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Archiv "Krankenkassenbeiträge: Düstere Zukunftsvisionen" (21.10.2005)

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eutschland im Jahr 2050. Schwe- bende, computergesteuerte Autos bringen die Menschen zur Arbeit.

Staus gibt es dabei so wenige wie Se- kretärinnen in den Büros. Dort wird der „Office-PC“ mittlerweile per Spra- che bedient, die Maus auf dem Bild- schirm mit dem Auge gesteuert. Für ihre Arbeit bekommen die Leute nach wie vor einen Lohn – doch davon geht jetzt die Hälfte für die Krankenversi- cherung drauf.

Ob die Menschheit eines Tages wirk- lich ins Büro fliegen wird, ist schwer zu prognostizieren. Dass aber die Kran- kenkassenbeiträge tatsächlich auf rund 44 Prozent steigen könnten, hat das Fritz Beske Institut für Gesundheits- System-Forschung, Kiel, in einem Mo- dell errechnet. Dabei haben die Wissen- schaftler die finanziellen Folgen des medizinischen Fortschritts und des demographischen Wandels auf das Ge- sundheitswesen untersucht – und die könnten dramatisch sein.

Handeln:

heute, nicht morgen

„Die Politik ist aufgefordert, jede Schönfärberei der Situation und der vorhersehbaren Entwicklung aufzuge- ben und die harte Realität anzuerken- nen“, mahnte deswegen Institutsleiter Prof. Dr. med. Fritz Beske bei der Vor- stellung des Gutachtens Ende Septem- ber in Berlin. „Gehandelt werden muss nicht morgen, gehandelt werden muss heute.“ Allein der Bevölkerungsrück- gang mit immer mehr älteren und im- mer weniger jüngeren Menschen führe zu einer Erhöhung des Beitragssatzes von heute rund 14 Prozent auf etwa 18 Prozent im Jahr 2050. Der steigende Bedarf medizinischer Leistungen für

die zunehmend vergreisende Gesell- schaft kompensiere dabei die sinkende Nachfrage durch die Bevölkerungs- abnahme. Abhängig von den Bevöl- kerungszahlen und der durchschnitt- lichen Lebensdauer könnten sich die Mehrausgaben für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf etwa 10 Milliarden Euro belaufen.

Als viel gravierender aber beurteilt Beske die finanziellen Folgen des medi- zinischen Fortschritts. „Keine Regie- rung wird der Bevölkerung neue Arz- neimittel oder neue Behand-

lungsmethoden versagen“, ist sich Beske sicher. Bei ei- ner durch den medizinischen Fortschritt ausgelösten jähr- lichen Ausgabensteigerung von realistisch einem Prozent

sei eine Verdopplung des heutigen Bei- tragssatzes auf rund 28 Prozent die Fol- ge. Bei einer dramatischen Steigerungs- rate von zwei Prozent würden sich die Beiträge sogar auf etwa 44 Prozent ver- dreifachen. In Euro umgerechnet, be- deute dies, dass die jährlichen Ausgaben von derzeit etwa 138 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 auf rund 361 Milliar- den Euro ansteigen würden.

Die Zahlen geben auch den Kran- kenkassenmanagern zu denken: „Wir brauchen ehrliche Analysen. Dennoch dürfen wir nicht in eine Schockstarre verfallen“, kommentierte AOK-Chef Dr. jur. Hans Jürgen Ahrens die Er- gebnisse. Dabei sieht er die Zukunft nicht so düster. Es sei unmöglich, die Einnahmeentwicklungen in der GKV vorauszusagen. Er hofft, dass die dro- henden Mehrausgaben über steigende GKV-Einnahmen aufgefangen wer- den können.

Tatsächlich liegen den Berechnun- gen konstante Einnahmen der Kran- kenkassen zugrunde. Damit sind Verän-

derungen beim Wirtschaftswachstum, der Beschäftigung und der Lohnsumme nicht berücksichtigt – mit Absicht, wie Beske betonte. Vermutungen darüber für die nächsten 45 Jahre anzustellen sei zu spekulativ.

AOK-Chef Ahrens ist überzeugt, dass sich in Selbstverwaltung und Politik noch einiges ändern werde. Medizini- schen Fortschritt dürfe es künftig nicht einfach „on top“ geben. „Wir müssen noch härter als bisher prüfen, welche un- wirtschaftlichen Maßnahmen dafür ge- strichen werden müssen.“

Dem stimmt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zu. „Die Spanne zwischen Innovationsfähigkeit und der Fähigkeit der GKV, dies zu fi- nanzieren, geht immer weiter auseinan- der“, erklärt KBV-Sprecher Roland Stahl. Kürzungen am Leistungskatalog seien aber zur Finanzierung des medizi- nischen Fortschritts nicht ausreichend, weil mit der älter werdenden Gesell- schaft vor allem teure Erkrankungen

wie Krebs, Demenz oder Diabetes zunähmen. Deswegen müsse man sich erneut der Frage stellen: „Wie viel ist uns unsere Gesundheit wert?“ Von dem Ziel, Billig-Beitragssätze zu erreichen, müsse sich die Politik verabschieden.

Große Chancen, das von Beske skiz- zierte Szenario noch zu verhindern, sieht Stahl nicht. Über Prävention und über eine hohe Qualität der Versor- gung ließe sich der Kostenanstieg ledig- lich abbremsen.

Im Bundesgesundheitsministerium hingegen tut man das Gutachten als Horrorszenario ab. Mit der letzten Re- form habe die Politik bewiesen, dass man zu Einsparungen im Gesund- heitswesen in der Lage sei, heißt es in einer knapp gehaltenen Pressemit- teilung. Zugleich ließen sich über Prävention die Krankheitskosten wei- ter senken. Die Beske-Studie habe daher einen ausgesprochen geringen Bezug zur Realität. Bleibt zu hoffen, dass dies die Menschen im Jahr 2050 genauso sehen. Timo Blöß P O L I T I K

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A2838 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 42⏐⏐21. Oktober 2005

Krankenkassenbeiträge

Düstere Zukunftsvisionen

Durch medizinischen Fortschritt und die demographische Entwicklung werden sich die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung verdreifachen, prognostiziert Fritz Beske.

„Wir brauchen ehrliche Analysen.

Dennoch dürfen wir nicht in eine Schockstarre verfallen.“

Hans Jürgen Ahrens

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