Abstimmung: Ja zu den Grundsatzaussagen des Eckpunktepapiers
POLITIK
nen „Minimalkonsens", so Nehls, vorgelegt hat, wurden die Vorschläge zu diesen Kapiteln zur weiteren Be- arbeitung an den Vorstand zurück- überwiesen. Einige Delegierte quit- tierten diese Entscheidung jedoch mit heftiger Kritik. Auch in diesen Punkten habe man sich endgültige Klarheit erhofft. Sichtlich verärgert umschrieb Dr. med. Eckhard Weis- ner die Situation mit den Worten:
„Die KBV kommt mir vor wie ein Schiff in Seenot, dessen Kapitän und Offiziere im Kasino sitzen und end- los debattieren."
Demgegenüber begrüßte der KBV-Vorsitzende die Chance zur weiteren Diskussion. Im Gegensatz zu den Autoren des Eckpunktepapie- res, die das Thema „Versicherungs- system" am liebsten allein der Politik überlassen wollen, halte er es für not- wendig, daß sich die Ärzte hier zu ei- genen Vorstellungen bekennen, sag- te Schorre den Delegierten. Ihm ge- he es vor allem darum, die Frage der Neugliederung des Versichertenkrei- ses zu überprüfen. Nach Schorres Auffassung sei im Versicherungswe- sen der Patient ein wichtiges Steue- rungselement, dem durchaus mehr Eigenverantwortung als bisher zuge- mutet werden könne. Aber auch der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sowie deren Fi- nanzierungsbasis sollen nach dem Willen des KBV-Vorsitzenden neu definiert werden.
„Ich bin fest davon überzeugt, daß wir den Mut finden müssen, der Politik ein System zukünftiger Ver- sorgung mit mehr sozial freiheitli- chen Elementen und Elementen von
KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG
Dr. Roderich Nehls: 34 Eckpunkte zur Weiterent- wicklung des Gesundheitswesens
Eigenverantwortung anzubieten und das Sachleistungssystem auf ein sinn- volles Maß zu reduzieren. Damit fän- de nach meiner Überzeugung der po- litische Zwang zur planwirtschaftli-
Die Situation der Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschland war eben- falls ein Thema der Vertreterver- sammlung. Dr. med. Winfried Schor- re wies in seinem Bericht zur Lage auf den Punktwertverfall in den neu- en Ländern hin. Bereits im II. Quar- tal 1993 sei der Ersatzkassenpunkt- wert von den vor- her vereinbarten 7,9 auf 7,2 Pfen- nige gesunken.
„Damit können die Kollegen in den neuen Bun- desländern nicht leben", stellte Schorre unter dem Beifall der Delegierten fest.
Die KBV und die Kassen- ärztlichen Verei- nigungen in Ost- deutschland hat-
chen Reglementierung keine Legiti- mationsbasis mehr", unterstrich Schorre seine Position.
Er habe seine Zweifel, so der KBV-Vorsitzende weiter, daß die GKV in ihrer jetzigen Form die An- forderungen an eine moderne Medi- zin der Zukunft meistern kann. Denn die verantwortlichen Politiker gingen bisher von der Prämisse aus: „Die Qualität muß bleiben, der Patient be- kommt alles, das Geld ist begrenzt, der Arzt muß es zu diesen Konditio- nen machen." Wohin das führe, er- lebten die Ärzte an den Auswirkun- gen des Gesundheitsstrukturgesetzes tagtäglich in ihrer Praxis.
Eindringlich warnte Schorre sei- ne Kollegen davor, Veränderungen im Gesundheitswesen gegen die Poli- tiker durchsetzen zu wollen. Eine Weiterentwicklung der ärztlichen Versorgung sei nur mit der Politik möglich. Petra Spielberg
ten versucht, das Bundesgesundheits- ministerium zum Einsatz für Nach- besserungen zu bewegen. Dabei ging es nach Schorres Erläuterung beson- ders um den Ausgangsbetrag für die Budgetierung. Als Grundlage des Honorarbudgets 1993 in den neuen Ländern wurde seinerzeit das ver- doppelte Vergütungsvolumen des 1.
Halbjahres 1992 plus einem Zuschlag von vier Prozent angesetzt. Diese Summe sollte 1993 und 1994 zusätz- lich zur Veränderung der Grund- lohnsumme um jeweils drei Prozent erhöht werden. Das Ministerium hat- te geschätzt, daß sich besagte Grund- lohnsumme im Laufe dieses Jahres um 9,5 Prozent erhöhen würde. Tat- sächlich waren es für die ersten drei Quartale 1993 schon 17,7 Prozent.
Schorre berichtete, daß das Mi- nisterium seine Empfehlung nun auf 13,5 Prozent aufgestockt habe. „Nach unseren Informationen sind aber die Kassen nicht bereit, dieser Empfeh-
Neue Bundesländer
Punktwertverfall
gefährdet Arztpraxen
A1 -3356 (20) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993
Auch zahlreiche Gäste verfolgten die zweitägigen Beratungen in den Kölner Satory-Sälen.
