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Archiv "Teilnahme an Klinischen Prüfungen: Spezielle Art des Geldverdienens" (05.11.2010)

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TEILNAHME AN KLINISCHEN PRÜFUNGEN

Spezielle Art des Geldverdienens

Der Großteil der klinischen Studien in Deutschland verläuft ohne besondere Vorkommnisse.

Gleichwohl muss der „Probandentourismus“ sorgfältig im Auge behalten werden.

E

ine klinische Studie ist klini- sche Forschung an und mit ge- sunden oder kranken Versuchsper- sonen unter systematischen, wieder- holbaren und überprüfbaren Bedin- gungen, die spezifische Fragen zur Gesundheit oder Krankheit des Men- schen beantwortet und dabei klini- sche Parameter, Daten und Informa- tionen erfasst. In klinischen Studien werden Arzneimittel, Medizinpro- dukte, Verfahrensweisen, (Operati- ons-)Techniken, Kosmetika oder Nahrungsergänzungsmittel geprüft.

Das jeweilige Studienprotokoll gibt die Ein- und Ausschlusskrite- rien für die Teilnahme einer Ver- suchsperson an einer klinischen Studie vor. Die Kriterien beschrei- ben neben allgemeinen Bedingun- gen, mit welchem Alter, Geschlecht und ethnischer Zugehörigkeit und in welchem Gesundheitszustand all- gemein und im Besonderen die Ver- suchspersonen eingeschlossen wer- den können und welche Vorerkran- kungen zum Ausschluss führen.

Vor der Erprobung eines neuen Wirkstoffs oder Medikaments am Menschen werden präklinische Stu- dien durchgeführt. Hierbei geht es um die Unbedenklichkeit eines neu- en Medikaments, wobei neben der Wirksamkeit ein Hauptaugenmerk auf der Verträglichkeit des neuen Wirkstoffes liegt. In der Stufe eins der präklinischen Tests finden nor- malerweise Tierversuche statt. Stu- fe zwei umfasst dann weitergehen- de chemisch-physikalische Tests und toxikologische Untersuchun- gen, um die Wirkung des neuen Medikaments in Zellkulturen best- möglich zu erforschen. Bevor ein neues Medikament für den Versuch am Menschen freigegeben wird, muss eine Ethikkommission ent- scheiden, ob eine weitere Erfor- schung nicht nur ethisch und mora- lisch vertretbar, sondern auch für

unsere Gesellschaft erstrebenswert ist (§ 40 Arzneimittelgesetz, AMG).

Die Risiken für einen menschli- chen Probanden unterscheiden sich je nach Erprobungsphase eines Me- dikaments. Phase eins wird aus- schließlich mit gesunden Proban- den durchgeführt, Phase zwei er- folgt dann am kranken Patienten. In Phase eins ist das Risiko einer un- erwarteten Nebenwirkung tenden- ziell noch am größten, da der je- weilige Wirkstoff zum ersten Mal am Menschen erprobt wird. Des- wegen gelten gerade in der ersten Erprobungsphase besonders stren- ge Regelungen und Überwachun- gen, eventuell sogar verbunden mit stationären Krankenhausaufenthal- ten, um Probanden jederzeit unter Beobachtung zu halten und bei eventuellen Komplikationen sofort eingreifen zu können.

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Fünf Wochen ging alles gut. Trotz rationiertem Essen und Krankenhauskost, dabei viel zu viel Butter und Wurst. All dies belastete bislang nicht unsere Stimmung, höchstens bei einigen den BMI. Manche geraten über ihr Normalge- wicht, ein Ausschlusskriterium. Es gibt berech- tigte Beschwerden und Bitten nach Abwechs- lung auf dem Speiseplan. Einige verzichten so- gar auf das Mittagessen, durchhalten bezie- hungsweise durchbeißen heißt die Parole. Von echtem Kaffee, Schwarzbrot oder Schokolade kann man nur träumen. Sex, Drugs und Rock ’n’

Roll sind tabu. Jegliche Aufregung und sportli- che Betätigung sind verboten. Das Studiende- sign lässt es nicht zu.

