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ie Patienten sollen mehr Rechte erhalten und stärker an den Ent- scheidungsprozessen im Gesund- heitswesen beteiligt werden. Dieses Ziel der Bundesregierung ist bereits im Koalitionsvertrag von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen verankert. Doch in dieser Legislaturperiode werde es nicht mehr zu einem Patientenschutzgesetz kommen, sagte die gesundheitspoliti- sche Sprecherin der SPD-Bundestags- fraktion, Regina Schmid-Zadel, bei ei- nem Symposium der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Königs- winter. Vor allem rechtliche Probleme stünden einem zügigen Gesetzgebungs- verfahren im Weg.Kollektive Patientenrechte
Der Bundesregierung geht es weniger um die Stärkung der individuellen Pati- entenrechte. Davon gibt es bereits sehr viele – auch im Sozialgesetzbuch V. Ge- regelt werden soll vielmehr die kollekti- ve Mitwirkung der Patienten, und ge- nau da liegen die Probleme.
„Die Rolle des Patienten ist in einem Umbruch begriffen“, sagte Dr. Edwin Smigielski, Abteilungsleiter Kranken- versicherung im Bundesministerium für Gesundheit. „Mehr und mehr Men- schen nehmen eine kritische Haltung ge- genüber einem Gesundheitswesen ein, bei dem sich manche lediglich als Ob- jekt einer staatlichen Fürsorge sehen.“
Dass auch die Ärzte ihr Verhältnis zum Patienten anders erleben, bestätig- ten sowohl der KBV-Vorsitzende Dr.
med. Manfred Richter-Reichhelm als auch die Vize-Präsidentin der Bundes- ärztekammer, Dr. med. Ursula Auers- wald: Den oft zitierten „Halbgott in Weiß“ gebe es nicht mehr, stattdessen rücke zunehmend eine von gegenseiti-
gem Respekt getragene Partnerschaft zwischen Arzt und Patient in den Vor- dergrund. Die Patienten seien besser informiert und verstünden sich in größe- rer Zahl nicht mehr nur als „Behandel- te“, sondern als „Mithandelnde“.
Schon vor diesem Hintergrund zei- gen sich die Vertreter der ärztlichen Standesorganisationen aufgeschlossen gegenüber dem Wunsch der Politik, die Patientenbeteiligung insgesamt zu stär- ken. Weitgehend einig ist man sich in der Einschätzung der Beteiligung der Patienten bei Verfahren (Anhörungen, Stellungnahmen und Umfragen) und bei Beratungen. Konsens besteht fer- ner in der Forderung nach mehr Trans- parenz im Gesundheitswesen. Schwie- rig wird es hingegen bei der Frage, ob und inwieweit die Patienten an den Entscheidungen beteiligt werden kön- nen.
In Königswinter stand in diesem Zu- sammenhang wiederholt der Bundes- ausschuss der Ärzte und Krankenkassen in der Diskussion. Dieses Gremium ent- scheidet unter anderem darüber, welche Untersuchungs- und Behandlungsme- thoden in der Gesetzlichen Krankenver- sicherung zulässig sind. Richter-Reich- helm glaubt nicht, dass eine „dritte Bank“ für die Patienten (neben Ärzten und Krankenkassen) im Bundesaus- schuss möglich ist. Juristen argumentie- ren, dass sich dies nicht mit dem Kollek- tivvertragssystem zwischen Krankenkas- sen und KVen vereinbaren lässt.
Doch unabhängig von den rechtli- chen Konstruktionen der entscheiden- den Gremien stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Legitimation der Patien- tenvertreter. Rechte Dritter, sagen wie- derum die Juristen, könnten nur dann wahrgenommen werden, wenn die Ver- tretungen über eine ausreichende demo- kratische Legitimierung verfügten.
