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Archiv "Psychiatrie und Staatssicherheit: Am Fuß des Aktenbergs: Viele Vorwürfe, wenig Beweise" (31.01.1992)

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Am Fuß des Aktenbergs:

Viele Vorwürfe, wenig Beweise

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Stellungnahmen aus Kliniken und Ärztekammern

„Stasi ist das Trauerspiel mit den meisten Akten" — diese Sprech- blase schwebte vor ein paar Tagen über einem Guinness-Buch der Rekorde in einer Karikatur. Einer der jüngsten Akte im Stück:

Die Vorwürfe des sächsischen Innenministers Heinz Eggert (CDU), die dieser gegen den inzwischen suspendierten Chefarzt der 1. Abteilung des Fachkrankenhauses für Psychiatrie und Neu- rologie Großschweidnitz, Reinhard Wolf, erhoben hat. Eggen hat- te zuvor einen Teil der über ihn angelegten Stasi-Akten eingese- hen. Nach seinen Darstellungen sowohl in der ARD-Sendung

„Brennpunkt" als auch in Interviews hat Wolf, inoffizieller Mitar- beiter des Ministeriums für Staatssicherheit, ihn absichtlich falsch behandelt. Ein Einzelfall — oder eines von unzähligen Beispielen dafür, wie eng die psychiatrischen Kliniken und die Staatssicher- heit in der DDR miteinander verknüpft waren? Dazu nehmen im folgenden Klinikleiter und Ärztekammerpräsidenten Stellung.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Psychiatrie und Staatssicherheit

N

ach einem Urlaub an der Ostsee im Sommer 1983 er- krankten der heutige sächsi- sche Innenminister, damals noch Pfarrer in Oybin, und seine Familie an der Ruhr. Ob dabei alles mit rechten Dingen zuging oder ob die Stasi mit Bakterien in der Nahrung nachhalf, weiß Eggert offenbar noch nicht. Immerhin soll der Dresdner Stasi-Bezirkschef nach Kenntnissen des „Spiegel" schon 1982 angeordnet haben, „zielstrebig und wirksam mit operativen Maßnahmen die Phase des Zersetzungsprozesses" gegen den Theologen zu starten.

Nach seiner Genesung litt Eg- gert an schweren Depressionen.

„Das kommt, besonders bei dynami- schen Fightern wie Eggert, nach le- bensbedrohlichen Krisen immer mal vor", befand der „Spiegel" in seiner Titelgeschichte zur Offnung der Sta- si-Archive. Der Theologe begab sich in Behandlung. Empfohlen wurde ihm Psychiater Reinhard Wolf, Chefarzt in Großschweidnitz.

Der gute Rat stammte von inof- fiziellen Mitarbeitern (IM) der

Staatssicherheit aus Eggerts Freun- deskreis. Nach einem Beratungsge- spräch im April 1984 durfte Eggert laut „Spiegel" die Klinik nicht mehr verlassen. Während eines mehrwö- chigen Aufenthaltes in Groß- schweidnitz wurde er nach seinem Eindruck „mit Psychopharmaka voll- gepumpt". Psychiater Wolf habe ihm damals auch eingeredet, daß er nie wieder völlig belastbar sein würde.

Glaubt man den Darstellungen

„Spiegel", dann hatte das Mini- sterium für Staatssicherheit bei die- sem Aufenthalt seine Hände tief mit im Spiel: Sogar detaillierte Fragen- kataloge für Therapiesitzungen seien den Arzten in Großschweidnitz an die Hand gegeben worden. Ton- bandprotokolle der vertraulichen Arztgespräche und Kopien der Krankenberichte habe Eggert in sei- nen Stasi-Akten wiedergefunden.

Der langjährige Ärztliche Direktor der Klinik, Dr. Manfred Oertel, war

bereits im Sommer 1990 wegen Stasi- Mitarbeit entlassen worden.

Die derzeitige Ärztliche Leitung der Klinik verwies in einer Pressemit- teilung darauf, daß man ebenfalls erst durch „Brennpunkt" davon Kenntnis erhalten habe, daß Chefarzt Wolf ein inoffizieller Stasi-Mitarbeiter war.

Allerdings betonen die unterzeich- nenden Chefärzte Dr. med. Hiekisch und Dr. med. Frömel, daß nach ihren Recherchen Heinz Eggert gar nicht von Wolf, sondern von dem zuständi- gen Facharzt Dr. Lantsch therapiert worden sei. Und weiter: „Dr. Lantsch hat übrigens 1973/74, vor seiner Tätig- keitsaufnahme hier, 18 Monate wegen sogenannter ,staatsfeindlicher Ver- bindungsaufnahme' in Stasi-Haft ge- sessen."

