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Archiv "Unzureichender Schutz für Patienten in klinischen Prüfungen" (01.05.1992)

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AKTUELLE MEDIZIN

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heinrich Kunze

Die Träger öffentlicher psychiatrischer Krankenhäuser haben die Ge- nehmigung von klinischen Prüfungen ausgesetzt, bis der Versiche- rungsschutz von Patienten verbessert ist. Die Entschädigungsober- grenzen sind völlig veraltet. Vor allem aber: Ein geschädigter Patient erhält nur dann einen (verschuldensunabhängigen) Schadensaus- gleich nach der Probandenversicherung (Arzneimittelgesetz § 40), wenn er den Kausalzusammenhang zwischen Prüfmedikation und Schaden beweist. Aber die entsprechenden wissenschaftlichen Er- kenntnisse liegen ja noch nicht vor. Dies darf nicht zu Lasten des Pa- tienten gehen, der durch seine Teilnahme einen Beitrag zur Verbesse- rung der Behandlung anderer Kranker leistet. Deshalb wird eine Be- weislastumkehr oder eine erhebliche Beweiserleichterung gefordert.

Unzureichender Schutz für Patienten

in klinischen Prüfungen

W

enn ein Patient bei der klinischen Prüfung ei- nes Medikamentes ei- nen Schaden erleidet, ohne daß jemand einen Fehler be- gangen hat, so sind die gesetzlichen und rechtlichen Möglichkeiten für Schadensersatz unzureichend. Diese These soll im folgenden näher be- gründet werden, denn immer noch weit verbreitet ist die Auffassung, bei Beachtung von Gesetz und Recht seien Patienten ausreichend ge- schützt.

Weil klinische Prüfungen für die weitere Verbesserung der Behand- lung mit Medikamenten unverzicht- bar sind, geht es darum, die Rechts- position von Patienten, die einen Schaden erleiden können, zu verbes- sern. Damit würde Patienten, denen die Teilnahme an einer klinischen Prüfung vorgeschlagen wird, eine po- sitive Entscheidung erleichtert.

Seit 1987 verhandelt der Lan- deswohlfahrtsverband Hessen im Namen der Bundesarbeitsgemein- schaft der Träger Psychiatrischer Krankenhäuser mit dem Bundesver- band der Pharmazeutischen Indu- strie in dieser Sache, ohne daß bisher entscheidende Verbesserungen er- reicht werden konnten. Bei den

derzeitigen versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen halten viele Ärzte klinische Prüfungen nicht für verantwortbar. Dr. A. Crome, Lei- tender Arzt der Westfälischen Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Lengerich, hat sich Ende 1990 mit diesem Problem an den Petitionsaus- schuß des Deutschen Bundestages gewandt.

Die Gesundheitsabteilung des Landschaftsverbandes Westfalen- Lippe hat keine Arzneimittelprüfun- gen in ihren 21 Kliniken mehr geneh- migt, „als sichtbar wurde, daß mit der Arzneimittelindustrie keine den Interessen der Patienten gerecht werdende Regelung ohne weiteres erreichbar erscheint". Auf ihrer Ta- gung Anfang Mai 1991 hat die Bun- desarbeitsgemeinschaft der Träger Psychiatrischer Krankenhäuser nun beschlossen, die Genehmigung von klinischen Prüfungen bis auf weite- res auszusetzen (Heilversuche, das heißt die Anwendung eines nicht zu- gelassenen Medikamentes im Einzel- fall nach rein klinischen Kriterien, wenn nur dieses Medikament noch Psychiatrisches Krankenhaus Merxhausen (Ärztlicher Direktor:

Prof. Dr. med. Heinrich Kunze)

Aussicht auf Erfolg hat, sind davon unberührt).

Die medizinische Seite des Problems

Es gibt keine Medikamenten- einnahme (einschließlich „banale"

Schmerztabletten gegen Zahn- schmerzen) ohne Risiko. Bei einem verantwortlichen Einsatz eines Me- dikamentes sind deshalb Wirkungen und Nebenwirkungen im Verhältnis zu den Krankheitsfolgen ohne Be- handlung, oder bei Behandlung mit einem anderen Medikament, abzu- wägen.

