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Archiv "Nachdenken über Pharmakologie: Ihre Bedeutung für die Arzneitherapie heute" (04.05.1989)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

und unserer praktischen Tätigkeit ist nach Möglichkeit der Verbund aller chirurgischen Spezialgebiete mit dem Gebiet zu erhalten. Repräsen- tanten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen und der Spezial- und Teilgebietsgesellschaf- ten sollten mit den zuständigen Ver- tretern der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages an dieser Aufgabe gemeinsam arbeiten. Mit einem Bekenntnis zu seiner Gemein-

In den vor uns stehenden Jah- ren werden die Jahrhundert- feiern der Existenz pharmako- logischer Institute an unseren Universitäten ablaufen. Mit zu den ältesten Instituten auf deutschem Boden gehört übrigens das Rostok- ker in der Deutschen Demokrati- schen Republik; es wird demnächst 125 Jahre. Gleichzeitig müssen wir uns jedoch eingestehen, daß der Wa- gemut, mit dem sich unsere Altvor- deren der Entwicklung der rationa- len Medizin gestellt haben, von uns zwar noch mit derselben Überzeu- gungskraft verfochten, jedoch nicht mehr so überzeugend wie einstmals allenthalben akzeptiert wird. Wäh- rend die diagnostischen Verfahren von einem Triumph zum anderen schreiten, droht die Bundesrepublik Deutschland bei der Bewältigung der Bewertung therapeutischer Ver- fahren mit rationalen Methoden mehr und mehr zu einem Entwick- lungsland zu werden. Die Institute für klinische Pharmakologie an unse- ren Universitäten lassen sich an ei- ner Hand abzählen, und dort, wo sie existieren, scheinen die Erfahrungen bisher noch nicht so durchschlagend

schaft aller Chirurgen ist der Spezia- lisierung in der Einheit der Chirurgie am besten gedient. Sie erfüllt damit die Erwartungen der ihr anvertrau- ten Patienten.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Edgar Ungeheuer

em. Direktor der Chirurgischen Klinik im ICrankenhaus Nordwest Steinbacher Hohl 2-26

6000 Frankfurt/Main 90

gut zu sein, daß die Nachahmung ih- rer Begründung mit derselben Eile und Uberzeugung vorgenommen wird wie ehedem die Begründung pharmakologischer Institute im Deutschen Reich. Dabei muß noch einmal darauf hingewiesen werden, daß es allerhöchste Zeit ist, die Be- wertungen therapeutischer Verfah- ren mit einem rationalen Instrumen- tarium so vorzunehmen, daß daraus Handlungsanweisungen abgeleistet werden können.

Vor kurzem mußte der Modell- versuch der Beratung von Ärzten in Fragen der Arzneitherapie durch Apotheker in einem süddeutschen Staat abgebrochen werden. Ich habe das mit einigem Schmunzeln zur Kenntnis genommen Weniger be- eindruckt hat mich an dieser Nach- richt, daß sich die Ärzte durch Apo- theker nicht beraten lassen wollten.

Sie nehmen ja auch unseren Rat nicht unbedingt in Anspruch, ob- gleich wir, wie gesagt, schon über 100 Jahre unter anderem auch zu dieser

Aufgabe ins Brot gesetzt worden sind. Es sollte uns vielmehr nach- denklich machen, daß Ärzte offen- sichtlich in Fragen der Arzneithera- pie gar keinen Anspruch auf Bera- tung erheben. Das kann bedeuten, daß sie dieses Rates nicht bedürfen.

Dann allerdings ist die Frage zu stellen, weshalb so viele Institutio- nen, zuletzt das Ministerium für Ar- beit und Sozialordnung, unter der Motivation antreten, gerade den Arzten den Umgang mit Arzneistof- fen gewissermaßen zu „erleichtern", weil doch der Markt, das Angebot und das, was man über Arzneimittel weiß, so unübersichtlich und un- durchschaubar geworden sei. Offen- sichtlich geht die Einschätzung da- hin, daß es mit dem pharmakologi- schen Wissen unserer Arzte nicht so weit her sei. Dabei liegt die einfach- ste Abhilfe auf der Hand: keiner un- serer Ärzte ist gezwungen, von Arz- neimitteln Gebrauch zu machen, wenn er sie nicht kennt und hinsicht- lich der erwünschten wie der uner- wünschten Wirkungen zu beherr- schen gelernt hat. Selbst diese trivia- le Lehre über den Tisch zu bringen, ist uns offensichtlich in den letzten Jahren weniger und weniger gelun- gen.

