Bonn muß EG-Partner von "Le Waldsterben"
wirklich überzeugen
Ein starkes Nord-Süd-Gefälle be- stehe in der europäischen Um- weltschutzpolitik, so der EG-Kom- missar Dr. Kari-Heinz Narjes vor der Europäischen Mittelstands- Union Anfang Dezember in Bonn.
in den romanischen Ländern ste- he man dem Umweltschutz eher skeptisch gegenüber, während die skandinavischen Länder und die Bundesrepublik, in denen die Schadensbilder stärker ausge- prägt sind, auf sofortige Gegen- maßnahmen dringen. Eine Mittel- stellung nehmen jedoch Großbri- tannien und Irland ein. Sie sind vom sofortigen Handeln nicht überzeugt, zumal die vorherr- schenden Westwinde sie von den schädlichen Abgasen befreien.
Für die europäischen Partner en- ge sich die Umweltdiskussion auf das Waldsterben ein, wie Narjes weiter berichtete. Schuld an die- sem verengten Blickwinkel sei die in der Bundesrepublik emotional heftig geführte Debatte, die die Partnerländer auf den verletzten
"deutschen Seelenhaushalt" zu- rückführen. Bezeichnenderweise werden neuere Fachausdrücke wie zum Beispiel "Le Waldster-
ben" dem Deutschen entlehnt.
Deshalb würden reine Appelle der Umweltschutzpolitik nichts nüt- zen. Vielmehr müsse, so Narjes, die Bundesrepublik mit harten Fakten, beispielsweise mit objek- tiven Informationen zur Übersäue- rung der Böden und Oberflächen- gewässer sowie zu Korrosions- schäden an h istarischen Gebäu- den, die europäischen Partner überzeugen, der Luftverschmut- zung Einhalt zu gebieten und zu reduzieren. Dies sei um so wichti- ger, so der EG-Kommissar weiter, da in diesen Ländern keine Um- weltschutzämter oder Techni- schen Überwachungsvereine be- stünden, die objektive Daten lie- fern könnten.
DEUTSCHES ltRZTEBLATT
Die bundesdeutschen Automobil- hersteller forderte Dr. Narjes auf, die Einführung abgasärmerer Wa- gen nicht durch eine Hinhaltetak- tik hinauszuzögern. Dies würde nur die Diskussion des Tempoli- mits fördern. Die europäische In- dustrie sollte die große Chance nützen, mit neuen Technologien Maßstäbe auf dem Weltmarkt zu setzen.
Dr. Narjes wies darauf hin, daß der Umweltschutz nicht in den Römi- schen Verträgen erwähnt ist. Als Rechtsgrundlage könne aber das Gebot zur Harmonisierung der na- tionalen Rechtsvorschritten ange-
sehen werden. jv
Arbeitgeberpräsident:
Strukturelle Reformen der sozialen Sicherung
Die Arbeitgeber und die Angehöri- gen der Freien Berufe, häufig selbst Arbeitgeber (indes nur ei- ner kleinen Zahl), sind durch mehr Gemeinsamkeiten verbunden, als ihnen offenbar bewußt ist. Ein Kontakt würde so manche Inten- tion beider nur zu fördern vermö- gen. Die akademischen Heilberu- fe als größte Gruppe der Freien Berufe scheinen dagegen Vorbe- halte zu hegen. Immerhin sind die Arbeitgeber an der Kostenent- wicklung im Gesundheitswesen durch ihre fünfzigprozentige Übernahme der Krankenversiche- rungsbeiträge ihrer Arbeitnehmer zur Hälfte beteiligt. Daher erteilen sie ihren Vertretern in der Selbst- verwaltung der gesetzlichen Kran- kenversicherung den Auftrag, alle vertretbaren Aktivitäten zur Kostendämpfung im Gesundheits- wesen zu fördern. Solche Bestre- bungen können sich durchaus ge- gen die Interessen der akademi- schen Heilberufe mit Kassenzu- lassung richten.
Aus einem Gespräch mit Otto Es- ser, dem Präsidenten der Bundes- vereinigung der Arbeitgeberver- bände, sind Äußerungen heraus-
KURZBERICHTE
zufiltern -ohne daß er sie mit die- ser Absicht formuliert hätte -, die eine Gesprächsgrundlage mit Vertretern der akademischen Heilberufe bilden könnten. So un- ter anderem Esser sinngemäß im Münchner Presseclub:
..,. Zugunsten des sozialen Frie- dens dürfen keine unvernünftigen Regelungen gefordert werden.
..,. Höchste Gerichte dürfen nicht als Ersatzgesetzgeber für hoch- politische Fragen dienen. Viel- mehr hat in wesentlichen Grund- satzfragen der Gesetzgeber zu agieren.
.... Bei Tarifverhandlungen haben auch die Arbeitslosen symbolisch am Tisch zu sitzen. Ein Teil der mehr erwirtschafteten Mittel muß nämlich zur Einrichtung mehr ren- tablerer Arbeitsplätze dienen.
..,. Wer garantiert beim geplanten Anrechnungsmodell des Hinter- bliebenenrechts, daß nicht später irgendwann, wenn es die Finanz- lage der gesetzlichen Rentenver- sicherung wieder einmal "erfor- derlich" macht, die Anrechnungs- grenzen verändert oder andere Einkünfte aus dem Bereich der privaten Vorsorge anrechnend einbezogen werden?
..,. Gerade im Bereich der sozialen Sicherung hat sich schon oft ge- nug der Appell der Politik an das Vertrauen der Bürger als das schwächste Argument erwiesen.
..,. Die Erfolge, die die Bundesre- gierung bisher bei der Konsolidie- rung der sozialen Sicherung auf- zuweisen hat, bleiben hinter dem, was notwendig gewesen wäre, zu- rück.
..,. Notwendig ist eine strukturelle Reform unseres sozialen Siche- rungssystems, die Bestand hat auch vor der demographischen Entwickung der nächsten Jahr- zehnte.
Sollte sich auf einer solchen Basis nicht ein nutzbringender Kontakt begründen lassen? Horst Beloch Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 4 vom 23. Januar 1985 (29) 165