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Archiv "60 Jahre Grundgesetz: Keine einheitliche Ärzteordnung" (22.05.2009)

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A1046 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 21⏐⏐22. Mai 2009

T H E M E N D E R Z E I T

Z

wei Tage vor der Schlussab- stimmung zum Grundgesetz gab es am 6. Mai 1949 im Parlamen- tarischen Rat noch einen letzten, aber wenig aussichtsreichen Antrag, die ärztliche Selbstverwaltung in die Vorranggesetzgebung des Bun- des aufzunehmen. Der Vorstoß kam von Hans-Christoph Seebohm (1903 bis 1967) in der neunten Sit- zung des Plenums. Seebohm war Delegierter des Niedersächsischen Landtags im Parlamentarischen Rat, Mitglied der Deutschen Partei und von 1949 bis 1966 Bundesverkehrs- minister. „Es ist nach meinen Erfah- rungen, die ich auch als Gesund- heitsminister meines Landes zu sammeln Gelegenheit hatte, durch- aus richtig, die Bestimmung über das Selbstverwaltungsrecht der Ärz- te, Zahnärzte usw. nicht auf Landes- ebene zu regeln, sondern dafür eine Rahmengesetzgebung des Bundes vorzusehen.“

Und weiter führte Seebohm aus:

„Ich möchte Sie deshalb im Interes-

se der Ärzteschaft bitten – die unbe- dingt nur auf diese Weise dazu kommt, ihre Ärzteordnung wieder- herzustellen, die sie in jahrzehnte- langer Arbeit gestaltet hat und die nur in der Vergangenheit durch Zwangsbestimmungen verunstaltet worden ist –, der Ärzteschaft die Möglichkeit zu geben, im Rahmen eines solchen Bundesgesetzes ihr Selbstverwaltungsrecht auszuüben und sich zu einer einheitlichen Ärz- teordnung usw. wieder zusammen- zufinden.“ Eine Diskussion über diesen Antrag gab es nicht mehr.

Mit Handzeichen sprach sich die Mehrheit der Delegierten unter der Versammlungsleitung von Konrad Adenauer gegen eine bundesstaatli- che Regelung der ärztlichen Selbst- verwaltung aus. Das am 23. Mai 1949 verkündete, stark föderalis- tisch geprägte Grundgesetz be- schränkte im Gesundheitsbereich die Vorranggesetzgebung des Bun- des auf „Maßnahmen gegen ge- meingefährliche und übertragbare

Krankheiten bei Menschen und Tie- ren, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heil- gewerbe, den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften“. Lediglich im Rahmen sei- ner Zuständigkeit für die Sozialver- sicherung wurde es Aufgabe des Bundes, für eine einheitliche Rege- lung der kassenärztlichen Rechts- verhältnisse Sorge zu tragen.

Vermutlich hatte bei Seebohms Antrag im Hintergrund der nieder- sächsische Ärztekammerpräsident Ludwig Sievers, gleichzeitig Vorsit- zender des Zusammenschlusses der Kassenärztlichen Vereinigungen auf Bundesebene, mitgewirkt. Der An- trag entsprach zudem einer Ent- schließung, die der erste Nach- kriegsärztetag in Stuttgart am 16./17. Oktober 1948 verabschiedet hatte: „Der 51. Deutsche Ärztetag fordert eine einheitliche deutsche Ärzteordnung,in die die wesentli- chen Bestimmungen der Reichsärz- teordnung übergehen. Er richtet an die künftige Westdeutsche Regie- rung die Bitte, dazu Richtlinien auf- zustellen, die für die Gesetzgebung der einzelnen Länder maßgebend sind.“

Allerdings waren zum Zeitpunkt der Stuttgarter Entschließung wich- tige Vorentscheidungen zur künf- tigen Zuordnung der ärztlichen Selbstverwaltung bereits gefallen.

