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Archiv "Hausarztverträge: Von Meilensteinen und Lieschen-Müller-Medizin" (14.09.2007)

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A2466 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007

D

r. med. Kathrin Kytzia-Ku- besch (44) kann sich noch gut an den Umzug innerhalb ihres Ortes vor rund zehn Jahren erinnern – und an die Sache mit dem Praxisschild.

Mit ihrem Mann, Dr. med. Alexander Kubesch, wie sie Allgemeinmedizi- ner, ließ sie gut sichtbar „Hausärzte“

auf das Schild für die gemeinsa- me größere Praxis im hessischen Schlüchtern drucken. „Damals wur- den wir für diesen Hinweis von vielen Kollegen belächelt“, erinnert sich Kytzia-Kubesch. „Aber die Zeiten haben sich geändert. Die hausärztliche Betreuung hat mitt- lerweile ganz hohe Akzeptanz.“

Die Weihnachtsüberraschung 2004: der Barmer-Vertrag Im Sommer 2006 erklärten 93 Pro- zent der Befragten im Rahmen einer Studie der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, sie hätten einen Hausarzt als erste Anlaufstation bei Krankheit oder medizinischen Fra- gen. Mag sein, dass sie in den Jahren zuvor nicht anders geantwortet hät- ten. Doch neu ist, welche Form der hausärztlichen Versorgung die Ge- sundheitspolitiker der Großen Ko- alition mittlerweile forcieren: Haus- arztverträge mit klaren Vorgaben nämlich. Darin werden Rechte, Pflichten und finanzielle Vorteile von Ärzten, Patienten und Kranken- kassen detailliert festgelegt.

Der erste und bislang einzige bundesweit gültige Hausarztvertrag wurde kurz vor Weihnachten 2004 geschlossen, und zwar zwischen der Barmer Ersatzkasse, dem Deut- schen Apothekerverband und dem Deutschen Hausärzteverband (BDA).

Dessen damaliger Vorsitzender, Ul-

rich Weigeldt, nannte ihn „einen Meilenstein“. Ulla Schmidt war

„froh, dass die gesetzliche Kran- kenversicherung endlich auf dem Weg ist, zukunftsfähige Strukturen aufzubauen“. Heute sind rund zwei Millionen Barmer-Versicherte, 38 000 Hausärzte und 19 000 Apo- theker eingeschrieben. Damit be- teiligen sich mehr als zwei Drittel aller Hausärzte und rund ein Viertel aller Barmer-Versicherten (Kasten

„Rechte und Pflichten“). Mittler- weile wurden bundesweit mehr als 40 Hausarztverträge aufgelegt. Hin- zu kommen reine Integrationsver- träge, die aber eine Lotsenfunktion des Hausarztes beinhalten (Kasten

„Große Vielfalt an Verträgen“).

Eine breite Diskussion darüber, was die Hausarztverträge bewirkt haben, findet jedoch nicht statt.

„Von der Umsetzung der Verträge hören Sie nichts, weil es perfekt läuft“, behauptet Eberhard Mehl, BDA-Hauptgeschäftsführer. Das Akkreditierungs- und Abrechnungs- system der Hausärztlichen Vertrags- gemeinschaft (HÄVG), mithilfe derer der BDA seine Verträge ab- wickelt, sei mittlerweile perfekt.

Dass die Evaluation für den Barmer- Hausarztvertrag gerade erst ausge- schrieben wurde, liegt nach seinen Worten an den permanenten Ver- änderungen im Gesundheitswesen:

„Seitdem der Vertrag läuft, haben sich die Rahmenbedingungen stark verändert, beispielsweise im Be- reich der Arzneimittel. Das macht es schwer, ein sauberes Evaluations- konzept zu entwickeln.“

Lediglich einzelne Versicherten- befragungen gibt es (Kasten „Zu- frieden – mit und ohne). So scheinen

die Barmer-Versicherten mit dem Hausarztvertrag zufrieden zu sein.

Nach einer internen Befragung fühl- ten sich 99 Prozent gut betreut, be- richtet die stellvertretende Vor- standsvorsitzende, Birgit Fischer.