Die Therapie werde, wie üblich, zwischen mehreren Arzten bespro- chen und abgestimmt; eine unkontrol- lierte Psychopharmakagabe sei nicht möglich. Ein Mißbrauch der Behand- lung habe also nicht stattgefunden.

Unumwunden gestehen die beiden Ärzte jedoch ein, daß nunmehr davon auszugehen sei, daß noch mehr Aus- künfte über Patienten an die Stasi ge- langten und damit die ärztliche Schweigepflicht verletzt wurde.

Welches Ausmaß und welche Formen die Zusammenarbeit zwi- schen Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit einerseits und psychiatrischen Kliniken andererseits in der DDR annahm, ist von außen im Grunde nicht zu beurteilen. Und von innen?

In einer Befragung von 20 erfah- renen, an leitender Stelle tätigen Psychiatern aus den neuen Bundes- ländern gaben immerhin alle an, daß die Stasi nie an sie persönlich wegen der Aufnahme von Patienten oder Gesunden herangetreten sei oder gar in die Behandlung habe eingreifen wollen. Wenn Ärzte oder andere Kli- nikmitarbeiter allerdings zum Scha- den von Patienten mit der Stasi zu- sammengearbeitet hätten, dann sei dies gerichtlich zu ahnden. Dazu müs- se allerdings jeder Einzelfall unter- sucht werden. Die meisten der Be- fragten arbeiten seit Jahren in den Kli- niken, wenngleich sie meist erst nach der Wende in leitende Positionen ge- langt sind. Lediglich der Leiten- de Chefarzt der Landesnervenkli-

I Krankenberichte in Stasi-Akten

Dt. Ärztebl. 89, Heft 5, 31. Januar 1992 (19) A1-263

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nik Brandenburg war nicht zu einer Stellungnahme zu bewegen.

In mehreren Kliniken sind die Fragen, die besonders die Darstel- lungen Eggerts aufgeworfen haben, eingehend diskutiert worden. Das berichteten aus ihren Häusern bei- spielsweise Dr. m~.d. Hans Bach, Ge- schäftsführender Arztlieber Direktor des Landeskrankenhauses für Psych- iatrie und Neurologie Arnsdorf; Dr.

med. Frank Bartuschka, Leitender Chefarzt des Landesfachkranken- hauses für Psychiatrie und Neurolo- gie Stadtroda; sowie Dr. med. Jo- chen Fuchs, Leitender Arzt der Ner- venklinik Schwerin. In Arnsdorf und Stadtroda haben die Klinikleiter auch Anfragen zu Mitarbeitern an die Gauck-Behörde gestellt.

Prof. Dr. med. habil. Gert-Eber- hard Kühne, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Neurologie "Hans Berger" der Friedrich-Schiller-Uni- versität Jena, weiß im Fall eines ein- zigen - ausgeschiedenen - ärztli- chen Mitarbeiters, daß dieser ein IM der Stasi war. In seiner Klinik ist auch bekannt, daß ein Patient durch eine Mitpatientin bespitzelt wurde.

Aufforderungen von Ordnungs- behörden, auffällige Patienten wäh- rend Staatsbesuchen oder an be- stimmten Staatsfeiertagen vorsorg- lich vorübergehend stationär aufzu- nehmen oder nicht zu entlassen, sind bekannt. Innerhalb der Leipziger Psychiatrie beispielsweise gab es aber seit Jahren eine "stillschweigen- de" Übereinkunft, solchen Ansinnen einfach nicht nachzukommen.

Insgesamt äußerte sich die Mehrzahl der befragten Psychiater auch übergreifend:

..,. Einige haben den Eindruck, daß die Psychiatrie und die Psychia- ter (besonders die der ehemaligen DDR) in der Presse bewußt diffa- miert werden sollen.

.... Es besteht ihrer Ansicht nach die Gefahr, daß über die Stasi/Psych- iatrie-Diskussion andere wesentliche Probleme der Psychiatrie in den al- ten wie in den neuen Bundesländern in den Hintergrund gedrängt wer- den: Die unzureichenden ambulan- ten Betreuungsstrukturen, die feh- lende Gemeindenähe, in den neuen Ländern der räumlich oft ungenü- gende Zustand der Kliniken.

