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Archiv "Arztsein: Die Angst des Arztes" (28.03.2014)

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beitsabläufen verbunden ist. Jeder Arzt ist diesem Risiko ausgesetzt und muss lernen, damit umzugehen.

Die Angst des Arztes ist ein Indika- tor dafür, inwieweit die dem Beruf inhärenten Risiken bewusst wahr- genommen werden und in welcher Weise damit professionell umge- gangen wird. Bei genauerer Be- trachtung sind die berufsbezogenen Ängste des Arztes vielschichtig. Es geht nicht nur um Angst vor einem Behandlungsfehler, sondern auch um die Angst, persönlich zu versa- gen, die eine jede ärztliche Tätig- keit von Anbeginn begleitet.

Stetige Herausforderung Kaum hat ein junger Assistenzarzt seine erste Stelle angetreten, werden bekannte, jedoch unerprobte Leis- tungen erwartet. Das Aufklärungsge- spräch über eine Operation wird be- reits zum Gang durch unbekanntes Gelände, wie dann die erste selbst- ständige Visite, später kleinere inva- sive Maßnahmen, wie Gelenk- oder Liquorpunktionen. Die verlangten technischen Fertigkeiten, auch die ei- genverantwortlich zu treffenden Ent- scheidungen werden immer schwe- rer. Neue Herausforderungen müssen gemeistert werden; trotz Unerfahren- heit, manchmal sogar Unkenntnis, soll eine qualifizierte Behandlung geleistet werden. Die Routine der häufig wiederholten Leistungen wird von immer neuen Herausforderun- gen durchbrochen. Wird sich je ein Gleichgewicht einstellen, so dass das Versagen nicht mehr droht? Bei man- chem will diese Angst nie weichen, neurotisch kleben sie am Selbstvor- wurf, nicht zu genügen.

Die Angst vor Fehlern haben alle, nicht nur Ärzte. Aber die Erwartun- gen an das ärztliche Gelingen sind umfassender, weil die Gesundheit nicht verloren gehen darf. So darf der Chefarzt den nicht statthaften Fehler

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ngst ist eine Grundemotion und im Dienste der Gefahren- abwehr für das Überleben wichtig.

Auch im zwischenmenschlichen Kontext hat Angst eine regulative und schützende Funktion. In dem Maße, in dem man Verantwortung für andere Menschen übernimmt und für andere Sorge trägt, werden in der Regel auch Ängste vor Feh- lern oder dem eigenen Versagen ge- weckt. Beim Arztberuf könnte man von berufsbezogenen Ängsten spre- chen, die durch ärztliche Kunst und moderne Technik vielleicht zu re- duzieren, aber niemals völlig zu be- ruhigen sind. Diese Ängste werden häufig verdrängt, nur selten reflek- tiert und noch seltener mit Kollegen offen kommuniziert.

Einem Arzt, der nie an seinen ei- genen Fähigkeiten zweifelt und der keine Angst kennt, in der Ausübung seines Berufs zu versagen, sollte man sich besser nicht anvertrauen.

Zu groß ist die Gefahr, dass durch blinden Optimismus und Zuversicht die Möglichkeit des Scheiterns der ärztlichen Behandlung ausgeblendet wird. Dass ein Behandlungsfehler unterlaufen kann oder sich uner- wartete Komplikationen einstellen können, ist nicht nur bei der Patien- tenaufklärung aus Rechtsgründen zu berücksichtigen, sondern auch eine wichtige Überlegung im Rah- men einer verantwortlichen Nut- zen-Risiko-Abwägung.

Angst als ständiger Begleiter Dabei hat die berufsbezogene Angst des Arztes nichts mit neurotischen oder existenziellen Ängsten zu tun.

