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Archiv "Kinderärztliche Versorgung: Weites Land, wenig Ärzte" (30.03.2012)

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KINDERÄRZTLICHE VERSORGUNG

Weites Land, wenig Ärzte

Die Diskussion um den demografischen Wandel wird bestimmt von der drohenden Unterversorgung insbesondere älterer Menschen in ländlichen Gebieten. Doch auch bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen gibt es akute Probleme.

U

eckermünde ist eine beschau- liche Hafenstadt am Stettiner Haff, südlich von Usedom. Im Landkreis Uecker-Randow ist sie mit ihren knapp 10 000 Einwoh- nern der zweitgrößte Ort; als soge- nanntes Mittelzentrum soll sie das Umland auch medizinisch mitver- sorgen. Doch in Ueckermünde gibt es seit eineinhalb Jahren keinen Kinder- und Jugendarzt mehr. „Die einzige Kinderärztin ist im Novem- ber 2010 gestorben“, erzählt Dipl.- Med. Rosemarie Miksch, Kinder- ärztin in dem 35 Kilometer entfernt liegenden Mittelzentrum Anklam – mit etwa 13 000 Einwohnern kaum größer als Ueckermünde. Vier Jahre lang habe diese Ärztin versucht, ei- nen Nachfolger für ihre Praxis zu finden, doch ohne Erfolg. „Noch bis zwei Monate vor ihrem Tod hat sie gearbeitet, weil sie ihre Patien- ten nicht im Stich lassen wollte“, sagt Miksch. „Die Menschen in Ueckermünde wissen nun nicht mehr, wohin sie gehen sollen, wenn ihr Kind krank ist.“ Viele gingen zu den ansässigen Hausärzten. Andere setzten sich ins Auto und führen die 35 Kilometer nach Anklam.

Uecker-Randow weist im Bereich Pädiatrie einen Versorgungsgrad von 37 Prozent auf. In den anderen Pla- nungsbezirken Vorpommerns gibt es hingegen keine Unterversorgung mit Kinderärzten. „Aber die Daten zur Bedarfsplanung sind damals ja auch willkürlich gewählt worden“, kriti- siert der Leiter des Instituts für Com-

munity Medicine, Prof. Dr. med.

Wolfgang Hoffmann. Das Institut hat die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen im nord- östlichsten Bezirk der Republik un- tersucht (Kasten). Fazit: Es sieht nicht gut aus. Das Durchschnittsalter der ansässigen Pädiater ist hoch, die Aussicht, einen Praxisnachfolger zu finden, gering. Auch Rosemarie Miksch möchte in vier Jahren aufhö- ren. Dann ist sie 65 Jahre alt. „Wenn ich in der Kinderklinik der Universi- tät Greifswald bin, frage ich heute schon die jungen Ärzte, ob sie es sich vorstellen könnten, in Anklam als niedergelassener Kinderarzt zu arbeiten“, berichtet sie. „Die Ant- wort war bislang immer: Nein.“

„Wir steuern das System weitgehend im Blindflug“

Als Folge der wachsenden Unter- versorgung behandeln zunehmend auch Haus- und Krankenhausärzte Kinder und Jugendliche. Dabei stei- ge der Anteil an Kindern und Ju- gendlichen an den Patienten eines Hausarztes proportional zur Entfer- nung zum nächsten Kinderarzt, sagt Hoffmann.

Um die pädiatrische Versorgung in der Region zu stabilisieren, schlagen die Autoren der Studie vor, die pädiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser in die ambulan- te Versorgung einzubinden. Zum Beispiel könne eine Notfallpraxis in die Notaufnahme der Krankenhäu- ser integriert werden, die außerhalb

der regulären Sprechzeiten mit Ver- tragsärzten besetzt ist. Auch könne die Delegation ärztlicher Leistun- gen um den Bereich der Kinderheil- kunde erweitert werden, heißt es in der Studie. Konkret könnten dabei die Einschätzung des sozialen Um- felds oder die Ermittlung physi- scher, psychischer und sozialer Fä- higkeiten der Kinder von den Ärz- ten delegiert werden.

