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Archiv "Tierversuche in der medizinischen Forschung: Druck von allen Seiten" (10.09.2010)

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A 1676 Deutsches Ärzteblatt

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10. September 2010

TIERVERSUCHE IN DER MEDIZINISCHEN FORSCHUNG

Druck von allen Seiten

Mit strengeren Kontrollen und der Förderung von Alternativmethoden will die EU das Leiden von Labortieren mindern. Die neue EU-Tierschutzrichtlinie stellt aber weder die Forschung noch die Industrie noch die Tierschützer restlos zufrieden.

T

ierversuche haben in der For- schung eine lange Tradition.

Als wissenschaftliche Methode wurde die Vivisektion an Tieren be- reits Mitte des 19. Jahrhunderts von dem französischen Physiologen Claude Bernard begründet. Damit die Tiere nicht weglaufen konnten, während sie bei lebendigem Leib aufgeschnitten wurden, schnallten oder nagelten die Forscher sie an Brettern fest.

Damals galt das Dogma, dass al- le Erkenntnisse, die in Tierversu- chen gewonnen werden, auch für den Menschen Gültigkeit haben.

Inzwischen weiß man, dass dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt gilt. So kann zum Beispiel ein be- stimmter Medikamentenwirkstoff bei einem Tier völlig harmlos sein, beim Menschen hingegen schwere Schäden oder gar den Tod hervorru- fen – und umgekehrt.

„Das Problem der Tierversuche in den Lebenswissenschaften ist, dass wir deren Wert überschätzen. Wir sind halt keine 70-kg-Ratten“, meint der Pharmakologe und Toxikologe der Universität Konstanz, Prof. Dr.

med. Dr. rer. nat. Thomas Hartung.

„90 Prozent der Medikamente, die

erfolgreich im Tierversuch waren, versagen beim Menschen; 20 Pro- zent wegen Nebenwirkungen, 40 Pro - zent wegen mangelnder Wirkung“, sagt der Wissenschaftler, der derzeit an der John-Hopkins-Universität in Baltimore, USA, forscht. Auch Cori- na Gericke, wissenschaftliche Mitar- beiterin der Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, kritisiert, dass die For- schung an Tieren die Medizin wegen irreführender Ergebnisse mitunter behindert, statt sie zu befördern.

Die wohl bekanntesten Beispiele für die unzureichende Aussagekraft von Tierversuchen in der Arznei- mittelforschung sind das Schlafmit- tel Contergan, der Cholesterinsen- ker Lipobay, das Schmerzmittel Vioxx oder das Antikörperpräparat TGN1412. All diese Mittel führten bei zahlreichen Patienten zu teil- weise gravierenden Nebenwirkun- gen, obwohl sie in Tierversuchen erfolgreich getestet worden waren.

Trotz solcher Rückschläge gelten Tierversuche nach wie vor als Gold- standard in der medizinischen For- schung und den Grundlagenwissen- schaften. Zur Zulassung von Medi- kamenten sind sie sogar gesetzlich vorgeschrieben. In deutschen La-

bors werden jährlich etwa 2,7 Mil- lionen Ratten, Mäuse, Kaninchen, Hunde, Pferde, Affen und zahlrei- che andere Tiere zu Forschungs- zwecken herangezogen. EU-weit sind es circa zwölf Millionen.

Die Mehrzahl der Tierversuche, so ergab eine Umfrage der Europä - ischen Kommission bei den EU- Staaten, findet im Rahmen von hu- manmedizinischen Studien statt, darunter zu Nerven- und Geistes- krankheiten, Herz-Kreislauf-Erkran- kungen oder zu Krebs. Dennoch setzen sich mehr und mehr Metho- den durch, die völlig ohne Tierver- suche auskommen oder das Leid der Tiere so gering wie möglich halten sollen. Neben ethischen Mo- tiven spielt dabei auch eine Rolle, dass alternative Methoden mitunter schneller und kostengünstiger sind als Tierexperimente.

Dies gilt zum Beispiel für die Wirksamkeitsprüfung bei Tollwut- impfstoffen für die Veterinärmedi- zin. Für den bisher im Europä - ischen Arzneibuch vorgeschriebe- nen Belastungstest, bei dem die Tiere mit verschiedenen Verdün- nungen des Impfstoffs geimpft und anschließend mit Tollwut infiziert

Foto: dpa

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10. September 2010 werden mussten, waren für jede zu

überprüfende Charge im Paul-Ehr- lich-Institut (PEI) in Langen, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, 120 Mäuse erforderlich.

