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Archiv "Medizin und Recht in Kindheit und Alter: Die Kontinuität des eigenen Ich" (12.04.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 15

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12. April 2013 A 713 MEDIZIN UND RECHT IN KINDHEIT UND ALTER

Die Kontinuität des eigenen Ich

Den Patientenwillen bei Kindern und bei Menschen am Lebensende zu ergründen, ist schwierig.

Dies war Thema bei der Kaiserin-Friedrich-Stiftung.

P

atienten müssen manchmal weitreichende Entscheidungen treffen, wenn es um medizinische Eingriffe oder um Maßnahmen am Lebensende geht. Doch in der Ver- sorgung wird der Wille von Kindern, deren Entscheidungsautonomie sich erst entwickelt, oder von Menschen am Lebensende, die sich nicht mehr äußern können, zu wenig reflektiert.

Darüber diskutierten Medizinethi- ker, Intensivmediziner und Juristen auf dem 42. Symposium für Juristen und Ärzte der Berliner Kaiserin- Friedrich-Stiftung Anfang März.

„Oft nur Lippenbekenntnisse“

„Persönlichkeitsrechte und Patien- tenautonomie werden bei uns theo- retisch und verbal zwar durchgän- gig bejaht, faktisch werden diese Prinzipien jedoch immer wieder un- terlaufen oder bleiben sie ein Lip- penbekenntnis“, sagt der Theologe Prof. Dr. Hartmut Kreß von der

Universität Bonn. Er untermauerte dies mit den jüngsten Vorgängen in zwei katholischen Krankenhäusern in Köln, die einer mutmaßlich ver- gewaltigten Frau die „Pille danach“

verweigert hatten. Der evangelische Theologe plädiert vor diesem Hin- tergrund dafür, „genauer zu beden- ken, was unter Persönlichkeitsrech- ten, Selbstbestimmung und Patien- tenautonomie zu verstehen ist“. Kreß geht davon aus, dass „die Persön- lichkeit des Menschen sich auf seiner autonomen Vernunft, also auf seiner Fähigkeit (gründet) zu ent- scheiden und zu handeln, wie es der Vernunft entspricht“. Menschen sei- en aber nicht nur Vernunftswesen,

„sondern auch in ihrer Individuali- tät, mithin in ihrer Lebensgeschich- te, ihrer persönlichen Entwicklung und wechselvollen Biografie zu se- hen“. Mit Blick auf die Dialog - philosophie seien „Vernunft und Individualität von Menschen zwi- Optimal, aber nicht

immer möglich:

Kind, Eltern und Arzt treffen gemeinsam medizinische Entscheidungen.

Foto: picture alliance

gesetz (§ 84) für Schäden haftbar gemacht werden, wenn

ein Arzneimittel bei bestim- mungsgemäßem Gebrauch schädli- che Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizi- nischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, oder

ein Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizi- nischen Wissenschaft entsprechen- den Kennzeichnung, Fachinforma- tion oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.

Rechtlich umstritten ist, ob ein Pharmaunternehmen auch im Fall eines wissenschaftlich anerkannten weitverbreiteten off-label use haf- ten muss. Juristen gehen größten- teils davon aus, dass die Unter - nehmen durch die veröffentlichte Fachinformation den „bestimmungs - gemäßen Gebrauch“ einseitig fest- legen und damit einem off-label use widersprechen können. Eine höchst - richterliche Entscheidung in dieser Frage fehlt.

Werden jedoch die gesetzlich ge- forderten Aufklärungspflichten ein- gehalten und versetzen den Patien- ten in die Lage, eine autonome Ent- scheidung zu treffen, sprechen die haftungsrechtlichen Gesichtspunk- te nicht gegen den Off-label-Ein- satz von Bevacizumab. Vorausset- zung ist, dass dies in der Patienten- akte entsprechend dokumentiert wird.