Es handelt sich auch nicht um über- wertige Ängste im Sinne phobi- scher Befürchtungen, die der Si - tuation unangemessen wären. Aus organisationspsychologischer Sicht spricht man von einem „primären

Risiko“, das mit bestimmten Ar- Foto: mauritius images

ARZTSEIN

Die Angst des Arztes

Einem Arzt, der nie an den eigenen Fähigkeiten zweifelt und keine Angst kennt, in Ausübung seines Berufs zu versagen, sollte man sich besser nicht anvertrauen.

Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 13

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28. März 2014

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 13

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28. März 2014 A 547 kreise. Denn was wäre ein Arzt, der

durch den Schein agiert? Ein Place- bo! Dann wäre all das Studieren, Lernen, Üben unnötig, gar unsinnig gewesen. All die Plackerei umsonst.

Sisyphos im Arztkittel. Der Auf- schrei der Empörung gilt der Ab- wehr der Angst, dass der Arzt nicht durch Wissen und technische Fertig- keit wirksam wird, sondern dass der Wunsch oder der Wille zur Gene- sung eine entscheidende Rolle spie- len kann. Damit der Placeboeffekt zur Wirksamkeit kommen kann, braucht es aber einen ärztlichen Ka- talysator.

Angst vor Krankheit und Heils - erwartungen – Dem Anspruch des Patienten an Hilfe und Heilung muss erst einmal vom Arzt standgehalten werden. Diese Angst der Patienten, ihre Funktionen, ihre Leistungsfä- higkeit und dann das Leben zu ver- lieren, wird ja nicht angesprochen, sondern nur angedeutet, quasi trans- formiert, vielleicht somatisiert, in Erwartungen, in Verlangen, in Druck in der Arzt-Patient-Beziehung. Ärzte können davor kapitulieren und sich abwenden: „Suchen Sie sich einen anderen Arzt, ich kann Ihnen nicht helfen.“ Sie wären dann durch Ab- bruch der Beziehung vor der Angst geflohen, dem Patienten nicht stand- halten zu können. Sie können auch Gegendruck aufbauen, um die Angst zu scheitern durch eigenes drangvol- les Handeln zu unterdrücken, wür- den in aggressiver Gegenübertra- gung mit überzogenen Therapien die Angst des Patienten und dessen For- derungen bestrafen. Nur der erfah- rende und geübte Arzt kann in die Angst des Patienten blicken und ihm Unterstützung anbieten.

Den Patienten wahrzunehmen heißt, des Patienten Angst wahrzu- nehmen, ohne davor Angst zu haben.

Zumindest diese Angst als Arzt zu kennen. Und nicht kontraphobisch von sich zu geben, dass man alles im Griff habe und beherrschen könne.

Die Angst vor Erkrankung betrifft auch jeden Arzt. Ärzte werden para- digmatisch in Studium und Weiter- bildung eingewiesen in die Forde- rung, alles dafür zu tun, Leben zu verlängern und Lebensqualität zu steigern, dafür zu forschen. Das Wis-

sen um die eigene Verletzlichkeit, Hinfälligkeit kann die therapeutische Beziehung zwischen Übertragung und Gegenübertragung beruhigen.

Angst vor der eigenen Ohnmacht als Arzt – Der Arzt begegnet in der Krankheit seiner Patienten nicht nur der Angst vor eigener Krankheit, sondern auch der Erkenntnis, dass er zwar dem Patienten in dessen Krankheit begegnet, aber doch im Allgemeinen dessen Krankheit fern- bleiben darf. Er muss Geschwüre, Eiter, Gerüche zwar mittragen, doch er kann die Tür hinter dem Pa- tienten schließen und den Patienten alleine lassen. Er wird sich immer wieder die Frage stellen: „Warum er, warum nicht ich.“ Es ist eine ähnliche Angst vor der Schuld, die Überlebende einer Katastrophe spüren, vor der Überlebensschuld.

Die Distanz, die der Arzt aufbauen kann, aufbauen muss, um selbst weiterleben zu können, wird die Schuldfrage nach sich ziehen.