Pharmakologie an der Universität

Wenn man die Gründe dafür sucht, kommt man nicht darum her- um festzustellen, daß nach rund 100 Jahren Vertretung der wissenschaft- lich fundierten Pharmakologie und Toxikologie in der Ausbildung von angehenden Ärztinnen und Ärzten der Stellenwert dieses Faches in un- seren Fakultäten keineswegs unum- stritten ist. Entgegen jeder besseren Einsicht ist zunächst einmal in der wilden Imitationssucht alles dessen, was aus der angelsächsischen Welt als bewährt gilt, Pharmakologie und Toxikologie vom Ende der Ausbil- dung, wo sie ja deshalb gelehrt wur- de, weil erst dann die Kenntnisse in

der Krankheitslehre vorliegen, in die

Nähe der vorklinischen Ausbildung gerückt worden. Das Prüfungssystem hat dann das Seine dazugetan. >

Nachdenken

über Pharmakologie:

Ihre Bedeutung für die Arzneitherapie heute

Wolfgang Forth

I Brauchen Ärzte Rat?

Dt. Ärztebl. 86, Heft 18, 4. Mai 1989 (69) A-1317

(2)

Indes gibt es mittlerweile wieder Lichtblicke. Die Tatsache, daß phar- makologische und pharmakothera- peutische Sachverhalte expressis ver- bis in allen in der Approbationsord- nung vorgesehenen Prüfungen ent- halten sind, gibt dem Fach die Chan- ce, das Versäumte wieder aufzuho- len. Ich meine nicht das Abfragen pharmakologischen Wissens in den schriftlichen Prüfungen, die ich per- sönlich zu den dunkelsten Kapiteln der didaktischen Fehlleistungen in der humanmedizinischen Ausbil- dung rechne. Ich habe noch keine Analyse dessen, was im Vergleich mit den in den USA allerdings sehr viel lockerer und unkomplizierter ge- stalteten schriftlichen Verfahren bei uns so schiefgelaufen ist, daß die Studenten sich eher geneigt zeigten, eine Unzahl von Fragen und deren Beantwortung auswendig zu pauken, als sich doch mit der intellektuellen Herausforderung des Verständnis- lernens zu befreunden, mit dem not- gedrungenermaßen die Aneignung von Sachwissen verbunden ist.

Wer aber regelmäßig einen Blick in die von den Studenten (schlecht) kommentierten Fragenkataloge wirft, die seit Jahren nach jeder schriftlichen Prüfung vom Verlag Chemie gesammelt und veröffent- licht werden, erhält eine Ahnung da- von, was hier so schlecht funktioniert hat: Die dort gestellten . Fragen ge- hen eben nicht auf die Uberprüfung von Sachwissen aus. Die Versuche, in der Frage durch komplizierte Konstruktionen Verständniswissen und manchmal sogar komplizierte medizinische Zusammenhänge abzu- fragen, hat dann dazu geführt, daß den Studenten eher hochintellektu- elle Kreuzworträtsel und verschach- telte Denkspiele vorgelegt werden, so daß schon einmal auch handfest Begabte auf der Strecke bleiben kön- nen. Ich glaube zwar nicht, daß die bundesweit bessere Benotung der angehenden Ärztinnen und Arzte in den mündlichen Prüfungen im Ver- gleich mit den schriftlichen Leistun- gen nur darauf zurückzuführen ist, daß sich der unkomplizierte Intellekt im Gespräch eben besser zur Gel- tung bringen läßt. Hier ist sicherlich auch ein ganz gerütteltes Maß an Opportunismus im Spiel.

