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Archiv "Nachdenken über Widersprüche" (19.09.1974)

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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR

In einem Artikel, dem „humanitas", die Ostberliner „Zeitung für Medi- zin und Gesellschaft", immerhin eine halbe Seite einräumte, veröf- fentlicht Obermedizinalrat Dr. W.

Menz „einige Gedanken" zum Be- griff „Arzt des Vertrauens". Anlaß ist der „Gemeinsame Beschluß"

des Politbüros der SED, des DDR- Ministerrates und des Vorstandes des Freien Deutschen Gewerk- schaftsbundes vom 25. September 1973, in dem wesentliche Verbes- serungen im Gesundheitswesen angekündigt wurden. Insbesondere beschäftigt sich der Artikel mit der Forderung des „Gemeinsamen Be- schlusses", die medizinische Be- treuung „so auszubauen, daß die Bürger überall von ihrem Recht Gebrauch machen können, den Arzt ihres Vertrauens (Hausarzt) zu wählen und ohne Schwierigkeiten dessen Rat einzuholen und seine Hilfe in Anspruch zu nehmen" (vgl.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 52/1973, Seite 3515).

Der Obermedizinalrat will in sei- nem Beitrag Gedanken zur prakti- schen Lösung dieser Aufgabe zur

Diskussion stellen. Daß dies ge- schieht, ist unter ideologischen Gesichtspunkten schon höchst be- merkenswert. Und: Was gesagt wird, sollten eigentlich alle diejeni- gen zur Kenntnis nehmen, die das

„Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient" immer nur für das hohle Gerede einer bornierten, von Standesfürsten gegängelten, geldgierigen, konservativen Ärzte- schaft halten.

„Der Arzt ist wesentlich ein Ver- trauensmann", zitiert der Oberme- dizinalrat, und zwar nicht etwa aus Lenin oder Karl Marx, sondern aus Rudolf Virchow. „Von dem Augen- blick, wo er diesen Charakter ver- liert, hört seine Bedeutung auf."

Und der DDR-Arzt fügt wörtlich hinzu: „Die damalige Forderung ist

heute dem Sinne nach auf einer höheren Stufe für alle Bürger gül- tig, da sie eben einem elementaren Bedürfnis der Patienten ent- spricht."

Der ganze Aufsatz hätte fast unver- ändert auch in der Bundesrepublik erscheinen können. Das gilt vor al- lem für den Katalog der prakti- schen Vorschläge des Autors, de- ren Verwirklichung, wie er sagt, dazu führen würde, daß sich zwi- schen Patient und Arzt vertrauens- volle Beziehungen entwickeln:

D 36 ausgewiesene Sprechstun- den pro Arzt und Woche, die gegen Störungen jeder Art „tabu" sein müßten. Abzüglich 72 Sprechstun- den pro Jahr für Fortbildung, Not- dienst und Ähnliches käme .man so auf 1400 Sprechstunden im Jahr.

Bei Erstkonsultationen sollte grundsätzlich auch ohne telefoni- sche Voranmeldung eine zumutba- re Wartezeit gewährleistet sein.

I> Selbst Spezialdispensaires (Schwangeren-, Mütter-, Diabeti- ker-, Tuberkuloseberatung) ließen sich so organisieren, daß die Pa- tienten weitgehend den „Bera- tungsarzt ihres Vertrauens" wählen können.

I> Namensschilder für Arzt und Schwestern schlägt der Verfasser vor, wie sie heute an jedem Post- schalter selbstverständlich sind.

Bei zwei Argumenten des Oberme- dizinalrates aber wird man hellhö- rig, wenn man die Argumente bun- desrepublikanischer Systemkritiker in Illustrierten oder auf dem Bild- schirm oft genug genossen hat.

Bei uns im Westen wird die kas- senärztliche Versorgung oft als

„Fünf-Minuten-Medizin" verächtlich

gemacht. Und auf welcher Grund- lage plant ,man im angeblich so vorbildlichen Gesundheitswesen der DDR? Wir zitieren den Ober- medizinalrat: „Wenn man nun die durchschnittliche Dauer einer ärzt- lichen Konsulation mit 5 bis 10 Mi- nuten vorgibt als ein Minimum, um Untersuchung und Beratung mit in- dividuellem Gespräch zu verbin- den, so erhält man eine reale Pla- nungsgrundlage für die ärztliche Besetzung, die im Sinne der Aufga- benstellung des Gemeinsamen Beschlusses schrittweise anzu- streben wäre."