Die Ergebnisse der CATT-Studie sollten den Normgeber dazu veran- lassen, Instrumente zu entwickeln, die die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems auch künftig sichern. Der rein formaljuristische Ansatz, wonach ein Arzneimittel nur bei einer vom pharmazeuti- schen Unternehmer beantragten Zu- lassung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungs- fähig ist, wird der Versorgungsreali- tät nicht gerecht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2013; 110(15): A 708–13

Anschrift der Verfasser Prof. Dr. med. Bernd Kirchhof Zentrum für Augenheilkunde Universität zu Köln

Kerpener Straße 62, 50937 Köln

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Literatur im Internet www.aerzteblatt.de/lit1513

T H E M E N D E R Z E I T

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A 714 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 15

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12. April 2013 sei, solle es Kindern ermöglicht wer-

den, Entscheidungen zu wichtigen Fragen später selbst zu treffen. Der Theologe kritisierte die gesetzliche Regelung vom Dezember letzten Jahres zur rituellen Beschneidung von Jungen im Judentum und Islam:

„Zu den Problempunkten gehört, dass der Eingriff irreversibel, unab- änderlich ist. Durch die Beschnei- dung wird das männliche Kind hochgradig fremdbestimmt, sowohl physisch als auch religiös-kulturell.“

Kinder können und sollen ihrem Alter gemäß am ärztlichen Aufklä- rungsgespräch teilnehmen. Das un- terstrich auch der Berliner Kinder- chirurg Prof. Dr. med. Harald Mau.

So könne ein unter 14-jähriger Pa- tient zwar keine rechtswirksame Ein- willigung zu einer ärztlichen Thera- pie oder einem Eingriff erteilen, aber durchaus „an der Aufklärung Anteil nehmen“. Mau, früher Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder - chirurgie der Berliner Charité, ist es

„einigermaßen grotesk, dass ein 16- jähriger Patient zwar ein Kraftfahr- zeug führen darf und ernsthaft erwo- gen wird, ihm mit dem aktiven Wahlrecht auszustatten, er aber für eine Behandlung im Normalfall die Einwilligung der Eltern benötigt“.

Mau setzte sich auch mit der Rol- le der Eltern auseinander: „Anders als der Patient, der für sich selbst be- stimmt, werden Eltern bei einer für

ihr Kind ungünstigen Prognose nie- mals in fatalistischer Ergebenheit ei- ne negative Konsequenz annehmen, sondern um jede noch so kleine Chance kämpfen, auch feilschen“, so seine Erfahrung. „Sie werden versuchen, für ihr Kind auch das Unmögliche zu erzwingen.“ Hier beginnt für Mau die Kunst des Arztes, „vorgefasste Meinungen mit den Notwendigkeiten der Behand- lung in Übereinstimmung zu brin- gen“. Ob das gelinge, hänge we - sentlich vom Vertrauen zum aufklä- renden Arzt ab: „Vertrauen ist eine soziale Kraft, die die Beziehung zwischen Patient und Arzt domi- niert.“ Mau fügte hinzu, die Gesell- schaft verzeihe „die Verletzung von Vertrauen. In der Arzt-Patienten- Beziehung verursacht der Vertrau- ensbruch hingegen einen irrepara- blen Schaden“.

Konflikt: Patientenverfügung

„Vertrauen ist gut, Selbstbestim- mung ist besser“ – so wertete ein Teilnehmer des Symposiums die Ausführungen des Anästhesisten Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik aus Berlin. Was zu tun ist, wenn der selbstbestimmte Wille am Ende ei- nes menschlichen Lebens für den Arzt nicht schlüssig ist – damit be- fasste sich der am Unfallkranken- haus in Berlin tätige Intensivmedi- ziner. Schaffartzik bemängelte:

„Nicht selten werden im klinischen Alltag Patientenverfügungen vorge- legt, deren medizinischer Inhalt bei- spielsweise aus dem Internet über- nommen wird, tatsächlich aber die konkrete gesundheitliche Situation nicht beschreibt.“ Vom behandeln- den Arzt würden dann Einschätzun- gen verlangt, obwohl nicht klar sei, was der Patient gemeint habe.

