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Archiv "Antiretrovirale Therapie: Strategien aus Sicht des Neurologen" (14.04.2000)

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ie optimale antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion (ART) kombiniert drei bis fünf Substanzen – üblicherweise ei- nen bis zwei Nukleosid-analoge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) und einen bis zwei Protease- Hemmer (PI). Diese werden gele- gentlich ergänzt durch einen nicht- Nukleosid-analogen Reverse-Tran- skriptase-Hemmer (NNRTI – siehe Tabelle) beziehungsweise drei Medi- kamente einer Substanzgruppe, meist NRTIs (Konvergenztherapie). Obwohl diese Therapieregime die Überle- bensdauer der HIV-Patienten nen- nenswert verlängern, die Anzahl op- portunistischer Infektionen deutlich vermindern und die Viruslast im Plasma häufig unter die Nachweis- grenze senken, ist die Diskussion um das zentrale Nervensystem als „Vi- rusreservoir“ eröffnet.

Das Interesse von Neurologen finden insbesondere die als liquor- gängig bezeichneten Substanzen AZT, d4T, Abacavir, Indinavir, die Kombi- nation aus Ritonavir/Saquinavir, Am- prenavir, Nevirapin und Efavirenz, wobei jedoch bei allen Medikamen- ten (Ausnahme: AZT und d4T) der Nachweis einer Effizienz im Hinblick auf eine Verbesserung der klinisch- neurologischen Entwicklung noch fehlt. Für klinisch tätige Neurologen, die HIV-Patienten betreuen, ist es wichtig, die Indikationen zu antire- troviraler Therapie zu wissen sowie Nebenwirkungen zu kennen, die das zentrale und periphere Nervensy- stem betreffen; ebenso ist es erfor- derlich, Interaktionen der antiretro- viralen Therapeutika mit gängigen, in der Neurologie angewende- ten Medikamentengruppen (Sedati-

va, Antiepileptika, Analgetika) in die Therapiestrategie einzubeziehen. Im Folgenden werden die Indikationen der antiretroviralen Therapie nach Dringlichkeit (A bis E) und Sicher- heit (+, ++, +++) angegeben:

A = sichere Indikation

B = wird üblicherweise gegeben C = kann gegeben werden D = wird normalerweise nicht

gegeben

E = sollte nie gegeben werden + = Expertenmeinung ++ = offene Studien

+++ = kontrollierte, randomisierte Studien

Erste klinische Anzeichen einer HIV-Enzephalopathie (motorische, kognitive oder emotionale Defizite) sind eine klare neurologische Indika- tion zum Einsatz antiretroviraler The- rapien – auch bei gutem Helferzellsta- tus und stabilen Viruslastwerten im Serum. Diese sollten auf jeden Fall das nachgewiesenermaßen nicht nur

liquorgängige, sondern sicher im Hin- blick auf die klinischen Defizite wirk- same AZT (Retrovir®) oder ersatz- weise – bei AZT-Unverträglichkeit oder viraler Resistenz – d4T (Zerit®) enthalten. Die Dosierung des AZT liegt höher als in den Therapien aus anderer Indikation.

Die minimale, als wirksam nach- gewiesene Tagesdosierung zur Behand- lung einer HIV-1-assoziierten ZNS- Erkrankung ist 750 mg/die, also drei- mal eine Tablette Retrovir zu 250 mg (A++/+++). d4T mit einer angegebe- nen Liquor/Serum-Ratio von 0,4 muss in prospektiven klinischen Studien weiter untersucht werden; erste klini- sche Daten zur Wirksamkeit dieser Substanz bei HIV-1-assoziierter En- zephalopathie, auch im Anschluss an eine Behandlung mit AZT, liegen vor (C+/++). Gesicherte Daten hinsicht- lich der Wirksamkeit anderer antire- troviraler Substanzen gibt es nicht.

Bestehen keine relevanten Be- einträchtigungen bei Alltagstätigkei- ten und nur geringe Defizite bei höhe- ren Anforderungen des Berufslebens, so liegt der Schwerpunkt der Behand- lung in der Beratung des Patienten und der klinischen, gegebenenfalls auch neurophysiologischen Verlaufs- kontrolle. Da es in diesen Fällen über Monate bis Jahre selten zu einer rele- vanten Progression kommt, sollte eine Therapieempfehlung durch Neurolo- gen nur den Hinweis darauf enthalten, dass die antiretrovirale Kombinati- onstherapie zu Beginn AZT in einer Dosierung von 750 mg/die enthalten sollte (B+/++).

