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Archiv "Hormontherapie: Nachschlag" (14.11.2003)

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s war ein emotional anrührendes Treffen. Opfer der „Contergan-Af- färe“ hatten sich am 20. September in Frankfurt/Main versammelt, um eine Bilanz der Ereignisse 40 Jahre nach der Katastrophe zu ziehen. Die Vorträge bi- lanzierten, wie sich damals Experten mit fairen und unfairen Strategien ge- gen den Verdacht gewehrt hatten, Tha- lidomid (Contergan®) könnte die Ur- sache der körperlichen Missbildungen sein. Hätte es diese Veranstaltung nicht gegeben, wäre das verhängnisvolle Schlafmittel sicherlich nie in Zusam- menhang mit der postmenopausalen Hormontherapie (HT) gebracht worden.

Denn in Deutschland schien mit der Neubewertung der entsprechenden Prä- parate durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (DÄ, Heft 36/2003) eine Beruhigung in die – auch emotional geführte – Diskus- sion eingetreten zu sein. Insofern sollte die Vorstellung der aktuellen Therapie- empfehlungen der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft zur

„Hormontherapie im Klimakterium“

(DÄ, Heft 40/2003) am 23. September in Berlin ein Routinetermin werden.

Bis Kommissionsvorsitzender Prof.

Bruno Müller-Oerlinghausen seinen Vor- trag wie folgt einleitete: „Ich stehe noch unter dem Eindruck einer bewegenden Veranstaltung in Frankfurt/Main, wo wir der Contergan-Katastrophe vor 40 Jahren gedachten. Und seitdem be- schäftigt mich die Frage: Gibt es hier vielleicht irgendwelche Gemeinsamkei- ten, oder haben wir bezüglich der Hor- montherapie eine gänzlich andere Si- tuation vor uns?“

Nach Ansicht von Müller-Oerling- hausen gibt es bei Contergan und der HT – auf den ersten Blick – zwei Analo- gien. Es handele sich bei beiden um Therapien für Frauen (erste Analogie),

die (zweite Analogie) zur Linderung von Befindlichkeitsstörungen verordnet würden. Müller-Oerlinghausen machte in Berlin keinen Hehl daraus, dass er den bisherigen Umgang mit der Hor- montherapie für ein „internationales Unglück hält, um nicht von Katastro- phe zu sprechen“. Und so sehen eini- ge Gynäkologen in den Aussagen des Kommissionsvorsitzenden einen neuen Höhepunkt in der öffentlichen Kampa- gne gegen die postmenopausale Hor- montherapie.

Müller-Oerlinghausen ging es, wie er auf kritische Nachfrage betonte, bei sei- nem Vergleich allerdings nicht um eine generelle Diffamierung der Hormon- präparate (und noch weniger ihrer Ver- ordner), sondern um Schwierigkeiten der Pharmavigilanz. „Es gab damals wie heute – aus freilich unterschiedlichen

Gründen – ernsthafte Probleme, die Ri- sikosignale wissenschaftlich valide zu interpretieren. Damit hören die Ge- meinsamkeiten jedoch auf, und die Unterschiede der Situation treten her- vor: 1960 herrschte in Deutschland für die Herstellung und den Vertrieb von Arzneimitteln ein praktisch rechts- freier Raum. Heute werden auf na- tionaler und europäischer Ebene Her- stellung und Vertrieb von Arzneimit- teln durch ein dichtes gesetzliches

Regelwerk bestimmt“, sagte Müller- Oerlinghausen.

Die Arzneimittelkommission wolle mit der Leitlinie „Klarheit schaffen“.

Dies sei auch deshalb notwendig, weil die Hormontherapie ein Paradebeispiel biete, „wie sehr die akademische medi- zinische Forschung heute von der Indu- strie gesponsert wird, ja vermutlich in vielfacher Hinsicht abhängig ist von den Interessen der Sponsoren“. Am Bei- spiel der HT lasse sich auch ablesen,

„welche finanziellen Anstrengungen die Industrie unternimmt, um die wis- senschaftlichen Fachgesellschaften auf ihre Linie zu bringen und kritische wis- senschaftliche Argumente, die ihren umsatzorientierten Interessen entgegen- stehen, subversiv auszuhebeln“. Müller- Oerlinghausen betonte, „dass auch deut- sche Fachgesellschaften inzwischen ei-

nem Gesinnungswandel unterliegen und Resistenz gegenüber den Manipulati- onsversuchen der Industrie zeigen“.

So weit die Chronologie der Ereig- nisse der Pressekonferenz in Berlin, die in eine Zeit heftiger Diskussionen in- nerhalb der Ärzteschaft fällt – sowohl um die Nutzen-Risiko-Bewertung von Hormonen als auch um die Verflech- tungen von Wissenschaftlern und Indu- strie. Dass die Aussagen Müller-Oer- linghausens in dieser Situation als An- P O L I T I K

A

A2992 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003

Hormontherapie

Nachschlag

Wie eine Gedenkveranstaltung zur Contergan-Affäre dazu führte, dass die Diskussion um die Hormon- therapie im Klimakterium erneut angeheizt wird

´ TabelleCC´

überall Nordamerika Südamerika Europa Asien/Australien Hormontherapie vor nach vor nach vor nach vor nach vor nach

Estrogen (%) 13,0 7,2 26,0 17,7 2,6 2,3 8,9 5,6 9,2 4,3

Estrogen + 3,8 1,9 5,9 3,4 2,1 1,2 3,2 1,6 3,4 1,5

Progesteron (%)

Wie sich die Ergebnisse der Women’s Health Initiative-(WHI-)Studie auf den Gebrauch der Hor- montherapie auswirken, berichtete Dr. Koon Teo (Mc Master University Hamilton, Kanada) vor einigen Tagen auf dem Wissenschaftlichen Treffen der American Heart Association in Orlando.