Schaffartzik führt dies darauf zu- rück, dass solche Verfügungen vom Betroffenen vielleicht noch mit ju- ristischer, nicht aber mit ärztlicher Beratung formuliert würden. Auch sei es denkbar, dass eine Patienten- verfügung mit einer Organspende- Erklärung kollidiere. Entsprechen- de Konflikte und ihre Lösungen hat die Bundesärztekammer vor kur- zem in einer Stellungnahme veröf- fentlicht (DÄ, Heft 13/2013).

Reinhold Schlitt schenmenschlich beziehungsweise

intersubjektiv zu interpretieren“.

Eine patientenzentrierte Medizin leitet sich für den Theologen aus den Persönlichkeitsrechten und der Autonomie des einzelnen Patienten ab: „Über die rein fachlich-medizi- nische Seite hinaus sollte ein Arzt auch die Biografie, die Lebensum- stände und die Perspektiven eines Patienten beachten und ihn im Sinne jener Werteüberzeugungen beglei- ten und beraten, die der Patient selbst hat.“

Persönlichkeit bleibt relevant Doch kann dies auch bei alten Men- schen, die sich wegen schwerer Er- krankungen oder kognitiver Störun- gen nicht mehr selbst äußern kön- nen, gelingen? Ja, meint Kreß und verdeutlicht das am Beispiel eines demenziell erkrankten Patienten.

Auch wenn ein wirkliches Gespräch zwischen Arzt und Patient nicht mehr realisierbar ist, so blieben die Begriffe Persönlichkeitsrecht und Autonomie des Patienten „in be- stimmter Hinsicht relevant“. Auch eine demenzielle Persönlichkeits- veränderung bedeute nicht, „dass die Kontinuität seines Ichs vollstän- dig zerbrochen ist“. Der Theologe verwies auf eine 2010 publizierte Studie, die am Beispiel britischer Ärzte belege, „wie groß die Gefahr ist, dass auch Mediziner ihre eige- nen weltanschaulichen Vorstellun- gen und religiösen Perspektiven auf Patienten projizieren, die sich in ei- ner Sterbephase befinden. Das steht in Spannung zu den Persönlichkeits- rechten der Patienten beziehungs- weise zur Patientenautonomie“.

Dass sich der auf ältere Men- schen bezogene Ansatz, einen Pa- tientenwillen gegebenenfalls auch lebensgeschichtlich zu erfassen, auf Kinder nicht anwenden lässt, ist für Kreß kein Hinderungsgrund, auch bei ihnen von Persönlichkeit und Autonomie auszugehen: „Dies ist sogar ganz besonders wichtig. Es geht darum, auch für sie den Sub- jektstatus sowie ihre Stellung als ei- genständige Träger von Grundrech- ten zu unterstreichen.“ Kinder soll- ten ihrem Alter und ihrer Entwick- lung gemäß sukzessiv ansteigend selbst entscheiden. Wo dies möglich

Die Kaiserin-Friedrich-Stiftung wurde 1903 als Trägerin ei- nes gleichnamigen Gebäudes in Berlin gegründet. Ihr Haupt- zweck ist eine von der Pharmaindustrie unabhängige Fortbil- dung für Ärztinnen und Ärzte. Zum Fortbildungsprogramm gehört die Reihe „Symposium für Juristen und Ärzte“.

In diesem Jahr ging es um den im ärztlichen Alltag im- mer wieder auftauchenden Konflikt zwischen Fürsorge- pflicht und Patientenautonomie: In welchem Umfang kön- nen und sollen Kinder – jenseits des elterlichen Sorge- rechts – selbst an Entscheidungen mitwirken? Wie können sich Ärztinnen und Ärzte am Patientenwillen orientieren, wenn die betreffenden Menschen nicht mehr für sich selbst sprechen können? Ist das neue Patientenrechtegesetz wirklich eine Hilfe? Das Kongressthema wurde aus zahlrei- chen ärztlichen und juristischen Blickwinkeln beleuchtet.

Infos über die Veranstalterin: www.kaiserin-friedrich- stiftung.de

STIFTUNG MIT TRADITION

T H E M E N D E R Z E I T

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