Eine Alternativmethode, die im Langener Institut entwickelt wur- de, kommt mit deutlich weniger Tieren aus. So wurden zwischen Ja- nuar 2007 und Dezember 2008 statt 13 064 nur 1 302 Tiere zur Über - prüfung der Impfstoffe eingesetzt.

„Bei einem Anschaffungspreis von 3,40 Euro pro Maus bedeutete dies eine Ersparnis von knapp 40 000 Eu- ro“, macht Dr. Susanne Stöcker, Sprecherin des PEI, deutlich. Auch müssen die Tiere nicht mehr mit dem Tollwuterreger infiziert wer- den. Die Tests werden stattdessen mit Hilfe einer Blutprobe gemacht.

Die Prüfung mit der Alternativme- thode dauert lediglich etwa zwei- einhalb Wochen, gegenüber vier Wochen für den Belastungstest.

„Bei der Qualitätskontrolle von Arzneimitteln lassen sich mit mo- dernen Alternativmethoden zudem besser reproduzierbare Ergebnisse erzielen“, so Stöcker. Das Paul-Ehr- lich-Institut arbeitet deshalb inten- siv an der Entwicklung weiterer neuer Methoden, wie einer Auswei- tung des serologischen Tests für den Tollwutimpfstoff für die human - medizinische Anwendung. Einige Impfstoffe können inzwischen auch

an Zell- und Gewebekulturen getes- tet werden. Tierversuche lassen sich mitunter durch Computersimulatio- nen ersetzen. Darüber hinaus ver- suchen Forscher, Impfstoffe mit Hilfe von gentechnisch veränderten Pflanzen herzustellen.

Die Trendwende erfolgt nicht zu- letzt aufgrund des zunehmenden gesellschaftlichen Drucks, die tier- experimentelle Forschung einzu- schränken. So halten einer aktuel- len Befragung der Brüsseler Kom- mission zufolge 56 Prozent der EU-Bürger Versuche an größeren Tieren wie Hunden und Affen für nicht gerechtfertigt. In Deutschland sind es sogar 63 Prozent. Bei Versu- chen mit Mäusen haben die Europä- er weniger Bedenken. 66 Prozent von ihnen stimmen Experimenten mit Nagern im Dienste der For- schung für die menschliche Ge- sundheit zu. Dennoch hatten bei ei- ner ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2007 drei Viertel der Befragten darauf gedrängt, die Entwicklung und Anerkennung tierversuchsfrei- er Methoden stärker zu fördern.

Der Spagat zwischen den ethisch- moralischen Ansprüchen der Tier- versuchsgegner und der Freiheit der Forschung gelingt dabei mitunter nur schwer, wie die jüngsten Dis- kussionen um die Neufassung der aus dem Jahr 1986 stammenden EU-Tierversuchsrichtlinie zeigen.

Ziel der Richtlinie ist es, die Zahl

der Tierversuche in der Europä - ischen Union (EU) insgesamt zu senken beziehungsweise das Leiden von Labortieren auf ein Mindest- maß zu reduzieren. Die Vorschrif- ten, die Anfang September verab- schiedet werden, gelten für Tiere (einschließlich Feten, Embryonen und Larven), die in der Grundlagen- forschung, in der medizinisch-phar- mazeutischen Forschung und im Studium eingesetzt werden.

„Das Thema ist sensibel und höchst emotional besetzt“, sagt die CDU-Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle, die den Bericht des Europa- parlaments (EP) zur Gesetzesvorla- ge der EU-Kommission verfasst hat.

Tatsächlich haben Tierschützer, Ärz - te, Wissenschaftler und EU-Bürger den Gesetzgebungsprozess auf EU- Ebene nicht nur kritisch verfolgt, sondern auch vehement versucht, auf den Richtlinientext Einfluss zu nehmen – teils mit Erfolg. Während im Oktober vergangenen Jahres 650 000 Europäer eine Online-De- klaration gegen unnötige Tierver - suche in der Forschung unterzeich- neten, schlossen sich zahlreiche universitäre und gemeinnützige me- dizinische Forschungseinrichtun gen aus mehreren EU-Staaten spontan zu einem europäischen Verband zu- sammen, um bei den Brüsseler Ge- setzgebern besser lobbyieren zu können.

Die Deutsche Forschungsge- meinschaft wiederum verlangte in einem an die EU-Kommission adres - sierten Papier, dass die neuen Regu- lierungen „keine unnötigen Hürden für die europäische Forschung“ auf- bauen dürften, weil dies die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Forschungseinrichtungen in Wis- senschaft und Industrie vermindere.