Die Insider wissen, wovon die Rede ist, wenn ich das einmal unver- blümt als handfeste Erpressungsver- suche der Prüfer und der Prüfungs- administrationen nennen möchte, der wir uns wenigstens durch einen Teil der Studentenschaft ausgesetzt sehen, wenn es darum geht, die Ap- probationsordnung auszuhöhlen. Es gibt nach meinem Dafürhalten keine einzige Staatsprüfung in der Bundes- republik Deutschland, in der die po- litischen Verantwortlichen so will- fährig sind wie gerade in der Medi- zin. Es ist uns allen zu Genüge be- kannt, wie selbst aus einigen Staats- kanzleien die Signale zur Korrek- tur ganzer Semesterergebnisse bei schiefgelaufenen Physikums-Prüfun- gen ergangen wird. Gegenwärtig wird unter dem Vorwand der soge- nannten „Chancengleichheit", die gleich bundesweit und von Semester zu Semester sichergestellt werden soll, eigentlich wieder um den Kern der Frage diskutiert, wie intensiv ei- gentlich eine Prüfung nach einem langen Medizinstudium sein darf.

Prüfungsfach und Prüfer

Chancengleichheit, das wird in den Augen jenes „aktiven" Teils der Studentinnen und Studenten durch die namentliche Feststellung eines Prüfers, bei dem man sich nicht nur vorstellt, sondern auch rasch eine Einigkeit über den abzufragenden Prüfungsstoff herbeiführt und mit dem dann anschließend die Frage der Benotung einvernehmlich zu be- sprechen ist, verstanden. Unsere Vorschläge, nur das Prüfungsfach und nicht die Prüfer zu benennen, die sowieso in einem ärztlichen All- tag großer Kliniken bis zum Schluß austauschbar bleiben müssen, ist da- bei selbst bei den Prüfungsaufsichts- behörden auf Ablehnung gestoßen.

Das Argument war nicht sehr über- zeugend: die Approbationsordnung sehe keine Prüfungsfächer vor, je- denfalls nicht im 3. Studienabschnitt, sondern nur Prüfer.

Richtig ist, daß die Approba- tionsordnung die Möglichkeit ge- schaffen hat, die Medizin gewisser- maßen „paradigmatisch" zu prüfen, einfach deshalb, weil auch heute

noch bei der großen Zahl der Stu- denten eine Uberprüfung des Wis- sens in den mündlichen Prüfungen durch Prüfer aller Disziplinen nicht möglich ist. Wer aber meint, daß un- sere Fakultäten Prüfer in unbegrenz- ten Zahlen zur Verfügung hätten, die gewissermaßen die gesamte Me- dizin und nicht etwa aus dem Blick- winkel ihres eigenen Faches prüfen könnten, der ist eben mit der Praxis der Ausbildung von Hochschulleh- rern nicht oder nur wenig vertraut.

Derartige Prüfer gibt es einfach nicht, und wenn wir die jungen Do- zenten betrachten, die augenblick- lich die Hauptlast der mündlichen Prüfungen zu tragen haben, dann ist mit diesem Anspruch an die Prüfer schon gar nichts zu machen. Sicher- lich, sie werden älter und erfahrener, nur werden sie dann ihrer Zahl nach in unseren Fakultäten eben wieder- um geringer und können die Haupt- last der Prüfung schon deshalb nicht mehr tragen.

Die Approbationsordnung hat deshalb weise das sogenannte para- digmatische Prüfungsverfahren for- muliert, das nämlich die Vorberei- tung auf die Prüfung der gesamten Medizin vorsieht. Dann aber wird, gewissermaßen in randomisierter Zuteilung, nur am Beispiel einzelner Fächer überprüft. Wenn aber die Abwahl der nicht geprüften Fächer schon vor der Prüfungsvorbereitung möglich ist, dann ist ja wohl der Sinn der Approbationsordnung direkt auf den Kopf gestellt worden. Wenn die- se Philosophie bundesweit beibehal- ten wird, dann ist nach meinem Ver- ständnis die Verbesserung des Grundwissens, daß nun einmal die Voraussetzung für einen rationalen Umgang mit Arzneistoffen ist, auf den Sankt Nimmerleinstag verscho- ben, denn wir haben einfach die Zahl der pharmakologisch und/oder phar- makotherapeutisch vorgebildeten Prüfer gar nicht zur Verfügung, daß wir für jede einzelne Prüfungsgruppe zwingend einen derartigen Prüfer vorsehen könnten, um die in der Approbationsordnung vorgesehenen Wissensüberprüfungen durch fach- vertretende Dozenten der Pharma- kologie und Toxikologie oder kli- nisch-pharmakologisch vorgebildete Kliniker präsent zu haben.