Die große Mehrheit der Versicher- ten hätte zudem angegeben, dass sie der Hausarzt aktiv in die Therapie einbinde. Zudem fungiere er als Präventionsmanager: „Gemeinsam mit dem Patienten arbeitet er ein Präventionsprogramm aus, das indi- viduell auf die Gesundheitsbedürf- nisse des Einzelnen zugeschnitten ist. Auch dies nehmen die Versicher- ten gerne an“, so Fischer. Viel mehr ist nicht zu erfahren.

HAUSARZTVERTRÄGE

Von Meilensteinen und Lieschen-Müller-Medizin

Am Barmer-Vertrag lobten manche anfangs den zukunftsweisenden Charakter. Andere kritisierten ihn als Mogelpackung. Heute gibt es mehr Verträge – und unterschiedliche Erfahrungen bei den Ärzten vor Ort.

RECHTE + PFLICHTEN

2005 startete der erste und bislang einzige bundesweit geltende Hausarzt-/Hausapothekervertrag der Barmer Er- satzkasse. Der Form nach einigten sich Barmer, Deutscher Hausärzteverband und Deutscher Apothekerverband auf einen Vertrag zur integrierten Versorgung (IV) nach § 140 SGB V. Das trug ihnen sofort Kritik ein und bald darauf ein Gerichtsverfahren. Die KV Thüringen klagte, weil das Ab- kommen ihrer Meinung nach kein echter IV-Vertrag ist.

Derzeit prüft das Bundessozialgericht den Fall.

Ärzte erhalten zusätzliches Honorar, wenn sie sich betei- ligen: Pro Patient 15 Euro Einschreibepauschale und eine Betreuungspauschale von fünf Euro im ersten und 20 Euro im zweiten Jahr, außerdem für den jährlichen Präventions- check 35 Euro. Hinzu kommen rund fünf Euro für jeden in ein DMP eingeschriebenen Patienten, sofern 40 Prozent al- ler infrage kommenden Barmer-Versicherten eingeschrie- ben werden. Weiterhin müssen sich die teilnehmenden Hausärzte verpflichten, Fax und EDV zu nutzen, Behand- lungsdaten an die Kasse weiterzuleiten, kostengünstig zu verordnen, mindestens vier hausärztliche Qualitätszirkel zu besuchen, Patienten zur DMP-Einschreibung zu motivieren und sie zu einem präventiven Lebensstil anzuhalten.

Foto:Fotolia/VisualField

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Dabei zeigte sich gerade beim Abschluss des Barmer-Vertrags, dass mit einer strukturierten haus- ärztlichen Versorgung große Erwar- tungen verbunden sind. So schrie- ben Barmer und Hausärzteverband damals: „Versicherte wählen frei- willig einen Hausarzt und eine Hausapotheke, die sie von nun an immer als erstes ansteuern. Das Ziel: Mehr Qualität in der ärztlichen Behandlung, mehr Arzneimittelsi- cherheit sowie eine finanzielle Ent- lastung der Versicherten.“

Fragt man Hausärztinnen und Hausärzte vor Ort nach ihren Erfah- rungen, bekommt man unterschied- liche Antworten, was gut und was schlecht ist an Hausarztverträgen.

Schon der Einstieg verlief unter- schiedlich. „Wir sind sofort gestar- tet, als der erste hessische Vertrag draußen war“, sagt Kytzia-Kubesch.

„Für unsere Arzthelferinnen war es am Anfang aber eine Umstellung, weil zahlreiche Formulare in den PC eingelesen und bearbeitet wer- den mussten und man ständig das- selbe bei der Patientenanmeldung zu erklären hatte.“

In Hessen wurden rasch zwei Hausarztverträge hintereinander an- geboten: Parallel zum Barmer-Ver- trag ohne die KV schlossen acht Er- satzkassen mit der KV einen Vertrag nach § 73 b. Abweichungen in den Vertragsdetails erschwerten die Ab- wicklung, findet Monika Buchalik (51), die im hessischen Maintal als Hausärztin niedergelassen ist. So sind die Patienten in unterschiedli- chem Umfang von der Praxisgebühr befreit. Auch die Boni differieren.

Gezögert einzusteigen, haben we- der Kytzia-Kubesch noch Buchalik.

