E
ine nicht ausreichende Schmerztherapie kann zu einem chronischen Schmerzgeschehen werden.Dies gilt auch für die Nicht- behandlung sogenannter ba- naler Schmerzen, betonte Prof. Walter Ziegelgänsber- ger (München) beim Work- shop „Selektive Natriumka- nalblockade – Schmerzthera- pie der Zukunft?“ in Trems- büttel. Ergebnisse der mole- kularbiologischen Forschung lassen vermuten, daß die wiederholte Reizung einer Nervenzelle sich zu einer Art Schmerzgedächtnis ent- wickeln kann. Die Nervenzel- le reagiert dann bei Folgerei- zen verstärkt.
Dieses als neuronale Pla- stizität bezeichnete Phäno- men bestimmt die Chroni- fizierung des Schmerzes.
Schmerzattacken brennen sich ein wie ein Bild, das in der Erinnerung bleibt. Es muß versucht werden, so Zie- gelgänsberger, Schmerzen zu
unterdrücken, dem Patien- ten „Schmerzferien“ zu ge- währen. In solchem Zusam- menhang kommt auch der Schmerzprävention eine be- sondere Bedeutung zu.
Lidocainverwandt Ein unterstützender phar- makotherapeutischer Ansatz kann die Gabe von Tolperi- son (Mydocalm®, Strath- mann) sein. Dr. Heribert Ko- kemohr (Hilden) erläuterte die Wirkweise: Tolperison weist eine große Strukturver- wandtschaft mit Lidocain und anderen lokalanästhetisch wirksamen Substanzen auf.
Wie diese besitzt es als am-
philes Molekül mit je einem hydro- und lipophilen Anteil eine hohe Affinität zu den li- pidhaltigen Zellmembranen des Nervensystems mit ihren Ionenkanälen. Dosisabhän- gig blockiert Tolperison akti- ve Natriumkanäle in der Ner- venzellmembran. Aufgrund dieser membranstabilisieren- den Aktivität („lidocaine like activity“) reduziert die Sub- stanz
l die nozizeptiv-affe- rente Frequenz des Aktions- potentials im peripheren Ner- venl die gesteigerte mono- und polysynaptische Reflex- aktivität auf spinaler Ebene und
l eine pathologisch er- höhte Impulsrate aus der Formatio reticularis des Hirnstamms.
Klinisch äußern sich diese Verhaltensweisen in einer therapeutisch nutzbaren Mus- kelrelaxation zum Beispiel bei (schmerz-)reflektorischen Muskelverspannungen infol- ge von Krankheiten des Be- wegungssystems. Darüber hinaus seien, so Kokemohr, antinozizeptive, analgetische und sympathikolytische Ei- genschaften als wahrschein- lich anzusehen.
Die Substanz Tolperison agiert nicht an Rezeptoren von Neurotransmittersyste- men. Es entfallen somit uner- wünschte sedierende oder sti- mulierende Effekte. Die Sub- stanz besitzt eine große thera- peutische Breite, kumuliert nicht und hat kein Suchtpo- tential. Interaktionen wurden weder mit Alkohol noch mit sedierenden Pharmaka beob- achtet. Ursula Petersen
A-1392 (64) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 22, 29. Mai 1998
V A R I A AUS UNTERNEHMEN
Schmerztherapie mit Tolperison
Selektive Blockade des Natriumkanals
D
ie Herzinsuffizienz ist eine Funktionsstörung des Herzens mit man- gelnder Versorgung der Peri- pherie. Der Rückgang des zirkulierenden Blutvolumens stimuliert das Renin-Angio- tensin-Aldosteron-System und das sympathische Ner- vensystem. Um das vermin- derte intravasale Volumen zu erhöhen, resorbieren die Nie- ren vermehrt Natrium und Wasser. Je stärker diese Re- tention ausgeprägt ist, desto mehr nimmt die Wirksamkeit von Diuretika, vor allem Thiazid-Diuretika, ab.In der Therapie der Herz- insuffizienz ist es nicht ausrei- chend, Ödeme zu beseitigen, vielmehr muß man das Re- modelling des Myokards ver- meiden, das vor allem unter dem Einfluß von Angioten- sin-II abläuft. ACE-Hemmer sind daher als Basistherapie bei Herzinsuffizienz empfeh- lenswert. Bei hydropischer Dekompensation werden zu- sätzlich Schleifendiuretika eingesetzt. Sie erweitern auch die venösen Kapazitätsgefäße und vermindern dadurch die
Vorlast. In der Akuttherapie hat sich vor allem das kurz wirksame Furosemid be- währt. In der chronischen Therapie von kardialen Öde- men sei ein Schleifendiureti- kum mit hoher Bioverfügbar- keit und milder protrahierter Wirkung wie Piretanid zu be- vorzugen, erklärte Dr. W.
Spitzer (Neustadt/Aisch) bei- einem Workshop der Hoechst Marion Roussell GmbH auf Sylt. Da bei der Herzinsuffizi- enz häufig ein sekundärer Hyperaldosteronismus be- steht, sollten die Patienten auch Spironolacton erhalten.
Immer wieder geraten Pa- tienten in den Zustand der Diuretika-Resistenz. Die Nie- ren scheiden trotz Therapie mit Schleifendiuretika in ho- her Dosis (500 bis 1 000 mg Furosemid) nicht mehr aus.
Die Resistenz kommt da-
durch zustande, daß wegen der ausgeprägten Rückre- sorption am Wirkort des Diu- retikums kaum noch Wasser und Natrium ankommen.
Damit die Niere wieder startet Gibt man dem Patienten zusätzlich ein Thiazid-Diure- tikum und hemmt damit die Natriumresorption im proxi- malen Tubulus, verschafft man dem Schleifendiureti- kum wieder „Arbeit“. Dieses Prinzip nennt man sequenti- elle Nephronblockade. Etwa 500 mg Furosemid in 24 Stun- den betrachtet Spitzer als obere Dosisgrenze. Wenn dies nicht ausreicht, um Öde- me auszuschwemmen, sollte man mit 25 mg Hydrochloro- thiazid kombinieren. Inso- fern gilt der alte Lehrsatz,
Thiazide seien kontraindi- ziert bei Niereninsuffizienz (über 2 mg/dl Kreatinin), heute nicht mehr. Ist die Nie- re wieder „gestartet“, muß die Diuretika-Dosis rasch wieder zurückgeschraubt wer- den, damit es nicht zur Hypo- volämie kommt.
Neben ACE-Hemmern und Diuretika spielt in der Therapie der Herzinsuffizi- enz weiterhin Digitalis eine Rolle. Unverzichtbar sind Herzglykoside bei Vorhof- flimmern mit hoher Herzfre- quenz. Neu hinzugekommen sind Betarezeptorenblocker.
Wenn man sie vorsichtig und einschleichend dosiert und den Patienten engmaschig überwacht, haben sie posi- tive Effekte auf Belastbar- keit und Herzfunktion.
Den Aldosteron-Antago- nisten scheint bei der Herzin- suffizienz eine neue Karriere bevorzustehen. Nach aktuel- len Befunden beugen sie der Myokardfibrose vor. Im Tier- experiment normalisieren sie die aldosteroninduzierte Kol- lagenproduktion im Myokard.
Dr. med. Angelika Bischoff