Medizinreport

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griff interpretiert werden würden, war zu erwarten. Insofern war der Conter- gan-Vergleich für die weitere sachliche Diskussion hinderlich. Hierfür ist es dienlich, die wissenschaftlichen Fakten von ihren emotionalen und ökonomi- schen Auswirkungen zu trennen.

Seit fast drei Jahren wird weltweit über den Nutzen und die Risiken der Hormontherapie im Klimakterium ge- stritten, welche die Frauenärzte in zwei Lager spaltet. Auf der einen Seite ste- hen diejenigen, die ein Ende der bis- herigen „Hormon-Euphorie“ propagie- ren und die Präparate nüchterner be- werten. Auf der anderen Seite erachten die Befürworter den Nutzen der HT höher als ihren möglichen Schaden.

Nach derzeitiger Datenlage sollte ei- ne HT nur noch bei ausgeprägten kli- makterischen Symptomen verordnet werden – und zwar so kurz und niedrig dosiert wie möglich. Das sind auch die Kernaussagen der Therapieempfehlun- gen der Arzneimittelkommission, die in Einklang stehen mit dem Konsens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkolo- gie und Geburtshilfe und zahlreicher in- ternationaler Gremien.

Grundlage dieser veränderten Be- wertung sind nicht Erkenntnisse über neue Risiken der HT. Grundlage der Neubewertung ist, dass der vermutete entscheidende Vorteil der HT – der Schutz vor Herzinfarkten und Schlag- anfällen sowie vor Osteoporose – sich nach zwei großen Studien (WHI* und HERS**) sowie weiterer, kleinerer Un- tersuchungen nicht bestätigt hat. Dieser präventive Nutzen war es aber, der alle Risiken der Hormontherapie aufwie- gen sollte.

Das viel diskutierte Brustkrebsrisiko ist schon längere Zeit bekannt. Jetzt geht die wissenschaftliche Auseinan- dersetzung darum, ob sich die verschie- denen Hormonpräparate unterschei- den und wie die Heilungschancen der unter HT entdeckten Tumoren ausse- hen. Hier liegt die Bedeutung der „Mil- lion Women Study“ (Lancet 2003; 363:

419–427), die zum Ergebnis kommt, dass auch die in Europa verordneten

Präparate riskant sind. Die Studie weist außerdem darauf hin, dass die Sterb- lichkeit unter HT eher erhöht ist, ob- wohl die Datenlage dazu noch keine de- finitive Antwort zulasse.

Die Neubewertung der Hormonthe- rapie hat weltweit massive Folgen.

Frauen stellen sich die Frage: Was hat mir mein Arzt in den letzten Jahren er- zählt? Die niedergelassenen Gynäkolo- gen verbringen daher viel Zeit damit, ihre Therapieempfehlungen zu recht- fertigen und ausgiebige Aufklärungsge- spräche zu führen. Bei den Pharmafir- men brechen die Umsätze ein, denn vie- le Patientinnen lehnen eine HT oder ihre Fortführung nun ab. Damit entfal- len auch regelmäßige Kontrolluntersu- chungen bei den Gynäkologen.

Dramatischer Wandel der Akzeptanz seit WHI-Studie

Weltweit nahmen bisher etwa 100 Mil- lionen Frauen Hormonpräparate ein. In Deutschland waren es 15 Prozent der 45- bis 50-Jährigen, 40 Prozent der 51- bis 55-Jährigen und 55 Prozent der 56- bis 60-Jährigen, eine Spitzenposi- tion im europäischen Vergleich. Den dramatischen Wandel der Akzeptanz durch die Frauen, den die Neubewer- tung der Hormone ausgelöst hat, bele- gen Zahlen, die gerade auf der Tagung

der American Heart Association vorge- stellt werden (Tabelle). Es geht also um viel Geld.

Hinzu kommt die generelle Diskus- sion um die Unabhängigkeit medizini- scher Experten. Damit geraten auch die

„Meinungsbildner“ der HT unter die Lupe. So wird Prof. Martina Dören – sie hat als Mitglied der Arzneimittelkom- mission an den Therpieempfehlungen mitgearbeitet – „Industrienähe“ unter- stellt, weil sie eine auf fünf Jahre befri- stete Professur in Berlin innehat. Diese ist von dem Pharmaunternehmen Lilly gestiftet worden, welches ein Antiestro- gen (SERM) vertreibt, das in Konkur- renz zur Hormonsubstitution steht.

Richtig ist, dass diese Stiftungspro- fessur offiziell von der Universität aus- geschrieben worden ist, verbunden mit einem üblichen Bewerbungsverfahren.

Aus einer Vielzahl von Aspriranten wurde Dören ausgewählt. Tatsache ist auch, dass es unter den Befürwortern der HT solche gibt, die zusammen mit Vertretern eines Pharmaunternehmens Patente auf ein Sexualhormon halten.

Die Hormontherapie ist nur ein Bei- spiel dafür, mit welchen Waffen in einem wissenschaftlich und ökonomisch verän- derten Umfeld gekämpft wird. Dabei geht es nicht nur um medizinische „Wahr- heiten“ im Interesse der Patienten, son- dern auch um ökonomische und Macht- interessen. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003 AA2993

Die niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen verbringen seit Veröffentlichung der Studienergebnisse zur postmenopausalen Hormontherapie viel Zeit damit, mit ihren Patien- tinnen ausgiebige Aufklärungsgespräche zu führen.

*WHI = Women’s Health Initiative (JAMA 2002; 288:

321–333)

**HERS = Heart and Estrogen/Progestin Replacement Study (Circulation 2002;105: 2962–2967)

Foto:Aventis Pharma Deutschland GmbH

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