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Archiv "Tagung in der Gedenkstätte Hadamar: Aus der Vergangenheit lernen" (07.02.1997)

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ie „unglaublichen Dinge“, die während des Nationalsozia- lismus in Hadamar gescha- hen, behandelte der Präsident der Landesärztekammer Hessen, Dr.

med. Alfred Möhrle, anläßlich einer Tagung, die Ende Januar in der hessi- schen Kleinstadt stattfand. In Hada- mar wurden im Rahmen der Aktion T 4 („Tiergartenstraße 4“) Behinderte und psychisch Kranke, aber auch „un- liebsame, weil gegen das Regime ein- gestellte Personen auf Befehl Hitlers“

durch Gas umgebracht. Nach der offi- ziellen Beendigung der Aktion star- ben in Hadamar weitere 5 000 Patien- ten durch Injektion eines Medikamen- tes oder durch Verhungern.

„Es waren Ärzte, die maßgeblich an den Tötungsaktionen beteiligt waren, Ärzte, welche eigentlich dem Wohl der ihnen Anvertrauten und der Erhaltung des Lebens verpflichtet sind“, betonte Möhrle. Auch an ande- ren unmenschlichen Geschehnissen der NS-Zeit seien sie beteiligt gewe- sen, wie zum Beispiel an der Zwangs- sterilisation von rund 360 000 Men- schen. Die etwa 20 000 noch lebenden Zwangssterilisierten seien bis heute nicht offiziell als NS-Verfolgte aner- kannt, stellte der Leiter des Landes- wohlfahrtsverbandes Hessen, Lutz Bauer, fest.

Klara Nowak, Vorsitzende des Bundes der „Euthanasie“-Geschä- digten und Zwangssterilisierten, be- richtete, daß die Betroffenen nach wie vor an gesundheitlichen und see- lischen Schäden als Folgen des Ein- griffs litten: „In der Schul- und Be- rufsausbildung waren wir schweren Einschränkungen unterworfen; so durften wir keine weiterführenden Schulen besuchen, wir durften unsere Ehepartner nicht frei wählen, son- dern nur einen zwangssterilisierten Menschen heiraten.“

In einer „Erklärung von Hada- mar“ fordern die Veranstalter (Ak- tion Sühnezeichen Friedensdienste, Bund der „Euthanasie“-Geschädig- ten und Zwangssterilisierten, Bundes- vereinigung Lebenshilfe für Men- schen mit geistiger Behinderung, Ge- denkstätte Hadamar, Landeswohl- fahrtsverband Hessen) die Gleichstel- lung der Zwangssterilisierten mit an- erkannten NS-Verfolgten. Außerdem solle für Beihilfeanträge von Betrof-

fenen nicht wie bisher ein fachärztli- ches Gutachten, sondern nur noch ein ärztliches Attest über die gesundheit- lichen Schäden erforderlich sein.

Beim „Härteausgleich“ dürfe nicht das Familieneinkommen, sondern nur das eigene Einkommen berücksich- tigt werden.

Signal gegen jede Nützlichkeitsethik Daß das Thema „Lebens-Un- wert?“ nicht nur eine historische Di- mension hat, darauf wies der Schirm- herr der Veranstaltung, Bundespräsi-

dent Roman Herzog, hin. Er forderte in einem Grußwort, nicht nur das dunkle Kapitel des Dritten Reiches, sondern zugleich auch Gegenwart und Zukunft im Blick zu haben. Vor dem geschichtlichen Hintergrund be- obachten die Veranstalter mehrere

„aktuelle Entwicklungen im Bereich der Gesundheits- und Behinderten- politik mit großer Sorge“. Sie kriti- sierten unter anderem die vom Euro- parat kürzlich verabschiedete Kon- vention über Menschenrechte und Biomedizin. In der „Erklärung von Hadamar“ wird gefordert, daß die Konvention „nicht signiert und ratifi- ziert und in internationaler Zusam- menarbeit darauf hingewirkt wird, daß die Rechte aller Menschen unein- geschränkt geschützt sind, insbeson- dere daß jegliche fremdnützige For- schung an ,einwilligungsunfähigen‘