Es gebe eine hohe Akzeptanz bei ihren Patienten für die hausarztzen- trierte Versorgung, sagt Kytzia-Ku- besch. Buchalik bestätigt das: „Die AOK kommt in Hessen mit den Hausarztverträgen nicht in die Gän- ge. Deren Versicherte sind zum Teil schon sauer, und einige haben be- reits die Krankenkasse gewechselt.“

Beide Hausärztinnen begrüßten die zwei Hausarztverträge voll und ganz, „weniger aus finanziellen Gründen als aus der Überzeugung, wirklich gern Hausärztin zu sein“, sagt Kytzia-Kubesch. „Die Arzt-Pa-

tient-Beziehung wird dadurch ver- bessert“, findet Buchalik. „Sich zu einem Hausarzt zu bekennen, das ist die Idee.“

„Ein gewisser Zwang war schon da“

Ganz anders beurteilt die Verträge Dr. med. Marie-Louise Fasshauer (63), die seit rund 20 Jahren in Wup- pertal niedergelassen ist. Sie habe den Barmer-Vertrag schnell unter- schrieben, weil Versicherte dräng- ten: „Ehe mir die Patienten weglau- fen, schlucke ich diese Kröte, dach- te ich.“ Der Verwaltungsaufwand halte sich mittlerweile in Grenzen, meint Fasshauer. Doch viel abge- winnen kann sie dieser Versor- gungsform nicht: „Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner, er koor- diniert die medizinische Behand-

lung, er bildet sich fort“, zitiert sie aus dem Informationsmaterial für die Patienten. „Als ob wir das nicht alles längst täten.“

Die Berliner Hausärztin Dr. med.

Catharina Benkwitz (39) erinnert sich noch gut daran, welche „Flut an Informationen“ sie Anfang 2005 ab- arbeitete. „Damals startete ja nicht nur der Barmer Hausarztvertrag, sondern wir mussten uns auch auf einen neuen EBM einstellen.“

Benkwitz zögerte zuerst, „weil es nach enormem bürokratischem Auf- wand aussah“. Aber als immer mehr Patienten danach fragten, entschied sie sich dafür: „Ein gewisser Zwang war schon da.“

Es gibt allerdings auch Ärzte, die gar nicht mitmachen, so wie Dr. med.

Hanns Dubischar aus Ravensburg (58): „Für mich kommt eine Teil-

GROSSE VIELFALT AN VERTRÄGEN

Zwar wäre es übertrieben, von einem „Boom“ der Hausarztverträge zu sprechen. Doch entwickelt sich die Einführung der neuen Versorgungsform in den letzten drei Jahren gut. Mittlerweile haben mehr als 25 Millionen Versicherte die Möglichkeit, sich an einem Hausarztprogramm zu beteiligen.

Rund 5,3 Millionen Patientinnen und Patienten nehmen die neuen Angebote bereits in Anspruch.

So zählte das Bundesgesundheitsministerium bis August dieses Jahres 44 Hausarztprogramme.

Bis auf den Barmer-Vertrag sind alle Programme regional ausgelegt. Bei mehr als der Hälfte davon sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) als Vertragspartner beteiligt. In Bremen, Meck- lenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und im Saarland arbeiten die KVen mit dem Hausärzteverband beziehungswei- se der hausärztlichen Vertragsgemeinschaft zu- sammen. Dass es mithilfe der KVen schon bald bundesweit gültige Verträge geben werde, glaubt Dr. med. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die „Ar- beitsgemeinschaft Vertragskoordination“ von KBV und Kven sei bereits in Verhandlungen mit Kran- kenkassen getreten.

Bislang ist die Ausgestaltung ebenso vielfältig wie deren vertragliche Grundlagen. So basieren die meisten Programme auf Verträgen nach

§ 73 b SGB V sowie auf Kombinationen aus 73-b- Kontrakten und Verträgen zur integrierten Versor- gung nach § 140 SGB V. Zu den vom BMG geliste- ten 44 Verträgen kommt eine Vielzahl reiner Inte- grationsverträge, die schwerpunktmäßig ebenfalls

die Koordination des Behandlungsgeschehens durch Hausärzte zum Inhalt hat.

Die Gründe für das wachsende Interesse von Kassen, Ärzten und Versicherten an der neuen Versorgungsform sind vielfältig. Seit Einführung der Anschubfinanzierung für die integrierte Ver- sorgung 2004 sind Hausarztprogramme auf Grundlage von Integrationsverträgen für die Leis- tungserbringer finanziell interessanter geworden.