„Wir werden in Zukunft weniger Ärzte in Mecklenburg-Vorpom- mern haben, und wir müssen uns als Gesellschaft darauf einrichten“, sagte der stellvertretende Vorsitzen- de der Kassenärztlichen Vereini- gung (KV) Mecklenburg-Vorpom- mern, Dr. med. Dieter Kreye, bei der Präsentation der Studienergeb- nisse. Es sei unrealistisch zu glau- ben, man könne mit Anreizen Ärzte aufs Land holen. Stattdessen müsse die Versorgung anders strukturiert werden. Zum Beispiel könne man ein Taxi organisieren, das mehre- re Patienten zu einer speziellen Sprechstunde fährt. Das sei besser, als hochqualifizierte Ärzte zeitauf- wendige Hausbesuche machen zu lassen. Hoffmann kritisierte ab- schließend, dass es in Deutschland zu wenige Daten über die Ver - sorgungslandschaft gebe: „Studien wie diese gibt es sehr wenige. Nor- malerweise würde man eine Unter- versorgung mit Kinderärzten, wie sie jetzt bei uns droht, gar nicht se- hen. Wir steuern das System weit- gehend im Blindflug.“

Foto: Fotolia

A 630 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 13

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30. März 2012

P O L I T I K

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Probleme mit der kinderärztli- chen Versorgung gibt es allerdings nicht nur in Mecklenburg-Vorpom- mern – auch andere Flächenländer sind betroffen. „Derzeit sind in Nie- dersachsen 21 Kinder- und Jugend- arztpraxen vakant, im Planungsbe- zirk Osterode zum Beispiel sind al- le drei Sitze unbesetzt“, sagt der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (bvkj), Landesverband Niedersachsen, Dr.

med. Joseph Kanders. Und bis zum Jahr 2020 müssten laut KV-Progno- se 250 Praxissitze neu besetzt wer- den. Allein um einen Versorgungs- grad von mindestens 50 Prozent zu erreichen, seien etwa 100 niederlas- sungswillige Kinder- und Jugend- ärzte notwendig. Für Kanders liegt das an der fehlenden Flexibilität des Systems: „Junge Kinder- und Ju- gendärzte suchen oft vergeblich nach Anstellungsmöglichkeiten in Praxen oder nach der Möglichkeit, eine Gemeinschaftspraxis zu grün- den. Mit in eine bestehende Praxis einsteigen zu können, würde vielen jungen Kinderärzten die Entschei- dung für die ambulante Pädiatrie er- leichtern.“ Zudem fehle eine finan- zielle Unterstützung der Weiterbil- dung in den Praxen, so wie sie es in der Allgemeinmedizin gebe.

Auch in Baden-Württemberg droht eine Unterversorgung mit Kin- der- und Jugendärzten. „In ländli- chen Regionen erlebe ich vermehrt Anfragen von Kollegen, die sich zur Ruhe setzen wollen und keinen Pra- xisnachfolger finden“, sagt der Vor- sitzende des Landesverbandes Ba- den-Württemberg der bvkj, Dr. med.

Klaus Rodens. Zugleich häuften sich die Anfragen niederlassungswilliger Kinderärzte, die sich vor dem Hin- tergrund von Familie und Kindern keinen Vollzeitjob in der Praxis vor- stellen könnten. Erhebliche Proble- me gebe es aber auch in den sozialen Brennpunkten größerer Städte. Da-

mit einhergehe, dass sich das Auf - gabenspektrum der Pädiatrie in den letzten zwei Dekaden deutlich gewandelt habe, betont Rodens. So hätten Entwicklungsfragen und die gesundheitlichen Auswirkungen psycho- und soziogener Störungsbil- der einen deutlich größeren Stellen- wert eingenommen.