So wies Richter-Reichhelm darauf hin, dass Selbsthilfegruppen in der Regel jeweils nur die Belange ihrer Mitglieder vertreten, das heißt, ihre Interessen und Kompetenzen sind auf ein Krankheitsbild beschränkt. Selbst- hilfegruppen können aber fundierte Stellungnahmen abgeben und beispiels- weise an der Erarbeitung von Leit- linien mitwirken. Auf diesem Weg ist die Bundesärztekammer mit ihrem Pa- tientenforum bereits ein gutes Stück vorangekommen, wie Ursula Auers- wald berichtete. So sei die Beteiligung der Patientenvertretungen an der Er- arbeitung von verständlichen Patien- teninformationen durch die Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung bislang sehr erfolgversprechend verlaufen. Bei der KBV gibt es daneben seit zwei Jahren eine Koordinierungsstelle für Selbsthilfeorganisationen, die Versor- gungsprobleme aufdecken und beseiti- gen soll.
Aktiv bei Disease-Management
Richter-Reichhelm sieht aktuell in der Erarbeitung von Disease-Manage- ment-Programmen eine Mitwirkungs- möglichkeit für Patientenvertretungen.
Der KBV-Vorsitzende warnte in Kö- nigswinter erneut davor, die Ausgestal- tung der Programme für chronisch Kranke allein den Krankenkassen zu überlassen: „Die Gefahr liegt auf der Hand, dass die ökonomischen Interes- sen dabei die medizinischen überwie- gen.“ Mehr noch als bei der Ausgestal- tung des Disease-Managements seien die Patientenvertretungen jedoch bei dessen Umsetzung gefordert. „Die Pa- tientenorganisationen können über ih- re Begleitung psychisch stabilisierend auf den Kranken einwirken, sie können P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 45½½½½9. November 2001 AA2917
Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen
Freiwillige Annäherung
Ein Patientenschutzgesetz wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen.
Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung wollen
stattdessen gemeinsam mit Patientenvertretungen Fortschritte erzielen.
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in Krankenhausplanungsgutachten ist wie ein Laternenpfahl für den Betrunkenen. Es dient nicht zur Er- leuchtung, sondern nur zum Festhal- ten.“ So urteilte der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Schles- wig-Holstein, Bernd Krämer, Kiel, bei einem Expertenforum anlässlich der Biersdorfer Krankenhausgespräche im September in Biersdorf/Eifel über den Aussage- und praktischen Umsetzungs- wert oftmals hoch dotierter Gutachten, die zur Krankenhausbedarfsplanung von interessierter Seite „bestellt“ wur- den. Oftmals sind die herangezogenen Planungs- und Prognosekriterien ein- dimensional, zum Teil basieren sie auf überholten Statistiken und beinhal- ten eine Leistungsplanung oh-ne jeden Kapazitätsbezug. Der traditionelle Ansatz der Kran- kenhausplanung nach der so genannten Hill-Burton-Formel*
mit gängigen Indikatoren, wie etwa der Einwohnerzahl, der Krankenhaushäufigkeit, der Liegedauer und der Bettennut- zung als einzige Richtschnur zur Bemessung des Bettenbe- darfs, scheint inzwischen „out“
zu sein. Vielmehr ist die Kran- kenhausbedarfsplanung auf Länderebene nur bedarfsge- recht, wenn sie differenziert ist
und sich an den Leistungen der Plan- krankenhäuser orientiert. So auch das Bekenntnis des Präsidenten der Kran- kenhausgesellschaft Nordrhein-West- falen, Dr. rer. pol. Rudolf Kösters, Mün- ster, und der ehemaligen Gesundheits- senatorin von Berlin, Beate Hübner
(CDU), über zum Teil irreale und längst überholte Bedarfs- und Kapa- zitätsanpassungsprognosen.