Vertreter der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften be- tonten dar über hinaus in einer Stel- lungnahme vom 6. April 2010, ohne die tierexperimentelle biomedizini- sche Forschung seien keine Fort- schritte bei der Bekämpfung von Krankheiten möglich. „Insbesonde- re in den Bereichen Neurobiologie, Fortpflanzungsbiologie und Immu- nologie sind nichtmenschliche Pri- maten in manchen Fällen die einzi- gen geeigneten Tiermodelle“, beton- GRAFIK

Anteil der in Krankheitsstudien verwendeten Tiere

Quelle: EU-Kommission

Herz-Kreislauf-Erkrankungen des Menschen

Nerven- und Geistes- krankheiten des Menschen

Krebserkrankungen des Menschen (ausschl.

Bewertung von Krebsrisiken) Sonstige Human-

krankheiten Spezifische Tierkrankheiten

6 %

21,6 %

40,5 % 19 %

12,8 %

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ten die Wissenschaftler. Die Sicher- heit von neuartigen Therapien mit monoklonalen Antikörpern könne sogar zum Teil nur an Schimpansen überprüft werden.

Kritisch gingen die Verfasser auch mit den Plänen der EU ins Gericht, wonach Versuche, die den Tieren langandauernde schwere Schmerzen bereiten, verboten wer- den sollen. „Hierdurch würde unter Umständen die Forschung an schweren chronischen Krankheiten wie Organversagen, Polyarthritis, Krebs oder Parkinson einschnei- dend behindert“, gaben sie zu be- denken.

Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche unterstellte derweil dem Bundesforschungsministerium und dem EU-Parlament, den Tier- schutz zu torpedieren. Als beson- ders skandalös bezeichnete es die Vereinigung, „dass ausgerechnet die ,Volksvertreter‘ des Europä - ischen Parlaments nicht die Mehr- heitsmeinung des Volkes vertreten, sondern die der Industrie und Grund- lagenforschung“. Hintergrund für die Kritik: Die baden-württember- gische CDU-Abgeordnete und par- lamentarische Berichterstatterin für die Richtlinie, Jeggle, hatte öffent- lich die Ansicht vertreten, dass dem Tierschutz in der EU aus ihrer Sicht nicht gedient sei, „wenn wir in Europa zu restriktiv sind und Forschung und Industrie dann ins außereuropäische Ausland ab - wandern“.

Unterdessen warf die Vereini- gung der europäischen Tierver- suchsgegner (ECEAE) einer von der EU-Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe des Ausschusses für Gesundheits- und Umweltrisiken eine einseitige Beeinflussung durch Tierversuchsbefürworter vor. Auch habe die Arbeitsgruppe die ihr zugeleiteten wissenschaftlichen Er- kenntnisse über die Unzuverlässig- keit von Versuchen an Affen bei der

nistern geeinigt hat, sieht nämlich vor, dass Tierversuche künftig EU- weit so gut es geht vermieden oder wenigstens vermindert und das Lei- den von Tieren in der Forschung so gering wie möglich gehalten wer- den sollen. Behördlich genehmigte Alternativen sollen vorrangig zum Einsatz kommen.

Versuchstiere müssen außerdem nach der neuen Richtlinie von sach- kundigem Personal betreut werden.

Menschenaffen, wie Gorillas, Schim - pansen oder Orang-Utans, dürfen in der EU nur noch in Ausnahmefällen zu Forschungszwecken eingesetzt werden. Bei jedem Tierversuch gilt es ferner, die Schwere und Dauer des jeweils vorhergehenden Tests zu berücksichtigen. Hat ein Tier bereits an einem Test mit einer hohen Be- lastungsstufe teilgenommen, darf es nicht mehr für weitere Versuche ein- gesetzt werden.

Die unterschiedlichen Forderun- gen der einzelnen EU-Staaten unter einen Hut zu kriegen, war nach Aussage von Jeggle kein leichtes Unterfangen. Während die Nieder- lande beispielsweise traditionell ein starkes Gewicht auf den Tierschutz legen, wird in Frankreich der For- schungsfreiheit ein sehr hoher Stel- lenwert eingeräumt. In Deutschland wiederum sind sowohl die Freiheit der Forschung als auch der Tier- schutz im Grundgesetz verankert.