Mit einem Mal gibt es plötzlich trotzdem Ge- schrei auf dem Linoleumgang. Endlich was los nach dem wochenlangen Müßiggang und dem eintönigen Fernsehprogramm: Zwei Zimmer weiter hat einer wohl die Nerven verloren, zwei Schwestern eilen herbei, um zu schlichten.

Nach einem Streit aus nichtigem Anlass kommt einer aus unserer multikulturellen Schicksals - gemeinschaft schließlich auf ein Einzelzimmer, da kann er schmollen, nach Möglichkeit ohne dass der Blutdruck darunter leidet. Ich bin froh, dass wir in unserem Zimmer zu dritt so eine gu- te Kameradschaft haben.

Wir alle drehen hier auf engem Raum am Rad, oder besser gesagt an der Tastatur, da müssen wir uns täglich mehrmals einigen, was das Fernsehprogramm so hergibt. Einige liegen fast Tag und Nacht im Bett, wochenlang. Andere laufen den Gang hoch und runter, weiter geht’s nicht. Der Countdown läuft.

Besuch von Angehörigen gibt es nur selten, und das geht nur mit Anmeldung. Dabei werden die Taschen und Jacken gründlich durchsucht, vor allem auf Schmuggel mit begehrten Lebens- mitteln, wie etwa verbotenen Süßigkeiten.

Raus geht’s nicht so einfach, es sei denn, man gibt auf. Alle Ausgänge sind alarmgesi- chert und kameraüberwacht. Wir dürfen höchs- tens einmal alle vier bis fünf Tage ans Tages- licht, aber erst nach Sonnenuntergang, und dies auch nur unter ärztlicher Aufsicht für höchstens eine Stunde. Dabei dürfen wir keine anstren- genden Tätigkeiten vollbringen. Es gibt auch er- mahnende Worte, wenn wir uns zu lange am Fenster aufhalten und die Sonne scheint. Sonst werden einfach die Jalousien heruntergefahren.

Das Sonnenlicht muss strikt gemieden werden, wegen möglicher Wechselwirkungen.

Wir sind keine Vampire und auch nicht in ei- nem Internierungslager. Wir sind alle ziemlich durchschnittlich, vom Typ Kaukasier, sind ge- sund hierhergekommen, ganz normal berufs - tätig oder gerade arbeitslos gemeldet, Überle- benskünstler, manchmal aus Osteuropa stam- mend. Jeden Morgen wird hier in der nicht- öffentlichen Station im zwölften Stock eines Krankenhauses der Blutdruck gemessen, ein EKG geschrieben und sich nach dem Wohl - befinden erkundigt. Vor einiger Zeit haben 16 Probanden nach erfolgreichen Voruntersuchun- gen, Befragungen und Aufklärung eingewilligt, sich an dieser klinischen Prüfung über fünf Wo- chen zu beteiligen. Gegen eine Aufwandsent- schädigung von knapp 900 Euro pro Woche bekommt jeder ein neues Medikament gegen Herpes labiales über einen bestimmten Zeit- raum verabreicht . . .

Nach fünf Wochen ununterbrochenem statio- närem Aufenthalt haben wir es geschafft und freuen uns, endlich nach Hause zu kommen.

Außer auffällig blassen Gesichtern und dem ei- nen oder anderen Bauchansatz kam es zu kei- nen nennenswerten Nebenwirkungen. Der Streitbare aus dem Einzelzimmer hat es beson- ders eilig, er fährt gleich zur nächsten Studie.

ERLEBNISBERICHT EINES STUDIENTEILNEHMERS

Wochenlanger Müßiggang in einem abge- schlossenen Ambiente zerrt mitunter an den Nerven.

Foto: dpa

Der Großteil der klinischen Stu- dien in Deutschland verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Gleich- wohl steht es mit ihrem Image in den Medien nicht zum Besten. Viel- leicht liegt es daran, dass Geld für die meisten Probanden das Haupt- motiv für die Teilnahme ist. Immer häufiger tauchen in Tageszeitungen oder öffentlichen Verkehrsmitteln Anzeigenkampagnen und Inserate auf, wo mit einem neuen Selbstver- ständnis um gesunde Probanden oder solche mit bestimmten Vorer- krankungen geworben wird. Meh- rere deutsche Universitäten haben in den letzten Jahren Prüfinstitute als „Spin-offs“ neu positioniert.

