dere darauf ab, den Auswüchsen freier Konkurrenz verbindliche kollegiale Umgangsformen entgegenzustellen. So wurde es zum Beispiel als standesunwür- dig angesehen, seine Dienste öffentlich anzupreisen, die Bezeichnung „Spezia- list“ missbräuchlich zu verwenden oder die Tätigkeit eines ärztlichen Kollegen öffentlich herabzusetzen.
Auf dem Weg zu einer Reichsärzteordnung
Nach außen hin suchte die Ärzteschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert mehr und mehr die Auseinandersetzung mit der nichtapprobierten Konkurrenz, die nach Ansicht vieler Ärzte seit In-Kraft- Treten der Gewerbeordnung 1869 zuge- nommen hatte. Diskussionen über die
„Kurpfuscherfrage“ nahmen bei den
Verhandlungen der Deutschen Ärzte- tage und in den ärztlichen Standespu- blikationen breiten Raum ein. Die Bemühungen des Deutschen Ärztever- einsbundes, staatliche Stellen unter Ver- weis auf die für die Volksgesundheit schädlichen Auswirkungen zu einer Än- derung der Gewerbeordnung und Auf- hebung der Kurierfreiheit zu bewegen, scheiterten – dies nicht zuletzt deshalb, weil sich insbesondere die Naturheil- kunde wachsender Popularität in wei- ten Bevölkerungskreisen erfreute und die Ärzteschaft nicht den Eindruck ver- meiden konnte, weniger ein Gemein- wohlinteresse als ein standesegoisti- sches Anliegen zu verfolgen. Gesetzent- würfe, die im ersten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts auf Regulierung und Be- schränkung der nichtärztlichen Heilbe- rufe abzielten, scheiterten an der brei- ten öffentlichen Ablehnung.
Nach dem Ende des Ersten Welt- kriegs stand das Thema „Reichsärzte- ordnung“ erneut auf der Agenda ärztli- cher Standespolitik. Ziel war nach wie vor, den Ärzten unter Wahrung der Be- rufsfreiheit eine öffentliche Aufgabe und weitgehende Selbstverwaltungsbe- fugnisse zuzuweisen. Der Ärztestand sollte zum offiziellen Träger des Ge- sundheitsdienstes gemacht werden und damit deutlich über die Masse der ge- werblichen Berufe gestellt werden. In der Form einer Körperschaft öffentli- chen Rechts auf Reichsebene mit ei- ner einheitlichen Berufsgerichtsbarkeit strebten die Ärzte danach, ihre Angele- genheiten möglichst frei von Fremdkon- trolle selbstständig zu regeln. Vielen Standesvertretern erschien eine gesetz- lich legitimierte Reichsärztekammer in der Zeit der Weimarer Republik zudem als das einzige Mittel, um einer Zersplit- terung in eine Vielzahl ärztlicher Grup- peninteressen entgegenzuwirken.
Allerdings ließ sich trotz intensiver Vorarbeit und Abstimmung mit den zu- ständigen Behörden der Übergang vom freien Gewerbe zum öffentlich-recht- lich begründeten Berufsstand in den Jahren bis 1933 nicht mehr erfolgreich realisieren. Die bereits kurz nach der Machtergreifung der Nationalsoziali- sten in Aussicht gestellte Umsetzung dieses Wunschprojekts mag einer der Gründe dafür gewesen sein, dass die Gleichschaltung der ärztlichen Spitzen- verbände so reibungslos und ohne er- kennbaren Widerstand vollzogen wer- den konnte. Die Reichsärzteordnung, die zum 1. April 1936 in Kraft trat – § 1 (2) Der ärztliche Beruf ist kein Gewer- be –, gewährte dem Ärztestand, was er über Jahrzehnte hinweg gefordert hatte.
Für Reichsärzteführer Gerhard Wagner bedeutete sie die „Krönung der Einglie- derung der Ärzteschaft in den neuen Staat“ – ein zweifelhaftes Privileg in ei- ner Zeit, in der die Ärzte mit der Reichs- ärzteordnung „zur Erhaltung und He- bung der Gesundheit, des Erbguts und der Rasse des deutschen Volkes“ ver- pflichtet wurden. Thomas Gerst
Literatur
Jütte R (Hrsg.): Geschichte der deutschen Ärzteschaft, Köln 1997.
Huerkamp C: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert, Göttingen 1985.
T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3926. September 2003 AA2497
DÄ:Die 1869 mit der Ein- beziehung in die Gewerbe- ordnung angestrebte Lösung von staatlicher Bevormun- dung – war dies für die Ärzte- schaft ein notwendiger Schritt hin zur Professionali- sierung des Berufsstandes?
Prof. Jütte: Überspitzt formuliert: Ohne die Einbe- ziehung in die Gewerbeord- nung, für die sich damals Ärzte wie Rudolf Virchow und andere einsetzten, wäre die Professionalisierung in Deutschland sicherlich an- ders und langsamer verlau- fen. Sie erfüllte die lang ge- hegten Wünsche nach Nie- derlassungsfreiheit und nach Abschaffung der Medizinal- taxen. Damit war der Weg geebnet zu einer freien Ver- einbarung des Honorars – ein auch heute noch durch- aus geschätztes Privileg in der ärztlichen Privatpraxis.
DÄ:Welchen Stellenwert hatte die sich über Jahrzehn- te hinziehende Auseinander- setzung der Ärzte mit der
„Kurpfuscherfrage“ für die
Durchsetzung beruflicher Au- tonomie?
Prof. Jütte:Gerade die seit den 1870er-Jahren mit Vehemenz geführte Debatte über die „Kurpfuscherfrage“
zwang die deutsche Ärzte- schaft, ihre Reihen zu schlie- ßen und Kriterien für die Zu- lassung als Arzt beziehungs- weise für den Entzug der Ap- probation festzulegen. Dazu gehört auch der Aufbau ei- ner Ehrengerichtsbarkeit, welche die Verbindlichkeit ärztlicher Verhaltensnormen sicherstellen half.
DÄ:Auch wenn die Ärzte das Ziel einer deutschen Ärz- teordnung zunächst nicht
umsetzen konnten – wie er- folgreich konnten sie sich vor dem Ersten Weltkrieg in der Gesellschaftsordnung posi- tionieren?
Prof. Jütte:Trotz der Ab- lehnung einer reichsweiten Ärzteordnung durch Bis- marck gelang es den ärztli- chen Standesvertretern, in der Mehrzahl der Länder des Deutschen Reiches bereits vor dem Ersten Weltkrieg be- achtliche Mitspracherechte im Medizinalwesen und weitgehend berufliche Auto- nomie durchzusetzen; dazu gehört unter anderem auch die Verdrängung der Medi- zinalbeamten aus der Privat- praxis. Dieser Erfolg war nicht zuletzt dem Auf- schwung des ärztlichen Ver- einswesens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sowie der zunehmenden Bereit- schaft der deutschen Ärzte- schaft, sich zu organisieren, geschuldet, wenngleich auch Streitigkeiten und Richtungs- kämpfe innerhalb des Stan- des die Wahrnehmung ärzt- licher Interessen oft er-
schwerten. )
Foto:privat
Nachgefragt
Prof. Dr. phil. Robert Jütte, Leiter des Instituts für Ge- schichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung