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Archiv "Sieg der Vernunft" (26.06.1998)

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(1)

er Bundestag hat im Juni 1997 im 2. GKV-Neuordnungsge- setz geregelt, daß bei der Zulassung von Arzneimitteln der be- sonderen Therapierichtungen wissen- schaftliche Erkenntnisse „in der je- weiligen Therapierichtung“ berück- sichtigt werden müssen. Damit ist die Annahme verbunden, daß künftig die Vertreter „der jeweiligen Therapie- richtungen“ selbst bestimmen kön- nen, was sinnvoll und nützlich ist (1).

Dieses Verfahren wird seit Inkrafttre- ten des Arzneimittelgesetzes von 1976 für die besonderen Therapierichtun- gen Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Therapie bereits angewendet (2).

Mit dem 2. NOG könnte jedoch das Prinzip der „Binnenanerken-

nung“ auf eine Unzahl weiterer be- sonderer Therapierichtungen ausge- dehnt werden. In Deutschland sind mehr als 50, in Großbritannien 116, in Schweden 194 besondere Therapie- richtungen bekannt (3, 4, 5). Aus Sor- ge vor einer uferlosen Ausweitung der

„Binnenanerkennung“ hat der Deut- sche Ärztetag 1997 den Bundestag aufgefordert, die Worte: „in der jewei- ligen Therapierichtung“ ersatzlos zu streichen (6).

Vom Stellenwert, den die drei vor 20 Jahren legalisierten besonderen Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophische Therapie in der vertragsärztlichen Ver- sorgung gewonnen haben, mag man die aktuelle Bedeutung einer Auswei- tung des Prinzips der „Binnenanerken-

nung“ einschätzen. Die Frage lautet:

Ist im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung eine absolute oder relative Zunahme der Verordnungen aus dem Bereich anerkannter besonderer The- rapierichtungen nachweisbar, und mit welchen Kosten wird die Solidarge- meinschaft dadurch belastet?

Verordnungsanteil über Jahre beständig

1996 befanden sich unter den 2 000 meistverordneten Fertigarznei- mitteln (7), die rund 90 Prozent der GKV-Gesamtverordnung ausmachen, 208 Fertigarzneimittel der besonderen Therapierichtungen, davon 181 phyto- therapeutische und 27 homöopathi- sche Arzneimittel, wobei die Abgren- zung voneinander nicht immer ein- deutig möglich war. Anthroposophi- sche Arzneimittel, die sowohl mit phytotherapeutischen als auch mit homöopathischen Techniken herge- stellt werden, wurden der jeweiligen Produktgruppe zugeteilt und nicht gesondert ausgewiesen. Der Verord- nungsanteil rezepturmäßig verschrie- bener homöopathischer Arzneimit- tel konnte mangels präziser Verord- nungsdaten nur grob geschätzt wer- den. Er dürfte ein Prozent der Ge- samt-Arzneimittelverordnungen nicht überschreiten (8).

Die Anzahl der „besonderen“

Fertigarzneimittel unter den 2 000 meistverordneten Arzneimitteln (7, 9) veränderte sich im Vierjahreszeitraum von 1993 bis 1996 wenig (von 202 auf 208 Fertigarzneimittel). Sie entspricht einem Anteil zwischen 8,2 und 9,2 Pro- zent (10). Bereits 1989 wurde in den alten Bundesländern ein etwa neun- prozentiger Anteil an der Arzneimit- tel-Gesamtverordnung nachgewiesen (11). Die Beständigkeit des Verord- nungsanteils „besonderer“ Arzneimit- tel im Verlauf von acht Jahren fällt auf.

A-1665 Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 26, 26. Juni 1998 (33)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Binnenanerkennung – Ein trojanisches Pferd?

Die Verordnungsdaten von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen sprechen gegen „Wildwuchs“.

D

Sieg der Vernunft

Phytopharmaka, Homöopathika und Anthroposophika erfüllen in Deutsch- land die geltenden arzneimittelrechtlichen Voraussetzungen für die vertragsärztli- che Verordnung (2), obwohl sie dem Stand der Wissenschaft und Technik, der den Richtlinien der Europäischen Union für den pharmazeutischen Bereich zugrunde liegt (12), nicht uneingeschränkt entsprechen. Ihre Verordnungsgröße und -kon- stanz signalisieren jedoch, daß der politisch betriebene „Tendenzschutz“ (2) zu- gunsten der besonderen Therapierichtungen die Mehrheit der Vertragsärzte bis- lang nicht veranlaßt hat, die naturwissenschaftliche Medizin zugunsten anderer Konzepte aufzugeben.

Die Diskussion um Rationalität, Qualität und Nutzen der Arzneimittelanwen- dung wird angesichts der Finanznot im Gesundheitswesen dringlicher und schärfer.

Firmen, deren Erlöse zum großen Teil aus der Vermarktung phytotherapeutischer und homöopathischer Arzneimittel stammen, versuchen, kritische Beurteilungen von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen – zum Beispiel in den Kom- mentaren des Arzneiverordnungs-Reports ’97 (13) – juristisch zu unterbinden. För- derer von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen versuchen, den „be- sonderen“ Produkten mit Hilfe von Parlamentariern gesetzlich gesicherte Markt- positionen zu verschaffen (1, 6, 13, 14). Viele Verbraucher unkonventioneller Arz- neimittel geben sich unter der Devise „zurück zur Natur“ als Mitläufer romanti- scher Bewegungen zu erkennen (15, 16). Sie tragen ihre eher irrational als krank- heitsspezifisch begründeten Verordnungswünsche den Vertragsärzten vor, deren Möglichkeiten, derartige Wünsche abzulehnen, begrenzt sind (17, 18).

Wird der Vertragsarzt auch nach der erweiterten Legalisierung der Binnenaner- kennung besonderer Therapierichtungen seine prinzipiell auf den Stand von Wissen- schaft und Technik ausgerichtete Berufstätigkeit lege artis fortführen können? Die Analyse der Verordnungsdaten liefert keinen Grund, daran zu zweifeln. Man sollte jedoch Sorge tragen, den Vertragsarzt noch effizienter als bisher über Stand und Fort- schritt der wissenschaftlich fundierten Arzneitherapie zu informieren. Hans Friebel

Besondere

Therapierichtungen

Hans Friebel

(2)

Eine ähnliche Konstanz zeigt sich bei Verordnungshäufigkeiten von Mit- teln zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungskrankheiten, einer Zu- sammenstellung von Antitussiva/Ex- pektorantien, Rhinologika, Grippe- mitteln und Immunstimulantien. In der Gesamtverordnung der 2 000

„führenden“ Arzneimittel waren Mit- tel gegen Erkältungskrankheiten von 1993 bis 1996 (7, 9) mit 11,7 bis 13 Pro- zent vertreten. Von der Phytopharma- kaverordnung entfielen 28,5 bis 30 Prozent auf diesen Indikationsbe- reich. Bei der Homöopathikaverord- nung lag der Anteil bei 58 bis 61 Pro- zent. Bei anderen Indikationsgruppen sind die jährlichen Verordnungsantei- le unbeständig. Die relative Bestän- digkeit des „besonderen“ Verord- nungsanteils an der Gesamtverord- nung der 2 000 „führenden“ Arznei- mittel bleibt jedoch gewahrt. Auch Wandel der Morbidität, Fortschritte in der Arzneitherapie, selbst staatliche Eingriffe in die ärztliche Verordnungs- freiheit (Gesundheitsstrukturgesetz) haben die etwa acht- bis neunprozenti- ge Beteiligung „besonderer“ Arznei- mittel an der vertragsärztlichen Kran- kenversorgung nicht verändert (10).

Auffallend häufig werden Phyto- pharmaka auch gegen Demenzerkran- kungen, benigne Prostatahyperplasie, depressive Verstimmungen, nachlas- sende Leistungsfähigkeit des Herzens, chronisch-venöse Insuffizienz, leichte Schlafstörungen, rheumatische Be- schwerden oder Magen/ Darmstörun- gen verordnet (10); in diesen Indika- tionen allerdings weniger häufig als bei Erkältungskrankheiten.

Phytopharmaka sind in 22 der 45 Indikationsgruppen des Arzneiver- ordnungs-Reports ’97 vertreten (7), Homöopathika findet man in 12 Indi-

kationsgruppen. Letztere werden ne- ben ihrer Hauptindikation „Erkäl- tungskrankheiten“ vor allem als Mittel gegen Schwindel, Brechreiz, rheuma- tische Beschwerden, klimakterische Beschwerden oder Schlafstörungen verordnet. Arzneimittel der besonde- ren Therapierichtungen waren 1996 in etwa der Hälfte der 45 Indikations- gruppen des Arzneiverordnungs-Re- ports vertreten.

Keine Phytopharmaka gegen ernste Erkrankungen

Unter den Pharmaka, die bei

„ernsten“ Erkrankungen verordnet wurden, waren Arzneimittel der be- sonderen Therapierichtungen in den Jahren 1994 bis 1996 jedoch nicht ver- treten (7, 9). Zu diesen Erkrankungen zählten starke Schmerzen, Blutarmut, kardiale Rhythmusstörungen, schwere Infektionskrankheiten, Diabetes, Epi- lepsie, Hochdruck, schwere rheumati- sche Erkrankungen, muskuläre und vaskuläre Erkrankungen des Herzens, Asthma bronchiale, Fettstoffwechsel- störungen, Augenkrankheiten, Parkin- sonsche und andere neurologische Er- krankungen oder Schilddrüsenerkran- kungen.

Phytopharmaka und Homöopa- thika werden demnach bevorzugt an- gewendet bei:

1 subjektiv wahrgenommenen

„Befindlichkeitsstörungen“

1 bei Krankheitszuständen, bei denen eine objektive Erfolgskontrolle durch Messungen (zum Beispiel Blut- hochdruck, EKG) oder Laborwerte (zum Beispiel Glukose, Kreatinin) nicht möglich ist,

1 bei Erkrankungen, bei denen mit einer hohen Rate von Spontanhei-

lungen (bei Akutstörungen regel- mäßig) oder Verlaufsschwankungen (bei chronischen Schmerzzuständen) zu rechnen ist, so daß sich eine Er- folgserwartung in vielen Fällen be- stätigen muß.

Demnach ist das Spektrum der Patienten, bei denen bevorzugt Arz- neimittel der besonderen Therapie- richtungen eingesetzt werden, grund- verschieden von dem der Patienten, die nicht zu dieser Gruppe gehören.

Für Fertigarzneimittel hat die Gesetzliche Krankenversicherung 1996 insgesamt 34,7 Milliarden DM ausgegeben. Der Umsatz der 2 000

„führenden“ Arzneimittel des Arz- neiverordnungs-Reports betrug 29,6 Milliarden DM (7). Der Umsatzan- teil der „besonderen“ der 2 000

„führenden“ Arzneimittel betrug et- wa zwei Milliarden DM, von denen etwa 1,8 Milliarden DM auf Phyto- pharmaka und 0,2 Milliarden DM auf Homöopathika entfielen. Bemer- kenswert ist die Bestätigung einer Analyse von 1995 (10), daß die durch- schnittlichen Kosten einer Phyto- pharmaka-Tagesdosis nicht unter, sondern leicht über denen einer Ta- gesdosis der 1 000 „führenden“ Arz- neimittel liegen (Tabelle).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1665–1666 [Heft 26]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Hans Friebel Uferstraße 42

69120 Heidelberg

A-1666 (34) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 26, 26. Juni 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Tabelle

Die Kosten phytotherapeutischer und homöopathischer Arzneimittelversorgung

Anzahl der Verordnungen Durchschnittl. Kosten Durchschnittl. Kosten in Mio. je Verordnung in DM je Tagesdosis in DM

1994 1995 1996 1994 1995 1996 1994 1995 1996

Die 1000 „führenden“ Arzneimittel 682,4 726,1 705,4 33,2 33,0 34,7 1,0 1,0 1,0

Anteil der Phytopharmaka 51,4 53,3 51,3 28,2 27,4 27,1 1,0 1,1 1,1

Anteil der Homöopathika 8,5 8,3 9,7 15,7 15,7 16,2 0,6 0,6 0,6

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