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Archiv "DROGENPOLITIK: Einseitiges Bild" (29.11.1990)

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beitskraft investiert, und kein Sponsor, der Geld dafür aus- gibt. Die erforderlichen Mit- tel müßten in erster Linie aus dem Staatssäckel kommen.

Vorher müßten die Politiker, die dieses Geld zu vergeben haben und die notwendigen gesetzlichen Veränderungen beschließen müßten, über- zeugt werden, daß es sich um ein wichtiges Gesundheits- problem unserer Zeit han- delt. Dazu können Artikel, in denen mit leichter Feder die Initiativen von Politikern zu- rückgewiesen werden, nicht beitragen.

Prof. Dr. H. Kewitz, Insti- tut für Klinische Pharmakolo- gie der Freien Universität Berlin, Universitätsklinikum Steglitz, Hindenburgdamm 30, 1000 Berlin 45

Bereitschaft zum Verzicht geschwächt

Seit 1987 werden die Ab- hängigen von einer zielgerich- teten Behandlung mit „Ent- zug — Entwöhnung — Nachsor- ge" abgelenkt durch höchst eigenwillige Konzepte, die je- den Arzt, der in der Behand- lung Drogenabhängiger er- fahren ist, erschrecken müs- sen.

Der Drogenentzug geht mit Beschwerden einher, die jenen einer Grippe ähneln.

Der Höhepunkt im Falle von Heroin ist bereits nach 36 Stunden überwunden. Der Methadon-Entzug dauert we- sentlich länger. Allerdings wissen wir ja schon bereits seit über zehn Jahren, daß die jungen Drogenkonsumenten einen Mehrfachkonsum be- treiben. So wird der Opi- atentzug in der Klinik häufig zunächst durch Benzodiaze- pine kaschiert.

Für die pharmakologische Dämpfung von körperlichen Entzugsbeschwerden und zur Schlafförderung hat sich bei uns die Gabe niederer Do- sen von Promethazin oder Chlorprothixen bewährt. Ein Teil der Abhängigen kommt aber nach wie vor ohne jegli- che Medikation aus. Wichtig ist die intensive ärztliche

Überwachung während der Entzugsbehandlung. Nahtlos anschließen sollte an einen Entzug die Entwöhnung, die nur dann ambulant riskiert werden kann, wenn die sozia- le Einbindung des Betreffen- den noch gegeben ist.

Die Gabe von Methadon über einen gewissen Zeit- raum kann nicht als Entzug bezeichnet werden, auch wenn dies in fallenden Dosen geschieht. Man bedenke nur die lange Halbwertzeit.

Es kann nie zu früh sein, den Suchtmittelabhängigen in die Verantwortung für seine Gesundheit miteinzubezie- hen. Dies ist aber nicht mög- lich, wenn Ärzte, die ja Ge- sundheitserziehung leisten sollen, den süchtigen Bedürf- nissen immer entgegenkom- men.

Es ist erschreckend, wie bereitwillig Gelder für wirk- lichkeitsfremde Studien zur Verfügung gestellt werden, wohingegen die Stationen und Kliniken, welche die mühsame Arbeit des Entzugs und der Entwöhnung leisten, keine ausreichenden Mittel erhalten.

Da die Drogenabhängig- keit eine Massenerscheinung ist, hat auch alles, was in die- sem Bereich geschieht, eine Breitenwirkung. Wenn stel- lenweise Ärzte und Kliniken die begehrten Drogen abge- ben, schwächen sie die Be- reitschaft zum Suchtmittel- verzicht generell.

Dr. med. Sigrid Schuler, Ärztliche Direktorin des Be- zirkskrankenhauses Parsberg II, Pfarrer-Fischer-Straße 8, 8433 Parsberg

