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Archiv "Akupunktur bei chronischen Schmerzen: Schlusswort" (01.06.2007)

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A1596 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 22⏐⏐1. Juni 2007

M E D I Z I N

Des Kaisers neue Kleider

Indem sie versuchen, die Akupunkturinterventionen zu standardisieren, tragen die GERAC-Studien dazu bei, Licht in eine Szene zu tragen, die geprägt ist von pseudowissenschaftlichen Behauptungen und dem Gemenge wohlig gepflegter, jedoch überholter Vor- stellungen. Bedürfnisorientiertheit, Wunsch nach Hei- lung und Schmerzlinderung ist aber immer noch kein Garant für Evidenz:

> Zwischen den Ergebnissen von Verum- und Shamakupunktur (beliebige Punkte) besteht kein sig- nifikanter Unterschied. Das heißt, der nostalgisch- poetische Hintergrund mit Aufsuchen geheimnisvol- ler Körperpunkte, der angeblich nur durch aufwendi- ges und erfahrungsreiches Vermitteln erlernt werden kann, ist hinfällig.

> Der Verdacht, dass Patienten von therapeutischer Zuwendung, in welcher Form auch immer, profitie- ren, wird erhärtet. Daher ist es konsequent, wenn bei orthopädischer Standardtherapie – im Wesentlichen nur unterschieden durch die Gabe von nichtsteroida- len Antirheumatika – mehr Krankengymnastik und bei beiden Akupunkturgruppen mehr zuwendungsin- tensive Akupunktur verlangt wird.

> Der Bedarf an Akutmedikation gegen Migräne war nach Studienende in den 3 Behandlungsarmen nahezu gleich und mit 90 % fast unverändert zum Bedarf bei Studienbeginn. Das Weglassen der Option einer Serotoninmodulation bei der Standardtherapie mag deren tendenziell schlechteres Abschneiden er- klären.

Wenn der Gemeinsame Bundesausschuss schon meint, er müsse dem kollektiven Meinungsdruck ent- sprechen und andererseits der volkswirtschaftlichen Präferenz in der Medizin Rechnung tragen, dann soll- te er eher zur Shamakupunktur raten. Denn hierbei war, bei den wenigsten schweren unerwünschten Er- eignissen, auch der niedrigste Analgetikaverbrauch festzustellen.

Es heißt, „noch kein wissenschaftliches Kleid…“

wurde für die Akupunkturwirkung gefunden. Muss hier überhaupt ein Kleid gefunden werden?

Dr. med. Michael Fietzek Allgemeinmediziner Hardterstraße 52 72649 Wolfschlugen

Falsche Vergleiche

Die GERAC-Studie wird der Methode der Akupunk- tur in einigen wesentlichen Punkten nicht gerecht.

Auffällig war das Ergebnis eines geringen Unterschie- des zwischen der „echten“ (Verum-)Akupunktur und der „falschen" (Sham-)Akupunktur. Sieht man sich das Studiendesign an, wurde eine teilstandardisierte Nadelkombination verwendet, und zwar fest vorgege- bene, vielfach bewährte „Migränepunkte“ ergänzt durch individuelle, syndrombezogene Punkte. Letzte- re konnten bei Fehlen spezieller Kenntnisse auch über Fragebögen herausgefunden werden. Nun ist aber die chinesische Syndromdiagnostik unverzichtbarer Be-

standteil jeder Migränebehandlung, und ein Standard- fragebogen wird eine Ausbildung darin niemals erset- zen können. Es ist also davon auszugehen, dass in ei- nem Teil der Fälle eine falsche Akupunktur mit einer etwas weniger falschen Akupunktur verglichen wur- de.

Erstaunlich und befremdlich finde ich die Schluss- folgerung der Autoren, dass angesichts der gleichen Wirksamkeit der Schulmedizin und der Akupunktur der Arzt sich beider Methoden bedienen sollte. Eine sechswöchige Akupunkturbehandlung war genauso wirksam wie eine sechsmonatige medikamentöse Therapie und die Akupunktur hat sich als extrem ne- benwirkungsarm erwiesen. Beides gleichermaßen zu empfehlen erscheint daher geradezu unwissenschaft- lich.