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lung zu folgen", bedauerte der KBV- Vorsitzende. Dies würde jedoch das Aus für manche Praxis bedeuten. Die Vertragspartner, appellierte Dr.
Schorre, sollten den Aufbau lei- stungsfähiger Praxen fördern und nicht die Motivation der Ärzte in den neuen Ländern durch Verweigerung einer vorgezogenen Anpassung an die Grundlohnentwicklung zerstören.
Der Punktwertverfall war auch Anlaß zu einem Antrag der Kassen- ärztlichen Vereinigung Mecklen- burg-Vorpommern. Sie forderte die Vertreterversammlung zu folgendem Beschluß auf: „Die KBV wird beauf- tragt, für den Ersatzkassenbereich unter allen 23 Kassenärztlichen Ver- einigungen der Bundesrepublik Deutschland ein Ausgleichsverfah- ren für die Zeit der Budgetierung zu entwickeln und durchzuführen."
Begründet wurde der Vorschlag damit, daß die besorgniserregende Entwicklung nicht in der Verantwor- tung der ostdeutschen Kollegen lie- ge. Sie sei verursacht durch eine sachlich begründete Steigerung der Leistungsmenge, eine außergewöhn- lich hohe Niederlassungsfrequenz so- wie eine Berechnung der Vergütung ohne Berücksichtigung der realen Grundlohnsummensteigerung.
In der anschließenden Diskussi- on begrüßten einige Delegierte die Initiative. Andere warnten jedoch vor den politischen Folgen einer sol- chen Lösung. So gab Dr. med. Jürgen Bausch, KV Hessen, zu bedenken, daß man mit solchen Vorschlägen ei- ne Auffassung der Politiker bestäti- ge: „Wenn die nur richtig verteilen, reicht das Geld ja." Dr. Wolf-Rüdi- ger Rudat, Vorsitzender der KV Thüringen, wehrte sich aus anderen Gründen gegen einen befürworten- den Beschluß: Er wolle sich nichts schenken lassen, sondern das Geld dort verlangen, von wo es kommen müsse, nämlich von den Krankenkas- sen. Die ostdeutschen Ärzte verlang- ten keine Almosen, sondern einen gerechten Ausgleich.
Auch Dr. jur. Rainer Hess, Hauptgeschäftsführer der KBV, riet von der Annahme des Antrags ab.
Eine derartige Forderung stehe im Widerspruch zu existierenden Ver- trägen. Außerdem gebe es keine Rechtsgrundlage für ein solches Vor-
KBV-VERTRETERVERSAMMLUNG
gehen. Die Mehrheit der Delegier- ten, die für das Anliegen grundsätz- lich Verständnis hatte, schloß sich schließlich dem Vorschlag an, den
Ambulantes Operieren
Der Gesetzgeber soll „die kata- strophale Honorarsituation beim am- bulanten Operieren umgehend ver- bessern", forderten die Delegierten der Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung im Dezember in Köln. In der Begrün- dung des von Dr. med. Klaus Ott- mann, KV Bayerns, eingebrachten Antrages heißt es: „Unzweifelhaft entlasten ambulante Operationslei- stungen direkt den stationären Sek- tor. Obwohl dies so ist, wird vom Ge- setzgeber keine Chancengleichheit hergestellt."
Hochinvestiver Bereich
Konsequenterweise müsse als Berechnungsgrundlage des Teilbud- gets „Ambulantes Operieren" wie im Krankenhausbereich das derzeitige Honorarvolumen von 1992 und nicht das von 1991 zugrundegelegt werden.
Allein von 1991 bis 1992 habe eine Leistungsvermehrung des ambulan- ten Operierens um 25 Prozent statt- gefunden. „In diesem Zeitraum be-
Antrag zur Bearbeitung an den Vor- stand zu überweisen. Nun muß die KBV entsprechende Möglichkeiten prüfen. Sabine Dauth
stand eine unlimitierte Einzellei- stungsvergütung in allen KV-Berei- chen. Im Gegensatz dazu wurde als limitiertes Budget nachträglich die Ausgangsbasis 1991 genommen", heißt es in der Antragsbegründung.
Nach Meinung des Ersten Vor- sitzenden der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, Dr. med. Winfried Schorre, genießen die Krankenhäu- ser eine bevorzugte Behandlung.
„Die vor- und nachstationäre Be- handlung, aber auch stationäre ope- rative Leistungen sind mit Vergü- tungssätzen versehen worden, von denen die Vertragsärzte nur träumen können," sagte Schorre in seinem Be- richt zur Lage. Der Punktwert im zweiten Quartal 1993 für das ambu- lante Operieren schwanke zur Zeit zwischen 6,5 und 10,5 Pfennigen. Das bedeute eine existentielle Bedrohung für einen hochinvestiven Bereich, so- fern die Kassenärztlichen Vereini- gungen nicht unterstützend eingrif- fen, sagte Schorre. Er bedauerte, daß ein Einlenken von seiten des Ministe- riums im Sinne einer Erhöhung des Teilbudgets nicht zu erwarten sei.
Gisela Klinkhammer
Existentielle Bedrohung
Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 50, 17. Dezember 1993 (21) A1-3357