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Archiv "Für die Menschen von morgen" (21.11.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen FEUILLETON

Für die Menschen von morgen

Zum 25. Todestag des verkannten Malers James Ensor

Theodor Kiefer •

Fortsetzung und Schluß

Die Reihe der Darstellungen be- ginnt mit "Oe mystieke dood van een godgeleerde", "Der mystische Tod eines Gottgelehrten" (exaltier- te Mönche verlangen den Körper des Theologen Sus Ovis trotz des Widerstandes von Bischof Frison oder Friston), das er als Student gemacht hat, und endet 1927 mit einer Neufassung der "Versu- chung des heiligen Antonius".

bie einzelnen Themen zum Bei- spiel: Christus auf den Wellen schreitend - Heil Dir, Jesus, König der Juden, 1885 - Jesus wird dem Volke gezeigt - sogno futurista (Der Zukunftstraum), 1886 - Die

Qualen des heiligen Antonius, 1887 - Versuchung des heiligen Anto- nius, 1888 bei den XX ausgestellt - Adam und Eva aus dem Para- dies vertrieben, 1887 - Karneval am Strande, 1887 - Die Visionen, Kohlezeichnungen - Eflsor Chri- stus Licht - Der leidende Chri- stus, :1888 - Walkürenritt, 1888 - Der Garten der Liebe, 1888 - Die Zerschmetterung der rebellischen Engel, 1889 - Das Maskentheater, 1889 - Die Zungen, 1890 - Die Domäne von Arnheim - Der Gar- ten der Liebe, 1891 - Karneval - Die Versuchung des heiligen Anto- nius, 1894 - Die Ballerinen, 1895 - Der Tanz, 1896 - Maskenthea-

~ames Ensor: Stilleben, 1915, Farbstiftzeichnung, von Paul Colin 1921 abgebildet m "James Ensor", Seite 91, Gustav Kiepenheuer Verlag, Potsdam

3440 Heft47 vom 21. November 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATT

ter, 1908 - Kleine Gesellschaft im Park, 1910 -·Krieg der Schnecken, 1913 - Kleines Theater 1914 - Badende, 1916 -

Klein~

Gesell- schaft im Park, 1920 - Androme- da, 1925 - Muscheln und Mollus- kenr 1925 - Parkszenen, 1925. Ich kann hier nicht alles aufzählen.

Etwas, das ihn immer wieder aufs neue beschäftigte: Wie kommt das Böse auf die Weit, und wie hat sich der einzelne damit auseinanderzu- setzen?

Die Versuchung des heiligen Anto- nius. Das Thema hat eine lange Tradition, von Grünwald bis Callot.

Die Qualen des sterbenden Chri- stus. Auch hier muß man sich wie Ensor in das Schreckliche vertie- fen. Es ist fast unvorstellbar, daß Menschen einen Menschen noch lebend an ein Kreuz annageln und ihn dann hängen lassen, bis er stirbt. Und die Erlebnisse dieses Martyriums, die Verlassenheit, Freunde und Verwandte werden ferngehalten, die feindliche Umge- bung, die zwar nicht sichtbar und faßbar, die für den Leidenden je- doch gespenstig in Halluzinationen vorhanden ist.

Der Sturz der aufständischen En- gel. Man möge sich einmal mit der Existenz des Gewissens auseinan- dersetzen; wie entsteht es, wie mächtig ist es, kann es unterdrückt werden? Breughel hat dies in viel deutlicherer Form dargestellt. En- sor weiß, daß es keine Klarheit darüber gibt.

Der -Garten der Liebe. Auch heute noch und von jeher besetzt mit Ta- bus. Wie kann man deutlich dar- stellen, was doch so undeutlich verschleiert wird?

Dazu Koch: "Die Konzentration reicht für eine sorgfältige Arbeit nicht mehr aus."

Ensor bewies während seines gan- zen Lebens, daß er mit minuziöser Sichefheit zeichnen, malen, radie- ren konnte. Es ist nicht Schwäche, sondern Furcht vor dem Thema,

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

James Ensor: Porträt Ernest Rousseau, Ausschnitt aus einer Radierung, 24 mal 18,1 cm

was ihn nicht deutlicher werden läßt. Daß er genauestens . malen und zeichnen kann, beweisen z. B.

"Die trostreiche Jungfrau", 1892, mit der er in präraffaelitischem Stil · seine Muse anbetet, "Der Anti- quar",· 1902, ein hintergründiges Werk mit absolut klarer Zeichnung,

"Die Dächer von Ostende", "Das Rathaus von Brüssel", "Ensor an der Staffelei".