Der im August 1948 im Auftrag der Ministerpräsidenten der Länder ta- gende Verfassungskonvent auf Her- renchiemsee hatte bereits präjudi- zierend für das spätere Grundgesetz festgestellt, dass „das Gesundheits- wesen zu einem erheblichen Teil Sa- che der Länderverwaltung“ sein sol- le. Präzisiert wurde allerdings nicht, was im Einzelnen unter dem Begriff

„Gesundheitswesen“ zu verstehen sei. Zumindest die Zulassung zum 60 JAHRE GRUNDGESETZ

Keine einheitliche Ärzteordnung

Für ein bundeseinheitliches Gesundheitswesen gab es nach den Erfahrungen der NS-Diktatur keine Mehrheit. Die Zuständigkeiten des Bundes in diesem Bereich wurden durch das Grundgesetz auf das unverzichtbare Minimum beschränkt.

Das Grundgesetz unter der schwarz- rot-goldenen Stan- darte. Am 23. Mai 1949 tritt der Parla- mentarische Rat zum letzten Mal zur feier- lichen Unterzeich- nung zusammen.

Foto:dpa

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 21⏐⏐22. Mai 2009 A1047

T H E M E N D E R Z E I T

ärztlichen Beruf sollte in die Zu- ständigkeit des Bundes fallen.

Aber selbst über diese Zuordnung wurde – kaum hatte der Parlamenta- rische Rat am 1. September 1948 in Bonn seine Beratungen aufgenom- men – im Ausschuss für Zuständig- keitsfragen kontrovers diskutiert.

Hier versuchte der bayerische Dele- gierte Wilhelm Laforet (CSU) den Standpunkt seiner Landesregierung durchzusetzen, dass auch die Zulas- sung zum ärztlichen Beruf landes- rechtlich geregelt werden solle. Da- bei fuhr ihm allerdings der hessische Delegierte Fritz Hoch (SPD) als An- hänger einer eher zentralistischen Lösung in die Parade: „Sie gehen ja bei den Ärzten noch weiter zurück, als es früher oder auch heute beim Handwerk und bei jedem anderen Beruf der Fall ist. Ich halte es für völlig undenkbar, dass jemand, der als Arzt in Bayern sitzt und ins hessi- sche Gebiet übersiedeln will, eine neue Zulassung haben muss, nur um seinen Beruf ausüben zu können.

Das ist undenkbar, und ich glaube, die ganze Ärzteschaft würde sich über uns lustig machen.“

Walter Strauß (CDU), ebenfalls aus Hessen, warf den Ärzten vor, eine Regelung der Zulassung auf Landesebene aus Gründen der Be- sitzstandswahrung gegenüber den Flüchtlingsärzten anzustreben. „Die Ärzte sind nach der Kapitulation in Haufen aus dem Osten weggelau- fen, sodass der Osten heute auf dem Lande weitgehend von Ärzten ent- blößt ist, [. . .] in jedem Dorf im

Westen sitzt ein Universitätsprofes- sor als Arzt, der im Osten davonge- laufen ist. Dadurch haben wir im Westen, nicht nur in Bayern, eine Überfüllung im ärztlichen Beruf.

Aber man kann dieses Problem doch nicht mit der Einschränkung der Zulassung zum Beruf regeln.“

Laforet akzeptierte schließlich in der Ausschusssitzung am 14. Okto- ber 1948 die Bundeszuständigkeit bei der Zulassung zum Arztberuf unter der Voraussetzung, dass die ärztliche Selbstverwaltung inklusi- ve der Ärztekammer-Pflichtmit- gliedschaft in die Verantwortung der Länder fallen würde.

