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Archiv "Hartmannbund: Widerstand gegen die Staatsmedizin" (31.10.2003)

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er Hartmannbund (HB – Verband der Ärzte Deutschlands e.V.), des- sen Hauptversammlung am 17./

18. Oktober im Kongresshaus zu Ba- den-Baden stattfand, ließ kaum ein gu- tes Haar am „Gesundheitssystem-Büro- kratisierungsgesetz“, von der Koalition in Berlin als „GKV-Modernisierungs- gesetz“ tituliert. Ehe man sich vom be- schaulichen Baden-Baden als Kon- gressort in das „politische Stahlbad Berlin“ verabschiedete, wo ab 2004 die Hauptversammlungen durchge- führt werden, rief der Ärzteverband zur solidarischen Geschlossenheit inner- halb der Ärzteschaft und zum energi- schen Widerstand gegen das Gesetz auf. Einmal mehr seien die eigentlichen Reformprobleme nicht an der Wurzel angepackt, die Strukturdefizite nicht beseitigt und wirkliche Reformen mit nachhaltiger Wirkung kaum implemen- tiert worden, so das Urteil des Vorsit- zenden des Verbandes, Dr. med. Hans- Jürgen Thomas, Erwitte/Westfalen. Vie- les bei der Reform sei geprägt von einer nicht nachvollziehbaren parteienüber- greifenden Raison, die an den unsägli- chen Kompromiss von Lahnstein 1992 Marke Seehofer/Dressler erinnere.

In der Gesamtbeurteilung hebt sich der Hartmannbund nur um Nuancen von maßgeblichen Repräsentanten an- derer Ärzteverbände und den Körper- schaften ab. Das Gesetzeswerk drehe zwar an vielen Schrauben und bewege einige alte gesundheitspolitische Ver- satzstücke (integrierte Versorgung; Ge- sundheitszentren neuer Prägung; insti- tutionelle Öffnung der Krankenhäuser;

hausarztzentrierte Versorgung), im Grunde bleibe vieles aber beim Alten.

Erneut würden die Leistungserbringer und jetzt auch die Versicherten und Pa- tienten in die Kostendämpfungsverant-

wortung eingespannt, obwohl diese be- reits längst enorme Vorleistungen er- bracht hatten. Thomas sieht in dem Ge- setzes-„Elaborat“ ein Sammelsurium von staatsdirigistischen, von Misstrauen geprägten Regulativen, die sich negativ auf die berufstätigen Ärztinnen und Ärzte in Praxen und im Krankenhaus auswirkten. Nicht Versorgungssicherheit, sondern schematische Kostendämpfung und Umverteilung seien das Ziel. Statt das System transparenter zu gestalten, zu entstaatlichen und zu entbürokrati- sieren, schritten die Entmündigung und der staatliche Dirigismus fort.

Es habe keinen günstigeren Zeit- punkt für echte, wenn auch schmerzhaf- te Reformen gegeben als in diesem Herbst, so Thomas. Umfragen hätten längst erwiesen, dass die Bürger bereit seien, auch Einschnitte in den Lei- stungskatalog der Gesetzlichen Kran- kenversicherung hinzunehmen und Sparopfer zu erbringen, wenn die Kas- senfinanzen mittelfristig stabilisiert würden und der Beitragssatz tatsächlich zur Entlastung der Lohnnebenkosten auf 13 Prozent ermäßigt werden würde.

Dabei deutet alles nach Einschätzun- gen des HB darauf hin, dass infolge der Kurzatmigkeit der zentralverwaltungs-

wirtschaftlichen Eingriffe nur vorüber- gehend eine Entwarnung an der Bei- tragsfront eintritt. Erhöhte Zuzahlun- gen zulasten der Kranken, insbesonde- re der chronisch Kranken und Behin- derten, seien ein extrem kurzer Hebel, denn es würden lediglich drei Milliar- den Euro zusätzlich in die Kassen ge- spült, was einer rechnerischen Entla- stung um 0,3 Prozentpunkte ent- spräche. Nach Einschätzungen des Ver- bandsvorsitzenden ist seit Jahren die demographische Komponente bei der Finanzierung der Sozialleistungssyste- me völlig außer Acht gelassen worden, obwohl die Politik inzwischen notge- drungen davon Kenntnis nehme – ohne etwas zu unternehmen.