Es gibt keine durch Studien gesi- cherten Indikationen für den Einsatz einer „ART“ bei HIV-induzierten Po- lyneuropathien, Meningoenzephaliti- den oder Myelopathien.

Es ist zu betonen, dass systemati- sche Untersuchungen zu Nebenwir- kungen nicht existieren und die Erfas- sungskategorien somit variabel sind.

Symptome wie Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen, Albträume und Sexualfunktionsstörungen kön- nen bei allen antiretroviralen Thera- peutika auftreten. Im Folgenden wer- den die – zumindest zum Teil – durch entsprechende Studien belegten The- rapien der Nebenwirkungen antire- troviraler Medikamente auf neurolo- gischem Fachgebiet dargelegt.

A-972 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000

P O L I T I K MEDIZINREPORT

Antiretrovirale Therapie

Strategien aus Sicht des Neurologen

HIV-Therapeutika weisen nicht nur neurologische Wirkungen und Nebenwirkungen auf, sondern auch Interaktionen mit Medikamenten.

D

HIV unter dem Elektronenmikroskop Foto: Target Forum

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AZT ruft bei Therapiebeginn bei bis zur Hälfte der Patienten Kopf- schmerzen hervor, die durch konven- tionelle Analgetika kupiert werden können; bessern sich die Nebenwir- kungen nach etwa drei Wochen nicht, muss AZT durch ein anderes antire- trovirales Medikament ersetzt werden.

Depressive Verstimmungen er- fordern eine antidepressive Medikati- on; bei eher agitierten Formen sollten Amitriptylin (Tagesdosis 50 bis 150 mg/die Saroten®), Mianserin (Tages- dosis 30 bis 90 mg/die Tolvin®) be- ziehungsweise Serotonin-Re-Uptake- Hemmer Anwendung finden, obwohl diese noch nicht auf Interaktionen mit Proteasehemmern untersucht sind.

Maniforme Zustandsbilder soll- ten durch niedrig dosierte Neurolepti- ka (zum Beispiel Risperidol 2 x 1 mg oder 2,5 bis 5 mg Haloperidol/die) be- handelt werden; allerdings ist zu be- achten, dass HIV-Patienten aufgrund einer frühen subklinischen Funktions- störung der Basalganglien häufig be- reits im sehr niedrigen Dosisbereich mit starken extrapyramidalen Neben- wirkungen (Parkinsonoid) reagieren.

Der Verdacht auf eine AZT-in- duzierte Myopathie sollte zum vor-

übergehenden Absetzen der Medika- tion führen. Sind die Muskelschmer- zen nicht innerhalb von vier bis sechs Wochen vollständig kupiert, sollte ei- ne Muskelbiopsie die Natur der Er- krankung sichern (AZT versus HIV- induzierte Myopathie beziehungswei- se Myositis). Im Falle einer HIV-indu- zierten Myositis sollte eine kurzfristi- ge Kortisontherapie erfolgen (24 mg Fortecortin/die für fünf Tage).

Die Behandlung von ddI-indu- zierten psychiatrischen Symptomen entspricht den von AZT-induzierten ähnlichen Zuständen.

Die ddI-, ddC- und d4T-induzier- ten Polyneuropathien provozieren häufig schmerzhafte Parästhesien, die zunächst die kurzfristige Gabe ge- bräuchlicher Analgetika (Paracetamol oder ASS) erforderlich machen. Bei ausgeprägter klinischer Symptomatik können nach Absetzen oder Reduzie- ren des vermutlich ursächlichen Präpa- rates Carbamazepin (300 bis 600 mg/die p. o.), Amitriptylin (25 bis 150 mg/die p. o.) oder Gabapentin (Neu- rontin®) angewendet werden. Liegen bei einem Patienten nicht gleichzeitig psychische Symptome mit Antriebs- steigerung vor, kann man auch das an- triebssteigernde Antidepressivum Imi- pramin applizieren (B++).

Ferner kann man versuchsweise Lamotrigin (Lamictal®) (C+), Baclofen (Lioresal®) (C+) oder Alpha-Lipon- säure (Thioctacid®) (C+++) einsetzen.