..,. Zu unterscheiden sei, ob auf Verlangen der Stasi Gesunde wider- rechtlich in Kliniken eingewiesen und "behandelt" worden seien oder ob man Kranke mit unverhältnismä- ßigen Mitteln therapiert habe. Je nach Ausrichtung der Klinik werde eine unterschiedliche Behandlung bevorzugt, ohne daß deshalb schon ein Therapiefehler vorliege.

Unterschiedlich werden die Dar- stellungen Eggert.~ und ihre Konse- quenzen in den Arztekammern der neuen Länder beurteilt. Prof. Dr.

Walter Brandstädter, Kammerpräsi- dent von Sachsen-Anhalt, sind ver- gleichbare Vorgänge im Kammerbe- zirk nicht bekannt. Er möchte die Angelegenheit auch nicht hochstili-

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Zitiert aus ~taz"

sieren, weil er der Auffassung ist, daß die persönlichen Darstellungen Eggerts glaubhaft sind, nicht jedoch die Gesamtberichterstattung. Brand- städter will nicht ausschließen, "daß es solche Dinge gegeben hat". Even- tuell würden in Zukunft Schlichtun- gen oder Haftpflichtfragen an die Kammer herangetragen.

In Mecklenburg-Vorpommern:

Dort beschäftigt die Möglichkeit zur Einsicht von Stasi-Akten bereits die Ärztekammer. Deren Präsident, Dr.

Andreas Crusius, wurde in der ver- gangeneo Woche vom Senat der Stadt Rostock in einen Gerechtig- keitsausschuß geladen. Zur Sprache gebracht werden sollten Vorwürfe gegen Ärzte, die Betroffene nach Einsicht ihrer Akten erhoben hatten.

In einem Fall handelt es sich um Spätfolgen einer Anabolika-Thera- pie, in einem anderen um die Ar264 (20) Dt. Ärztebl. 89, Heft 5, 31. Januar 1992

Zwangseinweisung in eine psychia- trische Klinik.

Daß Ärzte in der DDR benutzt worden sind und sich benutzen lie- ßen, war nach Ansicht von Dr. Ellis E. Huber, Präsident der Ärztekam- mer Berlin, zu erwarten: "Ärzte sind auch nur Menschen". Huber ist be- kannt, daß sich Psychotherapeuten in Ost-Berlin an "Zersetzungspro- zessen" beteiligten. Eine Kommissi- on der Delegiertenversammlung in Berlin hat sich dieser und anderer Fälle, bisher zirka 30, angenommen.

Sie berät den Vorstand laut Huber zu möglichen Berufsordnungsverfah- ren. Der Berliner Kammerpräsident geht davon aus, daß es sich im gro- ßen und ganzen um Einzelfälle han- delt. Dennoch: "Die Akteneinsicht wird einiges transparent machen."

"Es gibt auch in Brandenburg Vorwürfe gegen Ärzte", bestätigt Ärztekammerpräsident Dr. Roger Kirchner für seinen Kammerbezirk Allerdings würden diese fast aus- schließlich in der Presse erhoben. In ein paar wenigen Fällen, die der Kammer bekannt geworden seien, habe er die Staatswaltschaft infor- miert, um den juristischen Sachver- halt klären zu lassen. Erst nach der strafrechtlichen Klärung könne man überlegen, ob im ärztlich-ethischen Sinne Bedenkliches vorliege.

Bereits im vergangeneo Herbst habe er, erläutert Kirchner, mit lei- tenden Ärzten der Psychiatrie dar- über gesprochen, wie man der Ver- gangenheit begegnen könne. Doch daraus ergäben sich mehr Fragen als Antworten: Sollten betroffene Be- rufsverbände Untersuchungen an- stellen oder ein Ausschuß der Kam- mer? Weiche Handhabe besitze man bei Vorfällen, die Jahre zurücklie- gen, als neugegründete Selbstverwal- tung? Der Vorschlag, eine gemeinsa- me Kommission von Kammer und Gesundheitsministerium einzurich- ten, sei zumindest gescheitert.

Wie auch immer - Dr. Kirchner schließt keinesfalls aus, daß noch ei- niges kommen wird. Dazu trägt si- cher bei, daß er selbst inzwischen weiß, daß ehemalige Kollegen ihn bespitzelt haben - als inoffizielle Mitarbeiter im Dienste der Stasi.

Sabine Dauth, Dr. Gerhard di Pol

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