In klinischen Prüfungen geht es um die Anwendung eines noch nicht oder gerade neu zugelassenen Medi- kamentes, bei dem über Wirkungen und Nebenwirkungen weniger be- kannt ist, als bei einem seit langem eingeführten Medikament mit glei- cher Indikation, insbesondere auch in bezug auf bestimmte Risikofakto- ren bei Patienten, wie zum Beispiel vorgeschädigtes Herz, Übergewicht, gleichzeitige Einnahme anderer Me- dikamente (Die Konstellation, daß es für die Indikation des zu prüfen- den Medikamentes noch kein einge- A1 -1616 (44) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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führtes Medikament gibt, soll hier nicht weiter verfolgt werden, weil sie sehr selten ist). Der zentrale Punkt ist nun: Das Risiko, daß ein Prüfme- dikament Gesundheitsschäden her- vorruft, die der Art, Ausprägung oder Häufigkeit nach über bekannte Nebenwirkungen eines Standardme- dikamentes gleicher Indikation deut- lich hinausgehen, darf nicht zu La- sten des Patienten gehen, der durch seine Teilnahme an der klinischen Prüfung einen Beitrag zur Verbesse- rung der Behandlung für andere Kranke leistet.

Im Bereich der Psychiatrie sind erhebliche und andauernde Schäden bei klinischen Prüfungen mit Psycho- pharmaka insgesamt selten. Auch muß hervorgehoben werden, daß sorgfältig geplante und durchgeführ- te klinische Prüfungen bei Beachtung der in der Fußnote genannten Stan- dards und Empfehlungen einen ho- hen Sicherheitsgrad für die betroffe- nen Patienten realisieren'. Folgende Beispiele sollen jedoch die Problema- tik verdeutlichen: Seltene Schadens- zusammenhänge werden unter Um- ständen erst in der Phase IV 2 oder gar viele Jahre nach der Zulassung ent- deckt. Extremes Beispiel: Schockre- aktionen, Lyell-Syndrom und Mosch- cowitz-Syndrom auf Metamizol.

Revidierte Deklaration von Helsinki (1989);

Grundsätze für die ordnungsgemäße Durchfüh- rung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln/

Bekanntmachung des BMJFFG vom 9. 12. 1987;

in Verbindung mit den „Empfehlungen zur Er- mittlung, Dokumentation, Erfassung und Be- wertung unerwünschter Ereignisse im Rahmen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln"; so- wie den Regelungen des Arzneimittelgesetzes über den Schutz des Menschen bei der klini- schen Prüfung (§§ 40-42).

2 Die klinische Prüfung von Arzneimitteln um- faßt vier Phasen:

I. Phase: Verträglichkeitsprüfung und Wirksam- keitsprüfung bei gesunden Probanden;

II. Phase: Wirksamkeitsprüfung und Verträg- lichkeitsprüfung bei einer kleineren Patienten- zahl in der Klinik;

III. Phase: Verträglichkeitsprüfung und Wirk- samkeitsprüfung bei einer größeren Patienten- zahl in der Klinik und beim niedergelassenen Arzt;

IV. Phase: Prüfung eines zugelassenen Arznei- mittels im Rahmen der erteilten Zulassung (Zu- sammensetzung nach wirksamen Bestandteilen, Darreichungsform, Anwendungsgebieten; Her- stellungsverfahren bei Sera, Impfstoffen und Testallergenen).

In BPI 1988: Beschluß zur Überwachung der kli- nischen Prüfung von Arzneimitteln des Aus- schusses Arzneimittel-, Apotheken- und Giftwe- sen der AGLMB vom 19./20. Mai 1987.

Das Antidepressivum Nomifen- sin mußte aus dem Handel gezogen werden wegen Fällen mit schweren immunallergischen Reaktionen wie Hämolysen und Vaskulitiden, zum Teil mit tödlichem Ausgang; das An- tidepressivum Zimelidin wegen neu- roimmunologischer Komplikationen im Sinne von Guillain-Barre-Syn- drom. Hatte diese unerwarteten Ne- benwirkungen zuvor kein mit diesen Medikamenten behandelter Patient bekommen, oder war bei den selte- nen Ereignissen der Zusammenhang nicht hergestellt worden? Wer hätte bei dem seit Jahren zugelassenen L- Tryptophan (Antidepressivum, auch gegen Schlafstörungen eingesetzt) mit über tausend Erkrankungsfällen („Eosinophilie-Syndrom", zum Teil mit tödlichem Ausgang) gerechnet?

(Möglicherweise liegt der Fehler in der gentechnischen Herstellung).

Schädigungen des blutbildenden Systems oder der Reizleitung am Herzen sind bei Antidepressiva wie Neuroleptika seit Jahrzehnten be- kannt. Wenn diese Schäden bei ei- nem neuen Medikament auch auf- treten, kann nicht vor Anwendung bei einer entsprechend großen Zahl von Probanden beurteilt werden, ob die Wahrscheinlichkeit höher, gleich oder niedriger liegt (gegebenenfalls in Abhängigkeit von spezifischen Ri- sikofaktoren beim Patienten) als bei einem eingeführten Medikament, bei dem das Risikoprofil seit Jahren gut bekannt und übersehbar ist. Darf diese Unsicherheit zu Lasten des an der Prüfung teilnehmenden Patien- ten gehen?

Die rechtliche Seite des Problems

Inwiefern ist nun die derzeitige Rechtsposition eines bei einer klini- schen Prüfung möglicherweise ge- schädigten Patienten unzureichend?

Es geht in diesem Zusammenhang nicht um Schäden, die durch Feh- ler schuldhaft verursacht wurden (Kunstfehler bei der Behandlung, Fehler bei der Herstellung) und für die ein effektiver und ausreichender Schadensausgleich durch die Berufs- haftpflicht des verantwortlichen Arz- tes, die Betriebshaftpflicht des Kran-

kenhausträgers oder die Gefähr- dungshaftung des Arzneimittelher- stellers besteht. Es soll hier auch nicht weiter auf die Folgen eingegan- gen werden, wenn der Arzt seiner Pflicht zur umfassenden und voll- ständigen Aufklärung nicht genügt.

Es geht darum, daß für „den Fall, daß bei der Durchführung der klinischen Prüfung ein Mensch getö- tet oder der Körper oder die Ge- sundheit eines Menschen verletzt wird, eine Versicherung nach Maß- gabe des Absatzes 3 besteht, die auch Leistungen gewährt, wenn kein anderer für den Schaden haftet". So die Formulierung in § 40 des AMG, die einen verschuldensunabhängigen Schadensausgleich als Vorbedingung für die Zulässigkeit klinischer Prü- fungen vorschreibt.

So weit, so gut, aber:(D Der ge- schädigte Patient muß den Kausalzu- sammenhang zwischen seiner Schä- digung und dem Prüfmedikament beweisen. C) Die Entschädigungs- obergrenzen sind unzureichend. C Geschädigte Dritte gehen völlig leer aus.

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Beweislast

Der geschädigte Patient hat die Beweislast. Die „Allgemeinen Versi- cherungsbedingungen für die klini- sche Prüfung von Arzneimitteln"

(Probandenversicherung) der Haft- pflichtversicherer legen fest, daß der geschädigte Patient den kausalen Zusammenhang zwischen der Ge- sundheitsschädigung und der klini- schen Prüfung darlegen und erfor- derlichenfalls beweisen muß. Nach

§ 2 der Versicherungsbedingungen besteht Versicherungsschutz für Ge- sundheitsschädigungen, die Folge von bei klinischen Prüfungen ange- wandten Arzneimitteln und/oder Stoffen sind.

An diesen Beweis werden sehr hohe Anforderungen gestellt, wie erst jüngst wieder die höchstrichter- liche Rechtsprechung bestätigt hat.

Die Ursächlichkeit ist mit „an Si- cherheit grenzender Wahrschein- lichkeit" zu beweisen; unzureichend sind: „als Ursache überwiegend wahrscheinlich", „Verursachung nur eine Möglichkeit", oder gar nur

„zeitlicher Zusammenhang" (verglei- che Urteil des OLG Stuttgart vom Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992 (47) A1-1619

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23. 02. 1989, AZ: 14 U 19/86 VersR 1990, 631).

Der (möglicherweise) geschä- digte Patient ist aber als medizinisch und rechtlich unerfahrene Einzel- person — und davon kann man bei psychiatrischen Patienten oft ausge- hen — faktisch erheblich benachtei- ligt im Verhältnis zur Gegenseite.

