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Archiv "In der Evidenz-Falle" (19.03.2004)

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unter ärztlicher Moderation einzusetzen- de Stellvertreter auch die Rechte des Pa- tienten gegenüber dem Arzt wahrneh- men. Dem Arzt droht dann der kaum wi- derlegbare Vorwurf eines potenziellen Interessenkonflikts (1, 6). Aus sozialwis- senschaftlicher Sicht ist darüber hinaus festzustellen, dass die Justizminister über weite Strecken mit eher „konservativen“

Vorstellungen von Ehe und Familie argu- mentieren (2). Diese entsprechen jedoch für immer größere Teile der Bevölkerung empirisch nicht mehr ihrer sozialen Le- benswirklichkeit, dürften gesellschafts- politisch zum Teil schon jetzt kaum noch mehrheitsfähig sein und sind zudem über weite Strecken auch mit dem inzwischen entsprechend modernisierten Familien-, Ehe-, Güter-, Banken- und Vertragsrecht unvereinbar (3, 6, 9, 10).

Somit erscheint es auch aus medizin- ethischer Sicht dringend geboten, die oh- nehin häufig komplexe Arzt-Patient-An- gehörigen-Beziehung nicht noch zusätz- lich mit potenziell konfliktträchtigen

„externen“ Detailregelungen zu bela- sten. Dies gilt insbesondere auch für die im bisherigen Entwurf ebenfalls vorgese- hene, faktisch ärztliche Moderation der Stellvertretung des Patienten in den mei- sten Vermögensfragen (6, 10).

Der Gesetzgeber scheint in jedem Fal- le gut beraten, sich im Verlaufe des kom- menden Jahres nicht ebenso vorschnell wie einseitig auf die bisherigen Vorschlä- ge der Justizministerkonferenz allein festzulegen. Im Sinne der Betroffenen, die zu den schwächsten und schutzbe- dürftigsten Mitgliedern der Gesellschaft zählen,bleibt zu hoffen,dass auch vonsei- ten der Politik ausreichend Zeit und Ge- legenheit zur Klärung wichtiger Grund- satz- und Detailfragen gewährt wird.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A774 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1219. März 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 770–774 [Heft12]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1204 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Meinolfus Strätling Klinik für Anästhesiologie

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

KOMMENTAR

A

rzneimitteltherapie war früher ei- ne „Kunst“. Sie fußte auf dem Wissen des „Künstlers“ Arzt ebenso wie auf dessen intuitivem Verständnis des Patienten. Neben ge- legentlich ausgezeichneten Erfolgen bedingte dieser Ansatz auch Therapie- fehler, Ungereimtheiten und (unnötige) Kosten. Diese Nachteile sollen heute mit der evidenzbasierten Therapie ver- hindert werden – ein grundsätzlich zu begrüßender Ansatz: Kontrollierte Stu- dien, am besten Outcome-Studien, be- legen die Überlegenheit eines Therapie- prinzips gegenüber einem anderen, dar- aus entwickeln sich juristisch einklagba- re Therapienormen, niedergelegt in

„objektiven“ Leitli- nien. Dem „The- rapiekünstler“ folgt der „Therapievoll- strecker“.Vielen Arz- neimittelherstellern

ist diese Situation recht, weil sie damit die Verwendung ihrer Arzneimittel pla- nen und gegebenenfalls steuern kön- nen. Manchen Ärzten allerdings ist ihre neue Rolle unheimlich.

Möglicherweise birgt der neue An- satz neue Risiken: Wenn aufgrund von Studien Therapierichtlinien erlassen werden, die einklagbar umgesetzt wer- den müssen, darf es keinen Zweifel an deren Dignität geben. Dem ist aber nicht so. Eine im British Medical Jour- nal publizierte Analyse aus Schweden (Melander et al. BMJ 2003; 326: 1171) belegt, dass auch scheinbar erstklassige Studien durch geschicktes Design, Überarbeitung der Daten und selektive Publikation „geschönt“ werden kön- nen. Auch eine Analyse im Journal of the American Medical Association (Als-Nielsen B et al. JAMA 2003, 290 [7], 921–927) kommt zu dem Schluss, dass industrieunterstützte Studien zu

„positiveren“ Ergebnissen kommen als anders finanzierte. So entstehen

„Scheinevidenzen“. Wenn Leitlinien auf diesen Ergebnissen aufgebaut sind, werden sie zum Problem, die Therapie- sicherheit ist dahin, und der Arzt tappt in die Evidenz-Falle.

Bei vielen Kollegen wird sich nun der Wunsch regen, zum „bewährten“

Therapiekünstlertum zurückzukehren.

Wie war es doch so schön, als man mit Eloquenz und Eminenz, unterstützt durch irrationale Arzneimittelkombi- nationen, dem Patienten eine individua- lisierte Therapie und damit einzigar- tiges ärztliches Können vorgaukeln konnte!

Aus Sicht des Pharmakologen darf ein solcher „Rückfall“ nicht eintreten.

Wir müssen uns weiterhin der evidenz- basierten Medizin verpflichten – aller- dings mit der Auflage, ihre Möglichkei- ten und Grenzen immer wieder neu zu bewerten. Jede Studie muss kritisch hinterfragt werden.

Eine gewisse Chan- ce, solch eine kri- tische Analyse zu gewährleisten, bie- tet eine miteinander konkurrierende Arzneimittelindustrie.

Bedauerlicherweise führt aber die ste- tig zunehmende Konzentration in die- sem Industriezweig zu einem Nachlas- sen der gegenseitigen Kontrolle.

Diese „Selbstkontrolle“ wird jedoch nicht ausreichen. Ebenso wichtig ist es, dass sich die Ärzteschaft eine unabhän- gige, mit einem ausreichenden Etat aus- gestattete Struktur schafft, die in der Lage ist, eigene Studien in Auftrag zu geben, wenn Zweifel an der Dignität oder Generalisierbarkeit wichtiger Stu- dien bestehen. Die Ärzteschaft sollte sich bemühen, mit den Aufsichtsbehör- den und der konstruktiven Gedanken ja nicht immer ablehnend gegenüberste- henden Industrie ins Gespräch zu kom- men. Außerdem sollte ein „Pool“ für unabhängige Studien geschaffen wer- den. Nur damit wird man die „Evidenz- Falle“ vermeiden und teure Fehlent- wicklungen verhindern können. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) beispielsweise ver- fügt über genügend Sachverstand und Erfahrung, einen solchen „Pool für Studien und Leitlinien“ zu verwalten und weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Kay Brune,AkdÄ

In der

Evidenz-Falle

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