Dirigistische Kontrollen

Fallstricke im Reformgesetz gebe es bei der integrierten Versorgung. Einmal da- von abgesehen, dass die Gesamtvergü- tung bis zu einem Prozent durch die Kassen gekürzt wird, um den Integra- tionstopf dadurch zu speisen, müsse der Umverteilungseffekt von jenen Ärzten bezahlt werden, die nicht an der Inte- grationsversorgung teilnehmen oder de- nen es überhaupt nicht möglich ist, in diese Sonderversorgung einzusteigen, weil die vertraglichen Voraussetzungen dafür fehlen.

Eine Ungleichbehandlung sieht der Verband auch in der Vorschrift, dass den Kassen das Recht eingeräumt wer- den soll, mit besonders qualifizierten Hausärzten Einzelverträge abzuschlie- ßen. Wenn künftig bei gleicher Qualifi- kation kein Anspruch auf einen Einzel- vertrag mit den Krankenkassen beste- he, käme es zu einer 2-Klassen-Wirt- schaft. Allenfalls könne ein hausärztlich orientiertes Primärversorgungsmodell auf freiwilliger Basis akzeptiert werden, so der HB.

Sein klares Nein zur Praxisgebühr hat der Verband bereits durch eine bun- desweite Plakataktion kundgetan. Da- durch würde der Verwaltungsaufwand erneut zulasten der Ärzte erhöht (ob- wohl die Krankenkassen die Registrier- kasse bedienen müssten). Die Gebühr habe nichts mit dem vom HB seit lan- gem geforderten Kostenerstattungsver-

fahren zu tun.

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4431. Oktober 2003 AA2837

Hartmannbund

Widerstand gegen die Staatsmedizin

Reform-Konzept zur langfristigen Sanierung der Gesundheitssicherung

Dr. med.

Hans-Jürgen Thomas:

„Wir befin- den uns mit- ten im Prä- final-Stadium der Frei- beruflichkeit des Arztes.“

Foto: Frank Pfennig

(2)

Als völlig indiskutabel lehnt der Ver- band das „ärztliche Sonderopfer“ in Form eines West-Ost-Ausgleichs in Höhe von 0,6 Prozent ab. Dies säe Zwietracht zwischen den Ärzten in Ost und West. Die durch den Ausgleich be- günstigten Ärzte in den neuen Bundes- ländern lehnten es ab, dass ein solcher Transfer zulasten der West-Kollegen geht. Der Hartmannbund will sich in diesem Punkt eine verfassungsrechtli- che Prüfung vorbehalten. An die Politik appellierte der HB, diese Vorschrift ebenso zu revidieren wie die zum Inkas- so der Praxisgebühr.

Bürgerversicherung führt zur Einheitskasse

Das Zukunftprojekt „Bürgerversiche- rung“, auf die sich jetzt schon die SPD, die Bündnisgrünen und Unionspoliti- ker wie Horst Seehofer und Hermann- Josef Arentz, Vorsitzender der Christ- lich Demokratischen Arbeitnehmer- schaft festgelegt haben, bedeute ei- ne Kapitulation vor den eigentlichen Problemen und führe zur staatsdirigier- ten Einheitskasse. Ein Zwangsversiche- rungssystem, das bereits mehr als 90 Prozent der Bevölkerung einbezogen hat, werde kaum dadurch zu stabilisie- ren sein, wenn die restlichen zehn Pro- zent der Versicherungspflicht unter- worfen würden (einschließlich der Selbstständigen, Freiberufler und Be- amten). Eine solche Volksbeglückung, die die Gestaltungs- und Ermessungs- spielräume der Versicherten einschrän- ke, beschwöre gravierende ordnungs- politische, verfassungsrechtliche und fi- nanzielle Probleme herauf – einmal da- von abgesehen, dass die private Kran- kenversicherung in ihrer Substitutions- funktion und Vollversicherung im Nerv getroffen werde. Eine Bürgerversiche- rung, bei der sämtliche Einkunftsarten zur Beitragspflicht bei einer erhöhten Beitragsbemessungsgrenze herangezo- gen werden, verstärke den Umvertei- lungsprozess und basiere auf einer ver- kappten Einkommensteuer (einer steu- ergleichen Umlagefinanzierung). Dies verstoße nicht nur gegen europäisches Wettbewerbsrecht, sondern auch gegen Vorschriften des Finanzverfassungssy- stems des Grundgesetzes.

Der Verband stellt den politisch ge- handelten Modellen der Bürgerversi- cherung versus Kopfpauschalensystem (oder einem Mix aus beiden) ein eige- nes Reformmodell entgegen, das eine Gesamtlösung zur „Neujustierung der Gesundheitssicherung“ beinhaltet.