1> Wohlgemerkt: Die „Fünf-bis- zehn-Minuten-Medizin", die gibt's in der DDR noch gar nicht, die wird erst angestrebt!

Das andere ist die Aussage, kein noch so gut funktionierender Not- dienst könne den Hausbesuch er- setzen. Hausbesuche seien we- sentlicher und untrennbarer Be- standteil der Arbeit des Hausarz- tes. Das gelte übrigens für den Chirurgen, der Gehbehinderte nach der Behandlung zu Hause auf- sucht, und den Augenarzt, der eine Blindengeldbegutachtung im häus- lichen Milieu vornimmt, ebenso wie für den Allgemeinmediziner oder Pädiater.

Hier allerdings muß der Obermedi- zinalrat einen DDR-spezifischen Wunsch anfügen: Gebt uns endlich Autos! Auf DDR-Funktionärs- Deutsch: „Ärzte mit besonders um- fangreicher Hausbesuchstätigkeit sollten schrittweise mit Selbstfah- rerdienstfahrzeugen ausgerüstet werden."

Warum ist dies alles so bemer- kenswert? Weil wieder einmal be- wiesen werden kann, daß wir im Westen es schon immer besser ge- wußt haben? Daß es mit dem oft als vorbildlich hingestellten Gesund- heitswesen der DDR nicht so weit her sein kann, sondern daß die DDR offenbar gezwungen ist, west- liche Elemente zu übernehmen (mit entsprechender ideologischer Ver- brämung)? Und weil den System- veränderern bei uns etliche Qua-

Nachdenken über Widersprüche

In der DDR wird wieder von der „freien Arztwahl" gesprochen

2688 Heft 38 vom 19. September 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung AUS DEN BUNDESLÄNDERN

dratzentimeter Boden unter den Füßen weggezogen werden, weil sie doch alle „Linke" sind und ihre Ideen „von drüben" beziehen?

Nein, nicht nur deswegen. Wer sich damit begnügt, steckt noch im Kal- ten Krieg. Man sollte ruhig einmal länger darüber nachdenken. Viel- leicht haben nämlich Ärzte und so- gar Gesundheitsfunktionäre in der DDR seit langem gefordert, daß wieder vom „Vertrauensverhältnis"

und der „freien Arztwahl" gespro- chen werden darf — freuen wir uns, daß es endlich soweit ist! Wä- ren wir jahrzehntelang mit einem System von Polikliniken, Dispensai- res, Ambulanzen und sonstigen Einrichtungen (in denen sogar in

„Wettbewerben" um die Planerfül- lung „gekämpft" wird!) gesegnet gewesen — hätten wir dann nicht auch immer wieder die freie Arzt- wahl gefordert?

Und sollten wir nicht daraus einmal den Schluß ziehen, daß auch Ärz- ten, die in staatlichen Gesundheits- systemen arbeiten, ob in Ost oder West, ihr Beruf als Berufung viel- leicht wichtiger ist als das System?

Das ist eine Frage, die sich Sy- stemveränderer wie Systemvertei- diger gleichermaßen stellen könn- ten: Funktioniert ein System nur deswegen schlecht, weil es staat- lich oder eben nicht staatlich ist?

Identifiziert man nicht zu oft die Menschen, die in ihm arbeiten, mit dem System, auf das man einprü- gelt? Fällt eigentlich niemandem das scheinbare Paradox auf, daß gerade die Briten, denen Respekt vor der Individualität über alles geht, die in menschlicher Fürsorge und persönlicher Hilfsbereitschaft nicht so leicht zu überbieten sind, mit einem staatlichen Gesundheits- dienst ganz gut zurecht kommen?

Weil eben offenbar Ärzte (und auch Gesundheitspolitiker!) fähig sein können, mit den Widrigkeiten sol- cher System fertig zu werden.

