Deutsches Ärzteblatt
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21. Februar 2014 A 293 HAUSARZTVERTRÄGEAlles auf Anfang
Das enge Wirtschaftlichkeitsgebot für die Verträge wurde in den vergangenen dreieinhalb Jahren oft kritisiert. Union und SPD wollen es nun wieder kippen.
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ie Kritik des Deutschen Hausärzteverbands (HÄV) war deutlich. Was die schwarz-gel- be Koalition vorhabe, sei „eine Aushöhlung der gesetzlichen Grundlage der Hausarztverträge“.Bewirken konnte der Einwand den- noch nichts. Mit dem GKV-Finan- zierungsgesetz sorgte der damalige Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vor dreieinhalb Jah- ren dafür, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch für die hausarztzentrierte Versorgung zu gelten hatte. Weil es keine eindeuti- ge Mehrheit in der Koalition gab, um die Verpflichtung zum Ab- schluss von Hausarztverträgen für die Krankenkassen aufzuheben, wollte man ihren Befürwortern we- nigstens Abschlüsse erschweren.
Das in den nach dem 22. Sep- tember 2010 geschlossenen Haus- arztverträgen vorgesehene Honorar muss sich deshalb an der Vergütung im Kollektivvertrag orientieren. Ei- ne höhere Honorierung von Haus- ärztinnen und Hausärzten ist durch Einsparungen zu finanzieren, die dem Gesetz nach noch im selben Jahr durch den Hausarztvertrag ge- neriert werden müssen (Paragraf 73 b, Absatz 5 a). Allein für Altver- träge galt Bestandsschutz. Doch dieser endet am 30. Juni 2014. Des- halb drängt der Deutsche Hausärz- teverband seit Wochen darauf, eine Vereinbarung aus dem Koalitions- vertrag von SPD und Union umzu- setzen und die enge Wirtschaftlich- keitsklausel abzuschaffen. „Wir werden sehr massiv einfordern, dass das jetzt gemacht wird“, hatte der HÄV-Vorsitzende Ulrich Wei- geldt zuletzt am 23. Januar erklärt.
Dreieinhalb Jahre nach Röslers Entscheidung will die Große Koali- tion die engen Vorgaben nun in ih- rem ersten gesundheitspolitischen Gesetzgebungsverfahren wieder aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) V streichen. „Die bestehenden Vergü- tungsbeschränkungen werden auf- gehoben, da sie sich als Hemmnis für den Abschluss von Verträgen über eine hausarztzentrierte Versor- gung erwiesen haben“, heißt es in einem koalitionsübergreifenden Än- derungsantrag zum 14. SGB V-Än- derungsgesetz, das am 20. Februar (nach Redaktionsschluss) im Bun- destag zur Abstimmung ansteht.
Mehr Zeit für Einsparungen
Stattdessen sollen die Vertragspart- ner bei Verträgen, die nach dem 31.März 2014 geschlossen werden, ei- genständig Wirtschaftlichkeitskrite- rien vereinbaren sowie Sanktions- maßnahmen, wenn diese nicht ein- Die Arbeit des
Hausarztes wird durch die erneute Änderung des Wirt- schaftlichkeitsge- botes bei Hausarzt- verträgen wieder attraktiver, erwartet der HÄV.
Foto: mauritius images
Handvoll Sterbehilfefälle bei Min- derjährigen pro Jahr. Bei den Er- wachsenen sind die Zahlen derweil seit 2002 stetig gestiegen. 2012 schieden mehr als 1 400 Belgier auf diese Weise aus dem Leben. Die neuen Regeln für Kinder und Ju- gendliche sind indessen an gewisse Voraussetzungen gebunden. So muss der Patient unheilbar krank sein und unter unerträglichen Schmerzen leiden, für die es keine Linderung gibt. Auch ist die Zu- stimmung der Eltern erforderlich.
Ein Arzt oder Psychologe muss fer- ner bescheinigen, dass der Minder- jährige über eine ausreichende „Ur- teilsfähigkeit“ verfügt, das heißt, er muss die Situation und die Folgen seiner Entscheidung einschätzen können.