In Biersdorf wurde vor 200 Klinik- managern berichtet: Die von einigen Bundesländern, etwa in Nordrhein-West- falen, Berlin, in Schleswig-Holstein und Sachsen eingeholten Krankenhauspla- nungsgutachten haben zwar einen hef- tigen Streit zwischen den Parteien und einen hohen Beachtungswert in der Öffentlichkeit erzielt. Tragfähige Ent- scheidungen sind auf dieser Basis aber bisher kaum getroffen worden. Im Vor- feld der Bundestagswahl im kommen- den Jahr herrscht mancherorts hekti- scher Stillstand, Gutachten und Gegen- gutachten stehen sich gegenüber, so wie
beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo nach Ankündigung von Sozial- und Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) Ende dieses Jahres eine Vorent- scheidung über den Bettenabbau und eventuelle Schließungen von Kranken- häusern fallen soll.
Das von Dipl.-Math. Prof. Dr. rer. nat.
Hans Heinrich Rüschmann, dem Direk- tor der Gesellschaft für Systemberatung im Gesundheitswesen, Kiel, im Auftrag P O L I T I K
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A2918 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 45½½½½9. November 2001
Krankenhausbedarfsplanung
Kaum brauchbar für die Praxis
Harsche Kritik an den aktuellen Gutachten auf Länderebene.
Bedarfspläne werden revidiert.
Bernd Krämer
Beate Hübner
*Die Hill-Burton-Formel (analytische Bedarfsformel) be- misst die Zahl der bedarfsnotwendigen Betten in Abhän- gigkeit von Einwohnerzahl, Krankenhaushäufigkeit, Ver- weildauer und Auslastungsgrad.
Fotos: privat/Johannes Aevermann
die mitbetroffenen Angehörigen unter- stützen und durch ihre Arbeit der Ge- fahr der Ökonomisierung entgegenwir- ken.“
Dr. med. Leonhard Hansen, der Zweite Vorsitzende der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, stellte in Kö- nigswinter einen Aspekt der Patienten- beteiligung zur Diskussion, die der Poli- tik Anlass zur Nachdenklichkeit geben müsste. Er sagte: „Patientenorientie- rung muss in Zukunft auch heißen, Selbsthilfegruppen und legitimierte Pa- tientenvertreter stärker als bislang in die Diskussion über Chancen, Risiken und Kosten des medizinischen Fort- schritts, über die Folgen der demogra- phischen Entwicklung, über die Bud- getpolitik und die schleichende Ratio- nierung der Versorgung als direkte Fol- ge einzubeziehen.“
„Wir sind schon überreguliert“
Die Vertreter der Politik – neben Regi- na Schmid-Zadel waren Wolfgang Loh- mann (CDU) und Detlef Parr (FDP) nach Königswinter gekommen – konn- ten jedenfalls den Eindruck mitneh- men, dass es der Ärzteschaft ernst ist mit einer stärkeren Beteiligung der Pa- tienten an den Abläufen im Gesund- heitswesen. Ob dieser Eindruck dazu führt, dass die Bundesregierung auf ein Patientenschutzgesetz verzichtet, ist derzeit noch nicht absehbar. Christian Nachtigäller, Geschäftsführer der Bun- desarbeitsgemeinschaft Hilfe für Be- hinderte e.V., sähe das nicht so gern. Er plädierte in Königswinter für die Kodi- fizierung der an verschiedenen Stellen verankerten Patientenrechte in einem neuen Gesetz, das auch die kollektive Beteiligung regeln solle. Weder Regina Schmid-Zadel noch Wolfgang Loh- mann sprachen sich entschieden gegen die Weiterverfolgung einer derartigen Gesetzesinitiative aus. Dies tat lediglich Detlef Parr: „Wir sind ohnehin schon völlig überreguliert“, meinte der Libe- rale. „Die Interessen der Patienten müs- sen auch anders aufgenommen werden können.“ Wie genau, das könnten die ärztlichen Organisationen zeigen, wenn sie die begonnenen Aktivitäten mit Nachdruck und für die Öffentlichkeit erkennbar forcieren. Josef Maus