Nicht zu vergessen ist auch die geringe Akzeptanz vor allem jüngerer Menschen gegenüber Beta- blockern unter anderem aufgrund der bekannten Mü- digkeit. Nicht umsonst stammte der Löwenanteil (106 von 125) derer, die ihre Teilnahme nach Randomisie- rung widerriefen, aus der Standard-Therapiegruppe.

Dass die Spannungskopfschmerz-Studie abgebrochen werden musste, weil nur 4 Patienten bereit waren, ein trizyklisches Antidepressivum einzunehmen, spricht doch für ein gesundes Unbehagen der Bevölkerung, Psychopharmaka gegen Kopfschmerzen einzuneh- men. Bieten wir doch der Bevölkerung eine „richtige“

Verumakupunktur an, basierend auf sorgfältiger Syn- drom-Diagnose und mit Einbeziehung der anderen Säulen der TCM. Ich bin sicher, wir werden viel bes- sere Resultate erzielen. Dies ist schon jetzt meine Er- fahrung.

Luzia Mittermaier Michael-Burgau-Str. 9 93049 Regensburg

Schlusswort

Das Hauptziel unserer randomisierten Studien inner- halb des Modellvorhabens war es, einen direkten Wirksamkeitsvergleich der klassischen, auf den Mo- dellvorstellungen der TCM beruhenden Akupunktur (Verum) mit einer leitlinienorientierten Standard- therapie durchzuführen. Mithilfe des Vergleichs zur Shamakupunktur als dritter Therapiegruppe sollte der Anteil der unspezifischen Akupunktureffekte an der Akupunkturwirkung sichtbar gemacht werden.

Da kein Unterschied zwischen Sham- und Verum- akupunktur nachzuweisen war, gehen die Leserbriefe insbesondere auf die Bedeutung möglicher unspezifi- scher Akupunktureffekte ein. Dr. Hien, Prof. Engel- hardt und Dr. Fietzek thematisieren die Interaktion zwischen Arzt und Patient als wichtigste Komponente der Akupunkturwirkung, und Dr. Bock vermutet eine überwiegend positive Grundeinstellung der Patienten gegenüber Akupunktur gepaart mit einer eher ableh- nenden Haltung gegenüber der „Schulmedizin“. Auch Frau Mittermaier betont diese ablehnende Haltung.

Allerdings werden trizyklische Antidepressiva nicht, wie von ihr beschrieben, beim Spannungskopfschmerz

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 22⏐⏐1. Juni 2007 A1597

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als Psychopharmaka eingesetzt, sondern aufgrund ih- rer Beeinflussung vor allem von Noradrenalin- und Serotonin-Rezeptoren als Schmerzmodulatoren (1).

Für die Wirksamkeit der trizyklischen Antidepressiva beim Spannungskopfschmerz gibt es seit langem eine eindeutige wissenschaftliche Evidenz (2).

Während die erstgenannten Autoren eine schul- mäßig durchgeführte Akupunktur aufgrund der ver- muteten unspezifischen Akupunktureffekte infrage stellen, folgert Frau Mittermaier aus den Studiener- gebnissen, dass in den randomisierten Studien eine im Sinne der TCM zu wenig schulmäßig durchgeführte Verumakupunktur vorlag.

Die in den Leserbriefen geäußerte Vermutung, dass der Therapieeffekt auf einer erhöhten Zuwendung des Akupunkturarztes beruhen könnte, liegt natürlich na- he. Wir haben die Akupunkturärzte daher bereits während der Schulung angewiesen, allen Akupunktur- patienten die gleiche Zuwendung zukommen zu las- sen, insbesondere auch in Bezug auf die Dauer der Akupunkturbehandlung. Zuwendungsunterschiede zur Standardtherapie wurden minimiert, indem die gleiche Anzahl von Therapiekontakten wie in der Akupunktur vorgegeben war. Die Einhaltung dieser Vorgaben wurde unmittelbar nach Abschluss der Aku- punkturbehandlung im 6-Wochen-Telefoninterview mit dem Patienten überprüft. Wir haben keine nen- nenswerten Zeitunterschiede zwischen Verum- und Shamakupunktur oder der Zahl an Therapiekontakten gefunden, können qualitative Zuwendungsunterschie- de aber natürlich nicht sicher ausschließen.

Auch die eher negative Einstellung gegenüber der Schulmedizin ist ein wichtiger Aspekt. Wir sind in un- seren Diskussionen ausführlich darauf eingegangen.