A-1318 (70) Dt. Ärztebl. 86, Heft 18, 4. Mai 1989

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Die Kliniker und wir

II

Diese Entwicklung haben nicht zum geringsten Teil vor allen Dingen unsere klinischen Kollegen des alten Zuschnitts zu verantworten, die im- merhin über zwei Jahrzehnte außer- ordentlich wirkungsvoll die Installa- tion klinisch-pharmakologischer Ein- heiten, die einen systematischen Un- terricht der Arzneitherapie hätten entwickeln können, zu verhindern verstanden. Die Vorstellung, daß der Kliniker gewissermaßen als ureigene ärztliche Aufgabe den intelligenten Umgang mit Arzneistoffen und die Bewertung von Therapieverfahren wahrnehmen könnte, ist Fiktion ge- blieben, denn die speziellen Anfor- derungen, die mit der Bewertung von Therapieprinzipien in Zusammen- hang stehen und ein gediegenes epi- demiologisches Wissen zur Voraus- setzung haben, sind wie die sachge- rechte klinische Prüfung von Arznei- mittelwirkungen oder auch die Er- stellung funktionstüchtiger Arznei- mittelüberwachungssysteme selbst in sehr kleinen überschaubaren Berei- chen von Kliniken in der Bun- desrepublik Deutschland wenigstens nicht soweit entwickelt worden, daß wir hier einen international aner- kannten Standard vorzuweisen hät- ten.

Klinische Pharmakologie ist eben mehr als die Messung der Kon- zentrationen von Arzneistoffen in Körperflüssigkeiten, unter Einbezug ihrer Metabolite, oder die Erarbei- tung pharmakokinetischer Daten am Menschen, die selbstverständlich je- der Arzt unter Inanspruchnahme ei- nes halbwegs funktionstüchtigen kli- nisch-chemischen Laboratoriums er- arbeiten kann.

Dabei ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit klinischer Phar- makologie keineswegs an die Exi- stenz fachübergreifender Lehrstühle gebunden, und ich bin der Letzte, der nicht davon zu überzeugen ist, daß die einst hochgestochenen WHO-Anforderungen an klinisch- pharmakologische Einrichtungen nicht zuletzt Schuld dafür tragen, daß derartige Institutionen in unse- ren Fakultäten einfach nicht errich- tet werden konnten. Trotz der Tatsa- che, daß der personelle Sachver-

stand in der Bundesrepublik durch- aus vorhanden wäre, ist es aber auch in den einzelnen Kliniken nicht zu der Errichtung permanent arbeiten- der Arbeitseinheiten wie beispiels- weise Abteilungen gekommen, an deren Spitze C-3-Professoren stehen könnten. Sie wären nicht nur die sinnvollen Forschungseinrichtungen für klinisch-pharmakologische Fra- gestellungen in den einzelnen Klini- ken; die ldinische Pharmakologie in der Psychiatrie sieht sicherlich ganz anders aus als diejenige in der Inne- ren Medizin oder der Frauenklinik, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. In diesen Abteilungen hätte auch das Lehr- und Lerngerüst für die systematische Vermittlung des Wissens darüber erarbeitet werden können, wie rational therapiert wer- den muß. Hier hätten wir auch heute das Reservoir an Prüfern finden kön- nen, das den mit Recht in der Ap- probationsordnung verankerten An- sprüchen an das Wissen den Studen- tinnen und Studenten auf diesen Ge- bieten abfordern könnte.

Der sehr timiden Haltung unse- rer Kollegen in Sachen klinische Pharmakologie steht gegenwärtig der geradezu exorbitante Anspruch an Wissenschaftlichkeit bei der Be- wertung von Arzneimitteln gegen- über, die ja zum nicht geringsten Teil gerade deshalb bisher noch in so we- nigen Fällen handfest bewertet wor- den sind, weil die gleichen Leute die Entwicklung adäquater wissenschaft- licher Einrichtungen für diesen Zweck in ihrem Bereich behindert haben.

Da ist jetzt die Rede davon, daß alle, ausnahmslos alle Arzneistoffe, der gleichen Bewertung unterworfen werden müßten, unabhängig davon, ob sie in den Retorten der Industrie, auf den Feldern Gottes gewachsen, extrahiert und als Phytopharmaka in den Handel gebracht oder durch be- sondere Schüttelpraktiken streng zum Erdmittelpunkt als Homöopa- thika erzeugt, bei denen nicht einmal der Fachmann in der Lage ist, auf

Anhieb über die Konzentration der Wirkstoffe eine Aussage zu machen.

