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Archiv "Zur Zukunft des Gesundheitswesens: The worst case" (07.04.2006)

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1990:

Kassenpatient Hugo Maier, 31 Jahre, lässt sich von seinem Hausarzt, Dr. med.

Thomas Arglos, eine Tetanus- auffrischung geben. Der Arzt kennt ihn kaum, denn Herr Maier ist seit zehn Jahren nicht mehr krank gewesen. Dr. Arg- los vermerkt auf dem Kranken- schein „Tetanusauffrischung“.

1995:

Herr Maier ist jetzt 36 Jahre alt und kommt zur Gesundheitsuntersuchung. Er ist übergewichtig und raucht seit fünf Jahren 20 Zigaretten täglich. Sonst ist er gesund, und die Untersuchungen ergeben keine Auffälligkeiten. Dr. Arg- los hat jetzt einen Paxiscompu- ter. Dieser erwartet eine Ab- rechnungsdiagnose. Der Arzt verschlüsselt: „Sonstige Grün- de, das Gesundheitswesen in Anspruch zu nehmen“.

2000:

Herr Maier ist nun 41 Jahre alt und besorgt. Sein Vater (Raucher, Übergewicht, Hypertonie, Diabetes mellitus) ist vergangene Woche nach einem Herzinfarkt gestorben.

Herr Maier hat seit der Beerdi- gung nicht mehr geraucht und sich inzwischen einer Walking- Gruppe und den Weight Wat- chers angeschlossen. Eine Ge- sundheitsuntersuchung ergibt außer einer milden Hypertonie und dem Übergewicht keine

Pathologien. Eine ergänzende fachkardiologische und pulmo- logische Untersuchung erge- ben Normalbefunde. Der Arzt verschlüsselt bei der Abrech- nung : „Depressive Reaktion“.

2005:

Der Patient ist nun 46 Jahre alt und hat Normalge- wicht. Ohne Medikamente ist der Blutdruck niedrignormal, und Herr Maier blickt auf fünf Jahre Nichtrauchen zurück.Die Gesundheitsuntersuchung und Krebsvorsorge bei Dr. Arglos ergeben keine Auffälligkeiten.

Der Arzt verschlüsselt die Dia- gnose: „Sonstige Gründe, das Gesundheitswesen in Anspruch zu nehmen.“

2007:

Die elektronische Patientenkarte wird eingeführt.

Bei Herrn Maier speichert Dr. Arglos außer den Impfun- gen und der Blutgruppe des Pa- tienten keine Daten ab.

2009:

Herr Maier gönnt sich mit seiner Stammtischrun- de von seiner Kneipe an der Ecke einen Urlaub in Thai- land. Nach seiner Rückkehr lässt er bei Dr. Arglos einen Aidstest durchführen. Der Test ist negativ. Damit die Kran- kenkasse die Kosten für den Test übernimmt, muss Dr.Arg- los die Diagnose „Verdacht auf HIV-Infektion“ verschlüs- seln.

2010:

In der ambulanten Medizin wird die Diagno- senabhängige Fallpauschale (DAFP) eingeführt. Die Ge- sundheitsuntersuchung bei Herrn Maier ist auch in diesem Jahr ohne Fehl und Tadel. Mit- hilfe eines DAFP-Scouts, der die mit den neuen Abrech- nungsmodalitäten hoffnungs- los überforderten Ärzte gegen ein stattliches Honorar von 100 Euro/Stunde (ohne Anfahrt) berät, verschlüsselt Dr. Arglos folgende Diagnosen: „Z. n.

Adipositas, Z. n. Hypertonie, Z. n. Nikotinabusus, Z. n. De- pression, Diabetes in der Fami- lienanamnese, KHK in der Familienanamnese, Hyperto- nie in der Familienanamnese“.

Diese sorgfältige Verschlüsse- lung kostet zwar Zeit, erhöht aber die Fallpauschale des in- zwischen 51-jährigen Herrn Maier um stolze 300 Prozent.

