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Archiv "Traumatisierung bei Flüchtlingen: Antrag abgelehnt" (15.06.2007)

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A1730 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007

T H E M E N D E R Z E I T

schlechtsspezifischer Betrachtung der Verhaltensauffälligkeiten zeig- ten Jungen tendenziell einen höhe- ren Leistungsabfall in der Schule, während sich Mädchen ein wenig häufiger von Freunden zurückzogen und Veränderungen im Spielverhal- ten zeigten.

Große Belastung

Die Befürchtung, dass die Mutter oder der Vater an der Krebserkran- kung stirbt, äußerte etwa ein Drittel der Kinder: 75 Prozent der Kinder fragten den krebskranken Elternteil, ob dieser wieder gesund werde. Dies ist eine enorme Belastung für die kindliche Psyche und zeigt zudem die Notwendigkeit einer professio- nellen Beratung der betroffenen Fa- milien. Die krebserkrankten Eltern selbst beschreiben es als mittel- bis hochgradige Belastung, mit dem Kind über die Erkrankung zu reden beziehungsweise sie damit zu kon- frontieren. Tendenziell geben die befragten Männer die empfundene Belastung etwas geringer an als die weiblichen Studienteilnehmer. Ein Wissens- und Informationsmangel des Fachpersonals zu diesem Thema wird von nahezu 90 Prozent der Eltern beanstandet. Hilfsmittel zur kindgerechten Kommunikation wur- den nur selten eingesetzt.

Die Studienergebnisse zeigen, dass die Patienten sich sehr darum sorgen, wie ihre Kinder die Krebser- krankung verkraften. Dieser Aspekt der Krankheit wird von Ärzten und Pflegern zu wenig berücksichtigt.

Die psychische Belastung für den Patienten und für die betroffenen Kinder ist sehr hoch. Notwendig ist ein spezifisches niedrigschwelliges Versorgungskonzept, das die Aus- wirkungen der Erkrankung auf die körperliche und psychische Ge- sundheit der Kinder berücksichtigt.

Die Erkrankung sollte frühzeitig mit den Kindern thematisiert werden.

Kindgerechte Broschüren, Bücher Videos oder Tonträger zur Auf- klärung und Kommunikation soll- ten in Klinik und Ambulanz zur Ver-

fügung stehen. I

Prof. Dr. Gerhard Trabert, Jasmin Axmann, Michael Rösch,Georg-Simon-Ohm-Fachhoch- schule Nürnberg, Fachbereich Sozialwesen, Verein:

Flüsterpost e.V. Mainz, E-Mail: fluesterpost-mainz@

freenet.de, Gerhard.trabert@fh-nuernberg.de

endurlaubs vier Monate später un- ternahm sie einen Suizidversuch, dem drei weitere folgten. Mehr als ein Jahr lang wurde sie stationär psychiatrisch behandelt. Ihre Klage gegen die Ablehnung ihres Asyl- antrags war vergeblich. Fatime G.

konnte nicht über ihre Traumatisie- rung sprechen. Erst vor wenigen Monaten öffnete sie sich einer Psy- chotherapeutin. Seither scheint sich ihr Zustand zu stabilisieren.

Häufig können traumatisierte Menschen über das Erlittene nur bruchstückhaft berichten. Ihr Ge- dächtnis ist gestört, sie schämen sich und haben Angst vor einer Zu- nahme ihrer Symptomatik, wenn sie die Schrecken ihrer Folter anspre- chen. Traumatisierte Flüchtlinge benötigen daher einen geschützten Raum und fachkundige Hilfe, um sich im Asylverfahren zu öffnen.

Die juristische Denk- und Vorge- hensweise der Mitarbeiter des Bun- desamtes für Migration und Flücht- linge (BAMF) bei den Anhörungen äußert sich im Wesentlichen in einer Abfrage von Fakten. Das liefert bei Traumatisierten nicht nur wenig brauchbare Informationen, es be- lastet sie als „Verhörsituation“ auch zu sehr und führt oft zu Verschlech- terungen des Krankheitsbildes. Not- wendig zur Klärung des Erlebten und dessen Folgen wäre eine heil- berufliche Herangehensweise, die sich vom juristischen Vorgehen grundlegend unterscheidet. Dies könnte helfen, die oft traumatisch abgekapselten und verborgenen Asylgründe effektiver zu eruieren und von Vortäuschungen zu unter- scheiden. Daneben würde sie mög- liche Hinweise auf Abschiebehin- dernisse rechtzeitig aufdecken. Die gebotene Sachaufklärung kann so verbessert werden.

