erade in Zeiten, in denen Höf- lichkeit und Zuvorkommen aussterbende Tugenden sind, werden Kunden gerne zu
„Königen“ ernannt. Doch der Könige gibt es viele, und am Ende stehen wir wieder in der Kassenschlange, die nie enden will. So lernen wir, dass mehr noch als unser Staat unsere Wirtschaft entfeudalisiert ist – zumindest was
„Könige“ angeht. Zu dieser Art von
„Königen“ aber sollen nun unsere Pa- tienten gemacht werden.
Auf jener Insel in der Nordsee, die sich selbst niemals zum Kontinent Europa zählte, ist ein Streit darüber entbrannt, ob Patienten (patiens = lei- dend) denn noch Patienten sind oder aber ob sie nicht besser
„service user“, „clients“ oder „cus- tomers“ heißen sollten. Und auch in Deutschland gefallen sich im- mer mehr Ärzte darin, „Kunden“
zu haben. Ein schwerer Irrtum – zumindest wenn man die Medizin mit Fürsorge, Nächstenliebe und sozialer Verantwortung zusam- menbringt. Altmodisch?
Für einen Moment soll noch einmal davon ausgegangen werden, dass es diese Werte noch gibt, so wie sie als „Misericordia“ und „Caritas“ seit 2 000 Jahren mit dem Beruf des Arztes verbunden sind. Freilich, wer bereit ist, seine Praxis in ein „Profit-Center“ zu verwandeln, Patienten nicht als (zu- mindest primär) schutzbedürftige Indi- viduen anzusehen, sondern als „Kun- den“, der kann auch das mit ihnen ma- chen, was mit Kunden üblicherweise gemacht wird: Wertschöpfung!
Im Geschäftsleben sind Bindun- gen meist flüchtig. Wir tauschen Wa- ren oder Dienstleistungen gegen Geld, und beide Verkäufer bezie- hungsweise Dienstleister und Kunde hoffen auf ein gutes Geschäft. Und im Nachhinein wird klar: Das Lächeln, die Höflichkeit, die „Kundenorientie- rung“ waren nur Werkzeug, um an un- ser Geld heranzukommen.
In der Beziehung zwischen Kun- de und Verkäufer gilt immer noch „ca- veat emptor!“ (es hüte sich der Käu- fer), und darüber täuscht auch kein Verbraucherschutz hinweg. Wer sein Geld ausgibt, ist zunächst einmal sel- ber schuld, wenn er danebengegriffen hat. Ist der Kunde unzufrieden, sei es mit Leistung oder Preis, kauft er das
nächste Mal woanders ein. Dies ist gut so, und es hat uns eine satte Prospe- rität beschert. Doch immer mehr hat der Gesetzgeber die Grenzen des frei- en Handelns erkannt: Garantiefri- sten, Handlungs- und Minderungs- rechte, Nachbesserungsansprüche und Rücktrittsrechte sind nur einige Indi- katoren, die zeigen, dass die Souverä- nität des Käufers enge Grenzen hat.
Der Staat muss den Kunden mehr und mehr schützen, damit er nicht über den Tisch gezogen wird.
Die Autonomie eines Kunden ist dabei, zumindest theoretisch, ausge- sprochen hoch: Mein Sparschwein kann ich schlachten oder mästen. Ich
kann mir (vorausgesetzt, das Geld reicht) einen Fernseher kaufen oder eine Stereoanlage, den günstigsten Händler aussuchen oder stattdessen von meinem Geld in Urlaub fahren.
ber was ist mit der Souveränität eines 40-Jährigen mit Herzin- farkt, eines 70-Jährigen mit Oberschenkelhalsbruch, eines juvenilen Diabetikers, eines Sportlers mit Meniskusabriss? Welche Souverä- nität hat ein Kind, das an den physi- schen und seelischen Wunden einer Misshandlung leidet? Welche „Kun- den“-Souveränität hat ein Suchtkran- ker? Und wo ist die „Kundenrolle“
beim lebenslustigen Mittdreißiger, dem wir die Diagnose HIV-positiv vermit- teln müssen? Thomas Gießen, seines Zeichens sächsischer Datenschutzbe- auftragter, brachte es auf dem 101.
Deutschen Ärztetag 1998 auf den Punkt: „Der Patient ist nicht mündig, sondern der Patient ist krank.“
Diese Aussage ist zwar nicht
„p.c.“ (political correct), dafür aber wahr. Der Patient ist also krank, und günstigstenfalls wird er durch die Für- sorge, die Beratung und manchmal so- gar erst durch die Therapie mündig
und gerät dann in die Lage, über sich und seine Krankheit zu entscheiden.
Diese Entscheidungen überlassen vie- le Patienten ihren behandelnden Ärz- ten – nicht weil sie unmündig sind, sondern weil sie eben krank sind und auf ärztliche Professionalität und Für- sorge vertrauen.
ie Souveränität als Kunde ist beim Patienten eben nur ein- geschränkt oder gar nicht vorhanden. Könnte man sie umgekehrt per se unterstellen, wäre zumindest die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln sofort aufzuhe- ben. Letztendlich dient das Gerede um den „Kunden“ im Gesund- heitswesen zu nichts anderem, als ihn zum Objekt eines Ge- schäftsprozesses zu machen. Da- hinter darf man auch das Be- streben vermuten, Rationierung von Gesundheitsleistungen als
„Marktgeschehen“ schönzureden oder zu camouflieren. Die Be- ziehung Patient–Arzt ist aber keine Geschäftsbeziehung. Der Arzt hat dem Patienten beizuste- hen, auch wenn dies seinen wirt- schaftlichen Interessen entgegen- steht. Dort wo Kollegen versuchen, Patienten als Kunden zu sehen, wird aus der ärztlichen Tätigkeit ein Ge- werbe, und dort werden natürlich auch Verbraucherschützer ein dank- bares und berechtigtes Feld der Akti- vität finden.
Wir sollten uns weder durch eine Kommerzialisierungs- noch durch eine Autonomiedebatte beirren lassen: Pa- tienten sind keine Objekte, an denen Wertschöpfung exekutiert wird, son- dern Subjekte, die mit ihren Leiden, Sorgen und Nöten den Rat und Hilfe ihres Arztes benötigen. Und nicht sel- ten benötigen Patienten Schutz durch ihren Arzt: Schutz vor einem Staat, der die gesundheitliche Versorgung in im- mer stärkerem Maße bedroht, Schutz manchmal auch vor ihren Eltern, die sie misshandeln, Schutz vor ihren Er- ben, die nicht schnell genug an das Vermögen kommen, und hin und wie- der brauchen Patienten auch Schutz vor sich selbst. All das ist mit einer Rolle als „Kunde“ nicht vereinbar.
Patienten sind keine Kunden, sie wie Könige zu behandeln ist uns nicht verboten. Dr. med. Otmar Kloiber A-229
P O L I T I K KOMMENTAR
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 5, 4. Februar 2000