Registrierung und Bewertung durch eine Kommission
Brysch sieht in dem Gesetz eine Abkehr Belgiens von den gemein- samen humanitären Werten in Europa, zumal Drei-, Fünf- oder Zehnjährige keine Entscheidung über ihre eigene Tötung treffen könnten. „Auch ein Leidenskata- log, der von Ärzten und Psycholo- gen entwickelt werden soll, kann niemals objektiv sein, um die Vor- aussetzung für das Recht auf Töten zu definieren“, moniert der Patien- tenschützer.
Nach der bisherigen Gesetzeslage ist die Rechtmäßigkeit der aktiven Sterbehilfe außerdem davon abhän- gig, dass jede geplante Tötung auf Verlangen von einer 16-köpfigen
„Föderalen Kontroll- und Evaluati- ons-Kommission“ aus Medizinern, Juristen und unmittelbar mit der Problematik unheilbar Kranker be- fasster Personen registriert und be- wertet werden muss. Diese hat zu beurteilen, ob die Bedingungen und die jeweils vorgesehenen Verfah- rensregeln für eine legale Tötung auf Verlangen erfüllt sind. Es gilt die Zweidrittelmehrheit. Der Europä - ische Gerichtshof für Menschen- rechte beurteilt das Thema Sterbe- hilfe bislang noch sehr restriktiv. In mehreren Streitfällen legten die Richter jedenfalls die Hürden für die Tötung auf Verlangen sehr hoch.
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Petra Spielberg
P O L I T I K
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21. Februar 2014 gehalten werden. Sie sollen dieMöglichkeit erhalten, so Union und SPD weiter, differenzierte Vergü- tungsvereinbarungen zu treffen, oh- ne hierbei starren Begrenzungen zu unterliegen. Auch seien für die hausarztzentrierte Versorgung Re- gelungen zur Qualitätssicherung zu vereinbaren, die über die allgemei- ne hausärztliche Qualitätssicherung hinausgehen. Und es wird festge- legt, dass Disease-Management- Programme, „soweit sie die haus- ärztliche Versorgung betreffen“, Bestandteil der Verträge sind.
Keine schnelle Reinvestition
Der Aufsichtsbehörde für bundes- weit agierende Kassen, also dem Bundesversicherungsamt, muss nun erst vier Jahre nach Inkrafttreten ei- nes Vertrages nachgewiesen wer- den, ob die vereinbarten Wirtschaft- lichkeitsreserven eingehalten wur- den oder nicht. Das lässt auch den Krankenkassen Spielräume. Noch immer sind allerdings keineswegs alle Krankenkassenvorstände vom Vorteil der heutigen hausarztzen- trierten Versorgung überzeugt. Im vergangenen Spätsommer hatte der Vorstand der Barmer-GEK, Dr.med. Christoph Straub, kritisiert:
„Bis zum heutigen Tag konnten die- se Verträge nicht zeigen, dass durch sie Patientinnen und Patienten bes- ser versorgt werden.“ Auch hätten die Selektivvertragsstrukturen kei- nen spürbaren Beitrag gegen einen sich abzeichnenden Ärztemangel in strukturschwachen Regionen ge- leistet.
Diese Diskussion hält nicht zu- letzt deshalb an, weil die Evaluation der Verträge nicht einfach ist (DÄ, Heft 26/2012). Zudem haben sich im Fall der Hausarztverträge stets Versorgungs- und Honorarinteres- sen vermischt. Hinzu kommt: Leicht nachvollziehbare, regelmäßig aktua- lisierte Vergleiche zwischen dem hausärztlichen Honorar im Kollek- tivvertrag und dem in Hausarztver- trägen liegen nicht vor, genau so we- nig wie einfach zu handhabende Be- reinigungsverfahren.