Einseitiges Bild

Befremden und Beklem- mung habe ich beim Lesen des Beitrages „Entwöhnung statt Verwöhnung" gespürt, der sich mit dem Einsatz von Methadon in der Behandlung von Drogenabhängigen be- faßt. Unbestritten ist die fach- liche Diskussion auf der Sachebene noch lange nicht abgeschlossen und wird wei- terhin und auch kontrovers

geführt werden müssen. Hier- auf kann in der Kürze eines Leserbriefes kaum eingegan- gen werden — auch wenn mich zum Beispiel die Auswertung des damaligen Methadon- Substitutions-Versuches in Hannover beeindruckt, so- wohl durch die hohe Überle- bensrate der Probanden, die beachtliche soziale Aufwärts- entwicklung der meisten Nachbefragten und deren persönliche Beurteilung, daß die damalige Substitutions- phase rückblickend ein ganz wichtiger Schritt im Rehabili- tationsprozeß war, auch wenn sie dies damals nicht begrei- fen konnten und es zunächst einmal zum frustrierenden Programmabbruch kam. Das Überleben der Behandelten empfinde ich als eindeutig überzeugendes Argument in der Fachdiskussion.

Befremden und Beklem- mung löste bei mir jedoch we- niger der argumentative Standpunkt des Autors aus als vielmehr der Tenor des Beitrags, die Wortwahl, das mich stellenweise fast zynisch anmutende Ausmalen der Bilder.

Dies halte ich bei aller zu- gestandenen und notwendi- gen Kritiklust für fatal und unangemessen der Ernsthaf- tigkeit des Problems und der Tragik, die es für die Betrof- fenen hat. Der Abhängige wirkt und agiert zwar auf der Erscheinungsebene oft ge- nußsüchtig, verantwortungs- los, gierig nach Fremdversor- gung und anderem mehr, nur steht in jedem Fall dahinter ein Mensch in höchster Not, der aus der ihm unerträglich erscheinenden Realität zu fliehen versucht und dabei ei- nen vermeintlichen Flucht- weg gewählt hat, der sich als trügerisch erweist und poten- tiell tödlich endet.

Dieser traurige, tödliche Aspekt des Suchtproblems wird vom Autor mit zynisch- polemischen Formulierungen

— „möglichst geringe Belästi- gung", „Lustmotto solcher Entzugsstationen", „wohlige Versorgung", „Methadon-ge- dopt", „Methadon-Abfütte- rung", „auf Wasserbetten

aalen" usw. usw. — geradezu weggewischt.

Ich wünsche mir von ei- nem Suchtexperten, welchen Standpunkt er auch immer in der theoretischen Diskussion einnimmt, daß er — zumal in der öffentlichkeitswirksamen Darstellung — diese Seite des Problems miteinbezieht und nicht schlicht das einseitige Bild vom verantwortungslo- sen, genußsüchtigen Drogen- abhängigen zeichnet, offen- sichtlich ohne Sensibilität da- für, daß damit auch ein Stück dazu beigetragen wird, alt- bekannte Abwertungen und Vorurteile zu bestätigen und zu verfestigen mit allen dar- aus folgenden bedenklichen Konsequenzen zu Lasten der Gruppe der Betroffenen.

Dr. med. Jost Fischer, In- ternist/Psychotherapie, Lei- tender Arzt der Fachklinik Sozialtherapeutisches Zen- trum für Suchtkranke, Hum- melsbütteler Hauptstraße 15, 2000 Hamburg 63

Zustimmung

Den Darlegungen von Herrn Knapp stimmte ich an- hand eigener Erfahrungen, die bis in die Einführungszeit von Methadon zurückrei- chen, vollauf zu. Allerdings sollte, da mit Suchtproblemen nicht ausschließlich Medizi- ner befaßt sind, schärfer als in der oben genannten und in vielen anderen Stellungnah- men ganz klar hervorgehoben werden, daß das erstmals 1941 synthetisierte Methadon

• keinerlei Heileffekte besitzt, wohl aber nicht selten unerwünschte Begleiterschei- nungen hervorruft,

• zwar seit mehr als 40 Jahren unter dem Namen Po- lamidon als Narkoanalepti- kum bei uns im Handel ver- fügbar ist, jedoch bereits seit 1954 dem Betäubungsgesetz unterliegt,

• bei akut notwendigem Entzug wegen Gefährdung des Kranken Klinikbehand- lung erfordert, während unter Leitung eines Sozialarbeiters, nicht eines Arztes, stehen- de Entgiftungsstationen aus A-3802 (14) Dt. Ärztebl. 87, Heft 48, 29. November 1990

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Verantwortungs- und Haf- tungsgründen ungeeignet sind,

• bei der Entwöhnung zumeist noch größere, vor al- lem aber länger dauernde Schwierigkeiten als Heroin bereitet.

