Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 8⏐⏐20. Februar 2009 A313
S E I T E E I N S
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it ihrer Analyse des Status quo treffen die FDP- Abgeordneten ins Schwarze: Das deutsche Krankenversicherungssystem sei durch die letzten Re- formen deutlich in Richtung eines zentralistischen, staatsgesteuerten Einheitskassensystems verschoben worden, heißt es im Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zur Neuordnung des Gesundheitswesens. Die Patienten würden gegängelt und zunehmend in standardisierte Schablonen gepresst – „man raubt ihnen mehr und mehr ihre Autonomie, gemeinsam mit ihrem Therapeuten eine Behandlung zu vereinbaren, die bei ihnen den besten Er- folg verspricht“. Wohl kaum eine Ärztin, kaum ein Arzt könnte diese Entwicklung nicht bestätigen. Der Staat versuche derzeit, alles und jedes bis ins Detail zu regeln.Daraus resultiere ein Klima des Misstrauens, auch ge- genüber den Ärzten. Dies müsse ein Ende haben. Es sei an der Zeit, „das Steuer herumzureißen“.
Doch in welche Richtung soll die Reise gehen? Unter der Überschrift „Für ein einfaches, transparentes und leistungsgerechtes Gesundheitswesen“ fordern die Li- beralen nicht weniger als die Privatisierung des gesam- ten Krankenversicherungssystems. Dazu sollen die Krankenkassen in private „Unternehmen mit sozialer Verantwortung“ umgewandelt werden. Private und bis- her gesetzliche Anbieter würden somit gleichgestellt.
Jeder Bürger wäre zwar weiterhin zum Abschluss einer (Basis-)Krankenversicherung verpflichtet, hätte aber die freie Wahl unter allen Krankenversicherern. Ob die Anbieter dabei jeden Interessenten aufnehmen müss- ten und ob Gesundheitsprüfungen in Verbindung mit etwaigen Prämienaufschlägen zulässig wären, lässt der Antrag offen. Ein FDP-Fraktionssprecher bestätigte jedoch auf Nachfrage, dass in der Grundversorgung ein Kontrahierungszwang ohne Bedingungen vorgese- hen ist. Die Absicherung im Krankheitsfall soll nach den FDP-Vorstellungen über „leistungsgerechte“ – das heißt einkommensunabhängige – Prämien erfolgen, die allein vom Versicherten zu zahlen sind. Im Gegen- zug erhielten Arbeitnehmer den bisherigen Arbeitgeber- anteil als Lohnbestandteil ausgezahlt. Damit belasteten steigende Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr automatisch die Lohnnebenkosten. Der soziale Aus- gleich erfolgt im FDP-Modell über das Steuer- und Transfersystem. Wie teuer dies dem Staat käme, haben
die Liberalen freilich nicht berechnet (oder sie wollen das Rechenergebnis für sich behalten).
„Elementare Voraussetzung“ für eine Gesundheits- versorgung, die sich an den Interessen der Patienten aus- richtet und individuelle Therapiekonzepte ermöglicht, ist nach FDP-Auffassung die Stärkung der ärztlichen Freiberuflichkeit. Denn: „Den Standardpatienten gibt es nicht und damit auch keine allgemeingültige Stan- dardtherapie.“ Leistung soll sich also wieder lohnen – auch für Ärzte. Wer gute Arbeit leistet, müsse auch mehr Geld erhalten, heißt es im Antrag. Dazu soll im niedergelassenen Bereich eine Euro-Gebührenordnung die hochkomplexen Regelleistungsvolumina und die Budgets ersetzen. Eine solche Euro-Gebührenordnung wäre auch Grundlage für das Kostenerstattungssystem, das das bisherige Sachleistungssystem ablösen soll.
Nach dem sehr guten Abschneiden bei der Landtags- wahl Mitte Januar in Hessen ist eine Regierungsbeteili- gung der Liberalen ab September auf Bundesebene rea- listisch. Sollte es tatsächlich dazu kommen, so spricht einiges dafür, dass die FDP Zugriff auf das Gesund- heitsressort erhält. Insofern ist der am 12. Februar im Bundestag diskutierte FDP-Antrag mehr als nur das Wunschdenken einer Oppositionsfraktion. Das Gute ist:
Das FDP-Konzept zielt in die richtige Richtung. FDP- Gesundheitsexperte Heinz Lanfermann fasste das Kon- zept der Liberalen als „Umkehr von der Staatsmedizin“
zusammen. Damit spricht er vielen Ärzten aus der See- le. Nach der Bundestagswahl werden sich die Liberalen an diesen Worten messen lassen müssen.
Jens Flintrop Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
ABKEHR VON DER STAATSMEDIZIN
In die richtige Richtung gedacht
Jens Flintrop