Personen und jede Form einer Freiga- be von gesetzlich definierten Grup- pen für Forschungszwecke unterbun- den werden“. Möhrle räumte aller- dings ein, daß in der sogenannten Bioethik-Konvention der Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen enge Grenzen gesetzt seien: „Im Gegensatz zur NS-Zeit sind sie nicht schutzlos der Forschung ausgeliefert.“

Seiner Ansicht nach habe der

„erste Schritt zur Entwertung des Menschen“ mit der Neuregelung des Abtreibungsrechts eingesetzt. In dem 1996 in Kraft getretenen Schwange- ren- und Familienhilfeänderungsge- setz ging die embryopathische Indika- tion in die medizinische Indikation auf. Und danach ist die Schwangere nicht strafbar, wenn der Schwanger- schaftsabbruch nach Beratung von ei- nem Arzt vorgenommen worden ist A-281

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 6, 7. Februar 1997 (17)

Tagung in der Gedenkstätte Hadamar

Aus der Vergangenheit lernen

Ort und Zeit der Tagung zum Thema „Lebens-Unwert?“ hatten die Veranstalter bewußt ge- wählt: Anlaß war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus; Ort war die Gedenk- stätte Hadamar. Dort beschäftigten sich Ende Januar unter anderem Ärzte, Politiker, Juristen und Betroffene mit den Verbrechen der Nationalsozialisten an kranken und behinderten Men- schen und „aktuellen Entwicklungen im Bereich der Gesundheits- und Behindertenpolitik“.

Auf dem Friedhof der Anstalt in Hadamar erinnert ein Gedenkstein an die Opfer der „Euthanasie“.

Foto: Heiko Arendt

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und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von einer Bestrafung der Frau absehen, „wenn sie sich zur Zeit des Eingriffs in einer besonderen Bedrängnis befunden hat“. Gerade durch die pränatale Diagnostik ent- stünden Denkweisen wie „Behinderte müssen nicht zur Welt gebracht wer- den“, stellte auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der Bundesverei- nigung Lebenshilfe, Maren Müller- Erichsen, fest.

In der Erklärung wird außerdem

„mit großer Sorge“ angemahnt, daß die Nützlichkeitsethik das Lebens- recht von Menschen mit Behinderun- gen grundsätzlich in Frage stelle.

„Auf ihrer Grundlage werden zum Beispiel das unversorgte Liegenlassen von behinderten Neugeborenen und das Abschalten von medizinischen Geräten bei Wachkomapatienten in der Öffentlichkeit vertreten und im stillen praktiziert.“ Außerdem wür- den noch immer Menschen mit Be- hinderungen zu einer Sterilisation überredet.

Damit die Normalität eines Le- bens mit Behinderung anerkannt wird, sollte ein eigenes Leistungsrecht geschaffen werden, „das Menschen mit Behinderungen unabhängig macht von den nachrangigen Leistun- gen des Bundessozialhilfegesetzes“, fordert die „Erklärung von Hada- mar“. Die Arbeiten im Behinderten- und Gesundheitsbereich müßten so gefördert werden, daß die Bedingun- gen eines selbstbestimmten Lebens gewährleistet seien. Außerdem müsse durch ein Antidiskriminierungsgesetz die Isolation von Behinderten über- wunden und ihre gesellschaftliche In- tegration gewährleistet werden.

Die heute lebende Generation der Deutschen, auch der Ärzte, trage keine Verantwortung für das Fehlver- halten und für die Verbrechen vor- angegangener Generationen, sagte Möhrle. Er appellierte an die Deut- schen, mahnend auf sich abzeichnende neue Anfänge von Unmenschlichkeit hinzuweisen. Dazu wollten die Veran- stalter mit der Tagung und der Verab- schiedung ihrer Erklärung beitragen, die nicht als Forderungskatalog, son- dern als Selbstverpflichtung zur wei- teren Zusammenarbeit verstanden werden sollte. Gisela Klinkhammer A-284