Vor allem aber stellt ihn der juri- stisch geforderte Kausalitätsnach- weis vor unlösbare Probleme, denn das Wissen über die Zusammenhän- ge zwischen Medikament und (Wir- kungen und) Nebenwirkungen, das für einen Kausalitätsnachweis vor- auszusetzen wäre, soll ja durch die klinischen Prüfungen erst schrittwei- se herausgefunden werden. So kann es sein, daß bei einem Prüfmedika- ment einer bestimmten Indikation ein Schaden der Art nach erstmals auftritt (oder das Schadensrisiko der Schwere und/oder Häufigkeit nach erheblich ungünstiger ist), doch wird dieser Zusammenhang gegebenen- falls erst nach Jahren, nach der Be- handlung von 10 000 oder 1 Mio. Pa- tienten statistisch erkennbar (ge- schweige denn medizinisch erklär- bar). Dies kann aber nicht zu Lasten von gegebenenfalls geschädigten Pa- tienten in früher erfolgten Studien gehen.

Zum Problem des Kausalitäts- nachweises für Nebenwirkungen bei klinischen Prüfungen gibt es eine hervorragende Publikation: „Emp- fehlungen . . ." (2), die sich strikt an der besten Tradition der Logik empi- rischer Forschung orientiert. Es geht nun darum, die hier formulierten Grundsätze und Kriterien nicht nur im Interesse möglichst solider For- schungsergebnisse anzuwenden, son- dern ebenso den Kausalitätsnach- weis darauf zu stützen, wenn es um die Entschädigung eines Patienten geht. In den „Empfehlungen . . ." ist von grundlegender Bedeutung die Unterscheidung zwischen „Uner- wünschten Ereignissen (UE)" (alle unerwünschten Begleiterscheinun- gen im Rahmen einer klinischen Prüfung, und zwar unabhängig von einem möglichen ursächlichen Zu- sammenhang mit der Gabe der Prüf- substanz) und „Unerwünschter Arz- neimittelwirkungen (UAW)" (be- gründeter Verdacht, daß das UE

durch die Prüfsubstanz verursacht oder mit verursacht wurde). Jeder Arzt steht mehr oder weniger in der Gefahr, aufgrund seiner Vorkennt- nisse, Erfahrungen und Einstellun- gen, entsprechende Zusammenhän- ge auszublenden, vorschnell gar nicht für möglich zu halten, oder gar nicht daran zu denken . . . Deshalb geben die „Empfehlungen . ." de- taillierte Richtlinien über die Ermitt- lung, Dokumentation und Erfassung von unerwünschten Ereignissen so- wie die Logik des Schlusses von ei- nem „Unerwünschten Ereignis" zur Bewertung als „Unerwünschte Arz- neimittelwirkung".

Der Grundgedanke der Logik des Schlusses auf einen Kausalzu- sammenhang folgt der Popperschen Logik der Erkenntnistheorie (Hypo- thesen falsifizieren): Für die Bewer- tung eines UE als kein UAW gibt es

„lediglich folgende Gründe" (ver- kürzt):

a. kein zeitlicher Zusammenhang, b. keine Zunahme oder gar Abnah- me des UE bei Weitergabe der Prüf- substanz,

c. grundsätzlich reversibles UE geht nicht zurück nach Absetzen; andere klinische Gründe erklären das Auf- treten des UE,

d. nach Reexposition des Patienten tritt UE nicht erneut auf.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger Psychiatrischer Kranken- häuser hat die Forderung erhoben, das beschriebene Problem des Kau- salitätsnachweises durch eine Be- weislastumkehr zu lösen, mindestens aber durch erhebliche Beweiser- leichterungen. Dieser Forderung nach Beweislastumkehr hat sich kürzlich Helmchen in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt angeschlos- sen. Wenn der Gesetzgeber dieses Problem nicht regelt, wäre auch eine vertragliche Vereinbarung denkbar.

Es mag auch noch andere Lösungs- wege geben. Als Arzt geht es mir darum, das Problem deutlich zu ma- chen — auf welchem Wege, das Ziel erreicht werden kann, mag den Juri- sten und den Versicherungsexperten überlassen bleiben.

Eine kleine Verbesserung des Schutzes von Patienten in klinischen Prüfungen trat kürzlich in Kraft. Ur-

sprünglich hatte das AMG den Ab- schluß einer Probandenversicherung als Vorbedingung für die Erlaubnis einer klinischen Prüfung nur für ein noch nicht zugelassenes Medika- ment gemacht. Schadensrisiken bei Medikamenten in der Phase IV, die möglicherweise erheblich höher lie- gen als die von langjährig bekannten Standardmedikamenten der gleichen Indikation, gingen zu Lasten der an der klinischen Prüfung teilnehmen- den Patienten (Für bereits zugelas- sene Medikamente galten allein die Vorschriften der §§ 84ff AMG).