Hier gilt es einen Denkfehler zu bereinigen. Soll allen Ernstes mit den Methoden der wissenschaft- lichen Schulmedizin ein Homöopa- thikum einer klinischen Prüfung un- terzogen werden, angesichts der un- bestreitbaren Tatsache, daß doch schon die Grundsätze über die Aus- wahl der Arzneistoffe, ihre Dosie- rung, die pathogenetische Bewer- tung von Krankheiten und die schließlich daraus abzuleitenden In- dikationen für derartige Arzneistoffe in der Homöopathie nach ganz ande- ren Grundsätzen erfolgt als in der Schulmedizin? Soll in der Tat die Bewertung von Arzneistoffen ledig- lich unter der Prämisse der epide- miologisch faßbaren Wirkung oder Nicht-Wirkung vorgenommen wer- den? Dann sind wir bei dem dümm- lichen Satz gelandet „Wer heilt, hat recht", demgegenüber jede wissen- schaftliche Bewertung einer ärzt- lichen Handlung in Sprachlosigkeit einmünden muß. Das ist jedenfalls nicht die Grundlage, auf der phar- makologisch und toxikologisch gebil- dete Ärzte Bewertungen von Arznei- stoffen vornehmen.

Ich habe übrigens den Verdacht, daß mit der exorbitant puristischen Attitüde der gleichen Elle für alle Arzneistoffe auch so beiläufig Ho- möopathika und Phytotherapeuti- ka gewissermaßen wegrationalisiert werden sollen. Gerade hier liegt der Fehler im Denkansatz. So wenig ein Totenschein dazu geeignet ist, eine Statistik über die Todesursachen an- zufertigen, so wenig ist das Rezept als Ausweis für die wissenschaftlich adäquate Behandlung einer Krank- heit erfunden worden. Es ist zu- nächst einmal der Ausweis fiir die Erstattung oder Bezahlung eines Arzneimittels, das ein Arzt verord- net hat. Man muß nicht unbedingt den nebulösen Begriff der Therapie- freiheit strapazieren, um auch Laien verständlich zu machen, worum es dabei eigentlich geht.

Der ärztliche Handlungsspiel- raum wird deshalb mit Recht groß gehalten, weil der adäquate Einsatz der Mittel oft eben nicht in eine di- rekte Beziehung zu den systematisch aufgelisteten, international verein-

I Anspruch und Wirklichkeit

Dt. Ärztebl. 86, Heft 18, 4. Mai 1989 (73) A-1321

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

1949 1989

barten Diagnosen gesetzt werden kann, die in den Etagen derjenigen eine so große Rolle spielen, die ärzt- liche Handlungen auf ihre Okono- mie hin überprüfen wollen.

Wir werden übrigens in den letz- ten Monaten zunehmend mit Ersu- chen überschüttet, Krankenkassen unter diesem Aspekt von der Erstat- tungspflicht für bestimmte Thera- pien freizustellen. In der Regel wei- gere ich mich, und dies, wie ich glau- be, mit guten Gründen. Wie soll man sich als Gutachter verhalten, wenn ein Patient mit nachvollziehbarer chronischer Schmerzbelastung die üblichen Schmerzbehandlungen ver- weigert, weil er mit bestimmten Phy- totherapeutika zu seiner und seines Arztes Zufriedenheit bestens geführt werden kann? Oder wie verhält man sich bei einem Patienten mit inope- rablem Karzinom, der sich den Al- ternativen der Behandlung, die die

Schulmedizin in diesen Fällen zu bieten hat, mit mir durchaus ver- ständlichen Gründen entzieht und sich mit Methoden behandeln läßt, die für meine Ratio undurchsichtig, wenn nicht gar mystisch sind? Daß die genannten Behandlungen in der Regel billiger, jedenfalls nicht teurer sind als die schulmedizinischen Of- ferten, sollte doch wenigstens die Krankenkassen aufhorchen lassen.