Auch die Mundpropaganda tut ein übriges und erreicht grenzüber- greifend vor allem Zielgruppen wie Hartz-IV-Empfänger, Arbeitslose und auch Selbstständige am Existenz- minimum, die dieses attraktive Zu- satzeinkommen in Zeiten der Wirt- schafts- und Finanzkrise zu schät- zen wissen. Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey (April 2010) sieht bereits Berlins Zukunft als Zentrum für klinische Studien mit positiven Folgen auch für den Arbeitsmarkt. Die Auszahlung der Teilnahmeprämie erfolgt meist per Scheck oder bar, selten nur per Überweisung. Die Höhe der Entschä- digung variiert; da es keine gesetz- liche Vorgabe gibt, ist die Bemes- sung derselben den Instituten über- lassen. Der obligatorische Hinweis in der Probandeninformation auf die Steuerpflicht wird gerne ignoriert.

Bei einer Klientel mit Geldnot sind, um in eine Studie einge- schlossen zu werden, falsche An - gaben – im harmlosesten Fall zum täglichen Alkohol- oder Tabakkon- sum – nicht ausgeschlossen. Kaum einem Hausarzt ist bekannt, dass sein Patient an klinischen Prüfun- gen teilnimmt – es liegt im Ermes- sen des Probanden, seinen Haus- arzt darüber informieren.

Das Drama der nach Medika- mententests lebensgefährlich ver- letzten Männer bei einem Medika- mententest in London im März 2006 hat mit der Vorstellung aufgeräumt, dass solche Studien für die Teilneh- mer immer nur leicht und schnell verdientes Geld bedeuten. Gegen

Foto: Fotolia

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5. November 2010 Zahlung von etwa 2 000 Britischen

Pfund hatten sich acht gesunde Pro- banden in Großbritannien für die Er- probung der Substanz TGN1412, ei- nes sogenannten superagonistischen mAk, der Firma Parexel zur Verfü- gung gestellt; diese hatte bei Tier-

versuchen an Ratten, Kaninchen und Affen laut Tegenero, einer in Würzburg ansässigen Firma, keine Gegenreaktionen gezeigt. Zwei Pro- banden erhielten nur ein Placebo.

Die TGN1412-Gabe führte bei den sechs Probanden innerhalb we- niger Stunden zu akut auftretenden, schockähnlichen Nebenwirkungen.

Nacken und Kopf der Probanden waren beängstigend angeschwol- len. Augenzeugen berichten, dass sich die Betroffenen vor Schmerzen nur noch krümmen konnten und

„sich teilweise die Kleider vom Körper rissen“. Sofort wurden alle

Personen auf die Intensivstation verlegt. Zwei Teilnehmer schweb- ten mit mehrfachem Organversagen noch Tage später in Lebensgefahr.

Die Zwischenfall um TGN1412 löste nicht nur in Großbritannien ei- ne Grundsatzdiskussion aus, ob ex- trem wirksame monoklonale Anti- körper überhaupt weiterentwickelt werden können. Neben dem Ver- such in Großbritannien hatte das Paul-Ehrlich-Institut bereits einen Test in Deutschland genehmigt, der ebenfalls an mehreren Probanden gleichzeitig hätte ausgeführt wer- den sollen. Die Bundeseinrichtung

im hessischen Langen ist in Deutschland zuständig für die Prü- fung biomedizinischer Arzneimit- tel. Im Nachgang bildeten sich Ex- pertengruppen, um solche akuten, potenziell lebensbedrohlichen Ne- benwirkungen besser einschätzen und schwerwiegende Zwischenfälle künftig verhindern zu können. Als Konsequenz sollten neue, risikorei- che Wirkstoffe in der Erstanwen- dung vorsichtshalber erst an einer einzelnen Versuchsperson auspro- biert werden, und zwar in „homöo- pathischen“ Dosen (minimaler anti- zipierter biologischer „effect le- vel“). Als riskant gilt dabei bereits, was nicht gut einschätzbar ist.