Durch Novellierung des AMG 1990 wurde jedoch die Schutzvorschrift des § 40 auch auf Phase-IV-Prüfun- gen ausgedehnt.

Schadensobergrenzen

Nach dem AMG (§ 40 Abs. 3) muß der Umfang der vorgeschriebe- nen Versicherung (§ 40 Abs. 1 Nr. 8 AMG) „in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken ste- hen und für den Fall des Todes oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit mindestens fünfhunderttausend Deutsche Mark betragen". Dieser Betrag entspricht dem Höchstbetrag bei der „Gefährdungshaftung" der

§§ 84 und 88 AMG für Schäden durch bereits zugelassene Arzneimit- tel (Bei der „Gefährdungshaftung"

wird der Betrag von 500 000 Mark mit einem Rentenbetrag von jährlich 30 000 Mark gleichgesetzt).

Ob diese Beträge zur Zeit ihrer Festsetzung 1976 angemessen waren, mag dahingestellt bleiben. Ohne Dy- namisierung sind sie heute jedoch mit Sicherheit völlig unzulänglich, wie ein Vergleich mit anderen Versi- cherungen für Personenschäden zeigt, zum Beispiel die Kfz- Haftpflicht: Für Personenschäden be- trägt die gesetzliche Mindestsumme inzwischen eine Million Mark. Für nur wenige Mark mehr Beitrag kann die Pauschaldeckung auf zwei Millio- nen oder unbegrenzt (mit bis zu 7,5 Millionen je geschädigte Person) er- höht werden. Die Haftpflichtversi- cherer haben in ihren „Allgemeinen Versicherungsbedingungen" zur Be- grenzung ihrer Leistungspflicht Höchstleistungsbeträge („Summen- staffeln") festgesetzt, die unter A1 -1620 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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Umständen dazu führen, daß ge- schädigte Patienten noch nicht ein- mal entsprechend dem AMG ent- schädigt werden können. 1989 wur- den die Höchstleistungsbeträge zwar verdoppelt, aber schon 41 geschädig- te Personen könnten bei einer nun- mehr vorgesehenen Höchstleistung von zwanzig Millionen Mark, wenn bis zu 1000 Personen an der klini- schen Prüfung teilnehmen (verglei- che § 6 II der Versicherungsbedin- gungen), mit dem gesetzlich vorge- schriebenen Höchstbetrag von einer halben Million pro Person nicht mehr entschädigt werden. Zwar kön- nen, rein rechtlich gesehen, die „All- gemeinen Versicherungsbedingun- gen" den Rechtsanspruch jedes ein- zelnen geschädigten Patienten nicht außer Kraft setzen, aber praktisch ist der Versicherungsschutz auf der Grundlage der „Allgemeinen Versi- cherungsbedingungen" bei einer un- günstigen Häufung von schweren Personenschäden völlig unzurei- chend.

Einbeziehung von Schäden bei Dritten

Hier geht es um ein in der Psych- iatrie spezifisches Problem. § 1 der

„Allgemeinen Versicherungsbedin- gungen" begrenzt den Versiche- rungsschutz auf „eine von der Prü- fung betroffene Person". Bei klini- schen Prüfungen mit psychisch kran- ken Probanden kann jedoch der Fall eintreten, daß der Patient einen Dritten schädigt (Körperverletzung, Sachbeschädigung), weil das geprüf- te Medikament weniger wirksam in bezug auf krankheitsbedingtes fremdaggressives Verhalten wirkt als ein herkömmliches Medikament mit der gleichen Indikation; und der ge- schädigte Dritte erhält keinen Scha- densersatz, weil weder dem Proban- den, noch dem Arzt oder dem Kran- kenhausträger ein zum Schadenser- satz verpflichtendes schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann. — Die Probandenversicherung müßte also die Schäden von Dritten, für die nach der derzeitigen Rechts- lage kein Ersatz geleistet werden muß, einbeziehen.

In bezug auf dieses Problem zeichnet sich überhaupt noch keine Lösung ab.

Schlußfolgerung

Klinische Prüfungen sind unver- zichtbar zur weiteren Verbesserung der Behandlung mit Medikamenten.