Ein anderes Zitat: "Derartige Frat- zen und Masken beherrschen En- sors Bilder von etwa dem 25. Le- bensjahr an für den Rest seines Lebens, viele Jahrzehnte lang."

Das ist einfach nicht wahr. Ohne Fratzen und Masken ist das Porträt Verhaeren von 1890. Oder die nach 1900 aus dem Gedächtnis wieder- holten Gemälde in neuer Technik:

"Das Doppelporträt" (1905), "Por- . trät der Marquise" (1910), die zwei

Stilleben vom Ersten Weltkrieg, die jetzt in Amerika sind, "Die tote Mutter" (1916), "Die toJien Rau- cher" (1920) und "Der Hafen von Ostende nach dem Gewitter", um nur einige zu nennen.

Ein weiteres Fehlurteil von Koch:

"Die künstlerisch fast wertlosen Schlachtenbilder sind Paradebei- spiele pingelig-detailfreudiger Ma- lereien mit extremer Motiv-Iteration (Windmühlen am Horizor1t, Pfeile im Vordergrund, die in alles ge- spickt sind). Sie sind randvoll und im Konzept ärmlich, eindrucksvoll in ihrer pointenlosen Konsequenz.

Die Darstellung ist zwanghaft und kindlich, der Horizont ist sehr weit hochgezogen. Es finden sich auch Bilder .dieser späten Periode mit eingearbeiteter Schrift, stärkerer Deformation und Skurilität sowie allen anderen typischen Kriterien schizophrener Malerei (themati- sche Inkohärenz bis Dissolution, Symbolismus u. a. mehr)."

Dazu wäre zu sagen: Ensor macht kein Schlachtenbild, sondern schil- dert, wie zwei Massen aufeinander losgehen; beide zerstören, aber

!<eine gewinnt etwas. Dazu braucht er eben nicht das große herkömm-

·liche repräsentative Ölgemälde, als ob er ein "Schlachtenbild" hätte malen wollen, sondern es genügt ihm, seine Gedanken mit den ein- fachsten Mitteln eindrucksvoll dar- zustellen. Der Verfasser hat recht:

pingelig-detailfreudige Malerei; ex- treme Motivation. Masse besteht eben aus unzähligen kleinen Tei- len. Um einen starken Eindruck da- von zu geben, muß Ensor den Hori- zont hochziehell. Ebenso stark mo- tiviert sind die Pfeile im Vorder- grund, in alles gespickt. Nur dürfte es schwierig sein, die von Koch genannte "thematische Inkohä- renz" zu entdecken und noch . schwieriger, seine "Dissolution".

Aber Symbolismus ist alles. Ensor wird von allen Kunsthistorikern un- . ter die Symbolisten eingereiht.

Die Gewissensbisse des Korsi- schen Menschenfressers. Ensor 3442 HeR 47 vom 21. November 1974 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

heroisiert Napoleon nicht, wie es die ganze Welt tut, sondern verur- teilt ihn, weil er Tausende und Abertausende von Menschenleben ' für seine Ziele geopfert hat. Er be- rührt eine Problematik, die heute noch aktuell ist. Angesichts der Fe- ste, die zum Gedächtnis Napoleons gefeiert wurden, und den Untersu- chungen des Historikers, der vor- sichtig abwägt, ob die Leistungen für das Wohl des Staates den Op- fern ·an Menschen die Waage hal- ten.

Im übrigen befindet sich Ensor mit seiner Napoleon-Darstellung in gu- ter Gesellschaft. Felicien Rops malte "Die Gedenkmünze von Wa- terloo". Und von Antoine Wiertz hängt ein Bild in Brüssel "Szene aus der Hölle": Napoleon steht in Flammen, unzählige Frauen und Kinder ohne Väter bedrängen ihn.

1920 wurden in der Galerie Giroux hundert Werke Ensors gezeigt. Im Katalog zu dieser Ausstellung heißt

es: "Er ist ein Maler, den man mit

voller Überzeugung groß nennen darf, der bewundert wird, aber die meisten kennen ihn nicht. Das ist sein Schicksal."