P O L I T I K AKTUELL

(20) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 6, 7. Februar 1997

D

er „Aktionsplan Umwelt und Gesundheit für Europa“ müs- se endlich in Deutschland um- gesetzt werden. Dies forder- ten der umweltpolitische Sprecher der SPD, Michael Müller, dessen Stellvertreter Klaus Lennartz und der stellvertretende gesundheitspoli- tische Sprecher, Horst Schmidbauer, in einer Stellungnahme zu einer großen Anfrage der SPD-Bundes- tagsfraktion. Ziel des Aktionsplans, den die Europa-Konferenz „Umwelt und Gesundheit“ der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) am 22. Juni 1994 in Helsinki beschlossen hat, sei es gewesen, die gesundheitlichen Vor- aussetzungen zu verbessern und Pro- duktionsverfahren sowie Konsumge- wohnheiten radikal zu ändern. Die Politik von Bundesgesundheitsmini- ster Seehofer sei jedoch antiquiert und nehme Forschungsergebnisse nicht zur Kenntnis.

30 Millionen Bürger leiden an Allergien Allein in Deutschland hätten et- wa 30 Millionen Bürger eine Allergie, heißt es weiter. Die Ursachen dieser unspezifischen und chronischen Krankheiten müßten erfaßt werden.

Forschungsergebnisse legten nahe, daß besonders Schadstoffe in Luft und Wasser, Chemikalien in der Nah- rung und Blei im Trinkwasser, Lärm und Streß sowie radioaktive und elek- tromagnetische Felder an der Entste- hung von Krankheiten beteiligt sind.

Umweltbelastungen seien auch Ur- sache chronischer Komplexkrank- heiten, wie CFS (Chronic Fatigue Syndrome) oder MCS (Multiple Che- mical Sensitivity).

Eine zentrale Aufgabe sei es daher, diese Belastungen zu ver- mindern. Daneben könnte die immu- nologische Forschung Wirkungszu- sammenhänge aufklären. Die An-

wendung dieser Forschungsergebnis- se müsse gezielt gefördert werden, statt sie „durch konkurrierende Zweige der medizinischen Wissen- schaft zu verhindern“. Die Grund- lagenforschung im Bereich Umwelt und Gesundheit/Krankheit habe in Deutschland keinen hohen Stellen- wert. „Die wirtschaftspolitische Sor- ge vor Restriktionen für industrielle Aktivitäten und die sozialpolitische Sorge vor zusätzlichen Kosten wirken als doppelte Bremse“, so der Vorwurf der SPD.

Die große Anfrage umfaßt die Themenkomplexe Schadstoffe, Toxi- kologie und Immunologie, Forschung sowie Verbraucherschutz. Die Abge- ordneten kritisieren, daß etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland

„psychiatrisiert“ werden, ohne daß vorher Umweltgifte oder Immuner- krankungen als mögliche Ursache ausgeschlossen worden seien.

Zudem monieren sie, daß das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärme- dizin den Begriff „Multiple Chemical Sensitivity“ in „Idiopathic Environ- mental Intolerances“ umbenennen will. Diese „verschleiernde“ Definiti- on sei weder wissenschaftlich akzep- tiert, noch werde sie von der WHO verwandt. Es sei ferner problema- tisch, daß MCS- und CFS-Patienten, deren Immunsystem angegriffen ist, Organe oder Blut spendeten. Dar- über hinaus müßten neue wissen- schaftliche Erkenntnisse über diese Krankheiten bei der Planung von Gesundheits- und Rehamaßnahmen berücksichtigt werden. Die Abgeord- neten fordern zudem, ein Modellpro- jekt zur Diagnose und Behandlung von Patienten mit MCS und CFS zu initiieren. Ferner soll die Bundes- regierung eine „Technische Anleitung (TA) Innenraum“ erarbeiten, um die oft besorgniserregend hohen Schad- stoffkonzentrationen in Innenräumen zu senken. Dr. Sabine Glöser

Umweltpolitik

SPD fordert Aufklärung

von Umweltkrankheiten

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