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Archiv "Also doch: Staatsmedizin" (18.02.1983)

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Bericht und Meinung NACHRICHTEN

Professor Johano Strasser, Mit- glied der Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD, ließ im letzten Augenblick am Schluß des SPD-Forums „Gesundheit 2000" am 2. Februar in Hamburg die Katze aus dem Sack: „Unser Weg bis zum Jahre 2000 geht hin zum öffentlich-rechtlichen Ge- sundheitswesen, die privaten In- teressen werden ausgeschaltet." — Damit hatte er ausgesprochen, was bereits den ganzen Tag über im Raume schwebte, aber nicht so richtig Platz greifen konnte, weil die 17 Redner vor Strasser zwar immer von Veränderungen ge- sprochen hatten, doch diesen Punkt im Nebel ließen. Der „Chef- denker" der SPD, Strasser, sieht nämlich die Behinderungen bei der Durchsetzung der Verände- rungsbestrebungen seiner Partei in den Interessen der Ärzte, der Pharmaindustrie und bei den Her- stellern medizinisch-technischer Geräte.

Strasser will auch die weitere technisch-ökonomische Entwick- lung gebremst haben, weil sonst noch mehr Schichtarbeit auf die Klasse der Arbeitnehmer zukom- men würde. Die kapitalistisch orientierte Interessengemein- schaft der Unternehmer müsse nämlich notgedrungen ihre Appa- rate und Maschinen wegen der Profite und Konkurrenz Tag und Nacht in Betrieb halten.

Außerdem müsse, forderte Johano Strasser, das geplante System von der überdimensionierten Zustän- digkeit der Allgemein- und Fach- ärzte wegführen. Schließlich sei das Gesundheitswesen schon zu lange vornehmlich von den Absatz- interessen der Pharma- wie Medi- zintechnikindustrie bestimmt, de- nen beiden überhaupt nichts an der Gesundheit der Bevölkerung liege. Die profitable Behandlung der Krankheit sei das Geschäft, die

monopolistische Dienstleistung.

Sozialprestige, Wohlstandsden- ken und Profitgier der Ärzte und Zahnärzte stünden wie eine Mauer gegen die soziologisch definierten Interessen der arbeitnehmer- freundlichen Organisationen, be- hauptete Professor Strasser. Der einzig gangbare Weg aus dem Di- lemma der zur Zeit „skandalösen"

Situation des gesamten Gesund- heitswesens der Bundesrepublik Deutschland ist nach Strassers Aussage die Kombination der staatlichen und gemeinnützigen Einrichtungen zu einem öffent- lich-rechtlichen Gesundheitswe- sen mit möglichst keinen privaten Interessen, sprich: Staatsmedizin.

„Wir haben

auch Fehler gemacht"

Die Leitung des Forums lag bei dem Bremer Senator für Gesund- heit und Umweltschutz, Herbert Brückner, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der So- zialdemokraten im Gesundheits- wesen (ASG) ist. Brückner umriß in seiner Einleitungsrede vor den rund einhundert Teilnehmern der Veranstaltung den Wunsch der SPD, bundesweit alle fortschrittli- chen Kräfte zu mobilisieren und sich nicht länger auf den derzeit dominierenden kurativen Ansatz der Krankenbehandlung zu be- schränken. Er führte wörtlich aus:

„Es ist eine neue Gesundheitspoli- tik zu begründen, die sich dem Ausbau der gesundheitlichen Vor- sorge und dem vorbeugenden Schutz vor Krankheiten verpflich- tet weiß, die die Allmacht des aus- ufernden ärztlichen Spezialisten- tums sowie der vorherrschenden Apparate- und Gerätemedizin zu- gunsten einer patientenorientier- ten Versorgung brechen will und die es schließlich darauf anlegt, mit dem ökonomischen Unsinn ei-

ner starren und kostspieligen Trennung von ambulanter und sta- tionärer Versorgung Schluß zu machen. Staatliche Gesundheits- politik kann nur die Rahmenbedin- gungen setzen. Um gesellschaftli- che Fortschritte zu erzielen, be- darf es der Einwirkung der Betrof- fenen — und das im stärkeren Ma- ße als bisher. Nur aktives Handeln einer wachsenden Mehrheit kriti- scher Bürger garantiert, daß die Zielvorstellungen eines Gesund- heitswesens erreicht werden, das sich dem Schutz der Gesundheit verpflichtet fühlt und sich nicht länger in der Behandlung verhin- derbarer Krankheiten erschöpft."

