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elche Hemmnisse bestan- den, bestehen vielleicht heute noch, Allgemeinarzt zu werden? Welche Faktoren spielen eine Rolle, die Studenten und junge Ärzte veranlassen, vor- wiegend ein Spezialgebiet zu ih- rem Berufsziel zu wählen? Warum änderten Medizinstudenten nach bekanntermaßen anfänglichem Interesse an der Allgemeinmedi- zin im Verlaufe des Studiums ihr berufliches Ziel zugunsten einer weitergehenden Spezialisierung?Ein Gutachten von der Hans-Neuf- fer-Stiftung beim Institut für Freie Berufe an der Friedrich-Aiexan- der-Universität zu Erlangen-Nürn- berg in Auftrag gegeben, ist sol- chen Fragen nachgegangen. Da- bei handelt es sich um eine zu- sammenfassende Analyse bisher vorliegender sozialempirischer Forschungsergebnisse über Moti- vation und Motivationswandel in der Aus- und Weiterbildung und bei der Niederlassung als Allge- meinarzt
Hinderungsgründe
Die Zusammenfassung vorliegen- der Untersuchungsergebnisse aus den Jahren 70/71, 77/79 und 80/82 brachte zur Frage der Ein- stellung von Studenten, Medizi- nalassistenten, Assistenz- und Krankenhausärzten sowie neu niedergelassenen Allgemein- und Ärzten anderer Gebiete zur Allge- meinmedizin folgende Ergebnis- se: Die Allgemeinmedizin scheint bei den Studenten nicht unattrak- tiv zu sein, sie steht nach dem In- ternisten und Kinderarzt an dritter Stelle in der Präferenz bei der Be- rufswahl Medizinstudierender.
Viele geben dieses Berufsziel im Verlaufe des Studiums auf. Als Gründe für diese Abkehr werden angeführt:
.,.. Der Allgemeinarzt verkörperte schon damals nicht mehr in dem Umfange wie früher den Arzt schlechthin;
.,.. das Interesse an Spezialgebie- ten und die vorwiegend klinisch auf Spezialfächer orientierte Aus-
DEUTSCHES ltRZTEBLATT
Berufsziel: Arzt für Allgemeinmedizin
Renate Schiffbauer
bildung trägt nicht dazu bei, den Studenten auf die Allgemeinmedi- zin hin zu orientieren;
.,.. die Veränderung medizinischer Erkenntnisse und die Systemati- sierung von Krankheitsbildern hat zur Folge, daß eine bis heute an- haltende Verlagerung auf den In- ternisten eintrat;
.,.. eine längere vertragliche Bin- dung an das Krankenhaus ist not- wendig, um eine Assistenzarzt- stelle zu erhalten;
.,.. der Beruf des Allgemeinarztes ist zu anstrengend, mit zuviel Ar- beit, einer unregelmäßigen Ar- beitszeit und wenig Freizeit ver- bunden;
.,.. der Beruf bietet nur begrenzte medizinische Möglichkeiten. Neben den genannten Gründen kann sich auch bereits die Aus- wahl der Medizinstudenten - Ab- iturnotendurchschnitt - negativ auf die Berufswahlentscheidung zum Allgemeinarzt auswirken.
Das anzutreffende elitäre Bewußt- sein des "Superabiturienten" ist
· häufig unvereinbar mit der Ein- stellung des Allgemeinarztes oder gar Landarztes zu seiner Tätig- keit. Eine Rolle spielt auch, daß sich die an Gruppenentscheidun- gen und kollektive Verantwortung gewöhnten Nachwuchsmediziner schwertun, sich mit der eigenver- antwortlichen Rolle des Allge- meinarztes zu identifizieren.
Fortschritte
ln der Zwischenzeit hat sich in der Ausbildung einiges getan; fast al- le Universitäten haben, dem Auf- trag der 2. Änderungsverordnung zur Approbationsordnung 1978 folgend, Lehraufträge für Allge- meinmedizin erteilt; die Lehrbe- auftragten sind bemüht, den Stu- denten ihre Berufserfahrung zu
vermitteln, jedoch bedarf es für ei- ne solche Lehrtätigkeit auch fun- dierter Forschungsergebnisse.