Auch Patienten können finanziell profitieren, weil die meisten Kassen ihren Versicherten die Teil- nahme mit einer Befreiung von der ungeliebten Praxisgebühr schmackhaft machen. Die Kosten- träger selbst wollen sich im härter werdenden Wettbewerb mit anderen Kassen profilieren. Zu- dem hoffen die Kassen auf Einspareffekte durch Wirtschaftlichkeitsvorgaben für die Hausärzte und eine stärkere Teilnahme chronisch kranker Pati- enten an entsprechenden Disease-Management- Programmen (DMP).

So stehen einige Hausarztprogramme – etwa in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Sachsen – ausschließlich chro- nisch kranken Versicherten offen. Gerade diese Patienten benötigten eine intensivere persönliche Versorgung, erläutert der Vorsitzende der KV Nordrhein, Dr. med. Leonhard Hansen, einen seit Juli 2005 laufenden Vertrag der KV mit der AOK und den Innungskrankenkassen zur hausärztlichen Versorgung von Chronikern sowie von Krebs- und Palliativpatienten. An dem Programm können sich neben Hausärzten auch Onkologen, Schmerzthe- rapeuten und Palliativmediziner beteiligen.

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A2468 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007 nahme auch deshalb nicht infrage,

weil man dafür eine entsprechende EDV-Ausstattung braucht. Ich habe nicht einmal einen Computer.“ Das akzeptierten so ohne Weiteres nicht alle Patienten, sagt Dubischar:

„Man muss als Hausarzt schon er- klären, warum man nicht in einem Hausarztmodell ist. Das Ganze ist wie ein Pokerspiel: Gewinnt die

gute Arzt-Patient-Beziehung? Oder der Anreiz bei den Patienten, zehn Euro zu sparen?“ Viele langjährige Patienten, sagt Dubischar, seien al- lerdings geblieben, gegangen sei nur einer.

Es kann allerdings auch anders kommen. Manche Patienten steigen aus oder wollen wegen der Vorga- ben nicht in den Hausarztvertrag hinein. Benkwitz hat erlebt, dass ein Ehepaar aus dem Barmer-Hausarzt- vertrag ausgestiegen ist. Der Grund:

Ein Orthopäde hatte ihrem Patien- ten zur Operation in einer bestimm- ten Klinik geraten, die Barmer be- harrte auf einer anderen.

„Die Bindung an eine Hausapo- theke ist das größte Hindernis für ei- ne Einschreibung“, hat Kytzia-Ku- besch festgestellt. „Die meisten Pa- tienten wollen sich nicht festlegen.“

Ein großer Erfolg ist die Einbindung der Apotheker sowieso nicht, ob- wohl sie das einzige Argument für einen Integrationsvertrag ist. Die befragten Ärzte und Ärztinnen kön- nen allesamt nicht feststellen, dass sie besser über die Medikation von Patienten informiert werden als früher.

„Wir sind noch nicht zufrieden“, sagt auch BDA-Hauptgeschäftsfüh- rer Mehl. Es gebe zu viele Kann- Formulierungen im Vertrag, und es fehle an EDV-technischer Unter- stützung, um Hausärzte und Haus- apotheker regelhafter zu koordinie-

ren. Fasshauer hat es überdies mehr- fach erlebt, dass Patienten sich nicht daran halten, nur ihre Hausapotheke aufzusuchen: „Das wird auch gar nicht sanktioniert.“

Viele Kritiker der Programme fürchteten anfangs, dass die teilneh- menden Ärzte zulasten ihrer Pati- enten nur noch wenig verordnen würden. Die befragten Hausärzte winken jedoch ab. „Eingeschränkt ist man sowieso, daran ändert der Barmer-Vertrag nichts“, sagt Fass- hauer. „Wir sind nicht sparsam mit Wirkstoffen, sondern nur mit Ori- ginalpräparaten“, betont Kytzia- Kubesch. Buchalik ergänzt, dass sie manchmal anders oder mehr ver- schreibe, aber wirtschaftlicher, seit sie sich in den Qualitätszirkeln selbstkritisch mit ihrem Verord- nungsverhalten auseinandersetze.