Auch gilt Deutschland als größter Förderer von Ersatzmethoden zum Tierversuch innerhalb Europas. So hat das Bundesministerium für For- schung und Bildung (BMBF) in den vergangenen 20 Jahren circa 230 Projekte im Rahmen der För- dermaßnahme „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ mit insgesamt 70 Mil- lionen Euro unterstützt. Darüber hinaus fördert die ZEBET etwa zehn wissenschaftliche Projekte pro Jahr, die der Entwicklung von Alternativ- methoden dienen. Hierfür stellt das BfR jährlich circa 400 000 Euro zur Verfügung. Hinzu kommen Förder- programme der Länder sowie der Industrie und von Stiftungen.

Aber auch die EU-Kommission stellt Gelder zur Erforschung und Entwicklung von Ersatzmethoden bereit. In den letzten 20 Jahren flos- sen aus dem EU-Forschungshaus- Die wichtigsten Punkte der neuen Richtlinie

Grundlage der Richtlinie sind die Vermeidung, Vermin- derung und Verbesserung des Einsatzes von Tieren in den Versuchen.

Mögliche Alternativen zum Tierversuch müssen be- hördlich zugelassen sein.

Die Vorschriften gelten für alle Labortiere einschließlich Feten, Embryonen und Larven.

Es geht in der Richtlinie ausschließlich um Versuche im Hinblick auf Tests von Medikamenten und Tests für die Erforschung von Krankheiten.

Die Betreuung der Versuchstiere muss durch qualifi- ziertes Personal erfolgen.

Menschenaffen dürfen nur noch in Ausnahmefällen zu Forschungszwecken eingesetzt werden.

Für die Tests gelten konkrete Belastungsstufen.

Die rückwirkende Bewertung von Versuchen wird obligatorisch.

AUF EINEN BLICK

Erforschung von Aids, Schlaganfällen, Malaria und Parkinson ignoriert, moniert die ECEAE. Die Vereinigung reichte des- wegen Beschwerde beim Europä ischen Ombudsmann ein. Für Silke Bitz vom Ver- ein Ärzte gegen Tierversuche steht jedenfalls fest: „Mit der neuen Tierversuchsrichtlinie haben die Verantwortlichen die Chance ver- passt, den Weg für ein zukunftsstar- kes Europa zu ebnen, wofür eine moderne und gute Wissenschaft ganz ohne Tierversuche unumgäng- lich ist.“

Welche Folgen die Richtlinie für die Forschung und den Tierschutz in den einzelnen EU-Staaten ha- ben wird, bleibt abzuwarten. In Deutschland dürfte sich nicht allzu viel ändern. „Die deutschen Stan- dards werden sich europaweit durchsetzen“, meint Dr. Barbara Grune von der Zentralstelle zur Er- fassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) beim Bun- desinstitut für Risikobewertung (BfR). Grune ist zuversichtlich, dass die Zahl der tierversuchsfreien Methoden oder solcher, die das Leid der Tiere mindern, steigen wird.

Der Kompromiss, auf den sich das EP mit den zuständigen EU-Mi-

Foto: Vario-Images

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10. September 2010 A 1681 halt 200 Millionen Euro in Projekte,

die sich mit tierversuchsfreien Al - ternativen in den unterschiedlichs- ten wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigen. Ersatzmethoden im Diens te der menschlichen Gesund- heit werden derzeit über das 7. For- schungsrahmenprogramm von 2007 bis 2013 unter dem Titel Biotechno- logie gefördert.

Zu den ersten erfolgreichen tier- versuchsfreien Methoden zählt der Anfang der 1990er Jahre an der Universität Konstanz entwickelte Vollblut-Pyrogentest. Der Test dient dazu, fieberauslösende Stoffe im menschlichen Blut aufzuspüren. Er wurde im Frühjahr 2010 ins Euro- päische Arzneibuch übernommen.

Nach Angaben des BMBF erspart der Test den Einsatz von 80 000

Versuchskaninchen jährlich. Der Einsatz der sogenannten Aszites- Maus konnte mittlerweile ebenfalls dank vergleichbarer In-vitro-Syste- me stark eingeschränkt werden.

Auch bei der Entwicklung von Hu- manimpfstoffen gegen Tetanus und Diphtherie haben In-vitro-Versuche das Tiermodell erfolgreich ersetzt.