Meine Philosophie als Pharma- kologe und Toxikologe wird erst dann strapaziert, wenn durch die al- ternativen Behandlungen, die, ich will es nicht leugnen, zuweilen dem Patienten auch noch eingeredet wer- den, eine aussichtsreiche, manchmal sogar lebensrettende Therapie mit schulmedizinischen Methoden ver- hindert wird. Das ist aber in den bei- den Beispielen, die hier aufgeführt wurden, nicht der Fall. Fazit: die Pu- risten würden seelenruhig diesen Pa-

tienten die Kassenerstattung ihrer Krankheitskosten wohl in Abrede stellen, wozu ich mich nicht ent- schließen kann. Hier bedarf es offen- kundig einer sorgfältigen Differen- zierung, die unweigerlich auf eine kritische Therapiebewertung und ei- ne Nutzen-Risiko-Abschätzung hin- ausläuft, was im Einzelfall ange- bracht ist und was nicht. Hier verliert sich offensichtlich die Medizin in Be- reiche, die mit so einfachen Denkan- sätzen wie der ausschließlichen An- wendung von wissenschaftlich be- werteten Arzneimitteln nicht bewäl- tigt werden kann.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Wolfgang Forth Walther-Straub-Institut

für Pharmakologie und Toxikologie Ludwig-Maximilian-Universität Nußbaumstraße 26

8000 München 2

Psychiatrie in

den vergangenen vier Jahrzehnten

Rainer Tölle

p

sychiatrie heute und vor 40 Jahren — der Vergleich zeigt, wie sich dieses Fach gewandelt hat. Damals galt Psychiatrie — zusammen mit Neuro- logie — als eine kleine Disziplin, heu- te gehört Psychiatrie zu den großen medizinischen Fächern. Die Ent- wicklung der Psychiatrie in diesen vier Dezennien zeigt eindrucksvoll, wie therapeutische Fortschritte ein Fachgebiet grundlegend verändern können.

II Nachkriegssituation

111

1945 war die Psychiatrie wie alle medizinischen Disziplinen durch die Kriegsfolgen weit zurückgeworfen, zudem aber schwerst belastet durch die Euthanasie an psychisch Kran- ken. Sie litt unter dem Verlust be-

sonders zahlreicher führender Wis- senschaftler, die aus rassischen oder politischen Gründen emigriert wa- ren. Zwar bemühten sich nicht weni- ge deutsch-amerikanische Psychiater bald nach Kriegsende großzügig um die deutsche Psychiatrie, dennoch verliefen Wiederaufbau und An- schluß an die internationale Psychia- trie langsam.

I Wandel zur thera- peutischen Psychiatrie

In den fünfziger Jahren erfuhr die Psychiatrie auch in Deutschland einen zuvor ungeahnten therapeuti- schen Aufschwung: 1952 wurde in Frankreich Chlorpromazin als erstes Psychopharmakon für die Schizo- phreniebehandlung entdeckt, 1957 kamen noch intensivere Neurolepti-

ka der Phenothiazin-Reihe und der Butyrophenon-Gruppe hinzu. Hier- durch gelang es, akute schizophrene Syndrome sehr wirkungsvoll zu be- handeln und darüber hinaus durch Langzeitbehandlung Rezidive zu vermindern. Die Pharmakotherapie führte zu einer erheblichen Verkür- zung der Verweildauer im Kranken- haus und zu einem groß angelegten Bettenabbau in den Großkranken- häusern, sie ermöglichte des weite- ren eine durchgehende Milieuthera- pie im psychiatrischen Krankenhaus und verbesserte Bedingungen der Psychotherapie.

Im gleichen Jahr 1957 wurde in der Schweiz die antidepressive Wir- kung von Imipramin entdeckt, ande- re Antidepressiva folgten. In den sechziger Jahren wurde in Schweden die Behandlung der Alkoholdelirien mit Clomethiazol eingeführt, und in Dänemark wurde die Langzeitbe- handlung mit Lithiumsalzen entwik- kelt, mit der erstmalig eine wirksame Prophylaxe von genetisch mitbeding- ten Krankheiten, nämlich den affek- tiven Psychosen (Depression und Manie) erreicht wurde.

Diese Pharmakotherapie hat be- kanntlich die Psychiatrie grundle- gend verändert, jedoch nicht die me- dikamentöse Behandlung allein. In A-1322 (74) Dt. Ärztebl. 86, Heft 18, 4. Mai 1989

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