Höhere Arzneimittelausgaben anstelle von Einsparungen Mehl wiederum stellt klar, dass sich die Hoffnungen der Krankenkassen auf 15- oder 20-prozentige Ein- sparungen im Arzneimittelbereich nicht erfüllt hätten. Vor allem 45- bis 70-Jährige schrieben sich ein, sagt er. Gerade bei den jüngeren Patienten diagnostizieren Hausärzte dann bislang unentdeckte Erkrankun- gen, beispielsweise Bluthochdruck, Asthma, Allergien. „Sehr konse- quent“ werden nach seinen Worten im Rahmen der Hausarztprogram- me auch chronisch Kranke einge- stellt.

Nur: „Das hat auch gewisse Pro- bleme bei den Arzneimitteln berei- tet. Im ersten Jahr waren höhere Verordnungen im generischen Be- reich zu verzeichnen als bei Patien- ten, die nicht im Barmer-Vertrag eingeschrieben sind.“ Für Mehl ist das allerdings ein Beweis dafür, dass die Versorgung in Hausarztpro- grammen qualitativ hochwertig ist:

„Die Ärzte haben zwar preiswert verordnet, aber mehr.“

Darüber hinaus, betont Mehl, sei das Preisniveau auf dem Generika- markt heute schon so niedrig, dass man über Hausarztverträge in die- sem Bereich keine großen Ein- sparungen mehr erzielen könne. Das hält weder seinen Verband noch Krankenkassen davon ab, dem ein Sofort gestartet:

Dr. med. Kathrin Kyt- zia-Kubesch und ih- re Praxismitarbeite- rin Christina Hein mit ihren Patienten Mar- garete und Ottomar Dorn, die sich beide im Barmer-Haus- arztvertrag einge- schrieben haben.

ZUFRIEDEN – MIT UND OHNE

„Verkürzen Sie Ihre Wartezeiten beim Arzt! Erhalten Sie schneller einen Facharzttermin! Sparen Sie Praxisgebühr!“

Mit diesen Worten wirbt die „IKK gesund plus“ auf ihrer Homepage für ihr Hausarztprogramm in Sachsen-Anhalt.

Es wird seit 1. Juli 2004 angeboten und war das erste landesweite Hausarztprogramm in Deutschland.

In Sachsen-Anhalt sind bei der IKK gesund plus derzeit 250 000 Menschen versichert, 80 000 sind im Hausarzt- programm eingeschrieben. Ende Juni präsentierte die Kas- se Ergebnisse einer repräsentativen Studie zur Patienten- zufriedenheit. Betrachtet man die Antworten zu Termin- erhalt, Wartezeiten oder Hilfestellung bei Facharztterminen, so unterscheiden sich Antworten der Versicherten im Hausarztprogramm kaum von denen der Kontrollgruppe.

Insgesamt ist die Zufriedenheit bei allen hoch.

Allerdings glauben 40 Prozent der Versicherten im Pro- gramm, dass ihr Hausarzt „sehr gut“ über ihren Gesund- heitszustand informiert ist, während es in der Kontrollgrup- pe nur 20 Prozent sind. In beiden Gruppen halten aber rund 50 Prozent sein Wissen für „gut“, ebenso viele seinen Informationsstand über Facharztbefunde. Diesen bewerten 34 Prozent der Versicherten im Programm als „sehr gut“, während es in der Kontrollgruppe 22 Prozent sind.

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oder anderen Arzt Druck zu ma- chen. So heißt es in einem Brief, den Repräsentanten von Barmer und BDA gemeinsam unterzeichnet ha- ben: „Sie haben sich verpflichtet, durch wirtschaftliches Arzneiver- ordnungsverhalten an der Refinan- zierung des Vertrags mitzuwirken.

Leider zeigen die Verordnungsdaten eine solche Entwicklung noch nicht in gewünschtem Umfang . . . In der Anlage finden Sie zwei wirkstoff- bezogene Aufstellungen zu Ihrer In-

formation. Darüber hinaus erhalten Sie über die Barmer ein praxisbezo- genes Arzneiverordnungsprofil, in dem . . . gezielte Einsparmöglich- keiten ausgewiesen werden.“

Sehr genau verfolgt die Barmer zudem, in welchem Umfang Haus- ärzte Patienten in Chronikerpro- gramme einschreiben. Denn für jeden eingeschriebenen Patienten erhält die Kasse eine Ausgleichszahlung aus dem Risikostrukturausgleich in Höhe von mehreren Tausend Euro.