F

atime G. wurde mit 16 Jahren in ihrem Herkunftsland ver- haftet. Ihr Bruder hatte sich poli- tisch betätigt und wurde von der Po- lizei gesucht. Auf der Polizeistation wurde Fatime gefoltert und mehr- fach brutal vergewaltigt. Nach ihrer Freilassung litt sie an einer schwe- ren Depression und einer posttrau- matischen Belastungsstörung. Sie zog sich zurück, blieb aber in ihrem Heimatland. Zwölf Jahre später drohte eine erneute Verhaftung. Fa- time geriet in Panik, floh nach Deutschland und stellte einen Asyl- antrag. Bei der Anhörung erwähnte sie ihre Gewalterfahrung nur andeu- tungsweise. Daraufhin wurde ihr Antrag abgelehnt.

Nur in wenigen Fällen erkannt

Ihre Geschichte ist kein Einzelfall.

Traumatisierungen werden im Asyl- verfahren oft nicht angesprochen und nur in wenigen Fällen erkannt.

Mindestens jeder dritte Asylsuchen- de in Deutschland ist einer Studie*

zufolge traumatisiert. Bis Mitte der 90er-Jahre wurden Asylgesuche in einem weit höheren Maß anerkannt.

So war es für die traumatisierten Flüchtlinge häufig gar nicht not- wendig, dass ihre Erkrankung the- matisiert wurde. Nach einer Ver- schärfung des Asylrechts werden nun die meisten Asylanträge trau- matisierter Flüchtlinge abgelehnt.

So auch der von Fatime G. Weni- ge Wochen nach der Ablehnung ih- res Antrags wurde sie erstmals in ei- ne psychiatrische Klinik aufgenom- men und dort fünf Monate lang be- handelt. Während eines Wochen-

TRAUMATISIERUNG BEI FLÜCHTLINGEN

Antrag abgelehnt

Jeder dritte Asylsuchende in Deutschland ist

traumatisiert. Häufig fällt es den Betroffenen schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen, Asylanträge werden oft ohne weiteres Nachfragen abgelehnt.

*Gäbel U, Ruf, Schauer, Odenwald, Neuner 2005:

Prävalenz der Posttraumatischen Belastungs- störung (PTSD) und Möglichkeiten der Ermittlung in der Asylverfahrenspraxis, Z. Klin Psychologie Psy- chotherapie 35 (1) S. 12–20.

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 24⏐⏐15. Juni 2007 A1731

T H E M E N D E R Z E I T

Vorschläge, heilberuflich geschul- te Personen in das Asylverfahren einzubeziehen, lehnte das BAMF ab. „Eine Traumatisierung führt weder zur Asylgewährung noch zur Anerkennung als Konventions- flüchtling. Sowohl die Gewährung von Asyl als auch die Flüchtlingsan- erkennung erfordern, dass im Hei- matland des Ausländers aus einem der in der Genfer Flüchtlingskon- vention genannten Verfolgungs- gründe in eines der asylrechtlich ge- schützten Rechtsgüter eingegriffen wird“, antwortete die Bundesregie- rung auf eine kleine Anfrage im No- vember 2006.

Selten wird nachgefragt

Das Asylverfahren schreibt weiter- hin vor, dass Flüchtlinge ihr Verfol- gungsschicksal kurz nach ihrer An- kunft in einer Anhörung detailliert und lückenlos mitteilen. Wenn sie nach Worten suchen oder schwei- gen, wird selten nachgefragt. Wenn sie Beschwerden mitteilen, die auf eine Traumastörung hinweisen, wird ein Sachverständigengutachten nur angefordert, wenn sich „nach dem vorliegenden Sachvortrag eine wei- tere Sachaufklärung ‚aufdrängt‘ und das Sachverständigengutachten das geeignete Mittel der Aufklärung ist“, so die Bundesregierung. In der Praxis geschieht dies aber äußerst selten.

In den Fällen, in denen Asylsu- chende bereits Atteste mitbringen, beurteilt das Bundesamt sie „auf ihre Substanz und Plausibilität“, sehr häufig mit negativem Ergebnis.

In einer Anhörung des Petitionsaus- schusses des niedersächsischen Land- tags teilte das Bundesamt mit, es überprüfe medizinische Atteste und Gutachten auf Plausibilität, und zwar sowohl hinsichtlich der Dia- gnose als auch der Prognose. Dies geschehe auch dann, wenn ein Arzt Diagnose und Prognose eindeutig gestellt habe. Über die medizinische Frage, ob der Asylbewerber krank sei, entscheide zwar der Arzt auf- grund seiner Fachkompetenz. Das Amt prüfe aber die rechtliche Frage, ob die Diagnose nachvollziehbar dargelegt sei. Wenn das Amt bereits bei der Frage, ob überhaupt eine Er- krankung vorliege, Darlegungsmän-

gel feststelle, sehe es keine weite- re medizinische Sachaufklärungs- pflicht. Dies gelte auch für amts- ärztliche Atteste. Die Abgeordneten hielten dem Amt vor, es überschrei- te seine Kompetenzen. Und tat- sächlich ist es so, dass Verwaltungs- beamte auf dem Weg der „Plausi- bilitätsprüfung“ medizinische Äu- ßerungen fachlich beurteilen und ablehnen können, ohne dass bei Zweifeln erneut medizinischer Rat eingeholt wird. Als Grundlage sei- ner Beurteilungen hat das Amt Richtlinien zu Krankheitsbildern nach psychischen Traumatisierun- gen entwickelt, die sich vom wis- senschaftlichen Mainstream erheb- lich unterscheiden.