Die Situation der Wissenschaft im Fachgebiet "Allgemeinmedizin"
ist auch nach Ansicht von Lehrbe- auftragten noch verbesserungs- bedürftig. Es fehlt eine Planung sowie die Konzentration auf be- stimmte Arbeitsgebiete. Der Kurs zur Einführung in Fragen allge- meinärztlicher Praxis wird, · wie Studentenbefragungen ergeben haben, als sinnvoll und notwen- dig, oftmals als "Kontrastpro- gramm" betrachtet; beklagt wird ebensooft auch die Praxisferne.
Eine gute Ergänzung wird in der vermehrten Förderung der Famu- latur in .der Allgemeinpraxis gese-
hen. Diese läßt sich allerdings nur
dann realisieren, wenn sich eine ausreichende Zahl von Allgemein- ärzten bereit findet, Stellen zur Verfügung zu stellen.
Engpässe
ln der Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin stellt sich dem Gutachten als besonderes Hemm- nis die Engpaßsituation dar, so- wohl im stationären als auch im ambulanten Bereich, entspre- chende Weiterbildungsplätze für angehende Allgemeinmediziner zu finden. Nur wenige leitende Krankenhausärzte sind bereit, ei- nen Teil ihrer Stellen für die Wei- terbildung in der Allgemeinmedi- zin zur Verfügung zu stellen, da sie in erster Linie ein Interesse daran haben, Assistenzärzte wei- terzubilden, die ihnen längere Zeit auch nach ihrer Weiterbil- dung mit ihren Kenntnissen zur Seite stehen. Generell wird immer wieder beobachtet, daß angehen- de Allgemeinärzte bei der Suche nach einer "Rotationsstelle" am Krankenhaus große Schwierig- keiten haben. Die Situation im am- bulanten Sektor, in dem ein Teil Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 33 vom 15. August 1984 (23) 2355
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Allgemeinmedizin
Antworten zur Frage "Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe für das re- lativ geringe Interesse von jungen Medizinern an der Allgemeinmedizin?"
Gesamt Allgemeinärzte/ Nieder- in Prozent Praktische gelassene
Ärzte Internisten in Prozent in Prozent
Umfang des benötig- 16 15 27
ten Fachwissens; für alles dazusein
Angst vor 8 8 6
Verantwortung
Härte der Arbeit, grö- 10 10 10
ßerer Einsatz als an- derswo
.Zuviel Arbeit, keine 29 31 24
40-Stunden-Woche
Zu sehr gebunden, 8 10 3
ständige Präsenz- pflicht, unregelmäßi- gerDienst
Scheu vor Bereit- 9 9 9
schaftsd ienst, Wo- chenenddienst, Not- falldienst
Scheu vor 8 10 2
Hausbesuchen
Ausbildung an Kran- 13 10 21
kenhäusern und Uni zu wenig beachtet
Arbeit auf dem Lande, 3 3 5
Stadtnähe fehlt
Neigung zu Speziali- 13 9 25
sierung in Wissen und Beruf
Spezialisten, Fachärz- 9 10 5
te sind attraktiver, Pa- tient geht zum Fach- arzt, besseres Image des Facharztes
Geringes Sozialpresti- 10 11 8
ge, Regierung wertet Beruf ab
Geringe Honorierung 14 15 11
im Vergleich Arbeit/
Zeit
Geringerer Verdienst 10 10 9
im Vergleich zum Facharzt-Kliniker
Schlechte Berufsaus- 1 1
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sichten, insbesondere in der Stadt
Quelle: repräsentative Umfrage durch Infratest Gesundheitsforschung ("Ärzte befra- gen Ärzte")
2356 (24) Heft 33 vom 15. August 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
der Weiterbildung zu absolvieren ist, stellt sich ebenfalls in vielen Fällen als schwierig dar. ln den meisten Ärztekammerbereichen gibt es nach Auswertungen von Umfragen bei den Weiterbil- dungsbeauftragten der Kammern für Allgemeinmedizin eine große Anzahl zur Weiterbildung ermäch- tigter Allgemeinärzte. Dem steht in der Regel eine weit geringere Zahl von registrierten Weiterzubil- denden gegenüber. Dies kann an einer ungenügenden Nachfrage nach solchen Stellen liegen - die Klagen junger Ärzte, die eine sol- che Weiterbildungsstelle suchen, stehen dem jedoch entgegen-, mag aber auch andere Gründe wie beispielsweise wirtschaftliche haben; trotz der finanziellen För- derungsprogramme der Mehrzahl der Kassenärztlichen Vereinigun- gen, kann den Gehaltsforderun- gen der Assistenten bei rückläufi- gen Umsätzen in der Allgemein- praxis nicht entsprochen werden.