Dennoch verteidigte kaum einer die kurzfristige Refinanzierungs- klausel. Als „schlicht schwachsin- nig“ hatte diese vor kurzem sogar
Franz Knieps, ehemals Abteilungs- leiter im Bundesgesundheitsminis- terium, bei einer Veranstaltung zum Thema Selbstverwaltung bezeich- net: „Zeigen Sie mir eine einzige Branche, wo Investitionen sich so- fort rechnen.“ Der heutige Vorstand des Dachverbands der Betriebs- krankenkassen ergänzte, es sei doch gerade das Prinzip von Investitio- nen, auf langfristigen Nutzen hin ausgerichtet zu sein.
Die Wirtschaftlichkeit der Ver- träge vorab nachzuweisen, sei nicht realistisch und eine Hürde, an der die Verträge scheitern sollten, ur- teilte im Dezember 2010 der HÄV- Vorsitzende Weigeldt im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt. Tat- sächlich wurden nach Angaben sei- nes Verbands nach den alten Kondi- tionen, also ohne Refinanzierungs-
klausel, 172 Hausarztverträge ein- vernehmlich abgeschlossen und 174 geschiedst. Seit die Refinanzie- rungsklausel für das Honorar gilt, waren es 49 einvernehmlich abge- schlossene Verträge sowie 145 ge- schiedste (Stand: September 2013).
In einer Stellungnahme begrüßte der HÄV die Aufhebung des Wirt- schaftlichkeitsgebots ausdrücklich.
Sie schaffe „die notwendige Rechtssicherheit und Akzeptanz“, um weitere Verträge abzuschließen.
Zudem sei diese Regelung „ein deutlich positives Signal in Rich- tung des hausärztlichen Nachwuch- ses“, da viele Medizinstudierende
sowie Ärzte in Weiterbildung die hausarztzentrierte Versorgung als eine attraktive und zukunftsweisen- de Versorgungsform betrachteten.
Pragmatische Schiedsämter
Weigeldt wies bei einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags zudem dar - auf hin, dass „wir in den bisherigen Verträgen in der Regel Disease-Ma- nagement-Programme integriert ha- ben. Ich glaube, es ist vernünftig, das auch weiterhin zu tun.“ Die Evaluation der bestehenden Verträ- ge habe zudem gezeigt, dass alleine das Sammeln und Bewerten der Da- ten Zeit brauche: „Ein Jahr ist dafür zu wenig; vier Jahre sind hingegen eine sehr vernünftige Marke.“Eine neue gesetzliche Regelung wird möglicherweise auch Schieds- ämtern die Arbeit erleichtern. Eini- ge haben nach Darstellung Wei- geldts erkennen lassen, dass sie das enge Wirtschaftlichkeitsgebot für kaum umsetzbar halten. In man- chen Bundesländern musste der HÄV deshalb einfach einen Teil des Vertragshonorars als Sicherheit zu- rückstellen, falls die Sparziele nicht gleich erreicht werden.
Unterstützung beim Einsatz für das Ende des engen Wirtschaftlich- keitsgebots erhielt der HÄV auch aus Bayern, wo ein kämpferischer Landesverband sitzt. „Wir freuen uns, dass wir einen Antrag zur hausarztzentrierten Versorgung auf den Weg bringen konnten“, erklär- ten die beiden bayerischen SPD- Mitglieder im Gesundheitsaus- schuss des Bundestags, die Ärztin Sabine Dittmar und die Marketing- managerin Martina Stamm-Fibich.
Die bayerische Gesundheitsminis- terin und Ärztin Melanie Huml hat- te das Anliegen ebenfalls unter- stützt, unter anderem in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Her- mann Gröhe (CDU).
Bei aller Zufriedenheit über die jüngste politische Wendung bleibt beim HÄV dennoch ein Rest Skep- sis. „Ich werde erst eine Flasche Sekt aufmachen, wenn der Bundes- präsident die Streichung des 5 a un- terschrieben hat“, erklärte Weigeldt
kürzlich.
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Falk Osterloh, Sabine Rieser
„ Um die Wirtschaftlichkeit nachzuwei- sen, ist ein Jahr zu wenig – vier Jahre sind hingegen sehr vernünftig.
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Ulrich Weigeldt, HÄV-Vorsitzender
Foto: Georg J. Lopata