Auf die Frage, wieso er jetzt mit seiner Kritik am Gesundheitswe- sen ansetze, wo doch fast drei- zehn Jahre lang die sozialliberale Koalition diesen nach Brückners Worten „skandalösen Zustand des Gesundheitswesens" verursacht habe, antwortete Herbert Brückner:

„Wir haben sicher Fehler gemacht in den 60er, 70er und auch 80er Jahren. Die wollen wir aber nun endlich beseitigen, damit die nächste Generation im Jahre 2000 ein Gesundheitswesen vorfindet, das auf den Menschen und seine Gesundheit orientiert ist. Die SPD fühlt sich den Arbeitnehmern ver- pflichtet, CDU und FDP hingegen belasten den Arbeitnehmer, wie zum Beispiel mit der neuen Rege- lung der Selbstbeteiligung."

Gift und Galle gegen die Ärzte

An dem Thema „Medizin in der Krise?" versuchte sich in Ham- burg Uta König, Redakteurin bei der Illustrierten „Stern". Was sie dabei an Polemik, Gift und Galle über „die Ärzte" ausgoß, ließ selbst hartgesottene Sozialdemo- kraten sich vorsichtig an den Kopf fassen. Widersprochen hat ihr je- doch niemand. Anhand eines Bei- spiels aus dem süddeutschen Raum (einem Chefarzt einer inne- ren Abteilung sei gekündigt wor-

Also doch: Staatsmedizin

SPD-Forum „Gesundheit 2000" in Hamburg

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 7 vom 18. Februar 1983 25

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Die Information:

Bericht und Meinung

SPD-Forum „Gesundheit 2000"

den, weil er zu viel mit den Patien- ten geredet und zu wenig Medika- mente verabreicht habe, so daß der Pharmaumsatz dieser Abtei- lung in den vergangenen Jahren um mehrere hunderttausend Mark zurückgegangen sei) baute sie ih-

re Pauschalkritik an der „Indu- striemedizin" auf:

„Ein Arzt, der sich auf den Men- schen einläßt und nicht mit Pa- tentrezepten jedes Gespräch ab- würgt, verläßt die Rolle des Ma- chers, des allmächtigen Experten, der Fortschrittsgläubigkeit pre- digt. Ein solcher Arzt weiß, daß das Gerede von den machbaren Wundern durch Stahl, Strahl und pharmazeutische Produkte nur ihm und den anderen Nutznießern der industriellen Medizin etwas einbringt. Ärzte die sich gegen- über ihren Patienten auch zu ihrer eigenen Hilflosigkeit bekennen und eingestehen, daß die Medizin niemals wettmachen kann, was an Gesundheitsschäden durch krank- machende Faktoren der Industrie- gesellschaft in immer größerem Ausmaß produziert wird, gehören zu einer verschwindend kleinen Minderheit. Und sie wird es blei- ben, solange sozialpolitisches En- gagement Nebensache und Psy- chosomatik als Luxusmedizin ein Nischendasein fristet. Es wird sich auch nicht viel ändern, solange der Arzt eingebunden ist in ein Sy- stem, das seinen Wohlstand vor allem vermehrt; wenn er eine Me- dizin betreibt, die diesen mächti- gen Industriezweig am Rotieren hält."

Über die Allmacht der Ärzte ver- breitet Uta König:

„Gerade Ärzte, die ihre Patienten auf die Schnelle abfertigen, recht- fertigen ihr Geschäftsgebaren mit Witzen über die Dummen, die kei- ne andere Behandlung verdienen.