Nur, liegt den DDR-Verantwortli- chen wirklich am Wohl der Patieti- ten, oder betreiben Sie im Inter- esse des Staates Opportunität? gb

HAMBURG

Kommerzielles

„Facharztzentrum"

in Altona gescheitert

Das Projekt des „Norddeutschen Facharztzentrums" in Hamburg-Al- tona ist wenige Wochen vor der Er- öffnung vom Geschäftsführer Dr.

med. Ruprecht Hohlfeld als ge- scheitert bezeichnet worden. In diesem Zentrum sollten mit einem Aufwand von 72 Millionen DM meh-

rere Dutzend Fachärzte — nach manchen Angaben bis zu 120 — unter einem Dach arbeiten.

Als entscheidenden Grund für die Aufgabe des Projekts gab Dr. Hohl- feld an, die Firma Siemens sei von einer Kreditvereinbarung zurückge- treten, nach der sie medizinische Geräte im Werte von 7,5 Millionen DM hätte liefern sollen. Vorausset- zung dafür war, daß bis Mai dieses Jahres mindestens 30 Ärzte einen Vertrag mit dem Facharztzentrum unterschrieben hätten. Tatsächlich gab es bis zu diesem Zeitpunkt nur sechs feste Verträge und sieben Vorverträge. Dabei war vorher von dem Unternehmen erklärt worden, mehr als 140 Ärzte hätten ihr Inter- esse an einer Mitarbeit bekundet.

Die Aufgabe des Projekts bedeutet, daß etwa 450 Kommanditisten der Norddeutsche Facharztzentrum GmbH & Co. KG wahrscheinlich zwei Drittel ihrer Einlagen von zu- sammen 10 Millionen DM verlieren.

Sieben Millionen DM wurden be- reits aufgewandt für spezielle Ein- bauten, für Werbung und für die Geschäftsführung der Gesellschaft.

Das Gebäude soll jetzt für Büros, Läden und einzelne Arztpraxen ge- nutzt werden.

In einer Pressekonferenz beschul- digten Geschäftsführer Dr. Hohlfeld und der Justitiar Dr. Mertens die Kassenärztliche Vereinigung Ham- burg, sie habe durch „negative Propaganda" und „falsche Aus- künfte" interessierte Ärzte davon abgehalten, eine Praxis in dem ge- planten Zentrum zu beziehen. In der Presse wurde ferner angedeu-

tet, die KV Hamburg habe die Fir- ma Siemens unter Druck gesetzt, das Facharztzentrum nicht zu belie- fern. Andere freipraktizierende Ärz- te würden sonst von Siemens keine Geräte mehr beziehen.

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg hat in einer ausführlichen Stellungnahme diese Behauptun- gen zurückgewiesen und daran er- innert, daß sie bereits im Sommer 1972 der Presse gegenüber ihre Bedenken über das geplante Zen- trum geäußert habe. Die damaligen Erläuterungen seien auch heute noch aktuell.

So ist der Stadtteil Altona gerade das mit Fachärzten am besten ver- sorgte Gebiet der Hansestadt Ham- burg. Es sei also unsinnig, dort noch weitere 120 Fachärzte zu kon- zentrieren. Die KV habe deshalb pflichtgemäß als Körperschaft des öffentlichen Rechts Senat und Bür- gerschaft vor einer finanziellen Un- terstützung dieses Vorhabens ge- warnt. Weiterhin liege es nicht im Interesse der Patienten, der Allge- meinheit und auch nicht der ärztli- chen Arbeitsweise, wenn eine so große Zahl von zusätzlichen Ärzten dazu verführt werden soll, an je- dem einzelnen Patienten eine gro- ße Anzahl von Untersuchungen machen zu müssen, um überhaupt existieren zu können und auch noch für die Geldgeber eine Rendi- te von 25 Prozent zu erwirtschaf- ten. Nach den bisherigen Erfahrun- gen, so erklärte die KV Hamburg bereits im Sommer 1972, haben solche Mammutunternehmen keine wirtschaftliche Zukunft. Damit wür- de dann die Existenz der beteilig- ten Ärzte gefährdet, die ohnehin in großen Neubaugebieten, in kleinen Städten oder auch auf dem Lande dringender gebraucht werden.

Zu den aktuellen „Beschuldigun- gen" erklärt die KVHamburg, sie ha- be selbstverständlich keine falschen Auskünfte gegeben. Im Rahmen der normalen Beratung von nieder- lassungswilligen Ärzten sei sicher- lich Interessenten davon abgeraten worden, sich im gutversorgten Al- tona niederzulassen. Der Kassen-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 19. September 1974 2689

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