Aus den Studienergebnissen kann man allerdings nicht wie Dr. Bock schließen, dass eine Akupunktur pro- blemlos von einem Masseur durchgeführt werden könnte. Da es sich um ein invasives Verfahren handelt, bei dem durch unsachgemäße Anwendung Komplika- tionen auftreten können, ist allein schon unter dem Aspekt der Patientensicherheit eine Durchführung durch erfahrene Akupunkteure angebracht (3).

Da die Patienten fachgerecht von erfahrenen Aku- punkteuren akupunktiert worden sind, nehmen wir die von Frau Mittermaier geforderte Qualität der Aku- punktur und Akupunkteure für GERAC in Anspruch.

Gerade durch die Semistandardisierung wurde sicher- gestellt, dass eine individuelle Syndromdiagnostik in die Punktauswahl einfließen konnte. Eine noch „bes- sere“ Punktauswahl, die dann zu sichtbaren Unter- schieden zwischen Sham und Verum führen sollte, wurde in der Vergangenheit häufig als Argument ver- wendet, wird aber durch unsere und andere Studiener- gebnisse nicht unterstützt und bleibt daher rein speku- lativ. Aus den Ergebnissen unserer Studien können wir mit Sicherheit ableiten, dass ein möglicher Wirksam- keitsunterschied zwischen Verum- und Shamaku- punktur, sofern vorhanden, so klein ist, dass wir ihn mit dem „Auflösungsvermögen“ unserer Studie, der von der Patientenzahl abhängigen Power, nicht sehen

konnten. Von dieser Diskussion unbeeinflusst bleibt aber, dass beide Akupunkturformen gegenüber der Standardtherapie nicht unterlegen und in Bezug auf den chronischen Rücken- oder Knieschmerz sogar überlegen waren.

Natürlich ist Shamakupunktur kein klassisches Pla- cebo (4). Signifikante Unterschiede zwischen Verum- akupunktur und einer Akupunktur mit sogenannten Placebonadeln, die im Gegensatz zu den Nadeln bei Shamakupunktur nicht in die Haut eindringen, sind vielleicht ein Hinweis auf eine spezifische Kompo- nente der Akupunktur (5). Weitere Komponenten, die zur Wirkung der Akupunktur beitragen könnten, wie zum Beispiel die tiefgründige Bedeutsamkeit invasi- ver Techniken, haben wir in unseren Publikationen ausführlich diskutiert. Wir gehen nicht davon aus, dass die Akupunkturwirkung auf eine einzige Kompo- nente zurückzuführen ist. Vielmehr werden mehrere der genannten Faktoren zum Erfolg der Akupunktur- behandlung beitragen (6). Welche dies sind, ist von eminenter wissenschaftlicher Bedeutung. Aus der Sicht des Patienten aber ist allein der Erfolg der The- rapie entscheidend.

LITERATUR

1. Pfaffenrath V, Brune K, Diener HC, Gerber WD, Göbel H: Behand- lung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Therapieempfehlun- gen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.

Schmerz 1998 20;12(2):156–68; discussion 69–70.

2. Pfaffenrath V, Diener HC, Isler H, Meyer C, Scholz E, Taneri Z et al.:

Efficacy and tolerability of amitriptylinoxide in the treatment of chronic tension-type headache: a multi-centre controlled study.

Cephalalgia 1994; 14(2): 149–55.

3. Ernst E: Acupuncture – a critical analysis. J Intern Med 2006; 259:

125–37.

4. Anonymous: NIH Consensus Conference. Acupuncture. JAMA 1998; 280: 1518–24.

5. Vas J, Mendez C, Perea-Milla E, Vega E, Panadero MD, Leon JM et al.: Acupuncture as a complementary therapy to the pharmaco- logical treatment of osteoarthritis of the knee: randomised controll- ed trial. BMJ Clinical research ed. 2004; 329: 1216.

6. Joos S, Schneider A, Streitberger K, Szecsenyi J: Akupunktur – Nadelstiche innerhalb einer komplexen Intervention. Forschende Komplementarmedizin 2006; 13: 362–7.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Dipl.-Chem. Heinz G. Endres Ruhr-Universität Bochum Abteilung Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie 44780 Bochum

E-Mail: heinz.endres@ruhr-uni-bochum.de

Interessenkonflikt

Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Edi- tors besteht.

Referenzen

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