DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
D
er Erfinder der strengen Klausur im kleinsten Kreise ist verstimmt, heißt es in Bonn. Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer sei pikiert über einen Vorfall, der sich dieser Tage in Berlin zuge- tragen hat. Seehofer hatte die gesamte Spitze der Kassenärzte- schaft (auch die regionale) an den „runden Tisch" geladen, doch ein Großteil der Stühle blieb leer. Der Grund: Die Vor- sitzenden der Kassenärztlichen Vereinigungen vertraten die Auffassung: Gespräche mit dem Minister seien einzig und allein Sache des KBV-Vorstandes, und der genieße überdies ihr volles Vertrauen bei der sachgerech- ten Wahrung der Kassenarzt-In- teressen. Folglich sagten sie ge- schlossen das Gespräch mit See- hofer ab, und nur der KBV-Vor- stand traf mit dem Schöpfer des Gesundheits-Strukturgesetzes zusammen.Bei diesem Gespräch ging es einmal mehr um die gegensätzli- chen Standpunkte, die in we-
Seehofer-Gespräch
Absage
sentlichen Teilen unvereinbar scheinen. Die Kassenärzte wol- len und können keine Kollektiv- haftung beim Überschreiten ei- nes vorgegebenen Arzneimittel- budgets akzeptieren. Seehofer aber will 560 Millionen Mark bei den Verordnungen einsparen.
Die Kassenärzte können und wollen keine dauerhafte Decke- lung ihrer Gesamtvergütung bei steigenden Kosten und steigen- den Arztzahlen hinnehmen.
Seehofer aber will auf Dauer die Kosten senken — vorzugsweise und nicht zum erstenmal auf dem Rücken der ambulanten Versorgung. Zwei Beispiele für viele.
An den grundsätzlichen Be- denken der Kassenärzteschaft gegen die Gesetzespläne hat sich
nichts geändert. Dies dürfte See- hofer klar sein. Dennoch besteht die Möglichkeit, sich aufeinan- der zu zu bewegen. Der KBV- Vorstand hat in der Zwischen- zeit ein Alternativkonzept mit detaillierten Vorschlägen für al- ternative Regelungen zum Ge- sundheits-S trukturgesetz erar- beitet. Ein Papier, das auf der bevorstehenden Vertreterver- sammlung der KBV und dem Kassenärztetag in der kommen- den Woche in Bonn diskutiert werden wird.
Horst Seehofer ist zu dieser Veranstaltung eingeladen, und bereits vor Wochen hatte der Minister seine Teilnahme am Kassenärztetag angekündigt.
Die Absage der KV-Vorsitzen- den in Berlin ist somit keine Ab- sage an den Dialog mit dem Bundesgesundheitsminister schlechthin. Die Gelegenheit zum Dialog auf breiter Basis be- steht — an diesem 9. September in Bonn. Die Gelegenheit zum Dialog und zur Annäherung der
Standpunkte. JM
A
ls eine „Luxus-Diskussi- on" zur Unzeit haben der Präsident der Bundesver- sicherungsanstalt für Angestell- te (BfA), Dr. Herbert Rische, und der Geschäftsführer des Verbandes der Angestellten- Krankenkassen e.V., Dr. med.Eckart Fiedler, die von den Lan- desarbeits- und -sozialministern angestrebte „Regionalisierung"
der bundesweit tätigen Sozial- versicherungsträger apostro- phiert. Eine von den Ländermi- nistern eingesetzte Arbeitsgrup- pe hatte mehrheitlich (mit Aus- nahme von Mecklenburg-Vor- pommern) empfohlen, die Ren- tenversicherungsträger neu zu gliedern und die Angestellten- versicherungsanstalt zu regiona- lisieren. Danach sollten auf mitt- lere Sicht nicht nur Arbeiter, sondern auch die Angestellten bei den Landesversicherungsan- stalten versichert werden.
Die BfA, unterstützt von der Deutschen Angestellten-Ge- werkschaft, führt gegen Regio- nalisierungsabsichten Kontra-
Regionalisierung
Überflüssig
Argumente ins Feld: Die Ver- waltungskosten würden bei einer Zerschlagung der BfA drastisch steigen. Erwerbs- und Berufsun- fähigkeitsrenten sowie Rehabili- tationsmaßnahmen könnten künftig nicht mehr berufsspezi- fisch ausgerichtet werden. Der Zugriff der Länder auf das Ver- mögen und die Anlagepolitik der BfA nach „regionalwirt- schaftlichen Gesichtspunkten"
würde die finanzwirtschaftlichen Grundlagen der Rentenversi- cherungen unterminieren. Stei- gende Beitragssätze oder schlechtere Rentenleistungen wären die Folge.
Die Ersatzkassen lehnen ebenfalls eine Regionalisierung ihrer Kassenart aus vordergrün- dig „machtpolitischen" Bestre-
bungen ab. Daß eine Zerschla- gung der Ersatzkassen von den Ländern (allen voran Bayern) angestrebt werde, zeigten For- derungen nach landesbezogenen Verträgen, Finanzhoheit und Beitragssatzautonomie. Würden diese Bedingungen erfüllt, wä- ren die Ersatzkassen als bundes- weite Organisation nur noch ei- ne „leere Hülse" (Fiedler). Mit dem von der Ländermehrheit geforderten regionalen kassen- artenübergreifend en Risiko- strukturausgleich wäre der „ent- scheidende Schritt in Richtung Länder-Einheitsversicherung getan".
Die Ersatzkassen sehen auch andere Gefahren. Mit dem Versuch, leistungsfähige und bundesweit organisierte Kran- kenkassen dem Zugriff landes- politischer Interessen zu unter- werfen, wachse die Gefahr für alle Krankenkassen, mit kran- kenversicherungsfremden Auf- gaben belastet zu werden. Allei- nige Gewinner wären die Orts- krankenkassen. HC
Dt. Ärztebl. 89, Heft 36, 4. September 1992 (1) A1-2817