In fortgeschrittenen Stadien der HIV- Infektion ist Alpha-Liponsäure aller- dings mit unerwünschten Wirkungen behaftet, sodass das Präparat in Spät- stadien der Erkrankung nicht mehr zur Anwendung kommen sollte. Bei thera- pieresistenten Fällen in Spätstadien von Aids kann die topische Applikati- on von Capsaicin Creme (viermal täg- lich aufzutragen) hilfreich sein; der Pa- tient muss allerdings darauf hingewie- sen werden, dass es initial zu einer Schmerzzunahme kommt und die ent- sprechenden Hautareale taub werden und bleiben (B+/++).

Physikalische Maßnahmen (wie Bäder und krankengymnastisches Gangtraining) sollten in jedem Falle begleitend zur Anwendung kommen.

Bei der Reduktion des d4T von 80 auf 60 mg Tagesdosis zur Bekämp- fung polyneuropathischer Beschwer- den ist zu beachten, dass möglicher-

weise keine ausreichenden Liquor- spiegel zur Protektion des zentralen Nervensystems erreicht werden.

Häufig provozieren Protease- Hemmer und nicht-Nukleosid-ana- loge Reverse-Transkriptase-Hemmer (hier besonders das Efavirenz) psych- iatrische Symptome (Depression, Ma- nie, Agitation, Lethargie, Angstzu- stände), die dann eine entsprechende psychopharmakologische Behandlung erforderlich machen.

Interaktionen

Manche der bekannten Neben- wirkungen von Neuroleptika oder Thymoleptika (Knochenmarksschä- digung) können zum Beispiel durch Reverse-Transkriptase-Hemmer ver- stärkt werden; Protease-Hemmer er- höhen möglicherweise das Risiko kar- diovaskulärer Nebenwirkungen bei paralleler Gabe von Neuroleptika.

Die meisten Antiepileptika (Car- bamazepin, Ethosuximid, Phenytoin, Phenobarbital), einige Antibiotika (Makrolide, Rifabutin, Rifampicin und Dapson), Steroide, kurzwirksame Ben- zodiazepine (Alprazolam, Midazolam, Triazolam) sowie vermutlich auch die lang wirksamen Substanzen dieser Gruppe, Kalziumantagonisten (Nimo- dipin, Nifedipin, Verapamil), Immun- suppressiva (Cyclosporin A, Rapamy- cin), Antimykotika (Ketoconazol, Itra- conazol), Ergotamin, Chinidin, Lido- cain, Tamoxifen, Zolpidem und Metha- don haben einen an Zytochrom 450 3A gekoppelten Metabolismus und inter- ferieren daher mit den Protease-Inhibi- toren und den NNRTI, was ihre An- wendbarkeit einschränkt (vorsichtige Eindosierung, klinische und laborche- mische Kontrollen; wenn möglich, al- ternative Präparate anwenden).

Bei der Betreuung von HIV-In- fizierten muss die antiretrovirale Me- dikation somit insbesondere bei der Behandlung von epileptischen Anfäl- len, Kopfschmerzen, neuropathischen Schmerzen und Unruhezuständen ge- nau erfasst werden.

Prof. Dr. Gabriele Arendt

Stellvertretend für die Deutsche Neuro-AIDS- Arbeitsgemeinschaft e.V. Die ausführliche Fas- sung der Empfehlungen ist im Internet unter www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~arendtg/ ab- rufbar.

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P O L I T I K MEDIZINREPORT

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000 Tabelle – Liste der HIV-Therapeutika

Nukleosid-analoge Reverse-Transkriptase- Hemmer (NRTI)

❃Zidovudin/AZT (Retrovir®)

❃Lamivudin/3TC (Epivir®)

❃AZT/3TC (Combivir®)

❃Didanosin/ddI (Videx®)

❃Zalcitabin/ddC (Hivid®)

❃Stavudin/d4T (Zerit®)

❃Abacavir/ABC (Ziagen®)

nicht-Nukleosid-analoge Reverse Tran- skriptase-Hemmer (NNRTI)

❃Nevirapin/NVP (Viramune®)

❃Delavirdin/DLV (Rescriptor®)

❃Efavirenz/EFV (Sustiva®)

Proteasehemmer

❃Saquinavir/SQV (Invirase®, Fortovase®)

❃Indinavir/IDV (Crixivan®)

❃Nelfinavir/NFV(Viracept®)

❃Ritonavir/RTV (Norvir®)

❃Amprenavir (Agenerase®)

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