Der Vorsitzende des bvkj-Landes- verbandes Hessen, Dr. med. Josef Geisz, spricht in diesem Zusammen- hang von den neuen Kinderkrank- heiten: „Viele Kinder sind Opfer des gesellschaftlichen Wandels gewor- den, der sie überfordert.“ Die Folge sind Leistungsdruck in der Schule, Mobbing oder gesteigerte Aggressi- vität. „Diese neuen Krankheiten er-

höhen den Arbeitsaufwand für die Kinderärzte – während beim sozial- pädiatrischen Dienst gleichzeitig Stellen abgebaut werden“, kritisiert Geisz. Zwar gebe es in Hessen no- minell keine Unterversorgung – stattdessen jedoch lange Wartezei- ten. Und nicht wenige Kinderärzte könnten, außer Neugeborenen, keine neuen Patienten mehr aufnehmen, weil sie schlicht keine Kapazitäten dafür hätten.

„Sprechende Medizin wird nicht bezahlt“

Perspektivisch werde sich die Ver- sorgungsstruktur in der Pädiatrie än- dern, erklärt bvkj-Sprecher Dr. med.

Ulrich Fegeler. „Es ist sicherlich un- umgänglich, dass in den dünn besie- delten Gebieten Kinder und Jugend- liche bei akuten Erkrankungen vom meist dort praktizierenden Allge- meinmediziner beurteilt und gegebe- nenfalls behandelt werden.“ Die Be- urteilung der Kindesentwicklung im Rahmen der Vorsorge, die Indikation von Heilmittelverordnungen bezie- hungsweise die Indikation zur Vor- stellung der Kinder in pädiatrischen Spezialambulanzen solle jedoch beim Kinderarzt verortet bleiben.

Um mehr Kinder- und Jugend- ärzte für eine Niederlassung zu be- geistern, müsse die Attraktivität des Arztberufes wieder verbessert wer- den, fordert Geisz. „Ausufernde Bürokratie und die beständig dro- henden Regresse rauben uns Ärzten die Motivation.“ Auch werde aller- orten die sprechende Medizin pro- pagiert, aber nicht bezahlt.

Rosemarie Miksch arbeitet trotz widriger Bedingungen gerne als Kinderärztin in Mecklenburg-Vor- pommern. „Es ist einfach ein schö- nes Land“, sagt sie, „und Kinder- ärztin ist aus meiner Sicht der schönste Arztberuf. Denn es ist ein- fach toll, Kindern zu helfen.“

Falk Osterloh In Ostvorpommern wird die Bevölkerungszahl zwischen

2006 und 2020 voraussichtlich um 10,6 Prozent auf 97 689 sinken. Im gleichen Zeitraum geht die Anzahl von Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren von 18 536 auf 13 816 zurück, prognostiziert das Institut für Community Medicine in seiner Studie. Die Folge: Probleme bei der medizinischen Versorgung der verbleibenden Kinder und Jugendlichen. In Ostvorpommern praktizieren derzeit sie- ben Kinder- und Jugendärzte im Alter von durchschnittlich 57 Jahren. Bis 2020 werden drei dieser Ärzte in Rente gehen – das Durchschnittsalter der verbliebenen vier Ärzte betrüge dann 63 Jahre. In ganz Vorpommern wird die Zahl der Kinder- und Jugendärzte im gleichen Zeitraum von 31 auf 22 sinken. Wer in Vorpommern heute mit dem Auto zu einem Kinderarzt fährt, benötigt dafür durchschnittlich 13,2 und längstens 44 Minuten. In acht Jahren wären es durchschnittlich 17,2 und längstens 69,5 Minuten – wenn keiner der in Rente gehenden Kinder- und Jugendärzte seine Praxis neu besetzen könnte. Mit dem Bus innerhalb eines Tages zu einem Kinderarzt hin- und zurückzufahren, ist schon heute in vielen Fällen nicht möglich.

Darüber hinaus gibt es in Vorpommern sechs Kranken- häuser mit einer Pädiatrie, in Ostvorpommern sind es zwei – Wolgast und Anklam. Die Anklamer Pädiatrie wird seit 2005 von der Universität Greifswald betrieben, nachdem der damalige Betreiber des Krankenhauses die Kindersta- tion hatte schließen wollen.

REGION OSTVORPOMMERN

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