Unverkennbar fehlen mit- hin entscheidende Voraus- setzungen, um das in der Bundesrepublik anlaufende

„Methadonprogramm" als neu, risikoarm und wirklich erfolgversprechend einstufen zu können. Wenn trotz aller Gegenargumente und zumin- dest begrenzt bewährter The- rapiemethoden nun auch hier keineswegs fundierte Entzie- hungs- und Entwöhnungskon- zepte gefordert beziehungs- weise befürwortet werden, so drängt sich der Gedanke auf, daß weniger objektive Sach- verhalte, sondern eher ideo- logisch-dogmatische Erwä- gungen, politische oder Ver- waltungsinteressen die aus- schlaggebende Rolle spielen.

Dr. med. Gerhart Engel- mann, Knollenteichweg 17, 8670 Hof/Saale

Als individuelle Patienten ernstnehmen

... Dem Methadonkon- zept wird vorgeworfen, die Grenze zwischen eigener und fremder Verantwortung nicht zu ziehen. Ich habe den Ein- druck, es geht dem Verfasser aber nicht um Grenzziehung dort, wo sie angebracht ist, sondern um eine Grenzzie- hung, die so früh beginnt, daß sie Ausgrenzen bedeutet. Me- thadonsubstitution kann be- deuten, daß der Heroinab- hängige erst einmal zur Ruhe kommt, eine Basis findet, von der aus es ihm überhaupt möglich wird, zu sich selbst zu finden. Und hier braucht er dann weitere Hilfe, zum Bei- spiel psychotherapeutische.

Dabei gibt es dann noch ge- nug Möglichkeiten und Not- wendigkeiten, Grenzen zu ziehen, denn in der Tat ist es letztlich so, daß jeder die Verantwortung für sich selbst zu tragen hat. In der Hilfe für den Drogenabhängigen die

Grenze zwischen eigener und fremder Verantwortung zu ziehen, ist aber ungleich schwieriger, die wohlgemein- te doch bestimmte Grenz- ziehung in der persönlichen Beziehung wird aber erst zur wirklichen Hilfe. Diese Grenzziehung als Hilfe wird gerade unterlassen, wenn man von vornherein aus- grenzt, und so meines Erach- tens vom Verfasser ganz falsch verstanden.

Man sollte sich mehr be- mühen, den Drogenabhängi- gen als individuellen Patien- ten ernst zu nehmen. Zum Beispiel im Krankenhaus, wo ihn Infektionen oder andere Krankheiten immer wieder hinbringen. Methadonsubsti- tution als lustbetonten Ent- zug zu entstellen, führt aber nur dazu, die verhärtete Hal- tung gegenüber Drogenab- hängigen zu festigen. Nicht der einzelne Patient und Mensch steht dann im Vor- dergrund, sondern seine Zu- gehörigkeit zu einer Gruppe, der man zeigen muß, daß ein Leben nach dem Lustprinzip nicht möglich ist. Sicher sind viele Vorurteile seitens des Pflegepersonals und der Ärz- te gerade gegenüber drogen- abhängigen Patienten im Krankenhaus aus schlechten Erfahrungen heraus entstan- den. Aber diese Vorurteile führen dazu, sich gegenüber dem individuellen Patienten abzugrenzen, anstatt ihn ernst zu nehmen. Hier ist ein circulus vitiosus entstanden.

Heroinabhängige Patienten sind auf ihre Art schwierige Patienten, aber dies gehört zu ihrer Suchtkrankheit dazu.

Gerade für Heroinabhängi- ge ist es wichtig, positive menschliche Erfahrungen zu machen.

Eine eigenartige Alterna- tive ist auch die in dem Arti- kel favorisierte gleichmäßige Sedierung für die Entzugsbe- handlung. Billig ist ferner das Argument, Rezeptorenblok- ker, die die Wirkung des Me- thadon nicht haben, würden nicht akzeptiert. Rezeptoren- blocker wie Naloxon rufen kurzfristig Entzugssymptoma- tik hervor, das gilt als uner-

wünschte Nebenwirkung, und würden außerdem für eine Dauertherapie nicht den ge- ringsten Sinn ergeben.

