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Archiv "Euthanasie: Erinnern an Hadamar" (04.06.1993)

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POLITIK

Zwischen Januar und August 1941 wurden in der Landesheil- und -pflegeanstalt Hadamar 10 072 Be- hinderte und psychisch Kranke durch Gas umgebracht. Das geschah im Rahmen der reichsweiten Aktion T4 („Tiergartenstraße 4"). Nach Been- digung der Aktion — erzwungen ins- besondere auch durch Proteste der Kirchen — starben in Hadamar wei- tere rund 5 000 Patienten durch In- jektion eines Medikamentes oder

durch Verhungern.

Im hübschen hessischen Städt- chen Hadamar lag eine der sechs gro- ßen Euthanasieanstalten des Rei- ches. Die anderen waren, gleichfalls idyllisch, beheimatet in Brandenburg (Havel), Bernburg (Saale), Pirna (Sachsen), Grafeneck (Württem- berg) sowie Hartheim (in der Nähe von Linz an der Donau). Insgesamt wurden hier während der Aktion T4 70 000 Menschen „euthanasiert".

Ärzte in der Gedenkstätte

Im heutigen psychiatrischen Landeskrankenhaus Hadamar hat dessen Träger, der Landeswohl- fahrtsverband Hessen, eine Gedenk- stätte eingerichtet — genau am Ort der Taten. Dort trafen sich am 15.

Mai diesen Jahres Vertreter der hes- sischen Ärzte zu einer Gedenkveran- staltung, angeregt durch den Arzt und Bundestagsabgeordneten Dr.

Werner Schuster (Idstein), veranstal- tet gemeinsam von Landesärztekam- mer und Landeswohlfahrtsverband.

Der Präsident der Hessischen Lan- desärztekammer, Dr. Alfred Möhrle, machte darauf aufmerksam, daß heu- te die Diskussion über die Euthana- sie wieder hochkomme. Er warnte (mit Blick auf die Niederlande) den deutschen Gesetzgeber davor, „auch nur eine kleine Tür aufzustoßen."

Wörtlich: „Wenn es um die aktive Mitwirkung bei der Tötung oder Selbsttötung eines Patienten geht,

KURZBERICHTE

bewegen wir uns auf einem schmalen Grat." Zu den Geschehnissen in Ha- damar während der Zeit des Natio- nalsozialismus erklärte Möhrle: „Wir Heutigen haben zwar keine Verant- wortung für die damaligen Taten,

aber wir tragen die Verantwortung, daß die Erinnerung wachbleibt."

In einem Vortrag („Erinnern an Hadamar") beschäftigte sich der Me- dizinhistoriker Prof. Dr. Richard

„Aus der Geschichte lernen" — auf dem kleinen Friedhof der Anstalt in Hadamar erinnert ein Ge- denkstein an die Opfer der Euthanasie. Hessens Kammerpräsident legte einen Kranz nieder.

Foto: Heiko Arendt

Toellner, Münster, mit den Euthana- sieaktionen in der NS-Zeit und der Haltung der Ärzte. Für den Arzt im Dritten Reich habe sich die allen be- wußte Frage gestellt, ob er den Ge- boten der ärztlichen Ethik folgen oder sich zum Instrument des Staates machen wolle.

Viele, auf jeden Fall die bei der Euthanasie aktiv beteiligten Ärzte,

haben sich instrumentalisieren lassen

— möglicherweise aus der Überzeu- gung heraus, daß Euthanasie wissen- schaftlich gerechtfertigt war. Zuver- lässige Angaben über die Zahl der beteiligten Ärzte gibt es nicht. Toell- ner ist der Ansicht, sie müsse vielfach größer gewesen sein als die bisher immer genannte Zahl von 350. Unter ihnen sei das „ganze Spektrum der Normalität" vertreten gewesen: „Sie waren bedeutende Gelehrte, hervor- ragende Wissenschaftler, angesehene Ärzte in hohen Rängen und leiten- den Stellungen, anständige Bürger, liebevolle Familienväter, unter den jüngeren waren wohlerzogene, gebil-

dete, intelligente, ehrgeizige, profi- lierte Leute wie Mengele, unbedarf- te, kleinkarierte, höchst mittelmäßi- ge, dumpfe Naturen, angepaßt in Denken und Verhalten, wie Men- necke."

Der Prozeß begann im 19. Jahrhundert

Toellner erinnerte an die weite Verbreitung des Biologismus, der Er- satzreligion der kritischen Intelli- genz. Er wies auf die Hypothese der historischen Forschung hin, wonach das Sterilisations-, Euthanasie- und Genozidprogramm des Nationalso- zialismus Teil eines Prozesses war, der im 19. Jahrhundert mit der Medi- kalisierung der Gesellschaft begon- nen, sich in der Psychiatrisierung breiter Bevölkerungsschichten fort- gesetzt und zur Asylierung der „Ge- meinschaftsunfähigen" geführt habe.

Die Verbindung von Rassenhygiene, Eugenik und sozialer Frage habe sich zwanglos hergestellt. Da die Asylie- rung der Untüchtigen schon vollzo- gen gewesen sei und sie leicht erfaß- bar gemacht habe, sei der Schritt zu ihrer Vernichtung eine „logische Konsequenz" gewesen.

Auch in Hadamar haben sich Krankenschwestern, Krankenpfleger, allerlei Helfer und eben auch Ärzte aktiv beteiligt. Die Selektion der dem Tode freizugebenden Patienten war allein Sache der Ärzte. Die Tötung war dem Arzt vorbehalten: Nur er durfte in Hadamar den Gashahn be- dienen. NJ

Euthanasie

Erinnern an Hadamar

A1 -1652 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 22, 4. Juni 1993

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