• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die zwei Welten des Arztes Sanguinetti" (05.01.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die zwei Welten des Arztes Sanguinetti" (05.01.1978)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen'

FEUILLETON

Es ist unmöglich, den Arzt, Forscher und Chirurgen Sanguinetti von dem Maler zu trennen. So, wie er sich den Forschungen auf dem Gebiet der Experimentalchirurgie hingibt — im- mer auf der Suche nach neuen Me- thoden, neuen Lösungen —, so expe- rimentiert er auch mit Materialien, mit der Textur, um sie in seinen Bil- dern zu verwenden. Die Routine mag er ebensowenig in der medizi- nischen Tätigkeit wie in der Kunst.

Im Leben von Fiorentino Sanguinetti sind Medizin und Kunst aufs engste miteinander verflochten. Zu behaup- ten, daß die Malerei das Hobby des Arztes sei (wie es häufig der Fall bei Wissenschaftlern ist, die zum Aus- gleich zu ihrem anstrengenden und verantwortungsvollen Beruf in ir- gendeiner Kunstsparte Entspan- nung suchen), wäre hier nicht nur eine falsche Behauptung, sondern sogar ein „understatement"; denn Florentino Sanguinetti ist ebenso Arzt wie Maler und ebenso Maler wie Arzt. Es sind zwei Facetten eines Menschen: Die Liste der Preise und Auszeichnungen, die er für seine Bilder erhielt, ist ebenso lang wie sein wissenschaftliches Curriculum.

Beginnen wir, den Arzt vorzustellen.

Von Schmetterlingen zur Medizin Als der kleine Florentino die Ferien in den Bergen von Cördoba ver- brachte, sammelte er mit Begeiste- rung Insekten. Schmetterlinge, Kä- fer, Heuschrecken — nichts, was

„kreuchte und fleugte" entging den

Augen des Jungen, der dann — mit fünfzehn Jahren — alles geordnet, klassifiziert und in großen Kästen mit Glasdeckeln aufgespießt hatte.

Vor allem begeisterte ihn die Mor- phologie der Schmetterlinge, und aus dieser Neigung zur Entomologie heraus begann sein Interesse für die Medizin. Sanguinetti ist Facharzt für Thoraxchirurgie; außerdem widmet der sich der Forschung auf dem Ge- biet der Experimentalchirurgie und der Organtransplantation.

Im Jahre 1973 wurde seine Arbeit über Verpflanzungen der Bauch-

Abbildung 1: Dr. med. Florentino Sangui-

netti Foto: German Falke

speicheldrüse ausgezeichnet; ein Jahr danach eineiandere über die Lunge. Er hat auch einen Lehrstuhl an der Chirurgischen Fakultät der Universität von Buenos Aires. Ihm widerstrebt jede Routine („zum Bei- spiel, immer Blinddärme operieren zu müssen"), dagegen zieht ihn die Forschungsarbeit an, um neue Heil- methoden zu entdecken — und da kommen wir schon zur Kunst:

Geldstücke, Knöpfe und ein Schlüsselloch

In der Kunst geht es ihm auch ums Experimentieren — mit Materialien, Techniken, Farben —, um sie in sei- nen Bildern zu verwenden. Beim Be- trachten der Bilder fällt die Vielfäl- tigkeit der Elemente auf, die Mitver- wendung von Gegenständen, vor al- lem aber der Schrift als künstleri- scher Ausdrucksform. Eine Ge- wohnheit, die bereits den Kubisten lieb war und lange vor ihnen den Illuminatoren des Mittelalters: Man denke an die Stundenbücher, in de- nen Initialen zu zarten Kunstwerken wurden.

In Sanguinettis Biidern wird alles zum künstlerischen Element: die Li- nien, die Behandlung der Leinwand, Geldstücke, gehämmertes oder auf- gerauhtes Metall, Knöpfe, kleine Verschlüsse, sogar ein Schlüssel- loch und die Schrift, die für ihn eine ganz besondere Bedeutung hat.

Gern schließt er das geschriebene Wort mit ein — nicht wegen des In- halts an sich, sondern als Dekora- tionsfaktor. So finden wir in vielen seiner Bilder, vor allem in den Aqua-

rellen, die kürzlich im Goethe-Insti- tut der Stadt Buenos Aires ausge- stellt waren, eine Vielfalt an Zeich- nungen und Texten aus alten Bü- chern. Und es ist überflüssig, daß der Beschauer ganz nahe an das Bild herangeht, um den Text zu ent- ziffern, oder um festzustellen, ob es sich um eine Seite aus einem alten Anatomiebuch handelt oder aus ei- nem Roman; denn der Inhalt an sich ist unwichtig. Deshalb gibt es auch in den Bildern Sanguinettis keine Routine.

