk- tion). Langfristig wird sich die Kran- kenversicherung, für die es künftig eine Pflicht zur Versicherung geben wird, auf eine steuerfinanzierte Grund- finanzierung für alle Versicherten be- grenzen müssen. Art und Umfang der öffentlichen Versicherung werden deutlich unter dem heutigen Lei- stungs- und Finanzierungsniveau lie- gen. In allen Sektoren, vor allem auch im stationären Sektor, wird die monistische Finanzierung konsequent umgesetzt werden – mit allen Konse- quenzen für die Versicherungen und die Versicherten. Der Gesundheits- markt wird konsequent dereguliert, der Wettbewerb verschärft und den Versicherungsträgern das Recht einge- A-1728 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 25, 23. Juni 2000

P O L I T I K AKTUELL

Zukunft des Gesundheitswesens

Jedes vierte Krankenhaus überflüssig?

Visionen über die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens bis zum Jahr 2015. Ein Szenario von 27 Experten

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räumt, versorgungsadäquate und stan- dardisierte Leistungen „einzukaufen“.

Unter anderem werden steuerbegün- stigte Direktversicherungsmodelle auf dem Krankenversicherungsmarkt ent- wickelt. Unternehmen bieten ihren Beschäftigten auf freiwilliger Basis zum Teil die Finanzierung einer hö- herwertigen Krankenversicherung an.

Oftmals werden diese Bestandteil ei- ner individuellen Bonusregelung.

Im Hinblick auf die Organisation und Leistungsvielfalt sowie das Lei- stungsangebot wird es künftig kaum noch Unterschiede zwischen gesetzli- cher und privater Krankenversiche- rung geben. Grundsätzlich wird am Kontrahierungszwang im Rahmen der staatlich definierten Gesundheits- grundversorgung festgehalten. Darüber hinaus kann sich die Versicherung ent- scheiden, wer in die Versicherungsge- meinschaft aufgenommen wird (indi- viduelle Risikoprüfung).

Freie Vertragsgestaltung

Mittelfristig wird es auf dem Ge- sundheitsmarkt eine freie Vertragsge- staltung zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern geben. Entspre- chend entfällt der bisher monopol- artige Sicherstellungsauftrag der Kas- senärztlichen/Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und deren Bundesver- einigungen sowie deren Kollektiv- vertretungsrecht für alle an der ver- tragsärztlichen und vertragszahnärztli- chen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Zahnärzte. Deshalb werden sich die Kassenärztlichen und Kassenzahn- ärztlichen Vereinigungen neue Auf- gabenbereiche suchen und auf diese konzentrieren (müssen).

Künftig werden die mit staatli- cher Hilfe etablierten Patientenver- bände mehr Einfluss auf die Versor- gungsstrukturen nehmen. Staatliche Hilfestellung wird es bei der Grün- dung eines zentralen Dachverbandes der Versicherten und Patienten ge- ben, um möglichst einheitlich und in gewerkschaftlicher Manier die unter- schiedlichsten Interessen gegenüber den Leistungsanbietern vertreten zu können. Patientenverbände werden zu einer festen, demokratisch legiti- mierten Größe im gesundheitspoliti- schen Entscheidungsprozess. Revolu-

tionär wird der Krankenhausmarkt umgestaltet werden. Die Konzentra- tionsprozesse werden fortschreiten.

Die Marktanteile werden sich zugun- sten der freigemeinnützigen und vor allem der privaten Krankenhausträger verschieben – zulasten der öffentlich- rechtlichen Klinikträger.

Prognostiziert wird, dass bis zum Jahr 2015 jedes vierte Krankenhaus seine Pforten schließen muss. Die Zahl der Krankenhäuser wird um 25 bis 30 Prozent von derzeit rund 2 240 auf 1700 Krankenhäuser zurückge- hen. Hauptgrund für die Konzentrati- on und Marktverschiebungen: ökono- mische Zwänge und der Abbau der Ende der 90er-Jahre offenbar gewor- denen Überkapazitäten. Die Zahl der Krankenhausbetten wird sich von der- zeit rund 540 000 auf 340 000 im Jahr 2015 reduzieren. Dies entspricht ei- nem Rückgang von mehr als 40 Pro- zent im Vergleich zum Jahr 2000.

Gleichzeitig wird erwartet, dass sich die Verweildauer im Krankenhaus von derzeit knapp elf Tagen (nur Akut- krankenhäuser) auf durchschnittlich drei bis fünf Tage bei vollstationärer Versorgung verringern wird.

Darüber hinaus sind sich die Ex- perten einig darüber, dass das pauscha- lierte Entgeltsystem (Fallpauschalen ab dem Jahr 2003) einen erheblichen finanziellen Anreiz zur Abkürzung der Verweildauer im Krankenhaus bewir- ken wird.

Gute Entwicklungschancen räumt die Andersen-Studie privaten Kran- kenhäusern ein. Deren Marktanteil dürfte sich den Prognosen zufolge von zurzeit rund fünf Prozent auf mehr als 10 bis 12 Prozent vergrößern. Die be- reits zunehmende Klinikkettenbildung wird sich verstärkt fortsetzen. Auch werden sich mehr Verbundsysteme und Managementverträge mehrerer Krankenhäuser durch kompetente Kli- nikkonzerne herausbilden. Gerechnet wird auch damit, dass der Kranken- hausmarkt rentables Anlagekapital su- chen wird.

Im ambulanten ärztlichen Sektor werden sich mehr sektoren-über- greifende Versorgungsnetze heraus- bilden, um für bestimmte, besonders kostenträchtige und expandierende Krankheitsbilder ein krankheitsspezi- fisches Management (Managed Care) durchzuführen. Die Versicherungsträ-

ger werden sich darauf einstellen – auch im Hinblick auf das notwendige Kostenmanagement.

Der ambulante Sektor wird flä- chendeckend durchdrungen werden von privatwirtschaftlichen Trägern von Gesundheitsnetzen. Erwartet wird, dass sich bis zum Jahr 2015 etwa 25 bis 30 Gesundheitsunternehmen, so genannte Versorgungs-AGs am Markt etablieren, die den Kapitalbedarf über die Börse sicherstellen. Neben Versor- gungs-AGs wird es weitere 70 bis 150 Gesundheitsnetze in Deutschland ge- ben. Diese bestehen aus unterschiedli- chen Leistungserbringern.

Darüber hinaus wird sich verein- zelt das Franchise-Konzept durchset- zen, das nach vergleichbaren Mustern wie die Gesundheitsnetze arbeitet.

Ohne berufsrechtliche Schranken wird künftig ein gemeinsames und koordi- niertes Marketing der Leistungsnetze erfolgen. Insbesondere in Städten ste- hen unterschiedliche Netze im Wett- bewerb. Die Risikoselektion der Ver- sicherungsträger ist ein dominieren- des Unternehmensziel; die Jagd nach dem „Kunden Patient“ erhitzt nicht mehr die politischen Gemüter wie noch im Jahr 2000.

Europa setzt Zeichen

Auch der europäische Markt und die Globalisierung der Märkte haben Rückkoppelung auf das bundesdeut- sche Gesundheitswesen. Qualitativ hochwertige Behandlungsleistungen werden in Deutschland sowohl von eu- ropäischen als auch außereuropäischen Nachbarn nachgefragt. Die Migration wird zunehmen. Die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes legali- siert die Nachfrage- und Leistungsbe- dingungen über die Grenzen.

Rund zehn Prozent der deut- schen Beschäftigten im Gesundheits- wesen werden im Ausland arbeiten.

Der Anteil ausländischer Beschäftig- ter im deutschen Gesundheitswesen liegt mit 35 Prozent deutlich höher.

Große Konzerne dominieren den eu- ropäischen Gesundheitsmarkt. Klei- nere, flexiblere und „findige“ Unter- nehmen entwickeln sich in Nischen und sind zu potenziellen Koopera- tions- und Übernahmekandidaten ge- worden. Dr. rer. pol. Harald Clade A-1730

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 25, 23. Juni 2000

Referenzen

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