Pharma-Zahlen und -Ziffern
Die „Metamizol-Entscheidung"
des Bundesgesundheitsamtes hat eine ganze Menge Streit verursacht. Ein Skandal aber ist die Formulierung, mit der die Pressestelle des Bundesge- sundheitsamtes die Bekanntga- be der Maßnahmen einleitete.
Es hieß darin am 6. April: „Von den jetzt beschlossenen Maß- nahmen sind 70 Hersteller und 162 Arzneimittel betroffen (sie- he Anlage)." Jedem der ideolo- gisch verblendeten Kritiker des angeblichen Arzneimittelunwe- sens in der Bundesrepublik Deutschland ist ein solcher Satz sicherlich das, was früher einmal als „innerer Reichspar- teitag" oder „seelischer Vorbei- marsch" bezeichnet wurde: die amtliche Bestätigung des eige- nen Vorurteils.
Jedes Wort in diesem Satz ist (Additionsfehler vorbehalten) für sich richtig — aber der Satz ist falsch, er verzerrt die Tatsa- chen. Nehmen wir einmal nur die pyrazolonhaltigen Mono- präparate und ihre Hersteller aus der Anlage: Es sind in der Tat 63 „Hersteller". Von denen gehören ganze acht dem Bun- desverband der Pharmazeuti- schen Industrie (BPI) an und sind in der „Roten Liste"® regi- striert. Sie bieten acht betroffe- ne Präparate in 26 verschiede- nen Zubereitungen und Dosie- rungen an. Dazu kommen 18 nicht dem Verband angehörige Herstellerfirmen mit 20 Präpa- raten in 55 Darreichungsfor- men und Dosierungen. Dies al- so ist die Industrie. Zu den
„Herstellern", die die Öffent- lichkeit jedoch als „Pharmain- dustrie" mißverstehen soll, kommen dann noch acht freie und 29 Krankenhausapotheken hinzu, die die restlichen 90
„Arzneimittel", wie das Amt sagt, für den eigenen Gebrauch oder den Handverkauf herstel- len — „Arzneimittel" heißt aller- dings wiederum nicht Präpara- te, sondern es ist die Addition
aller Zubereitungen und Dosie- rungen.
Außerdem: „Hersteller" ist bei den meisten dieser Apotheken, aber sicherlich auch bei eini- gen der Fabrikanten innerhalb und außerhalb des BPI, ein un- genaues Wort: 65 der 153 „Arz- neimittel" (was, wie gesagt, ver- schiedene Zubereitungen und Dosierungen umfaßt) führen den selben Namen Novaminsul- fon, und 27mal heißt das Präpa- rat Metamizol. Ein großer Teil dieser „Hersteller" ist also nicht der eigentliche Produzent der von ihm abgegebenen Prä- parate, sondern diese Firmen oder Apotheken füllen lediglich den Rohstoff ab, was beispiels- weise in einer Krankenhaus- apotheke auch ein durchaus le- gitimes und wirtschaftliches Verfahren ist.
Geht man schließlich die Präpa- ratenamen weiter durch, so er- gibt sich folgendes Bild: Die beiden genannten eingeschlos- sen, sind es 25 verschiedene Bezeichnungen (wobei bei- spielsweise „Novasulf" als Ab- kürzung von „Novaminsulfon"
sogar einzeln mitgezählt ist, nicht jedoch jeder Schreib- fehler in der BGA-Verlautba-
rung).
Aber auch da sind es wieder 13- mal Apotheken, die ihrer kon- fektionierten Ware eigene Na- men gegeben haben. So blei- ben letztendlich 12 echte Her- steller übrig, darunter die acht aus dem Pharma-Bundesver- band.
Es bleibt also zu konstatieren, daß „70 Hersteller und 162 Arz- neimittel" — BGA-Zitat — eine so unfaire Aussage ist, daß man sie schon fast als böswillig an- sehen kann. Sicherlich aber ist es böswillig, wenn diese Anga- be in der gesundheitspoliti- schen Diskussion über oder ge- gen die pharmazeutische Indu- strie verwendet wird. bt
Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Metamizol
„ökonomischen" und „politi- schen" Überlegungen, die, wenn sie auch nicht den höchsten Stel- lenwert haben, ein wichtiges Beur- teilungskriterium der Maßnahmen des Amtes abgeben. Was bedeutet die Rezeptpflicht für die soge- nannten schwachwirksamen Anal- getika für Arzt, Patient und Apo- theker? Der Patient würde in je- dem Fall dazu gezwungen, bei je- der Befindlichkeitsstörung oder bei „Bagatellschmerzen", die ihn immerhin erheblich beeinträchti- gen können, den Arzt aufzusu- chen. Das wiederum stellt die Selbstmedikation in Frage, die ja gerade wiederum unter ökonomi- scher Beurteilung der Situation zu einer Entlastung der komplizierten Organisation unseres Gesund- heitswesens beitragen soll.
Wie werden die Apotheker reagie- ren, die eine große Verantwortung beim Konzept der Selbstmedika- tion übernehmen sollen? Ich bin kein Anhänger der Selbstmedika- tion, weil ich nicht sehen kann, wie sie auf den gelegentlichen Ge- brauch für die zur Frage stehen- den Arzneistoffe festgeschrieben werden kann, der nach menschli- chem Ermessen ungefährlich ist.
Ich halte es für denkbar, daß die Apotheker Bedenken gegen eine Selbstmedikation und die Über- nahme für deren Verantwortung anmelden, wenn die zur Frage ste- henden Arzneimittel wie etwa die Pyrazol-Analgetika per Aufdruck als potentiell gefährlich bezeich- net werden.
Denken wir die Geschichte zu En- de, dann besteht sehr wohl die Ge- fahr, daß der Maßnahmenerlaß zum Beispiel Metamizol als Anal- getikum zur quantitö nögligeable macht. Es ist abzusehen, daß die Patienten die Einnahme verwei- gern, und welcher Arzt hat dann ein Argument zur Durchsetzung der von ihm veranlaßten Maßnah- me, wenn die für die Zulassung von Arzneistoffen verantwortliche Oberbehörde das Arzneimittel als potentiell gefährlich kennzeich- net? Hier hat das BGA unstreitig eine „Chefarzt-Funktion" mit der
Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 28 vom 16. Juli 1982 57