Voraussetzung für eine optimale Pa- tientenversorgung sei auch künftig die freie Berufsausübung der Leistungser- bringer. Entscheidend dafür sei die Un- abhängigkeit und Freiberuflichkeit al- ler Ärzte und eine Ausdehnung auf den stationären Sektor. Das künftige Kran- kenversicherungssystem soll nachhaltig finanziert werden können, indem es vor allem von den demographischen Bela- stungen unabhängig gemacht wird. Ein solches System bedürfe der Kapital- deckung und soll mehr Verantwortung des Einzelnen und freie Wahlmöglich- keiten einschließen. Der Sozialstaat müsse sich auf die Rahmensetzung und die Aufsichtsfunktion beschränken.

Liberalisierung des Systems

Das HB-Modell geht von einer Pflicht zur Versicherung bei freier Wahl der Leistungserbringer und bei Transpa- renz des gesamten Kosten- und Lei- stungsgeschehens aus. Die bisher ne- beneinander arbeitenden unabhängi- gen Säulen der Gesetzlichen und priva- ten Krankenversicherung sollen har- monisiert und privatwirtschaftlich um- gestaltet werden. Der Versicherungsträ- ger soll frei gewählt werden können. Im Versicherungsmarkt soll Wettbewerb herrschen. Freie Krankenversicherun- gen sollen Marktanbieter werden. Ein Kontrahierungszwang soll allerdings nur im Umfang der harmonisierten Grundleistungen bestehen. Der Wett- bewerb soll sich auf andere Segmente und Dienstleistungen erstrecken.

Das Leistungsangebot und der Um- fang der gesetzlichen Versicherung sol- len aufgelockert und Wahltarife im- plementiert werden. Drei Stufen um- reißen den Umfang der Leistungen:

Muss-Leistungen, das sind Grund- oder Basis-Leistungen, die der Versiche- rungspflicht unterliegen und vom Versi- cherten nicht abwählbar sind. Diese sind für alle Versicherten gleich defi- niert. Soll- und Kann-Leistungen wer-

den über Zusatzversicherungen abge- deckt und sind ausschließlich durch den Versicherten zu finanzieren. Soll- und Kann-Leistungen können mit höheren Zuzahlungen verbunden werden. Für die Grundleistungen sollte in der Ge- bührenordnung ein Steigerungsfaktor ausgeschlossen werden. Durchgängig müsse das Sachleistungsverfahren durch das Kostenerstattungsprinzip für alle Versicherten ersetzt werden.

Im Grundleistungskatalog müssten eine ausreichende, medizinisch indizier- te Grundversorgung der Versicherten sichergestellt und alle großen Lebensri- siken abgedeckt werden. Der Grundlei- stungskatalog müsse von den medi- zinisch-wissenschaftlichen Fachgesell- schaften erarbeitet und dem Gesetz- geber vorgeschlagen werden. In einem übergreifenden Gremium, an dem die Ärzteschaft (Bundesärztekammer), die Krankenversicherungen und Patienten- vertreter repräsentiert sein sollten, soll- ten die Grundleistungen „im Konsens“

definiert werden. Neue Grundleistun- gen sollen alte ablösen (Ersatzlösung).

Für laufende Entscheidungen wird das Gremium legitimiert – ähnlich wie die derzeitigen Bundesausschüsse der Ärz- te und Krankenkassen.

Das HB-Modell geht davon aus, dass die sektoralen Budgets aufgehoben werden. Die Leistungsmengen könnten am ehesten durch direkte Vertragsbe- ziehungen zwischen Arzt und Patient, durch eine einheitliche, sektorenüber- greifende Gebührenordnung und durch Selbstbehalttarife gesteuert werden.

In diesem Modell schweben dem HB erweiterte Wahlmöglichkeiten der Ver- sicherten beim niedergelassenen Ver- tragsarzt und dem Krankenhaus vor.

Im Mittelpunkt solle ein Teamarzt- modell stehen, das sowohl im Bereich der ambulanten Versorgung als auch im stationären Bereich realisiert werden könne. Fachgleiche, fach- und versor- gungsübergreifende und basisversor- gende sowie hoch spezialisierte Teams könne es im ambulanten Sektor als auch im Krankenhaus geben. Ein erster Schritt zu mehr Wahlfreiheit im Kran- kenhaus und zum erweiterten Team- arztmodell könne durch persönliche Ermächtigungen von erfahrenen Kli- nikärzten und Institutsermächtigungen getan werden. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K

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A2840 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4431. Oktober 2003

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