Gravierende Schäden treten, zumin- dest was den Bereich Psychiatrie be- trifft, sehr selten auf. Aber die Rechtsposition und der Versiche- rungsschutz von (möglicherweise) geschädigten Patienten muß verbes- sert werden. Man hört erstaunlich wenig über die Entschädigung von Personenschäden bei klinischen Prü- fungen. Ob prüfende Ärzte an die Möglichkeit eines Kausalzusammen- hanges zwischen einer Gesundheits- schädigung durch eine klinische Prü- fung gar nicht denken, weil dies au- ßerhalb ihres Erwartungshorizontes liegt; ob Patienten über einen er- kannten möglichen Zusammenhang nicht informiert werden; oder ob Schäden finanziell großzügig regu- liert werden, darüber gibt es keine Informationen.

Selbst wenn die zuletzt genannte Möglichkeit vorherrschen sollte, so wäre der geschädigte Patient vom Wohlwollen der Prüfärzte und des Auftragsunternehmens abhängig. Es geht aber darum, dem geschädigten Patienten einen effektiven und auch vor Gericht ohne große Probleme durchsetzbaren Anspruch auf ange- messene Entschädigung zu geben, wie es den allgemeinen Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaates ent- spricht.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -1616-1621 [Heft 18]

Literatur

1. Arzneihaftung: Versicherungsrecht 17 (1990) 631— 634

2. Bethge, H.; Czechanowski, B.; Gundert-Re- my, U.; Hasford, J.; Kleinsorge, H.; Kreutz, G.; Letzel, H.; Müller, A. A.; Selbmann, K.

und Weber, E. im Auftrag der Sektion Kli- nische Pharmakologie der Deutschen Ge- sellschaft für Pharmakologie und Toxikolo- gie: Empfehlungen zur Ermittlung, Doku- mentation, Erfassung und Bewertung uner- wünschter Ereignisse im Rahmen der Klini- schen Prüfung von Arzneimitteln. Arznei- mittel-Forschung/Drug Research 39 (II), 10 (1989) 1294-1300

3. BMJFFG: Bekanntmachung von Grundsät- zen für die ordnungsgemäße Durchführung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln vom 09. Dezember 1987. Bundesanzeiger 243 (30. 12. 1987) 16 617

4. BPI: Durchführung von Klinischen Arznei- mittelprüfungen in der Bundesrepublik Deutschland. Merkblatt des Bundesverban- des der Pharmazeutischen Industrie e. V., Frankfurt (1988)

5. Hart, D.: Arzneimitteltherapie und ärztli- che Verantwortung. Stuttgart, Enke (1990) 6. Heimchen: Therapieforschung in der Psych-

iatrie: Notwendig, aber unzulässig? Deut- sches Ärzteblatt 88 (1991) A 567 — 569 (Heft 8)

7. Kleinsorge, H.; Steichele, A.; Sander, A.

(Hrsg.): Klinische Arzneimittelprüfung — Medizinische und rechtliche Grundlagen.

Stuttgart, Kohlkammer (1987)

8. Linden, M.: Die Phase IV der Therapie — Evaluation. Nervenarzt 60 (1989) 453-461 9. Notwendigkeit kontrollierter klinischer Prü-

fungen in der Psychiatrie und Geronto- psychiatrie — Begründung des Forschungs- bedarfs. Psycho 16 (1990) 910-913 10. Pittrich, W. (Berichterstatter): Durchfüh-

rung von Arzneimittelprüfungen in den Krankenhäusern des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Vorlage 9/298 Gesund- heits- und Krankenhaus-Ausschuß, Land- schaftsverband Westfalen-Lippe, Abt. Ge- sundheitswesen, Münster (1990)

11. Reinelt, E.: Zur Haftung des Arzneimittel- herstellers für die Übertragung von Viren durch Blutprodukte. Versicherungsrecht 16 (1990) 565 — 572

Für die Beratung in juristischen und Versi- cherungsfragen möchte ich danken: Herrn Assessor Horst Mann im Justitiariat und Herrn Oberamtsrat Georg Appel, seinerzeit verantwortlich für den Versicherungsbe- reich, Landeswohlfahrtsverband Hessen, Kassel.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Heinrich Kunze Ärztlicher Direktor

Psychiatrisches Krankenhaus Merxhausen

W-3501 Emstal/Kreis Kassel

Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992 (51) A1-1621

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