Die Quoten seien zufriedenstellend, sagt Mehl, es gebe allerdings große regionale Unterschiede. Details will er mit Rücksicht auf die Vertrags- partner nicht nennen. Barmer-Vor- stand Fischer nennt einen Anteil von rund 30 Prozent.

Auch da belegen Briefe an Hausärzte jedoch, dass Druck auf- gebaut wird. „Bislang konnte die Barmer bei Ihnen keine aktive Teil- nahme am DMP feststellen“, heißt es in einem Schreiben, das die HÄVG verschickt hat. „Wir bitten Sie deshalb so höflich wie dringend, Ihre DMP-fähigen Patienten . . . einzuschreiben. Die Barmer wird

Ihnen gerne auf Nachfrage eine Liste Ihrer möglichen DMP-Teil- nehmer zukommen lassen.“

Ebenso bietet die AOK für ihr DMP, den AOK-Curaplan Koronare Herzkrankheiten, Hilfe an: „Wir bie- ten Ihnen eine Ihrer Praxis zugeord- nete Liste mit Patientennamen an, bei denen wir annehmen, dass diese von der Teilnahme am AOK-Cura- plan KHK profitieren würden“, heißt es. Die AOK könne darüber hinaus zu einschreibeunwilligen Pa- tienten direkt Kontakt aufzuneh- men; der Arzt solle einfach die be- treffenden Namen angeben. Zur Belohnung gibt es mehr Geld: „Bis 30. Juni erhalten Sie noch zusätzlich zehn Euro auf jede plausible Erst- dokumentation.“

Vielen Ärzten geht das zu weit.

Sie beschweren sich nicht offiziell, aber solche Briefe sind Thema bei Ärztestammtischen. Fasshauer zum Beispiel hält besonders die Chroni- kerprogramme mit ihren Normie- rungen für „eine Medizin, wie sie sich Lieschen Müller so vorstellt“.

Benkwitz findet, dass sie ihre Pati- enten, die nun in ein DMP ein-

KVEN UND VERBÄNDE LEGEN STREIT VORERST BEI

Der Kampf um die politische Deutungs- hoheit der Textpassage entbrannte, bevor der Bundestag das GKV-Wettbewerbsstärkungsge- setz (GKV-WSG) verabschiedete. Statt klar die Möglichkeiten und Grenzen der Kassenärztli- chen Vereinigungen im Vertragsgeschäft um die hausarztzentrierte Versorgung zu benennen, beließ es der Gesetzgeber bei einer vagen Formulierung. So ist nach dem GKV-WSG eine Beteiligung der KVen an Hausarztprogrammen nur unter der Bedingung möglich, dass Gemeinschaften vertragsärztlicher Leistungserbringer, die an der hausärztlichen Versorgung teilneh- men, sie hierzu ermächtigen. Was genau unter solchen Gemeinschaften zu verstehen ist und wie die Mandatierung ablaufen soll, blieb offen. Die Folge war ein Streit zwischen dem Deutschen Hausärzteverband (BDA) bezie- hungsweise dessen Landesverbänden und den vertragsärztlichen Körperschaften darüber, wer entsprechende Verhandlungen mit den Kassen führen darf. Am lautesten krachte es in Nord- rhein, wo sich die KV mithilfe einer Faxumfrage unter den Hausärzten die Ermächtigung für

Vertragsverhandlungen mit den Kassen einhol- te. Der Hausärzteverband bezweifelte die Legi- timität dieses Vorgehens.