Überhaupt ist mir schon aufgefal- len, wie Ärzte im privaten Kreis verächtlich über ihre sozusagen

‚eingebildeten' Kranken reden, de- ren Scheine sie in Massen sam- meln und die ihnen ihr hohes Ein- kommen sichern... "

Die Referentin befürwortete die Arbeit der Selbsthilfegruppen wie viele andere Redner des Forums auch. Sie lehnt aber Politiker und Funktionäre ab, die das Engage- ment der Selbsthilfegruppen hochloben und mit Almosen för- dern wollen, um sich ein Alibi für den unveränderten Zustand zu verschaffen.

Wer soll das bezahlen?

Die Gedanken eines Jo Leinen in bezug auf Umgestaltung der Um- welt vom krankmachenden Kon- sum zum gesunden Dasein in Re- glements, die Pläne des Ellis Hu- ber aus Berlin in Richtung

„Selbsthilfehäuser" allerorten und einer Änderung des Kammerge- setzes, damit endlich die opposi- tionellen Minderheiten sich zu Mehrheiten in der Kammerver- sammlung mausern könnten, Rheumabörse, Krebsselbsthilfe, Gesprächskreise, das mag alles im Rahmen der allgemeinen Gesund- heitsbewegung seinen Platz ha- ben, die Fahrt in die allumfassen- de öffentlich-rechtliche Medizin unter Zerschlagung der Pharma- und Geräteherstellermultis jedoch wird teuer.

Daß Veränderungen angezeigt sind, ist allen klar, ob sie nun rechts oder links marschieren.

Und so neu ist die Entdeckung der Ganzheitsmedizin und Humanität schon larige nicht mehr, wie sie die Referenten des SPD-Forums in Hamburg als ihre Idee verkaufen wollten. Erstaunlich dagegen mu- tet der letzte Satz eines Referates an, den Dr. med. Rüdiger Dierkes- mann aus dem Reha-Krankenhaus in Karlsbad seinen Genossen ans Herz legte. Er sagte wörtlich: „Ein weiterer Ausbau des institutionali- sierten Gesundheitswesens wird so viele Schäden provozieren, daß die Einrichtungen dieses Unter- nehmens nur noch damit beschäf- tigt sein werden, die selbst ange- richteten Schäden zu beseitigen, und dies zudem noch ohne er- kennbare Aussicht auf Erfolg."

Ärzte wählen ...

Von Wahlpropaganda für den 6.

März sollte dieses Forum frei sein, sagte Brückner gleich am Anfang.

Der Termin der Veranstaltung, zu der ungewöhnlich kurzfristig eine Woche vorher eingeladen worden war, liege auch rein zufällig in Sichtweite auf den Termin der Bundestagswahlen.

Dennoch tauchte am Nachmittag ein Blatt auf, in dem eine namenlo- se Gruppe von niedergelassenen Kassenärzten, Krankenhausärzten und Wissenschaftlern ihre Kolle- gen und Kolleginnen zur richtigen Entscheidung animieren möchte.

Dieses Blatt allerdings wurde nicht in den Saal gebracht und dort verteilt. Man mußte es sich holen.

Und da lag sie nun endlich auf dem Tisch, die Forderung an eine Wunschregierung, deren Partei diese Veranstaltung bezahlt hatte, und die Darstellung der Not dieses Landes, seine Arbeitslosen, man- gelhafte Solidarität, Atomraketen und wie das nun alles durch Ärzte, Laien und die Gesundheitsbewe- gung samt den Gewerkschaften bis 2000 besser werden soll.

Im Hinblick auf die Ärzteschelte des Forums der SPD läßt es sich nicht vermeiden, darüber nachzu- denken, ob man einen Hund strei- chelt, der einen gerade kräftig ge- bissen hat. Dieter W. Schmidt

Sondersitzung beim BGA:

Acetylsalicylsäure

Eine Sondersitzung zur Abwehr von Arzneimittelrisiken gemäß

§ 63 des Arzneimittelgesetzes (Stufenplan) hat das Bundesge- sundheitsamt (BGA), Berlin, für den 10. März einberufen. Gegen- stand der Sondersitzung soll die Risiko/Nutzen-Abwägung von sol- chen Humanarzneimitteln sein, die Acetylsalicylsäure und/oder ih- re Salze enthalten. WZ 26 Heft 7 vom 18. Februar 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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