Das Unglück in London tat je- doch hierzulande der Nachfrage nach einer Teilnahme an klinischen Studien keinen Abbruch – im Ge- genteil: Nach den Berichten über diesen Vorfall wurden viele erst auf diese spezielle Art des Geld- verdienens aufmerksam und erkun- digten sich auch bei der Proban- den-Kontaktstelle des Bundesinsti- tuts für Arzneimittel und Medizin- produkte nach „seriösen“ Studien in Deutschland.

Gefährlich ist es auch, wenn in- ternational tätige Probanden die Tests zur Haupterwerbsquelle ma- chen – mindestens ein solcher Fall endete schon tödlich: Ein Proband

hatte gleichzeitig an mehreren Stu- dien teilgenommen; die dabei ver- abreichten Medikamente vertrugen sich nicht. Um solche Fälle von

„Probandentourismus“ zu unterbin- den, entstand eine internationale Datenbank namens „VIP-Check“ in Genf, in der vermerkt wird, an wel- chen Studien ein Proband teilge- nommen hat und welche Wirkstoffe ihm dabei verabreicht wurden. Der Datenschutz in Deutschland verhin- dert ein zentrales behördliches Mel- deregister wie etwa in Frankreich.

Bei „VIP-Check“ geht es vor al- lem um das Überprüfen der speziel-

len Ausschlusskriterien sowie uner- laubter Mehrfachteilnahmen von gesunden und kranken Versuchs- personen in klinischen Studien. Da- bei werden verschlüsselt Daten wie Name, Vornamen, Geburtsdatum, Geschlecht unter besonderer Be- rücksichtigung der deutschen Da- tenschutzgesetze ausgetauscht, vor allem um sicherzustellen, dass die Sperrfristen zur Teilnahme an klini- schen Prüfungen eingehalten wer- den. Hierzu muss zuvor eine ent- sprechende Einwilligung vom Pro- banden unterzeichnet werden. Da es in Deutschland keine gesetzliche Meldepflicht gibt, sind etliche Prüf- institute diesem kommerziellen Melderegister von Versuchsperso- nen nicht angeschlossen.

Jeder Proband muss eine ihm vorzulegende Einverständniserklä- rung über die Teilnahme an der kli- nischen Prüfung unterzeichnen; ihm sind Datenschutzerklärung, Haus- ordnung, Probandeninformation und die Versicherungsbestätigung über den Abschluss der Probandenver - sicherung für die Durchführung ei- ner klinischen Prüfung im Sinne des Arzneimittelgesetzes vorzule- gen. Hier sind Versicherungsum- fang und -leistungen genau gere- gelt, bis zum Invaliditäts- oder To- desfall mit Versicherungssummen bis zu 500 000 Euro.

Viele Sponsoren klinischer Stu- dien in Deutschland sind internatio- nale Auftraggeber. Denn deutsche Prüfeinrichtungen genießen inter- national eine hohe Reputation mit einem sehr hohen medizinisch-wis- senschaftlichen Standard und sind zudem oft günstiger als vergleich- bare Einrichtungen etwa in den USA. Das Bundesinstitut für Arz- neimittel und Medizinprodukte führt regelmäßig Inspektionen durch.

Zu einem „critical finding“ ge - hört dabei das Auffinden eines Probandenvertrags ohne Unter- schrift, der neben einer Strafanzei- ge beim Staatsanwalt auch zur Nichtigkeit und damit sehr teuren Stornierung der gesamten Studie führen kann, weil damit die Glaub- würdigkeit der Studie und die Si- cherheit der Teilnehmer kritisch

gefährdet wurden. ■

Andreas Frädrich

Foto: dpa

Im Northwick Park Hospital bei London kam es im Jahr 2006 bei einem Medikamen- tentest zu einem folgenschweren Zwischenfall.

Jeder, der hierherkommt, nimmt diese Aufwandsentschädigung mit. Wenn jemand sagt, er mache es aus anderen Gründen, glaube ich das nicht, sonst wäre er nicht hier.

ehemaliger Proband, anonym

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