„Wir plädieren für eine vernünftige Koopera- tion auf Augenhöhe“, sagte BDA-Hauptge-

schäftsführer Eberhard Mehl. Doch müsse man den Eindruck gewinnen, dass die KVen nicht mit den Hausärzten kooperieren wollten. Zumindest haben sich die Wogen allmählich geglättet – nicht nur in Nordrhein, wo sich KV und Hausärz- te zusammengerauft haben und nun gemein- sam mit den Krankenkassen über dreiseitige Hausarztverträge verhandeln. Nach einer Um- frage des Deutschen Ärzteblattes haben sich nahezu alle KVen von den Hausärzten Mandate

für Vertragsverhandlungen geben lassen. So haben sich bei der KV Thüringen sowie in Schleswig-Holstein knapp 80 Prozent der Hausärzte für Vertragsverhandlungen durch die KV ausgesprochen. Während in Bayern sowohl

Hausärzteverband als auch KV die Zustän- digkeit für das Vertragsgeschäft für sich re- klamieren, verfügt die KV Westfalen-Lippe über kein Verhandlungsmandat. Dort ha- ben sich aber Körperschaft, Hausärztever- band und andere Berufsverbände zu einer Interessengemeinschaft zusammenge- schlossen. „Dadurch wird es in Westfalen- Lippe keine Zersplitterung der Patienten- versorgung durch zahlreiche unterschiedli- che Hausarztverträge geben“, begründete KV- Chef Dr. med. Ulrich Thamer das Vorgehen.

Stören wird den vorläufigen Schulterschluss von KVen und Verbänden wohl auch nicht ein Gesetzentwurf, den Bayern am 21. September in den Bundesrat einbringen will. Die Initiative sieht vor, dass nur noch Hausärzte alleinige Vertragspartner der Krankenkassen sein dür- fen. Der Vorstoß gilt als nicht mehrheitsfähig in der Länderkammer.

„Sich zu einem Hausarzt zu beken- nen, das ist die Idee“.

Monika Buchalik hat gute Erfahrungen mit den Verträgen ge-

macht. Fotos:Kay-Uwe Ripke

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A2472 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007 geschrieben sind, vorher nicht

schlechter behandelt hat. Für die Chronikerprogramme erwärmen sich ihrer Erfahrung nach am ehesten die Patienten, „die sowieso ein gewis- ses Gesundheitsbewusstsein ha- ben“. Die, die träge sind und nicht wirklich anders leben möchten, wollen sich auch nicht einschreiben:

„Sie sind geradezu erleichtert, dass sie das nicht müssen und sich für sie nichts ändert.“

Positive Effekte für Ärzte und Patienten

Positiver bewerten Kytzia-Kubesch und Buchalik die Chronikerpro- gramme – nach anfänglichem Da- tenchaos. Ihre Mitarbeiterinnen ha- ben die Verwaltung nun im Griff, sodass sich die beiden Ärztinnen auf medizinische Aspekte konzentrie- ren können. „Es läuft mittlerweile, und man kann den Patienten DMP gut erklären“, findet Buchalik. „Ich erläutere, dass chronisch kranke Pa- tienten eben teuer für die Kasse sind und es deshalb in Ordnung ist, wenn sie dafür aus einem Ausgleichstopf Geld bekommt.“

Kytzia-Kubesch findet: „Patien- ten sind im DMP auf Dauer besser

versorgt, weil sie besser geführt werden. Gerade die Langzeitbetreu- ung von chronisch Kranken benötigt eine strukturierte Verlaufskontrolle.“

Ob die erzwungene Fortbildung im Rahmen der Hausarztverträge nutzt, wird unterschiedlich bewer- tet. „Zwangsfortbildung ist öde und ärgert einen“, sagt Fasshauer. „Man ist doch nicht Ärztin geworden, weil einen die Medizin nicht interes- siert.“ „Das geht für mich in die nor- male Fortbildung ein“, sagt Benk- witz. Allenfalls schaue sie etwas ge- zielter, ob sie mit ihren Fortbil- dungsthemen auch die Pflichten nach dem Barmer Hausarztvertrag abdeckt. Bislang, berichten einige Ärzte, habe nur die KV nachgehakt, ob die vorgeschriebene Fortbildung absolviert wurde. Die Barmer ist of- fenbar großzügiger – notgedrungen, wie Mehl zu erkennen gibt.