Das Votum des 51. Deutschen Ärztetages vom Oktober 1948 scheint die Mitglieder des Parla- mentarischen Rates wenig beein- druckt zu haben. Zu spät erkannten die ärztlichen Standesvertreter, dass eine gezielte Lobbyarbeit in Bonn wohl wirkungsvoller gewesen wäre als eine öffentliche Willensbekun- dung. „Wenn wir in Bonn überhaupt noch zum Zuge kommen wollen, wird es höchste Zeit, das Grundge- setz war gestern in der zweiten Le- sung“, schrieb am 16. Oktober 1948 der Geschäftsführer der Arbeitsge- meinschaft der Westdeutschen Ärz- tekammern, Rolf Schlögell, an Her- bert Britz, den ersten Vorsitzenden des Marburger Bundes, nach Köln.

Die Versuche der Arbeitsgemein- schaft, mit ihren Vorstellungen noch auf den Parlamentarischen Rat ein- zuwirken, blieben erfolglos. Mitte

Dezember kam eine Rückmeldung aus Bonn, dass weitere Versuche wohl überflüssig seien, weil der Ge- setzgebungsprozess bereits zu weit fortgeschritten sei.

Ganz aufgeben wollten die ärzt- lichen Standesvertreter aber noch nicht. Ihre Abgesandten versuchten in Bonn, Mitglieder des Parlamenta- rischen Rats von der Notwendigkeit zu überzeugen, das Arztrecht aus der Zuständigkeit der Länder in die Vorranggesetzgebung des Bundes zu überführen. In seiner Funktion als Vorsitzender des Marburger Bundes formulierte Britz im Januar 1949 eine entsprechende Eingabe an die Fraktionen im Parlamentari- schen Rat. Allerdings kam auch Störfeuer aus den eigenen Reihen.

Der Präsident der Bayerischen Lan- desärztekammer, Karl Weiler, nutz- te seine Beziehungen zu bayeri- schen Delegierten, darunter auch zu Wilhelm Laforet, im Parlamentari- schen Rat, um diese zur Ablehnung von Bundeskompetenzen beim Arztrecht und „gegen zu sehr zen- tralistisch eingestellte Absichten in Kreisen besonders der norddeut- schen Ärzteschaft“ zu bewegen.

Laforet sprach sich dann auch bei der Sitzung des Hauptausschusses am 9. Februar 1949, in der die ab- schließende Lesung des Grundge- setzes vorbereitet wurde, wie bereits zuvor dezidiert gegen eine Aufnah- me des Arztrechts in die Zuständig- keit des Bundes aus. Nur die beiden Vertreter der Zentrumspartei und der KPD setzten sich im Hauptaus- schuss für die Aufnahme in die Vor- ranggesetzgebung aus.

Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat nach mehrmaligen Nachbesserungen mit 53 zu zwölf Stimmen das Grundge- setz. Die drei westlichen Militärgou- verneure gaben am 12. Mai ihr Pla- zet, und auch die Bundesländer stimmten dem Entwurf zu – nur Bayern stimmte gegen das Grundge- setz, weil es zu wenig föderalistisch erschien, allerdings mit der Maßga- be, das Grundgesetz anzuerkennen, wenn zwei Drittel der Bundesländer es ratifizieren würden, was der Fall war. Das Grundgesetz wurde am 23.

Mai 1949 verkündet. .I Thomas Gerst

RECHT AUF GESUNDHEIT

Ein Recht auf Gesundheit wurde in das Grundgesetz nicht aufgenommen. Entsprechende Forderungen, ausgehend von dem Entwurf der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948 und der französischen Verfassung, wurden zwar im Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates am 5. Oktober 1948 erörtert, fanden dort aber keine Mehrheit. Für den Vorsitzenden des Ausschusses, Her- mann von Mangold, erschien die verfassungsmäßige Ver- ankerung eines Grundrechts auf Gesundheit nicht vorstell- bar. Auf den Einwurf, dies müsse als die höchstmögliche Sicherung der Gesundheit verstanden werden, antwortete er: „Dann müssten wir zu dem Ergebnis wie in England kommen, vollkommen freie Behandlung gewähren und die Ärzte verbeamten.“ Das Thema hatte sich damit erledigt.

Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rates, setzt seinen Namen unter das Grundgesetz.

Foto:dpa

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