2011:

Herr Maier wird mit 52 Jahren Vater eines kerngesunden Jungen. Bei Entlassung aus der Entbin- dungsklinik erhält die Mutter die Versichertenkarte des Kindes. Gespeichert sind:

Blutgruppe, APGAR-Index, Geburtsgewicht, genetischer Kode, Familienvorgeschichte:

Diabetes, Hypertonie, KHK.

2012:

Die Bürgerversiche- rung wird eingeführt. Alle Bundesbürger zahlen ein und erhalten eine Basisversorgung:

80-prozentige Erstattung aller ambulanten Leistungen, 100- prozentige aller stationären Leistungen, 50-prozentige des Zahnersatzes, Medikamente bis maximal fünf Euro Ta- gestherapiekosten, operative Eingriffe bei chronischen Er- krankungen (Bypassoperati- on, Gelenkersatz etc.) nur bis zur Verrentung, maximal bis zum Erreichen des 65. Lebens- jahres. Leistungen zur Pflege bis maximal 50 Euro ambulant und 1 000 Euro bei stationärer Pflege. Herr Maier verdient gut und will für sich und seine Familie eine private Zusatz- versicherung abschließen. In seinem Antrag entbindet er seinen Hausarzt von der ärztli- chen Schweigepflicht und ge- stattet dem Sachbearbeiter der Versicherung Einsicht in seine auf dem Zentralrechner der

Healthcard gespeicherten per- sonenbezogenen Daten. Seine Frau stellt ebenfalls einen An- trag, unterschreibt aber aus Prinzip nicht die Schweige- pflichtsentbindung und die Genehmigung der Einsicht der gespeicherten Daten.

Zwei Wochen später:

Herr Maier erhält ein Schrei- ben: „Sehr geehrter Herr Mai- er, Ihren Antrag haben wir ge- prüft. Aus Ihrer Familienvor- geschichte ist bekannt: Diabe- tes mellitus, Hypertonie, Herz- infarkt. Aus Ihrer Anamnese entnehmen wir:Adipositas, Ni- kotinabusus, Hypertonie, De- pression, V. a. HIV-Infektion.

Wir bedauern es, Ihnen in Ihrem Alter bei dieser Risiko- konstellation keine private Zusatzversicherung anbieten zu können. Ihrem Kind kön- nen wir bei entsprechendem Risikozuschlag ein Versiche- rungsangebot unterbreiten. Ih- re Frau möchte gerne die Schweigepflichtsentbindung und die Genehmigung zur Da- teneinsicht unterschreiben, da wir den Antrag sonst nicht be- arbeiten können.

Am selben Abend:

Herr Maier ist frustriert und geht seit fünf Jahren das erste Mal wieder in die Kneipe an der Ecke. Dort trifft er seinen Arbeitskollegen, den Ketten- raucher Nico Tien. Der trinkt gerade sein fünftes Bier und feiert die Aufnahme in die pri- vate Zusatzversicherung. (Ni- cos Healthcard ist leer, da Ni- co zwar seit zehn Jahren Stammgast in der Kneipe ist, aber in dieser Zeit nie beim Arzt war. Bei Beschwerden suchte er immer den Heil- praktiker auf.) Herr Maier lässt sein halbes Glas stehen und geht nach Hause.

Sechs Monate spä- ter:

Nico Tien ist nach sei- ner Bypassoperation zur stationären Nachbehandlung in einer Privatklinik. Die private Zusatzversicherung übernimmt die Kosten. Herr Maier sitzt im Flugzeug und wandert mit seiner Familie nach Australien aus. Mit im Flieger sitzt: Dr. med. Tho- mas Arglos. Sein Ziel ist Neuseeland . . .

Dr. med. Michael Reiche

A

A964 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 14⏐⏐7. April 2006

S T A T U S

Zur Zukunft des Gesundheitswesens

The worst case

Eine Geschichte ist erst dann zu Ende gedacht, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat.

Foto:caro

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