Da, wo mehrere Hausarztverträ- ge abgeschlossen wurden, erkennen die einzelnen Vertragspartner nicht ohne Weiteres gegenseitig die abge- leisteten hausärztlichen Fortbildun- gen an, vor allem dann nicht, wenn ein Vertrag ohne die KV und ein anderer mit ihrer Beteiligung ge- schlossen wurde. Offenbar wollen

BDA und HÄV die Hausärzte dann aber nicht durch zu strenge Kontrol- len verärgern. Hinzu kommt, dass es zwischen dem internen Erfassungs- system der HÄVG und den Fortbil- dungskonten von Ärzten bei ihrer jeweiligen Kammer keinen Ab- gleich gibt. „Wenn die Ärzte ange- ben, dass sie sich bei ihrer Kammer bereits fortgebildet haben, akzep- tiert das die HÄVG ohne weitere Kontrollen“, sagt Mehl.

Sein Fazit ist dennoch positiv:

„Mit dem Barmer-Vertrag haben wir demonstriert, dass wir flächen- deckend ohne die KV Verträge per- fekt abwickeln können“, sagt Mehl.

„Das war eine Leistung, die man uns nicht zugetraut hat, und es ist der größte Erfolg, den wir haben.“ Ein weiterer sei die hohe Akzeptanz die- ser Vertragsform in der Bevölke- rung. Noch etwas freut Mehl: „Wir sind die Einzigen, die es geschafft haben, gleiche Leistungen auch gleich zu vergüten, in Bayern wie in Mecklenburg-Vorpommern.“

Nach seinen Worten profitieren die Hausärzte mittlerweile finan- ziell von den Hausarztverträgen.

Mehl schätzt, dass eine Praxis im Durchschnitt 11 000 bis 12 000 Eu- ro zusätzliches Honorar pro Jahr er- zielen könne. Das höchste zusätzli- che Honorar erwirtschaftete bislang eine Praxis mit zweieinhalb Arzt- stellen: 92 000 Euro. Aber die Zu- satzhonorare fielen je nach Praxis- ausrichtung, Patientenzusammen- setzung und dem Angebot an Haus- arztverträgen vor Ort sehr unter- schiedlich aus, schränkt er ein.

Kytzia-Kubesch findet das zu- sätzliche Honorar erfreulich, aber auch notwendig: „Man muss ein tol- les EDV-Equipment haben und sich stets um Updates kümmern, sonst kann man die Hausarztverträge und die DMP gar nicht bewältigen.“

Ausreichend findet sie die Zusatz- honorierung noch nicht: „Das Wich- tigste sind für uns gute Mitarbeite- rinnen. Nur wenn sie die ganze Bürokratie im Griff haben, kann ich mich auf die medizinischen Fragen konzentrieren. Doch ihre Tarifge- hälter sind angesichts dessen, was sie heute leisten und wie sie sich en- gagieren müssen, ein Witz.“ I Sabine Rieser, Samir Rabbata Der Nutzen von Hausarztprogrammen sei in

Deutschland bislang nur unzureichend erforscht, sagt Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Wasem von der Univer- sität Duisburg-Essen. Internationale Studien hätten gezeigt, dass zwar Zugangskontrollen bei Kranken- hauseinweisungen die Gesamtausgaben senkten, die Kontrolle des Zugangs zu den Fachärzten jedoch nur bei den ambulanten Ausgaben einen kosten- dämpfenden Effekt hätten, nicht bei den Gesamt- ausgaben. Der Anteil öffentlicher Gesundheitsaus- gaben und die Höhe des Bruttoinlandsprodukts wirkten eindeutiger auf das Niveau der Gesundheits- ausgaben. Auch die Hypothese, dass Hausarztpro-

gramme die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbesserten, lasse sich empirisch nicht belegen. Die Konsultationszeit in Ländern mit Hausarztmodellen sei sogar kürzer als in Ländern ohne solche Programme.

Zudem warnt Wasem davor, die Hausärzte durch die hohen Anforderungen, die die Programme an sie stellen, zu überfordern: „Uns muss klar sein, dass die Hausärzte für die komplexen Aufgaben als ,Gatekeeper‘ und ,Lotsen‘ im Gesund- heitswesen überhaupt nicht ausgebildet sind.“ Primärarztsysteme wie das in den Niederlanden seien über Jahrzehnte gewachsen. „In Deutschland müssen die Ärzte erst einmal gründlich auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden. Das kann Jahre dauern“, so Wasem.

Prof. Dr. Jürgen Wasem

Foto:Daniel Rühmkorf

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