Ein möglicher anderer Grund für das für zu gering gehaltene Inter- esse an der Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin könnte in der Art und Weise der Weiterbil- dung selbst zu suchen sein. Zwar liegen die Lehr- und Lerninhalte fest, hinsichtlich der Umsetzung der theoretisch verarbeitenden ln- halte in der Lehre scheinen je- doch große Lücken zu bestehen.
Als problematisch wird auch er- kannt, daß die Weiterbildung im eigentlichen Gebiet Allgemein- medizin im Rahmen des vorge- schriebenen Weiterbi I du ngsgan- ges bislang zu kurz kommt.
Reform- Forderungen
Für eine Reform der Weiterbil- dung wurden deshalb im Jahre 1982 von Sturm folgende Forde- rungen gestellt:
..,.. Wissenschaftliche Begründung und Ausarbeitung des patienten- orientierten Konzeptes für Allge- meinmedizin;
..,.. Berufsfeldforschung und kriti- sche Untersuchung, inwieweit
dieses
Konzept bereits realisiert wurde bzw. realisierbar ist und den Wirkungsgrad der Medizin steigert;~darauf basierende Erarbeitung von Inhalts- und Lernzielkatalo- gen für eine spezifische Weiterbil- dung zum Allgemeinarzt;
~ Entwicklung und Evaluation von spezifischen Weiterbildungs- curricula, die von einem jungen Arzt oder einer jungen Ärztin un- ter normalen Voraussetzungen durchlaufen werden können.
Die Analyse vorliegender Befra- gungen zur Einstellung von nie- dergelassenen Ärzten zur Allge- meinmedizin bestätigte, daß der häufigste Grund für einen Ver- zicht auf die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Schwierigkei- ten ihrer Durchführung waren. Dies betrifft die fehlenden Wech- selsteilen in Krankenhäusern und ebenso die Situation der Weiter- bildung in der Allgemeinpraxis.
Während Spezialisten eine Wei- terbildung in ein und derselben Krankenhausabteilung "ersitzen"
können, müssen zukünftige Allge- meinärzte jährlich oder öfter ihre Stelle wechseln, was in der Regel mit Ortswechsel und Wartezeiten verbunden ist. So hat mehr als ein Viertel der Praktischen Ärzte lie- ber die Anerkennung für ein ande- res Gebiet erworben. Von beson- derer Bedeutung scheint die Wei- terbildung im eigenen Gebiet an- gesehen zu werden und daher ei- ne Verlängerung der Weiterbil- dungszeit in der Allgemeinpraxis für erforderlich gehalten. Aber auch folgende Gründe haben beim Verzicht, Allgemeinarzt zu werden, eine Rolle gespielt: Der Arzt für Allgemeinmedizin sei kein so klar zu fassendes Berufsbild wie etwa das des Chirurgen; die Tätigkeit des Allgemeinarztes weist mit vielen anderen Fachge- bieten Überschneidungen auf und hat damit auch Abgrenzungs- schwierigkeiten und schließlich, der Arzt nimmt vier Jahre Weiter- bildung auf sich, obwohl er sich für die gleiche Tätigkeit auch oh- ne Weiterbildung niederlassen
DEUTSCHES itß.ZTEBLATT
kann und auch in gleicher Weise honoriert wird. Die Niederlassung als Allgemeinarzt ist demgegen- über durch finanzielle Hilfen be- günstigt worden; so sind insbe- sondere die Anstrengungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht ohne Erfolg geblieben, aber auch die umfangreicheren Mög- lichkeiten einer Praxisübernahme eines Allgemeinarztes wirken sich positiv aus.