Er wäre gut, wenn dem Arzt diese ständige Angst zwischen Schuld und Ohnmacht bekannt und auch be- wusst wäre. Damit er nicht nur in Abwehr agieren müsste. Oder süch- tig wird. Bekanntermaßen sind Ärz- te – auch wegen des vereinfachten Zugangs – in besonderem Maße von Alkohol- und Medikamentenabhän- gigkeit bedroht. Aber: „Schuldge- fühle und Scham haben aber auch eine positive Seite. Obwohl sie für den Betreffenden negativ besetzt sind, sind sie doch ein Beweis dafür, dass die Person ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein be- sitzt.“* Sie haben etwas Reinigen- des. Und: Zwischen Schuld und Ohnmacht gibt Mitgefühl die ange- messene Nähe in der Beziehung.

Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie Universitätsklinikum Heidelberg, marcus.schiltenwolf@med.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. med. Martin Sack Klinik für Psychosomatische Medizin und Psycho- therapie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, m.sack@tum.de

*Rosentreter M: Der persönliche Umgang mit Fehlern im Krankenhaus – Aspekte der sozialen Wahrnehmung und Patientensicherheit. In: Kurt W.

Schmidt et al. (Hg.): Zum Umgang mit Behand- lungsfehlern. Tagungsband der ELSA-Klausur - woche 2012. Berlin: Lit-Verlag 2012: 113.

nicht dulden, und der Oberarzt wie der Assistenzarzt werden dies auch spüren. Es scheint eine berufsspezifi- sche Angst zu geben, als Arzt zu ver- sagen. Vielleicht hat diese spezielle Angst auch mit dem Anspruch der Medizin zu tun, Gesundheit zu errei- chen, ein hoher Anspruch und manchmal eine Aufgabe, an der man scheitern muss. Auch ein Arzt macht Fehler. Er kann nicht perfekt sein.

Das einzugestehen und anzuerken- nen, hilft mehr als der vergebliche Kampf um die Fehlerlosigkeit.

Angst vor dem ethischen Vergehen Die ärztliche Arbeitswelt hat sich verändert. Ökonomen reden nicht nur mit, das erfolgreiche Wirtschaften ist zum Primat geworden. Wirtschaft- lichkeitsressourcen wurden schon vor gut 20 Jahren gemutmaßt; es folgten ein verändertes Abrechnungssystem der Krankenhäuser, Fallzahlen und Casemix-Indices; Patienten werden operationalisiert, kategorisiert, Ziel- vereinbarungen mit Leistungsträgern geschlossen. Schon die Semantik ist nicht ärztlich. In diesem ökonomi- schen Kontext wird der Arzt zum Dienstleister und der Patient zum Kunden. Das Rollenbild von Arzt und Patient wird verändert.

Diese Ökonomisierung der ärztli- chen Arbeit birgt die Gefahr, sich am ärztlichen Ethos zu vergehen.

Die mögliche Schuld in jedem Kon- takt mit Patienten in den Ambulan- zen oder auf Station ist auf Dauer nicht zu ertragen. Nur noch Dienst- leister zu sein für den Geschäfts - führer und den Krankenhausträger, führt weit weg von der Überzeu- gung, auf der Seite des Patienten ge- gen die Krankheit zu stehen. Das ärztliche Gewissen meldet sich. Der Arzt hat Angst vor seinem Gewis- sen, dem Wissen um die Berufung, sich dem Patienten hinzuwenden.

Zynismus kann der Angst folgen.

Doch bleibt diese Angst auch eine Triebfeder, sich gegen die Wirt- schaftlichkeitsdoktrin zu wehren.

Angst vor Entwertung – Wenn ran- domisierte Studien belegen, dass manche ärztliche Maßnahme nicht besser ist als eine Scheinmaßnahme, kommt es meist zu einem Aufschrei der Empörung der ärztlichen Fach-

T H E M E N D E R Z E I T

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