Die zwei Welten

des Arztes Sanguinetti

Marion Arbolave

Dr. med. Florentino Sanguinetti ist argentinischer Wissenschaftler, außerdem ein international anerkannter Maler. Er hat fünf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland gelebt, spricht perfekt deutsch und ist Präsident des Argentinisch-Deutschen Kulturinstituts.

46 Heft 1 vom 5. Januar 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

.

Abbildung 2: 2: Sanguinetti, „Winterliche Stadt" (Privatsammlung, München)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Vorgekaute Malerei? Nein!

Florentino Sanguinetti lebte fünf Jahre in Europa, unter anderem als Stipendiat der Alexander-von-Hum- boldt-Stiftung, und studierte in München. („Kunststudium"? frage ich. „Nein", antwortet er, „um mich in der Medizin zu vervollkomm- nen".) Da er nun aber in München

lebte, besuchte er auch die Kunst- akademie und arbeitete in dem Ate- lier, das einst Kandinskys gewesen war.

Die große Bewunderung, die San- guinetti für Klee empfand, führte ihn nach der Schweiz, wo er den Sohn des Künstlers kennenlernte, eine Begegnung, aus der später echte

Freundschaft wurde. Sanguinettis Bilder wurden in der Schweiz und in Deutschland mit Preisen ausge- zeichnet; viele befinden sich in Mu- seen und Privatsammlungen ver- schiedener Länder. In Buenos Aires war er jahrelang Leiter der Kulturab- teilung der Medizinischen Fakultät;

er hielt Vorträge, veröffentlichte Es- says über die Malerei des 20. Jahr- hunderts, war Kunstkritiker des Staatssenders. In der „Bank of Lon- don" in Buenos Aires ist eine Wand- malerei von Sanguinetti zu sehen.

1970 organisierte er die bedeutende Paul-Klee-Ausstellung im Nationa- len Museum der Schönen Künste.

Mit leiser, ruhiger Stimme erzählt Sanguinetti, daß er mit seinen Bil- dern nur suggerieren möchte, damit der Beschauer seine eigene Phanta- sie entfalte. Er hält nichts von der

„fix-und-fertigen", der „vorgekau- ten" Malerei. Seine Bilder strahlen etwas Persönliches, Freies aus; sie enthalten Anspielungen, geheime Botschaften, „kleine plastische Me- taphern", wie er sie nennt. Es sind Bilder aus einer „absurden" Welt, mit Elementen, die keinen Zusam- menhang unter sich haben

Während er spricht, klingelt das Te- lefon. Mit derselben Ruhe, mit der er mir soeben erklärt hatte, was Malen für ihn bedeute, redet er jetzt mit dem Gesprächspartner über eine Operation, die bald stattfinden soll.

Für mich ist es ein Zeichen, daß das Interview beendet ist. Ich verab- schiede mich und werfe einen letz- ten Blick auf die „Arbeits-Oase", wo dicke medizinische Bücher neben aufgespießten Schmetterlingen ste- hen, wo Bilder auf einen mit Papie- ren übersäten Schreibtisch hinun- terblicken, auf das Arbeitszimmer ei- nes Arztes, Forschers und Malers, eines Mannes, der sein Leben lang forschen wird — in der Medizin wie in der Kunst.

Anschrift der Verfasserin:

Marion Arbolave Segurola 1310

Vte. Lopez (Prov. Bs. Aires) Argentinien

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 1 vom 5. Januar 1978

47

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Das läßt sich nur mutmaßen — die Untersuchung beschreibt ledig- lich die sich verändernde Darstel- lung des Arztes, nicht aber deren Wirkung, wenn man von einem kleinen

Und nun zur zweiten Frage: wurden in Zeiten des Ärzteüberschusses alle ärztlichen Aufgaben auch tatsäch- lich von Ärzten wahrgenommen oder ließen sich hier nicht in Zukunft

Der Beruf des Arztes als freier Beruf findet seine Selbstbeschränkung in der Verantwortung, die der Arzt für seine Patienten übernimmt. Freiheit und Ver- antwortung sind das

Er gründete einen Klub für Malerei, eine Gesellschaft für Dramatik und eine für Fotografie, und zeichnete auch als Leiter für die Diskussionen der „Debating Socie- ty"

Literatur, das sind nicht nur die Bü- cher von Flaubert, Camus oder Thomas Mann, die alle (auch) Ärzte porträtiert ha- ben.. Das sind ebenso Roma- ne .von Simmel, Konsalik

Idiopathische und postenzephaliti- sche Parkinson'sche Krankheit: Pravidel eignet sich insbesondere für Patienten, die auf Levodopa nicht mehr voll ansprechen oder bei denen eine

E s müssen in der Anwen- dung der Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ) verschiedene Rechtsbeziehun- gen beachtet werden: die des Arztes mit dem Privatpatien- ten, woraus sich unter

Aber dieser Vater hat sich ein für alle- mal für die Liebe entschieden, und darum weiß er, daß er damit seinen Sohn verloren hätte. So schließt das Gleichnis Jesu mit dem Wort