Heute kann Ensor verstanden werden

Ein dritter Arzt, H. T. Prion (3), ver- tritt eine genau entgegengesetzte Meinung zu derjenigen der Docto- res Birkhäuser und Koch. Er sieht Ensor als Genie an, in seinem Werk sieht er deutliche Merkmale genia- ler Begabung:

"Er war Vorläufer und Initiator. Er hat in seinen Werken die kreative Phase der darauf folgenden 55 Jahre der Malerei in Westeuropa vorausgemalt"

Mit seinem Urteil ist er übrigens nicht allein,. sondern er führt die Autoren Jean Cassou, Rene Huyg- he und Vierens an, die der glei- chen Ansicht sind. Sein Anliegen ist eine psychoanalytische Studie, um den "Knick" im Leben des Ma- lers und die mehrfachen Änderun- gen seiner Malweise zu erklären. l>

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James Ensor

ln einem eigenen Kapitel nimmt er Bezug auf die Frage, ob Ensor schizophren sei. Er widerlegt die Behauptungen Birkhäusers vom psychiatrischen Standpunkt aus.

Ensor sei höchstens schizoid ge- wesen nach der Definition von Kretschmer, was nicht besagt, daß er krank war. Schließlich kommt er zu dem Ergebnis:

"Die Invasion des Phantastischen in sein Werk hat mit Schizophrenie nichts zu tun; man kann solche in der modernen Malerei allenthalben nachweisen." - "Wir finden in dem späten Werk von Ensor keine einzige der psychopathalogischen Formen, die durch verschiedene Autoren in Studien und Monogra- phien bei Geisteskranken beschrie- ben werden."

James Ensor wurde 89 Jahre alt. Er war nie wegen Geisteskrankheit in einer Klinik. Er wurde nie wegen einer solchen ärztlich behandelt, wurde nie auffällig. Er war sehr ge- sellig, wenn er die richtige Gesell- schaft fand; konnte sehr ungesellig sein, wenn er sich in einer Gesell- schaft nicht w0hl fühlte. Zu seinen Freunden zählten. bedeutende Per- sönlichkeiten. Als alten Herrn zeigt ihn ein Foto zusammen mit Albert Einstein und dem französischen Er- ziehungsminister. Im Alter wurde P-r mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet; der König machte ihn zum Baron, und schon zu sei- nen Lebzeiten wurde in Ostende sein Standbild errichtet.

Professor Hentze, Darmstadt, schreibt mir: "Ensor habe ich sehr gut gekannt. Ich habe noch oftmals mit ihm zusammen Bilder ausge- stellt. Wir kannten uns viele Jahre lang. Die Kunstgeschichte hat ge- rade in letzter Zeit recht unzutref- fend über ihn berichtet. Er war kei- neswegs ein ,einsamer Mensch'. Er freute sich über den Kontakt mit anderen, weil er die Beobachtung brauchte für die Szenen seiner Bil- der ... "

Und der Maler, Professor Otto Her- big, schrieb mir: "Wir waren 1917/

18 in Ostende und trafen den da-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

James Ensor:· Meine Mutter auf dem Totenbett, 1915, Öl auf Leinwand, 74 mal

54 cm Foto: Weber

mals noch nicht 60jährigen, gesun- den Ensor öfters." Das Wort "ge- sund" ist in diesem Brief von Otto Herbig unterstrichen.

Daß der Tod zum Leben gehört, suchte Ensor immer wieder bewußt zu machen. Vieles, was wir heute erleben, sah er voraus. Er schilder- te als erster und einziger das be- ängstigende Agieren der Masse. Er zeichnete die sieben Todsünden, um zu einer neuen rationalen Ethik zu finden. Er malte Maskenbilder und charakterisierte damit Bezie- hungen der Menschen untereinan- der wie C. G. Jung, der zur glei- chen Zeit mit der persona, der Maske des griechischen Schau- spielers, seine Psychologie aufbau- te. Er schilderte in seinen Gemäl- den das bürgerliche Drama, wie lb- sen und Strindberg, z. B. in "La dame triste - beim Anhören russi- cher Musik". ln Lithographien illu-

strierte er das Leben Christi, so wie man es sich in Wirklichkeit vorstel- len muß, und wie es auch in der Li- teratur seiner Zeit geschildert wird.

Die Zeichnung .,Der mystische Tod eines Gottgelehrten" wurde von seinem Lehrer sehr bewundert. Er bat sie sich aus und bewahrte sie bei sich auf. Aber die Berufskritik, seine nächste Umgebung, die Leu- te in Ostende,' hatten nicht das ge- ringste Verständnis für seine Arbei- ten. Das ist allerdings nicht unge- wöhnlich bei einem Künstler, der seiner Zeit vorauseilt und etwas zeigt, für das die Zeitgenossen noch keinen Sinn haben. Um so mehr wäre es heute sinnvoll, En- sors Werk bekannt zu machen.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Sanitätsrat Dr. med. Theodor Kiefer 675 Kaiserslautern, Am Altenhof 2

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 47 vom 21. November 1974 3443

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