Viele alternative Methoden wer- den noch nicht flächendeckend ein- gesetzt. Ursächlich hierfür sind oft die langwierigen behördlichen Aner- kennungsverfahren. Dies gilt vor al- lem für die Einführung von Ersatz- methoden für einen Tierversuch, der in einer Arzneibuchmonografie ver- langt wird. „Hier muss die Methode für alle Arzneimittel, die von der Monografie erfasst werden, an- wendbar sein“, erklärt der Tier- schutzbeauftragte des PEI, Dr. Klaus Cußler. „Das bedeutet, dass nach der Methodenentwicklung umfangrei- che Studien erforderlich sind, die die Anwendbarkeit für die Produkte ver- schiedener Hersteller im Rahmen von Ringversuchen prüfen.“

Haben die Untersuchungen die Prävalidierung im nationalen Rah- men und die Überprüfung auf euro-

päischer und internationaler Ebene erfolgreich durchlaufen, müssen sie noch von Einrichtungen wie der Eu- ropäischen Arzneibuchkommission oder dem Europäischen Zentrum für die Validierung von Alternativme- thoden ausgewertet werden. Von der Methodenentwicklung bis zur Um- setzung in die Arzneibuchvorschrif- ten vergehen in der Regel zehn Jahre“, erklärt Cußler. „Das dauert viel zu lange“, meint Gericke. Hin- zu komme, dass die Alternativ - methoden sich oft mit Tierversu- chen messen müssten, die selbst nie derart aufwendigen, kostspieligen und langwierigen Validierungsver- fahren und Ringversuchen unterzo- gen wurden.

Auch kritisiert die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, dass die

in vielen Tiermodellen künstlich hervorgerufenen Symptome nichts mit den menschlichen Krankheiten gemein hätten, die sie simulieren sollen. „Wichtige Aspekte der Krank - heitsentstehung, wie Ernährung, Lebensgewohnheiten, Verwendung von Suchtmitteln, schädliche Um- welteinflüsse, Stress, psychische und soziale Faktoren, werden dabei außer Acht gelassen“, schreibt der Verein in einer Broschüre.

Hanno Würbel, Professor für Tierschutz und Ethologie vom Fachbereich Veterinärmedizin an der Universität Gießen, konnte nachweisen, dass die Standardisie- rung der Umweltbedingungen die Reproduzierbarkeit von Tierversu- chen beeinträchtigt und somit zu falschpositiven Ergebnissen führen kann. „Durch eine Heterogenisie- rung der Umweltbedingungen lie- ßen sich die Früherkennung wir- kungsloser Substanzen erleichtern und die Medikamentenpreise erheb- lich senken“, meint der Tierschutz- Experte. Grune von der ZEBET warnt indessen davor zu glauben, dass sich mit tierversuchsfreien Methoden Fehlanwendungen am

menschlichen Patienten grundsätz- lich vermeiden ließen. „Den letzt- endlichen Beweis kann immer nur der Einsatz am Menschen liefern.“

Insbesondere für die Erfor- schung chronischer Erkrankungen und ihrer Behandlungsmöglichkei- ten scheinen Tierexperimente nach wie vor unverzichtbar. „Komplexe Erkrankungen, zum Beispiel ent- zündliche Prozesse, können nicht vollständig in Zellkulturen nachge- ahmt werden“, sagte Susanne Bog, medizinische Tierschutzbeauftragte an der Universität Heidelberg.

Der Verband der forschenden Arzneimittelindustrie (VfA), der selbst Gelder in die Entwicklung al- ternativer Verfahren steckt, verweist ebenfalls darauf, dass sich das Ver- halten einiger Wirkstoffe im Ge-

samtorganismus auch in Zukunft nicht in tierfreien Einzeltests be - stimmen lasse. „Tierversuche in der Pharmaforschung wegzulassen, wä- re im Hinblick auf die Sicherheit von Studienteilnehmern und Patienten unverantwortlich“, betont Thorsten Ruppert, Seniorreferent für Grund- satzfragen Forschung beim VfA. Die neu gefasste EU-Richtlinie hält der VfA für sinnvoll, da es bei den Hal- tungsbedingungen, den Genehmi- gungsverfahren und der Überwa- chung von Tierversuchen in den EU- Ländern große Unterschiede gebe.

Die Europäische Bischofskom- mission fürchtet unterdessen, dass die Vorschrift, alternativen Metho- den den Vorzug vor Tierversuchen zu geben, der Forschung mit menschlichen embryonalen Stamm- zellen Tür und Tor öffnen könnte.

„Aufgrund dieser Richtlinie könn- ten Mitgliedstaaten ohne explizite Gesetzgebung zum Schutz von menschlichen embryonalen Stamm- zellen verpflichtet werden, bestimm- te Versuchsmethoden anzuwenden, die solche umstrittenen Zellen ein- setzen“, mahnt die Kommission. ■ Petra Spielberg

Mit der neuen Tierversuchsrichtlinie haben die Verantwortlichen

die Chance verpasst, den Weg für ein zukunftsstarkes Europa zu ebnen.

Silke Bitz, Ärzte gegen Tierversuche e.V.

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