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Archiv "Psychotherapeuten: „Wir bangen um unsere Existenz“" (11.02.2000)

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nter dem Motto „Sparen es- sen Seele auf – Psychothera- pie verhungert“ demonstrier- ten nordrhein-westfälische Psycho- therapeuten am 2. Februar vor dem Düsseldorfer Landtag. Aufge- rufen dazu hatten die Landeskon- ferenz der Richtlinien-Psychothera- peuten Nordrhein und

Westfalen-Lippe, die Arbeitsgemeinschaft Psychotherapeutischer Fachverbände sowie der Verband Psycho- logischer Psychothe- rapeuten. Zahlreiche schwarz gekleidete Psy- chotherapeuten trugen ihren Beruf symbo- lisch zu Grabe, um auf ihre Honorarsituation aufmerksam zu ma- chen. „Mit Stundenho- noraren von 72 DM je Therapiestunde kön-

nen wir unsere Patienten nicht mehr versorgen“, erklärte die ärztli- che Psychotherapeutin Birgit Löber- Kraemer von der Landeskonferenz Nordrhein.

Betroffen von der Honorarmise- re sind nicht nur etwa 3 900 Psycho- therapeuten in Nordrhein-Westfalen, sondern ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten bundesweit, die Patienten innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung be- handeln. Die Vergütungen differieren je nach Bundesland zum Teil erheb- lich; am schlechtesten gestellt sind die neuen Bundesländer und Berlin.

15 800 Psychotherapeuten sind, nach Angaben der KBV, seit In-Kraft-Tre- ten des Psychotherapeutengesetzes (PTG) am 1. Januar 1999 in die Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen)

aufgenommen worden. 4 000 weitere streiten noch um eine Zulassung.

Grund für die finanzielle Misere in der Psychotherapie sind drastisch ge- sunkene Punktwerte.

Im Bereich der KV Westfalen- Lippe fiel der Punktwert für die IKK und die BKK im dritten Quartal auf

2,86 Pfennig. „Patienten sollten dar- über nachdenken, ob sie in der richti- gen Kasse sind“, empfahl Dipl.-Psych.

Manfred Singmann, Landeskonferenz Westfalen-Lippe. Fügt man die Ver- gütung von 7,11 Pfennig der AOK hinzu, ergibt sich ein gemittelter Punktwert von 5,11 für die Primärkas- sen – ein Stundenhono-

rar von 72 DM. Bei den Ersatzkassen liegt der Punktwert mit 7 Pfen- nig zwar etwas höher, ist aber auch noch weit von dem festen Punktwert von zehn Pfennig ent- fernt, den das Bundes- sozialgericht (BSG) mit einem Urteil im August 1999 festlegte. Bei der KV Nordrhein liegen die Vergütungen ähn-

lich. Für das vierte Quartal werden die Punktwerte „noch weiter sinken“, erklärte Dipl.-Psych. Johannes Petri von der Landeskonferenz Nordrhein:

„Jetzt ist die Initiative der Politiker im Landtag gefragt.“ Doch die geben den Schwarzen Peter weiter. Die nordrhein-westfälische Gesundheits- ministerin Birgit Fischer verweist auf die Selbstverwaltung von Kranken- kassen und KVen, deren Aufgabe es sei, das Psychotherapeutenbudget für 1999 zu vereinbaren. In seiner Auf- sichtsfunktion habe das Ministerium aber die Vertragsparteien aufgefor- dert, sich spätestens bis Ende Februar zu einigen. Erfolgt keine Einigung, werde das Schiedsamt angerufen.

Hintergrund: Nach dem PTG setzte der Gesetzgeber für 1999 ein psychotherapeutisches Sonderbudget fest, das die Krankenkassen und die KVen aushandeln sollten. Das Ausga- benvolumen besteht einerseits aus den bisherigen Honoraranteilen; Aus- gangsbasis ist hier das Jahr 1996. Hin- zu kommen die Ausgaben der Gesetz- lichen Krankenversicherung (GKV) aus 1997 für psychotherapeutische Leistungen im Rahmen der Kostener- stattung; aufgestockt wird dieser Be- trag um 40 Prozent. Nach dem PTG müssen die Vertragsparter eingreifen,

A-292 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000

P O L I T I K AKTUELL

Psychotherapeuten

„Wir bangen um unsere Existenz“

Die Integration der Psychotherapeuten in die kassenärztliche

Versorgung wird belastet durch unklare Regelungen zur Vergütung.

Die Punktwerte sind drastisch gesunken.

U

Die Psychotherapie wird zu Grabe getragen. Fotos: Petra Bühring

Honorar-Berechnung

Der Punktwertrichtet sich nach der Honorarsum- me: Je mehr Leistungen von dieser Summe bezahlt werden müssen, desto tiefer fällt der Wert des ein- zelnen Punktes. Wird die Honorarsumme bei zu- sätzlichen Leistungserbringern nicht aufgestockt, sinkt der Punktwert. Punktwert multipliziert mit der Punktzahl gleich DM. Die Punktzahl für psychothe- rapeutische Leistungen ist im Einheitlichen Bewer- tungsmaßstab (EBM)festgelegt; eine psychothera- peutische Sitzung à 50 Minuten erhält 1 450 Punkte.

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wenn der Punktwert für psychothera- peutische Leistungen mehr als zehn Prozent unter den Wert sonstiger ärzt- licher Beratungs- und Betreuungslei- stungen fällt. Das ist jetzt der Fall.

Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen Nordrhein und Westfalen-Lippe zeigen Verständnis für die Demonstra- tion der Psychotherapeuten. „Die Ho- norare sind völlig unzureichend und werden zum Aus für die Psychothera- pie auf Kassenrezept führen“, be- fürchtet Dr. med. Leonhard Hansen, Vorsitzender der KV Nordrhein. Die KVen kritisieren, dass die Aufnahme der Psychotherapeuten in die ambu- lante Versorgung auf keine solide fi- nanzielle Basis gestellt worden sei; die von den Krankenkassen zur Verfü- gung gestellten Mittel reichten bei weitem nicht aus. Durch Subventio- nen in Höhe von 16 Millionen DM aus ärztlichen Honoraren habe beispiels- weise die KV Nordrhein den Punkt- wert bei den Primärkassen bereits ge- stützt – aber das reiche nicht aus.

Der Verband der Angestellten- Krankenkassen ist hingegen der An- sicht, dass ausschließlich die KVen verpflichtet seien, durch Stützungs- maßnahmen den Punktwert zu stabili- sieren. In nahezu allen Bundeslän- dern verhandeln Krankenkassen und KVen über eine Aufstockung des Psy- chotherapeutenbudgets für 1999.

Doch die Standpunkte haben sich ver- härtet, sodass die Vertragspartner oft vor dem Schiedsgericht landen.

Streit in Berlin

Die KV Berlin teilte den an der vertragsärztlichen Versorgung betei- ligten Psychotherapeuten Ende 1999 mit, dass bei den Primärkassen die Punktwerte auf zwei bis vier Pfennig fallen werden, sollten die Krankenkas- sen kein Geld nachschießen. Die AOK Berlin sei zu einer Nachvergü- tung nicht bereit, erklärte die KV. Es habe jedoch „Hinweise für Unkor- rektheiten der Krankenkassen bei der Kalkulation des Psychotherapeuten- budgets“ gegeben. Die AOK musste jetzt einräumen, 1997 einen Teil der bei der Erstattungs-Psychotherapie geflossenen Honorare nicht auf das Konto der Psychotherapeuten ge- bucht zu haben. Sie muss nun 80 000

DM an die KV nachzahlen. Das löst die Finanzmisere jedoch nicht, denn der Hauptanteil der Vergütung, die bei der Erstattung ausgeschüttet worden ist, kommt von den Ersatzkassen. Mit diesen aber seien die Vergütungsver- handlungen gescheitert, da deren An- gebote unzumutbar gewesen seien, so die KV; entscheiden werde hier das Schiedsgericht. Die Krankenkassen argumentieren gegen eine Nachzah-

lung mit dem Hinweis, dass sie noch für die Abrechnung psychotherapeuti- scher Leistungen im Erstattungsver- fahren zuständig seien: Unklar sei, wie viel Geld sie hierfür zur Verfügung stellen müssen.

Die Gespräche Ende Dezember 1999 zwischen Bundesgesundheits- ministerin Andrea Fischer, der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Kranken- kassen haben für die alten Bundeslän- der zu keiner Lösung geführt. Für die neuen Bundesländer, in denen die Fi- nanzierungsprobleme noch wesentlich gravierender sind, soll neu verhandelt werden. Eine mögliche Einigung kön- ne nach Ansicht der KBV vorsehen, den Punktwert dort so zu stabilisieren, dass er um zehn Prozent unter dem bundesweiten Durchschnitt für psy- chotherapeutische Leistungen liegt.

Ministerin Fischer vertritt die Auffassung, dass die im PTG veran- kerten budgetstützenden Maßnah- men überlagert würden durch die für 1999 verordnete Obergrenze der Gesamtvergütung. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften demnach kein zusätzliches Geld mehr zur Verfügung stellen. Die Ministerin „unterlaufe da- mit den Versorgungs- und Verhand- lungsauftrag der Selbstverwaltun- gen“, erkärte der Sozialminister von Thüringen, Dr. med. Frank-Michael

Pietzsch (CDU): Durch die Rechts- auffassung des BMG sei in Thürin- gen ein Kompromiss zwischen den Vertragspartnern zur Sicherung der psychotherapeutischen Leistungen ge- scheitert.

Mit dem Urteil des BSG ist die Diskussion um den Punktwert erneut angefacht worden: Psychotherapeuti- sche Leistungen müssen demnach mit einem festen Punktwert von zehn Pfennig vergütet wer- den. Um eine gerechte Verteilung zu sichern, dürfe das Einkommen von Psychotherapeuten nicht wesentlich unter dem von Allgemeinärz- ten liegen, so die Be- gründung. Ein fester Punktwert sei notwen- dig, weil Psychothera- peuten aufgrund der Zeitgebundenheit der Leistungen niedrigere Punktwerte nicht – wie andere Ärzte – kompensieren könnten. Als Basis für die Berechnungen legte das BSG ei- nen Praxiskostenanteil von 90 000 DM im Jahr zugrunde und erkannte eine Belastbarkeitsgrenze von 36 Thera- piesitzungen pro Woche an.

Meilenstein

Dr. jur. Michael Kleine-Cosack, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, be- zeichnete das Urteil als „Meilenstein zur Rettung und langfristigen Siche- rung der Psychotherapie“. Doch die Integration der Psychotherapeuten wird es wahrscheinlich nicht fördern, denn der neue Anspruch muss ab dem Jahr 2000 aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung finanziert werden.

Durch den festen Punktwert werden die Psychotherapeuten in der Hono- rarverteilung den Ärzten gegenüber bevorteilt. Damit dies keine Auswir- kungen auf das Budget der Fachärzte haben wird, will Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der KV Berlin, das BSG-Urteil in die Ver- handlungen zur Gesamtvergütung ein- bringen und einen Mehrbedarf geltend machen. Das sagte er nach seiner Wahl zum Ersten Vorsitzenden der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung in

Berlin. Petra Bühring

A-293

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000 Die Delegierten der Landeskonferenz der Richtlinien-Psychotherapeuten

beim Pressegespräch

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