In Fortbildungen für Richter und Behörden werden Traumastörungen als eher selten und rein medika- mentös behandelbar dargestellt, Ab- schiebungen sind daher grundsätz- lich unter Mitgabe entsprechender Medikamente möglich.

Wenn traumatisierte Flüchtlinge gegen negative Bescheide oder Abschiebeandrohungen klagten, sa- hen Verwaltungsrichter oft keinen Grund, medizinische Sachverstän- dige einzubeziehen. Sie gingen da- von aus, selbst ausreichende Kennt- nisse und Lebenserfahrung zu be- sitzen, um einschätzen zu kön- nen, wie krank die Kläger seien und welche Folgen ihre Krankheiten hätten. Vorgelegte ärztliche und

FORTBILDUNGEN

Begutachtung psychotraumatisierter Flüchtlinge Der 107. Deutsche Ärztetag beauftragte 2004 den Vor- stand der Bundesärztekammer, „Empfehlungen zur Erstel- lung von Gutachten oder Stellungnahmen zur (gesundheit- lichen) Rückführungsfähigkeit von Ausländern, die zur Aus- reise verpflichtet sind, zu erarbeiten“. Anfang Januar 2005 veröffentlichte die Bundesärztekammer ein gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe entwickeltes Fortbildungscurriculum

„Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in auf- enthaltsrechtlichen Verfahren bei Erwachsenen“.

Inzwischen werden entsprechende Fortbildungsveran- staltungen, zum Teil in Kooperation mit den Landeskam- mern der Psychologischen Psychotherapeuten und den In- nenbehörden, in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Ba- den-Württemberg, Berlin und Brandenburg angeboten, die auf eine lebhafte Resonanz treffen. Die entsprechenden Termine findet man im Internet unter www.sbpm.de.

psychologische Bescheinigungen wurden häufig als unzureichend ab- gelehnt, ohne dass zur weiteren Abklärung Gutachter eingeschaltet wurden.

Häufig fehlt die

entsprechende Sachkunde

Diese Praxis wurde nun höchstrich- terlich bemängelt. Das Bundesver- waltungsgericht stellte mit Beschluss vom 24. Mai 2006 (BVerwG 1 B 118.05) grundsätzliche Anforderun- gen an die Prüfung krankheitsbeding- ter Abschiebungshindernisse, die den Forderungen der medizinischen Fach- welt und der Flüchtlingsverbände nach einem besonders qualifizierten und sorgsamen Umgang mit trauma- tisierten Flüchtlingen entsprechen.

Es entschied, dass „Fachfragen wie insbesondere die genaue Diagnose von Art und Schwere der Erkran- kung sowie Therapiemöglichkeiten einschließlich der Einschätzung des Krankheitsverlaufs beziehungsweise der gesundheitlichen Folgen je nach Behandlung“ nicht ohne ein „wissen- schaftlichen Mindeststandards ent- sprechendes Sachverständigengut- achten“ entschieden werden dürften.

Auch Richtern und Richterinnen feh- le eine entsprechende Sachkunde, um „selbst und in Abweichung von den vorgelegten ärztlichen und fach- ärztlichen Bescheinigungen“ etwa eine Suizidgefahr im „Abschiebe- zielstaat“ beurteilen zu können. Es stellte in einem anderen Beschluss vom 28. März 2006 klar, dass es aus- reiche, wenn aufgrund eines vorge- legten Attests eine gewisse Wahr- scheinlichkeit für die Erkrankung spreche. Es sei dann notwendig, eine vorgetragene Erkrankung weiter mit- hilfe eines Gutachtens abzuklären.

Das Bundesamt lehnte es in der Antwort auf die kleine Anfrage ab, diese Beschlüsse auf sein Handeln zu übertragen. Traumatisierte Flüchtlin- ge werden daher auf absehbare Zeit im Asylverfahren kaum eine Chance bekommen, sich in einem geschütz- ten Rahmen ihren Verletzungen an- zunähern und diese mitzuteilen. Ärzt- liche und psychologische Atteste werden weiterhin einem oft willkür- lich anmutenden behördlichen Ent- scheidungsprozess unterliegen. I Dr. Hans Wolfgang Gierlichs

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