Motivationshemmende Faktoren Als motivationshemmende Fakto- ren für die Entscheidung zum Arzt für Allgemeinmedizin werden fol- gende Trends aufgezeigt:
~ Der Trend zum Facharzt: Beim Auftreten von gesundheitlichen Beschwerden wird in zunehmen- dem Maße direkt ein Facharzt auf- gesucht, der in vielen Fällen die Rolle des Hausarztes- bisher Do- mäne des Praktischen Arztes bzw.
des Arztes für Allgemeinmedizin- übernimmt;
~ der Trend weg vom professio- nellen medizinischen System. An- zeichen dafür ist, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen keine feste Arzt-Patienten-Beziehung mehr haben und im Krankheitsfalle überhaupt seltener das professio- nelle Gesundheitssystem in An- spruch nehmen;
~die im Vergleich zum Interni- sten niedrigeren Umsätze, deren Hauptursache in der unterschied- lichen Behandlung in der Gebüh- renordnung zu suchen ist.
Empfehlungen
Seitens der Gutachter wurde empfohlen, daß der zukünftige Schwerpunkt der sozialempiri- schen Forschung daher nicht auf einer weiteren Suche nach Ursa- chen für das vermeintlich fehlen- de Interesse an der Allgemeinme- dizin gelegt werden soll, sondern auf die Prüfung von Möglich- keiten der praktischen Umset- zung vorliegender Erkenntnisse.
Demnach sollte ein Forschungs- konzept in der Allgemeinmedizin
Allgemeinmedizin
beginnen mit der Konstruktion ei- ner Theorie der Allgemeinmedizin und der Integration dieser Theorie in das Gesamtkonzept der Medi- zin, ihrer Stellung und Bedeu- tung im System menschlicher Be- dürfnisbefriedigung und der Struktur ihres Leistungsangebo- tes. Daran anknüpfend müßten die spezifischen Aufgaben der All- gemeinmedizin aus dieser Theo- rie abgeleitet und untersucht wer- den, wie sich diese Aufgaben in der Praxis von den Aufgaben an- derer medizinischer Gebiete ab~
grenzen lassen. Erst auf dieser Basis ließen sich Fragen nach dem Bedarf an allgemeinmedizi- nischen Leistungsangeboten, der notwendigen Struktur primärme- dizinischer Versorgung und den Kapazitäten zur Bedarfsdeckung aufarbeiten. Die weitere For- schung müßte sich dann die Auf- gabe stellen, die Allgemeinmedi- zin in theoretische und praktische Anforderungsprofile umzusetzen und entsprechende Curricula für Lehre und Weiterbildung zu erar- beiten.
Trendwende?
Da die aktuelle statistische Ent- wicklung zeigt, daß seit 1982 die Allgemeinmedizin trotz hoher Ab- gänge aufgrund der ungünstigen Altersstruktur dieser Arztgruppe erste Zuwächse zu verzeichnen hat und sich auch in Forschung und Lehre sowie der Weiterbil- dung seit dem Zeitpunkt der aus- gewerteten Forschungsergebnis- se einiges zum Positiven gewen- det hat, mag die Untersuchung als überholt gelten. Dennoch ist die Analyse der damaligen For- schungsarbeiten zu diesem The- ma auch heute insofern von Be- deutung, als sie in komprimierter Form nochmals diejenigen Grün- de herausgearbeitet hat, die bis- lang eine zahlenmäßig befriedi- gende Entwicklung in der Allge- meinmedizin verhindert haben.
Die Arbeit wird im Rahmen der Schriftenreihe der Hans-Neuffer- Stiftung demnächst veröffentlicht.
Renate Schiffbauer
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 33 vom 15. August 1984 (27) 2357