Methadon ist ein Faktor eines aus mehreren Faktoren bestehenden Konzepts. Es bedeutet eine längerfristige Therapie, gewonnene Zeit, die zur Resozialisierung ge- nutzt werden kann, in der es möglich ist, ohne Heroin aus- zukommen und ohne all die Begleiterscheinungen wie die Selbstverstümmelung der Drogenabhängigen durch Ei- geninjektionen oder die Dro- genkriminalität.

Auch wenn Methadon zu euphorisieren vermag und selbst zur Sucht führt, ist dies allemal besser als Heroin und seine Begleit- und Folgeer- scheinungen. Zur Argumen- tation von Prof. Dole muß man vielleicht bedenken, daß in der Gewöhnungsphase an Methadon nicht nur körperli- che Adaptationsvorgänge ab- laufen, sondern die Flucht in die Droge Heroin, die da- durch bewirkte totale Betäu- bung der Lebensangst weg- fällt und die Probleme der ei- genen Persönlichkeit plötz- lich im Bewußtsein auftau- chen. Auch dies kann zu mas- siver Verstimmung führen.

Lothar Müller, Arzt, Kleiststraße 33, 6000 Frank- furt

Schlußwort

Als wissenschaftlich den- kender Mensch muß ich mich über scharfen Widerspruch freuen, wenn's auch schwer fällt. Ich denke, wir könnten uns aber einig werden, daß wir eine kritische Diskussion des ganzen Suchtproblems brauchen und daß diese Dis- kussion, weil wir in einer Ge- sellschaft mit vielfältigen Suchttendenzen leben (bis hin zur umweltzerstörenden Produktions- und Konsumti- ons-„Sucht"), für unser neu- es, besseres Deutschland ei- nen nicht zu unterschätzen- den grundlegenden Charak- ter hat. Wolfgang Schmidbau- er sagte 1984, der homo con- sumens könne im Suchtkran- ken „wie in einem vergrößer-

ten Spiegel sein eigenes Bild sehen".

Wir sollten nicht hinter amerikanischen Vorbildern, die zum Teil Mißbildungen sind, herlaufen. Es ist erfreu- lich, wenn Professor Kewitz mit selektierten Patienten bei offenbar intensivster Betreu- ung gute Erfahrungen macht, wegen oder trotz Methadon- substitution. Nur: Der logi- sche Sprung über den großen Teich, wo Kewitz glaubt, un- ter 90 000 Methadon-Usern 60 000 auszumachen, die „so- zial voll integriert" sind, er- scheint mir allzu wunschbe- flügelt und allzu unbelastet vom Ballast des notwendigen Mißtrauens gegen die Inter- essenten der Methadon-Poli- tik. Prof. Dole ist ja mit der Behauptung angetreten, er könne mit seinem Wunder- stoff 80 Prozent aller Drogen- kranken aus dem Sumpf und in die Drogenfreiheit ziehen.

Inzwischen redet man schon gar nicht mehr von Absti- nenz.

Bis heute liegt die Evalua- tion der Programme in den USA überwiegend in den Händen derjenigen, die sie propagierten und jetzt davon leben. Nur wenige wirklich sorgfältige Studien existieren;

eine davon ist die von Preble und Miller von 1977, die ei- nen ganzen Stadtbezirk ge- nauestens erforschte: vor der Einführung des Methadons und dann zehn Jahre danach.

Nach den zehn Jahren wirkte die ganze Wohnregion (ich übersetze in mein eigenes Deutsch) wie ein Geisterland, eine Mischung aus Dracula und Dornröschen, umdäm- mert, eingelullt und doch von Konvulsionen durchzuckt, unter der Decke von Metha- don, Alkohol und Ampheta- minen Ein Zustand, den man mit sozialer Stabilisierung wohl kaum guten Gewissens gleichsetzen kann. Die von den Programmgestaltern aus- gewiesenen Erfolgszahlen er- wiesen sich zum Teil als bloß harmlos unrichtig, zum Teil aber auch als gefälscht.

Ich bin deshalb auch dage- gen, daß wir unseren Staat auf ein völlig falsches Finan- A-3804 (16) Dt. Ärztebl. 87, Heft 48, 29. November 1990

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